Islamischer Feminismus oder feministischer Islam und wieso ein dringlicher Versuch hierzu notwendig ist Teil I

Women in Islam

By Petar Milošević (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Teil 1: Hintergründe Angesichts der zunehmenden Vermischung von Islam mit dem Patriarchat, oft in letzter Zeit mit der medialen Vermengung mit I.S./Islamic State und Themen wie „female genital mutilation“, Zwangsheirat und sexuellem Djihad, ist es für mich notwendig geworden, den Versuch zu machen mich dem Thema Islam und Feminismus zu nähern. Der Westen bereitet gerade mit einer massiven Medienkampagne zum Islamic State und dem Kalifat Kriegseinsätze vor. I.S. wird als der Inbegriff des Reich des Bösen und der finsteren Mächte bezeichnet, mit immer neuen verübten (angeblich-ich war selbst nicht dabei, aber Alles ist möglich) Gewalttaten, oft auch im Bereich der sexuellen Gewalt. I.S. Kämpfer sind sozusagen völlig entmenschlicht,  und nichts besseres wie Ungeziefer. Wieso sich 30000 Kämpfer gefunden haben um ihr Leben für die eventuelle Verübung von sadistischer Gewalt zu riskieren bleibt unklar (zu viel Pornos gesehen und eine neue Steigerung notwendig?). Ich unterstütze nicht I.S., und habe dies auch nicht vor dem Verbot von I.S. in Deutschland getan, natürlich nicht, aber die Berichterstattung lässt trotzdem die Frage offen, wieso es überhaupt soweit kommen konnte. Sie lässt auch die Frage offen, was von den Handlungen überhaupt zum Islam gehören kann, auch wenn viel Spielraum für Interpretation möglich ist. Zur weiteren Komplikation, im Zusammenhang mit zunehmender Ressourcenverknappung, kommt noch der politische Islam hinzu. Der Konfliktherd  Gaza diente hier zuletzt auch sehr hilfreich der Zusammenführung aller Muslime gegen die „anderen“, die Gaza und somit auch den Islam und alle Muslime bekämpfen wollen. Ein Pulverfass in vielfacher Hinsicht und es wird uns bald um die Ohren fliegen. Vor kurzem konnte ich mich durch 300 Kanäle (Schätzung) von Nilesat wochenlang hindurchzappen. Hierdurch konnte ich mir erstmalig selbst einen Überblick über die Medienlandschaft in arabischen Ländern verschaffen. Geschätzte und gefühlte 40-50% der Inhalte der Kanäle von Nilesat, mindestens, beziehen sich auf religiöse Videos und Koranerklärungen. Weitere 20% waren kriegerische Videos diverser Gruppierungen, mit musikalischer Untermalung, in denen auch der Koran häufig erwähnt wurde. Die Zeiten stehen auf Krieg. Überall. Der Rest der Kanäle beinhaltet Werbung und Nachrichtensendungen oder ein gemischtes Programm. Die religiösen Musikvideos, und das Spektrum ist hier erstaunlich groß, zeigen, wenn Frauen überhaupt gezeigt werden, liebreizend verklärt lächelnde Frauen und Mädchen im Hintergrund schwebend, die ihrer Aufgabe nachkommen (Essen servieren, den Koran lesen oder den Ehemann anlächelnd, der gerade gebetet hat).  Die religiöse Auslegung des Korans lässt also keinen Zweifel aufkommen, zumindest nicht in diesem Medium. Sie wird von Männern, zu 90%, rezitiert, gesungen oder interpretiert. Das Tragen des Hijab, oder bei Männern der Djellabah, hat zugenommen, auch in den Musikvideos. Ein beispielhaftes, und somit sehr anschauliches Musikvideo in Bezug auf muslimischen Zusammenhalt angesichts der Gewalt durch den Westen, zeigte einen Mann, der nicht mit anderen Männern beten wollte.  Erst nach Betrachtung von toten Kindern im Fernsehen (Gaza/Syrien?) fing auch er an mit den anderen Männern gemeinsam zu beten. (Dieses Video habe ich nicht mehr gefunden. Wer sich ein wenig ähnliche Musikvideos ansehen möchte, empfehle ich die Musikvideoauswahl auf 4Shabab, aber ein Paar Links finden sich unten).

Bei dem vorgegebenen Frauenbild der lächelnden, ruhigen und verschleierten Frau, und entsprechender geschlechterhierarchischer  Erziehung, wäre es schwierig nicht von einem Problem für Frauen in arabischen Ländern zu sprechen. In westlichen Ländern würde ich ebenso von einem massiven und zunehmendem Problem für Frauen sprechen als Folge der Pornofizierung. Insbesondere aber ist die Geschlechterhierarchie  ein Problem in den Zeiten zunehmender Militarisierung und der erwähnten Ressourcenverknappung, und vor dem Hintergrund einer brutalen und jahrhundertelangen kolonialen Geschichte. Diese Geschichte haben wir in Europa vielleicht vergessen oder nie wirklich davon erfahren, aber davon direkt Betroffene ganz sicher nicht. Die Kolonialgeschichte ist nicht vergessen und demonstriert ihr brutales Gesicht auch in der Gegenwart. Der Kapitalismus beutet unverändert aus. Und Religion ist ein hervorragendes Mittel zur Zusammenführung der Massen zu einer gemeinsamen Gruppenidentität.  Krisenzeiten und Krieg sind normalerweise nie Zeiten emanzipatorischer Strömungen, sondern Mobilisierungsphasen, von „wir“ gegen „die anderen“. Religion kann sehr gut alle Muslime vereinen, gerade in einer Atmosphäre der Angst und Verzweiflung. Im Westen wird der rückständige, mordende Araber stilisiert, der alle unterwerfen möchte und gegen den der freie Westen alle Kräfte einsetzen muss. Interessanterweise wird aber, wie gesagt, in arabischen Medien der mordende Westen, der Kinder kaltblütig tötet, dargestellt. Und die Frage ist tatsächlich welche Kinder in Syrien, Afghanistan, Gaza, Libyen, und im Irak sterben. Wer stirbt im Krieg oder verliert alles? Westliche Kinder sind es nicht in jedem Fall. Von den toten Erwachsenen ganz zu schweigen. Alle arabischen Länder haben mehrheitlich eine lange Geschichte der Ausbeutung und Dominanz durch Kolonialismus des Westens. In Algerien, und hiervon kann ich selbst am ehesten sprechen, ist allen Menschen das brutale französische  Kolonialregime und der Bürgerkrieg immer noch gut in Erinnerung. Algerier im Freiheitskampf wurden gefoltert, Frauen vergewaltigt, und unter dem Titel verbrannte Erde Napalm genutzt. Die Ausbeutung der Ressourcen, damals wie heute, ist als Thema immer präsent. Französische  Atomversuche fanden in der Sahara (Tamranassett) statt und heute haben circa 20% der Frauen Brustkrebs in dieser Region. Unnötig zu sagen, dass Frankreich keine Entschädigung gezahlt hat oder zahlt.   „Der Hass auf den Westen“ als Folge der brutalen Ausbeutung und Arroganz des Westens wird sehr gut auch von Jean Ziegler beschrieben.

Die Ursache des Hasses findet sich in der Fortsetzung des Titels wieder: „…wie sich die armen Völker gegen den wirtschaftlichen Weltkrieg wehren“. Dieser Hass auf den Westen trifft, insbesondere seit dem 11 September, auf Islamfeindlichkeit und offenen Rassismus im Westen und führte zu einer weiteren Eskalation und Stärkung der Idee einer muslimischen Gemeinschaft (zum Beispiel Muslim United). Die Spirale der Gewalt dreht sich weiter und im Rahmen von massivem Waffenhandel ist hier einiges möglich.   Die Idee, dass der Westen durch Zerstörung, Provokation von Konflikten, und Krieg (Syrien, Irak, Libyen) an die Ressourcen in den arabischen Ländern möchte, ist allen in der dortigen Region bekannt. I.S. wird weniger als Bedrohung gesehen als die Zerstörung der Stabilität der einzelnen Länder durch den Westen. Denn dann kann der Westen noch ungehinderter an die Ressourcen als es bis jetzt die kooperierenden Regimes ermöglichten.   Flüchtlingsströme und bittere Armut sind in vielen arabischen Ländern sichtbar, im Straßenbild. Es wird erlebbar, dass dieses bittere Elend vom reichen Westen in Kauf genommen wird, Krieg geführt wird, aber die Flüchtlinge sterben können. Wen interessiert es.

Das alles sind Faktoren, die im Kontext Islam und der gegenwärtigen Konfliktsituation eine Rolle Spielen. Und die Situation der Frau und die gegenwärtige Auslegung des Korans werden hiervon ebenso beeinflusst. Frauen, die den Islam anders leben und verstehen wollen, müssen sich immer auch vom Westen distanzieren als Folge des Kolonialismus und Kapitalismus. Pornografie erfüllt in unserer westlichen Gesellschaft auch, unter anderem, eine gewisse Steuerungsfunktion, da Religion weniger geeignet ist. Pornografie lenkt zumindest ab. Allerdings trägt die Pornofizierung unserer Gesellschaft in nicht unerheblichem Maß auch der fehlenden Weiterentwicklung des feministischen Ansatzes im Islam bei. Die westliche Gesellschaft wird als „krank“ betrachtet und ich kann dieses Verständnis  im Zusammenhang mit ethischen Werten nachvollziehen, wenn Dinge in den Medien dargestellt werden, wie zum Beispiel Miley Cyrus, ein Mädchenidol und für manche ein weibliches Rollenmodell, die zum Beispiel einen aufblasbaren Penis ableckt, sozusagen damit die jungen Mädchen gleich wissen was sie zu tun haben. Beispiele könnten hier endlos sein.

In Europa müssen Frauen und Mädchen sexuell verfügbar sein und in islamischen Ländern dürfen sie nicht verfügbar sein, abgesehen von der Verfügbarkeit dem eigenen Ehemann gegenüber.   Leider stellt die schwierige Arbeitssituation von Frauen in vielen arabischen  Ländern ein massives Problem dar, als das als Folge Frauen Männer für ihr wirtschaftliches Überleben benötigen. Und wenn der Wunsch nach einer, nur dem eigenen Ehemann zur Verfügung stehenden Ehefrau da ist, dann muss die Heiratsfähigkeit hergestellt werden, und zur besseren Heiratsfähigkeit Hijab getragen werden. Das ist sicherlich nicht der einzigste Faktor bei dieser Entscheidung, aber es war immer das Ziel für Frauen im Patriarchat der männlichen Definition von angemessenem Verhalten und Schönheit zu folgen. In unserem Kulturkreis folgen Frauen auch, und haben dies schon immer getan, mehrheitlich den von Männern definierten Schönheitsidealen, bis hin zu Schönheitsoperationen im Genitalbereich und verjüngten Vaginas, damit es für den Mann wieder schön eng ist. Beides hat nichts mit direktem Zwang zu tun, sondern mit komplexen gesellschaftlichen Bedingungen, die hier nur vereinfacht dargestellt werden können.

Am 28.08.2014 wurde in „El Watan“ dargelegt, dass in Algerien 60% aller Gewalttaten in der Familie gegen Frauen stattfinden. Ein geplantes Zusatzgesetz zu häuslicher Gewalt in Algerien besagt, dass keine Strafverfolgung stattfindet, wenn die Ehefrau den Täter entschuldigt. Nur 17% aller algerischen Frauen arbeitet, und ohne weitere soziale Absicherung bleibt nur der Weg auf die Straße oder in die Prostitution im Falle einer Trennung. Cherifa Kheddar (OVIF- l`oberservatoire des violences faits aux femmes) sieht eheliche Gewalt als gesellschaftlich akzeptiert an und verdammt dies. Noiria Hafri (UNFA-Union des femmes algeriennes) sieht es als die Aufgabe der Schule an, gegen Gewalt zu wirken, denn Gewalt ist auch eine Sache der Kultur. Das Patriachat wird nicht, leider, erwähnt, denn auch in der westlichen Kultur haben Frauen ein Problem mit männlicher Gewalt, in allen Kulturen und Ländern, wie ja vor kurzem die Studie der UN zeigte. Ohne wirtschaftliche Sicherheit sind immer und überall Frauen die Verliererinnen und abhängig von Männern für ihr Überleben. Das Thema Hijab ist in Europa ein anderes, ein rassistisch geprägtes. Ich erwähne es, da es immer mit dem Islam in Verbindung gebracht wird als Symbol. Aber es ist auch deshalb ein anderes, da auch mit Hijab andere Freiheiten hier möglich sind. Der gesellschaftliche Kontext und die Bedingungen sind im Westen andere, und somit ist die Entscheidung für mehr oder weniger bedeckten Kleidungsstil auch anders bedingt. Das eigentliche Problem ist die Verhaltenserwartung die mit dem Hijab in muslimischen Ländern oft einhergeht. Ich kann als westliche Frau das Thema Hijab oder Niqab im arabischen Ausland letztendlich nicht diskutieren, aber es berührt mich als westliche Frau trotzdem. Ich habe hier im Westen einen äußerst priviligierten Status, auch als Frau.  Ich spüre aber was hätte sein können, wäre ich woanders geboren worden. Vielleicht liegt das daran, dass mir vor vielen Jahren von Couscous rollenden Frauen in Algerien gesagt wurde.. “und wenn Du hier geboren worden wärst, würdest du auch mit uns Couscous rollen….“, oder ein Paar Jahre später sagte ein Bruder in der Familie zu mir, als ich unterwegs auf die Toilette musste…“wenn  Du weiter ständig auf die Toilette musst, dann bleibst du zukünftig bei den Frauen hier zu Hause und kochst auch Couscous..“. Ich habe erlebt, dass Männer und Frauen zu Hause getrennt essen, und Frauen zu Hause bleiben müssen. Als westliche  Frau konnte ich mit Männern in Algerien überall hin, in alle männlichen Räume, und die Scheinheiligkeit die ich hier beobachten konnte, war umfassend und unterscheidet sich nicht von der Scheinheiligkeit im Westen. Ich habe prostituierte  Frauen in Diskotheken, in Kneipen, und in Hotels gesehen und dazu sehr viele Männer, die es als ihr Recht sahen, hierhin zu gehen, während ihre verschleierten Ehefrauen zu Hause warteten. Genauso wie in Deutschland, nur ohne Hijab, meistens. Wenn das Sein das Bewusstsein prägt, dann prägt mich als Frau auch das Tragen von verhüllender Kleidung. Ich verschwinde, und werde im öffentlichen Raum kaum wahrgenommen. Diese Gleichheit und das Verschwinden der Sexualisierung aus dem alltäglichen Leben als Ziel und Lebensstil ist nicht per Prinzip schlecht, aber in muslimischen Ländern wird „Raum“ Frauen prinzipiell eher genommen. Durch belästigende Blicke und männliche Räume, die keine weibliche Entsprechung haben. Wenn Frauen in voller Bekleidung, inklusive Hijab und Burkini am Strand sitzen und schwimmen, während Männer in Shorts schwimmen, dann ist das ungerecht. Es wäre nur gerecht, meinetwegen, wenn es eine große Anzahl an Frauenstränden geben würde, denn dort wäre freies Schwimmen möglich. Und nein, mir kann niemand erzählen, dass es doch toll ist, bekleidet im Meer zu schwimmen.  Auch hier stellt sich die Frage von Raum, denn Raum bedeutet Macht. Wenn es keine reinen Frauencafes oder Restaurants gibt, sondern Frauen in hintere „Salles Familiales“ müssen und in der Regel sogar in männlicher Begleitung, Männer die Straße und das Straßenbild dominieren, dann ist das eine einfache Machtfrage. Und das hat nichts mit dem Islam zu tun, sondern mit dem Patriarchat. Auch uns in Europa wird erheblich weniger Raum als Männern zugestanden, allen Frauen steht weniger Raum zu als Männern, im direkten wie im übertragenen Sinn. Auch hier werden Frauen angestarrt und belästigt.

Die Frage ist also nicht, welche und wieviel Kleidung trage ich, sondern wie viel Macht habe ich als Frau. Ohne wirtschaftliche und rechtliche Sicherheit, unabhängig von Männern, egal wo, wird die Geschlechterhierarchie bleiben. Ich muss hier nochmals betonen, dass das Frauenbild in Deutschland genauso schrecklich ist. In einer Ausgabe des „Stern“ als neuestes Highlight im September gab es einen Artikel über ein Ehepaar, das zusammenblieb, obwohl der Ehemann tausende von Kinderpornos auf seiner Festplatte gehabt hatte. Dies wurde als Stärke ausgelegt; die Ehefrau ist bereit „Krisen“ zu durchstehen und sogar auch ihrem Mann wieder zu vertrauen. Ähnliche Indoktrination fand sonst immer in den Medien nur beim fremdgehen statt.  Bärbel Schäfer wurde hier sehr plakativ und beispielhaft genutzt,  als sie bei ihrem Partner blieb, obwohl ihr Partner Sex mit mehreren prostituierten Frauen hatte. Auch hier wurde damals von Stärke gesprochen, sie rannte nicht gleich weg….. Jetzt sollen wir Frauen auch noch Kinderpornos aushalten und dies soll unsere Stärke zeigen…Danke, nein. Es widert mich mittlerweile an, das Patriachat, in all seinen Gesichtern…. Und deshalb ist mein Thema das Patriarchat, immer und überall, in seinen verschiedenen Ausprägungen. Und auch das Thema Islam möchte und werde ich nicht dem Patriachat überlassen. Räume müssen zurückerobert werden, alle Räume, auch religiöse. Auch wenn Religion zur Machtausübung genutzt werden kann und genutzt wird, ist Spiritualität ein tiefes menschliches Bedürfnis. Verschiedene Religionen bieten unterschiedliche Wege zu Gott, zum göttlichen Prinzip oder zur Spiritualität. Als Feministinnen haben wir das Recht jede Religion feministisch auszulegen und zu leben, oder auch keine Religion zu leben.

Susanne Rotmaier-Slamani

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