Nachhilfe für Liberalfeministinnen: Silencing

Ein lachender Bleistift (Comic)

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Ich möchte mal kurz damit beginnen, wer ich bin, ich bin eine Prostitutionsüberlebende, wahrscheinlich – so die Glaskugel von Libfem X (nennen wir sie mal so)  –  weiß,  denn als Weiße hab ich es gut,  von unzähligen Typen gefickt zu werden und kenne keine Unterdrückung. Ich bin weiß und eine Frau – so die Glaskugel, wobei bei Frau bin ich mir nicht ganz so sicher – ist aber auch ein recht unwichtiges Kriterium geworden. Den WoC, den Roma-Frauen – ach was, lasst mal diese rassistische Komponente raus. Ist fieß.  AGENCY!!!! Die brauchen diese Überlebensmöglichkeit. Also bitte. Bitte.

Und die Frau mit der Glaskugel ist gerade unfassbar unterdrückt und zwar von Gören wie mir. Gemein.

Ich wollte ein paar Sachen erklären, auch wenn ich wenig Hoffnung in mir trage, dass es etwas nützt (setzt Introspektionsfähigkeit voraus, meine Prognose: ungünstig):

Silencing:

Silencing ist, Menschen mundtot zu machen. Menschen, die auf Realitäten aufmerksam machen. Frauen mundtot zu machen. Insbesondere dann, wenn sie von Gewalt, Vergewaltigung und anderen Widerlichkeiten erzöhlen.

Frauen haben auf gesilencte Stimmen aufmerksam gemacht und ihr formuliert es um. Ziemlich praktisch.

Wisst ihr,  der Grund warum man auf gesilencte Stimmen aufmerksam macht, ist Solidaritat. Das ist aber ein Konzept, das ihr entweder nicht verstanden oder vergessen habt.

Ja, die holde Gefolgschaft der Libfemfraktion betreibt gerade son bisschen Faktenverdrehung, ist ja nicht so, dass ich das nicht kenne, ich kenne ja die Lobby.

Ne kluge Nummer, den Posterinnen von Stimmen von Prostitutionsüberlebenden zu unterstellen, sie fühlten sich gesilenct. Verdreht sich alles so schön und erinnert so ziemlich an Lobby-Speech und -Taktiken. Könnter gut. Kompliment. Habter gut gelernt, muss ne gute Schule gewesen sein. Ich tippe ja auf Coaching von der Prostitutions-Lobby.

Ich bin jetzt mal nicht so fies und erwähne, dass ihr tatsächlich sämtliche Stimmen von Gewaltopfern, die die Kraft haben, für sich selbst auf sich aufmerksam zu machen silenct. Ups doch gemacht. Tut mir nicht leid.

Intersektionalität findet ihr wichtig: Bei Prostitution dann halt so garnicht mehr. Da ist das alles anders.

Begriffe schrotten, das könnt ihr gut. Silencing ist dazu gekommen. Ihr seid solche Super-Helden (ich lass das mal ungegendert, wen interessieren schon Frauen? Interessieren sich Feministinnen für Frauen? Echt jetzt?). Schrotten wäre nicht ganz so schlimm, wenn sich nicht diese unfassbare Häme darüber ergießen würde. Nochmal, weil ich gerne weiterhin total penetrant  darauf rumreite: Silencing ist ein uraltes patriarchales Instrument. Und ich erwarte von Feministinnen, dass sie a) diese Basics drauf haben und b) sich nicht in Lächerlichkeit darüber ergießen und das, in dem man einfach mal die Fakten verdreht. Das ist nicht nur antifeministisch und unsolidarisch – es ist peinlich dazu.

Schön auch: Den Beitrag einer Kommentatorin zu löschen und dann Screenshots viral gehen zu lassen. Super Nummer.

Begriffe wie Silencing solltet ihr vielleicht googlen. Hilft nicht viel,  aber wenn schon das Feminismus-Repertoire versagt …

Eine letzte Bitte: Darf ich die Glaskugel haben? Ich will sie! Bitte Bitte.

4 Kommentare

  1. Ich glaube, dass das nur wenige in dieser Form verstehen werden.

    Die Trauer und Wut sind glaube ich wirksamer, wenn sie nach vorn treten. Ganz offen. Auch wenn man das Gefühl hat, das bringt nix. Was ich aber gut verstehen kann, ist wenn man sich nicht dauernd so sehr “exponieren” will, mit der Trauer und der Wut. Ihr/du habt ein Recht darauf traurig und wütend zu sein über die Libfems und das Silencing und das mangelnde Vorstellungsvermögen, Ernstnehmen und Mitgefühl. Es würde mich rasend machen, das in der Situation immer wieder und wieder so zu erfahren. Vor allem weil es zum Trauma gehört. Weil auch die Täter und das Umfeld so waren.

    Es wird nicht ewig so sein. Der Grund ist einfach: Wir alle geben nicht auf.

    Und, bei wem die Erkenntnis der Prostitution als riesen Glamour-Fassade mit klarer patriarchaler Gehirnwäsche, Drohungen und Ausnutzung von Vulnerabilitäten bei den Frauen: Jugend (Naivität), Armut, Hoffnungen und Verliebtheit, und am Schlimmsten: Reinszinierung von Traumata, einmal greift, der/die wird das nie mehr vergessen.

    IHR seid deshalb die _größte_ Gefahr für diese Branche. Denn: Ihr Glamour-Getue wird nie mehr bei jemandem greifen, zu dem ihr durchdringen konntet. Alles ist entlarvt. Für immer. Für die Branche seid ihr wie schleichende Salzsäure, die deren Grundlage auflösen kann: Die Lüge.

    Es ist völlig klar, dass sie alle Manipulations- und Brainwashtechniken und alle Mittel einsetzen, die es gibt und mit aller Macht, die Opfer vereinzeln, schwächen und entmutigen wollen, so wie sie all das auch als “Grundfähigkeiten” und Grundlangen für und IN der Branche jeden Tag brauchen.

    Sie nutzen es einfach gnadenlos aus, dass teils blutjunge, aber auch ältere Mittelschicht- und Bildungbürger*innen-Libfems (die es gewohnt sind sich und ihresgleichen furchtbar wichtig zu nehmen) sich so viel bewusst Böses und vor allem auch die EIGENE Manipulierbarkeit in diesem Ausmaß nicht _vorstellen_ können und das für “Vertäufelung” halten. Zugleich trifft es ihre Eitelkeit zu glauben, all das beurteilen zu können, was in einer völlig anderen Welt wie der ihren stattfindet, nur weil sie mit Verbänden reden.

    Es rüttelt an ihrem _gesamten_ Weltbild, was ihr ihnen erzählt, und das nutzen die Jungs, die die Lobbymädels FÜRSTLICH entlohnen dürften, einfach aus.

    Schwachstellen zu erkennen, ist ihr Job. Sie zu ihrem Vorteil zu nutzen, noch mehr.

    Und doch werden Sie auf Dauer damit konfrontiert werden, was sie am meisten hassen: Es nicht ewig kontrollieren zu können, wohin die “Salzsäure” läuft, die ihre Lügen auflöst und schließlich die Erfahrung machen, zu verlieren. Sie werden verlieren.

    Je schneller ihr euch eurer ungeheuren Macht über diese Branche bewusst werdet, umso schneller. Gut wäre, wenn die das etwas mehr unterschätzen würden. Tun sie leider nicht…

    Denn: Auch, dass Überlebende sich machtlos fühlen sollen, ist nichts als Teil des alten Spiels. Das wird gezielt angestrebt.

    Dabei sollt ihr nicht merken: Ihr seid das Gefährlichste, das es für diese Branche gibt. Nichts kommt eurer Zerstörungsfähigkeit für sie gleich: Ihr zerstört die Lüge, die sie zum Leben brauchen und ohne die, diese Branche – heute mehr denn je – nur noch ne Randnotiz der Geschichte werden wird.

    Die Lobbies tun alles, damit ihr daran nicht glaubt oder es anzweifelt. Und wo schwächt man am besten? Dort wo ihr zuerst Verbündete, Solidarität und Beistand sucht.

    In eurem Fall: Bei den Feministinnen.

    Bitte zweifelt und verzweifelt trotzdem nicht. Auch wenn das sicher irre leicht gesagt und wahnsinnig schwer umgesetzt sein mag.

    Es gibt SO viele, die ihr schon erreicht habt und es werden jeden Tag mehr. Ich war schon dabei wie aus prostitionsliberalen Feministinnen, Prostitutionskritikerinnen wurden. Manche sogar Abolitionistinnen. Bitte wisst das. Vergesst es nicht.

    Alles wird gut. Aus meiner Sicht – und das mein ich vollkommen ernst – hat die Branche auf Dauer keine Chance mehr.

    Wenn wir alle nicht aufgeben.

  2. Danke für diesen Text! Aber ein Hinweis: Frauen, die Prostitution befürworten/verteidigen/gutheißen/verharmlosen/abfeiern und von “Sexarbeit” bzw. “sexuellen Dienstleistungen” schwadronieren, sind ÜBERHAUPT KEINE Feministinnen, nicht einmal “liberale Feministinnen”, da sie die Grundprinzipien des Feminismus nicht kapiert haben. Feminismus bedeutet: Kampf für die kollektive (!) Befreiung von Frauen, für die Abschaffung patriarchaler Macht- und Herrschaftsverhältnisse, sowie für die Beendigung männlicher Gewalt gegen und männlicher Verfügungsgewalt über Frauen. Beim Feminismus handelt es sich um eine hochpolitische Bewegung, nicht um irgendein lächerliches Lifestyle-Wellness-Feelgood-“Empowerment”-Event. Prostitution ist eine drastische – wenn nicht DIE drastischste – Manifestation patriarchaler Unterdrückung und männlicher Herrschaft/Verfügungsgewalt/Machtausübung über Frauen; daher sind Feministinnen GEGEN Prostitution, genauer gesagt gegen das so genannte “Freiertum” – ausnahmslos.

    Die großartige Andrea Dworkin brachte es perfekt auf den Punkt:

    http://www.sextrade101.com/docs/articles/article1.pdf

  3. Hallo liebe Karina,

    das finde ich nicht ganz. Sie können in anderen Bereichen perfekt feministische Positionen vertreten, in denen sie auch erstaunlich hellsichtig die Grundprinzipien – für mich ein wichtiges ist die Analyse struktureller Gewalt und Macht – darlegen können. Ein besonderes Beispiel dafür ist zum Beispiel Laurie Penny. Deshalb ist es ja so verletzend und für mich auch manchmal regelrecht “bedrohlich”, wie sehr sie glauben, dass “Sexarbeiterinnen” (sic!) für “die” Frauen in der Prostitution sprechen würden… es ist total scary, aber irgendwo ist da eine Wahrnehmungsschwelle, die ich mir mit irgendwelchen Konstrukten (Schicht, Libfem-Strömungen, Unvorstellbarkeit von so viel Organisiertheit der Zuhälter und Bordellbetreiber sowie eigener Manipulierbarkeit, etc.) zu erklären versuche. Natürlich bin ich mir bewusst, dass das erstmal nur meine Konstrukte sind. Vielleicht auch der etwas hilflose Versuch, das ohne die Etablierung von “Feindschaft” ihnen gegenüber zu verstehen. Leider kenne ich selbst einige Frauen, die ich für gestandene Feministinnen halte und mit denen ich in so vielen Themen d’accord gehen kann, bei denen es für mich bei diesem Thema regelrecht aushakt und ich damit selbst oft auch kaum einigermaßen ruhig umgehen kann. Denn: Eines ist sicher… mit Anfeindungen erreiche ich natürlich keine Offenheit bei ihnen. Auch finde ich wichtig, was einige Abolitionist*innen nach unseren zahlreichen Kämpfen mit diesen Frauen gesagt haben: Nicht SIE sind unsere wirklichen Feinde. Und sie sind es auch nicht, die wir zwingend als erstes überzeugen müssen. Das ist oft verschwendete Energie, wenn auch nicht immer (wie ich oben schon schrieb). Wir müssen die Gesellschaft überzeugen. Da kann es auch sinnvoll sein, bei ganz anderen Leuten anzusetzen, wo das weit einfacher ist und die Einfluss haben, die Dinge im Sinne der Frauen in der Prostitution (und natürlich letztlich der Würde aller Frauen) zu verändern: Indem immer mehr Menschen klar wird, dass das Sexkaufverbot vermutlich die einzige Alternative für einen tiefgreifenden Bewusstseinswandel auch bei zukünftigen Generationen ist. Die einzige Möglichkeit, wie klar wird: Prostitution ist _grundsätzlich_ ein Problem für die Gleichstellung von Mann und Frau und bringt _grundsätzlich_ Menschenrechtsverletzungen mit sich. Dass also die Förderung von Prostitution grundsätzlich immer auch die Förderung von Menschenrechtsverletzungen bedeutet. Selbst wenn es einen winzigen Prozentsatz von Frauen geben mag, die in Prostitution einen sexuellen Fetisch finden mögen. Das sind dann aber immer Frauen, die durch nichts (Armut, Chancenlosigkeit, Gewalt, etc.) zur Prostitution gezwungen sind. Für den Rest BEDEUTET die Notwendigkeit sich beispielsweise aus Armut zu prostituieren – was ja der Hauptgrund weltweit und auch hierzulande ist – eine grundlegende Verletzung ihrer Würde als Menschen. Wir müssen also die Menschen überzeugen, dass Verletzungen von Menschenrechten und Menschenwürde in der Prostitution selbst immanent sind und damit unmöglich nur durch “Regulierung” in gemildert werden könnten (was ja viele leider glauben).

    Es ist auch für mich allerdings völlig unverständlich, warum das ausgerechnet manchen FRAUEN so schwer zu vermitteln ist. Erst recht, wenn sie Feministinnen sind. Was jene, die ich in diesem Umfeld kenne, aus meiner Sicht wirklich auch sind. Genau das tut ja bei diesem Thema so weh…

    Herzliche Grüße 🙂
    Susanna

  4. Nachtrag: Übrigens… gibt es noch eine dritte Kategorie von Feministinnen bei diesem Thema (und wahrscheinlich noch mehr): Jene, die nie angezweifelt haben, dass Prostitution eine Verletzung der Menschenwürde von Frauen darstellt und Ausdruck eines uralten, durch das Patriarchat verankerten, Machtgefälles zwischen Mann und Frau ist und die trotzdem im Zweifel sind, ob das Sexkaufverbot _sofort_ einzuführen in Deutschland der beste Weg ist. Zu dieser Kategorie, das muss ich zugeben, habe ich auch mal gehört. Als anzustrebendes Ziel habe ich es allerdings in letzter Konsequenz auch immer für sinnvoll gehalten. Das lag einfach daran, dass mein Fokus auf der Erreichbarkeit der Frauen – im Angesicht des Ausmaßes der Prostitutionsindustrie in D – lag und ich mir eine Art “Stufenplan” dahin gewünscht hatte. Ich dachte damals, dass strengste Regulierungen, kombiniert mit ausschließlichen Bestrafungen der Freier (also niemals der Frauen), wenn sie Prostitution nutzen, die außerhalb dieser strengen Regulierungen stattfindet, ein erster Schritt zur Reduktion dieser Massenprostitution bei uns sein könnte. Parallel dazu massive Aufklärungskampagnen in der Bevölkerung und vor allem an Schulen, wo man die Jungs sehr früh erreicht. Sobald sich Prostitution in D dadurch massiv verringert hätte, dann erst als nächsten Schritt das Sexkaufverbot. Ich dachte irgendwie, dass zuerst eine Reduktion stattfinden müsste, die vor allem der Fokus darauf legt, mit den Frauen, die drinstecken, von Außen stärker in den Kontakt zu treten und ihnen ganz viele Angebote zu machen, da herauszukommen. Inzwischen denke ich, dass das vermutlich nicht vernünftig umsetzbar ist und halte das Sexkaufverbot für das einzige, das das Problem in den Griff bekommen kann. Ich kenne noch einige mehr, die die Grundproblematik der Prostitution als Verletzung der Menschenwürde von Frauen nicht anzweifeln (in keinem Bereich), jedoch mit dem generellen Sexkaufverbot als Weg unsicher sind, ob es das Richtige ist. Hier gibt es – in der grundsätzlichen Haltung Prostitution gegenüber – also bei manchen auch Überschneidungen zwischen denjenigen Feministinnen, die sich mehr Regulierung wünschen und Abolitionist*innen.

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