Meinen ersten und bisher einzigen Freund hatte ich mit 16. Er war deutlich älter als ich und die Beziehung war eine durch und durch hierarchische. Auch meine Schulfreundinnen waren zu dem Zeitpunkt größtenteils in ihren ersten Beziehungen und tauschten sich fleißig darüber aus. Damals hatte ich zum ersten Mal den Gedanken, dass bei mir etwas anders sein musste, denn diese Gefühle des Verliebtseins, Schmetterlinge im Bauch, all diese Beschreibungen meiner Schulfreundinnen empfand ich nicht.
Nun kann das sehr viele Gründe haben und es ist vermutlich weder möglich noch sinnvoll, hier zu versuchen, einen kausalen Zusammenhang herzustellen. Jedenfalls hatte ich zu dem Zeitpunkt oft den Gedanken, dass ich ja vielleicht lesbisch sein könnte. Es gab Frauen, die mich faszinierten und mir schlaflose Nächte bereiteten. Frauen, die ich bewunderte, anhimmelte, toll fand.
Trotzdem war ich mir immer wieder unsicher. So ein Outing ist ja eine ernste Sache. Vielleicht doch bisexuell? Da könnte ja noch der eine Mann kommen, der mich umhaut. Und es wäre ja ziemlich peinlich, dann allen sagen zu müssen, ich hätte mich getäuscht, ja sorry, doch nicht lesbisch.
Menschen, denen ich von diesen Gedanken erzählte, meldeten mir größtenteils zurück, dass diese Zweifel bei mir sicher daher rührten, dass ich keine guten Erfahrungen mit Männern gemacht hätte. Vielleicht würde ich mich auf diese Weise selbst davor schützen, noch einmal bestimmten Situationen ausgesetzt zu sein.
Das fand ich ganz schön einleuchtend und habe es jahrelang nicht hinterfragt. Bis ich anfing, mich mit radikalfeministischer Theorie auseinanderzusetzen und dabei auch auf den Terminus Political Lesbianism stieß. Ich las über Frauen, die sich bewusst dazu entschieden hatten, keine Beziehungen mehr mit Männern zu führen. Eine bewusste Entscheidung zum Lesbischsein? Das klang für mich erstmal sehr nach conversion therapy und Murks. Es gibt nunmal Frauen mit dem Lesben-Gen und solche mit Hetera-Gen, daran kann und soll nichts geändert werden. Waren – plump ausgedrückt – so meine ersten Impulse.
Als ich dann näher darüber nachdachte und mich belas, kam ich ins Grübeln. Es ist nicht endgültig nachweisbar, welche Rolle Normierungen, das Umfeld, also die Sozialisation bei der „Entstehung“ von Homosexualität spielt. Die ja bei uns allen eine patriarchale, heteronormative ist. Das berüchtigte Lesben-Gen gibt es jedenfalls nicht. Trotzdem ertappte ich mich dabei, seltsame Gedanken über „richtige“ und „falsche“ Lesben zu haben. Vor allem bei mir selbst war ich mir so unsicher. Ich hatte nie eine plötzliche Eingebung, ein Erleuchtet-Sein, ein Immer-Schon-Wissen. Redete ich es mir also doch nur ein?
Je mehr ich über radikalfeministische Theorie las, desto größer wurden meine Zweifel, ob es mir möglich wäre, eine Partnerschaft mit einem Mann einzugehen. Das fühlte sich an wie ein unüberwindbarer Widerspruch. Wir kommen zu dem Schluss, dass Männer toxisch für uns sind, aber lassen sie trotzdem die wichtigsten Menschen unseres Lebens sein? Das sind dann alles die Ausnahmen? Männer ohne patriarchale Allüren, immer supportive, die sich ihrer Rolle als Mann im Patriarchat voll und ganz bewusst sind? Und es soll sogar mehrere von ihnen geben? Das ist ja großartig!
Meine Realität ist: Ich kenne keinen einzigen. Es gibt (wenige) Männer, die ich mag, mit denen ich gern Zeit verbringe, mit denen ich befreundet bin. Aber mir ist auch bewusst, dass sie alle Eigenschaften haben und Aussagen tätigen, die mich ankotzen. Es gibt solche, die „mir zuliebe“ die sexistischen Sprüche während gemeinsamer Unternehmungen zu Hause lassen, sie abends in der Kneipe dafür aber umso lauter grölen. Es gibt etliche, die sich feministische Theorien gern von mir erklären lassen, mir dann aber erzählen, Pornos schauen wäre ja nun wirklich nicht schlimm, denn die Frauen machen das ja freiwillig. Und es gibt wenige, die Mansplaining von sich aus erkennen und entlarven, mich in meinen Forderungen nach Frauenräumen unterstützen und sich vielleicht sogar tatsächlich gegen Gewalt gegen Frauen einsetzen.
Mir persönlich würde nichts davon für eine gelingende Partnerschaft genügen. Ich kenne keinen Mann, der sich wirklich intensiv und kritisch mit seiner eigenen, ganz persönlichen Position im Patriarchat auseinandergesetzt hat. Der nicht sagt: Jaja, ich sehe das Problem, da gibt es problematische Männer, aber meine Homies und ich, wir sind ja die Guten. Wir finden Gleichberechtigung ganz schnieke und sind auch sonst mega progressiv.
Ich schreibe explizit: Mir persönlich. Denn PartnerInnenschaft und Sexualität sind die wohl privatesten Dinge, die es gibt. Keine Frau sollte sich dafür rechtfertigen müssen. Der Schluss, den ich für mich gezogen habe, ist mein eigener, und er hat sicher viel mit meiner persönlichen Geschichte zu tun.
Aber: Wie wir wissen, ist das Private immer auch politisch und das Politische privat. In dem Moment, in dem wir sagen, alles sei Privatsache und daher unhinterfragbar, nehmen wir uns selbst jegliches strukturelle Analyseinstrument. Wir sollten daher ehrlich mit uns sein, aus welchen Gründen wir Beziehungen mit Männern führen, in welche Rollen wir gedrängt werden und ob wir unser Lebensmodell mit unserer feministischen Grundhaltung vereinbaren können (auch wenn die Formulierungen suggestiv klingen mögen, meine ich damit keinesfalls, dass die Antworten auf diese Fragen in Hetero-Beziehungen immer Nein sein müssen). Und als radikale Feministinnen sollten wir uns auch immer die strukturelle Frage stellen: Was macht es mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses, wenn Frauen in großer Mehrheit heterosexuelle Beziehungen eingehen und Lesben als „die statistische Abweichung“ betrachtet werden?
Lesbischsein jedenfalls ist viel mehr als eine sexuelle Orientierung, und das gilt es ins öffentliche Bewusstsein vordringen zu lassen. Es ist ein politischer Akt des Widerstands, eine Auflehnung gegen das Patriarchat, die ihresgleichen sucht. Wie Monique Wittig schon feststellte: „Was ist die wirkliche Bedrohung, die Lesben repräsentieren? Sie sind der lebende Beweis, dass Frauen nicht als natürliche Sklavinnen der Männer geboren sind.“
Ich gehe nicht davon aus, dass alle Lesben dies als politischen Akt sehen, und doch kann es einer sein, wie hier gezeigt wurde. Das ist interessant. Doch egal ob vorgeburtlich geprägt oder durch frühkindliche Ereignisse entstanden, so ist es in erster Linie eine sexuelle Orientierung, die in der Regel dauerhaft Bestand hat. Es lässt sich hieraus eine politische Dimension kreieren, doch umgekehrt würde dies m.E. nach nur möglich sein, wäre frau bisexuell, denn dann kann sie sich bewußt dem männlichen Geschlecht verweigern.
.Muss ich mich jetzt diskriminiert fühlen, weil ich eine Hete bin????
Hallo,
Ich wollte mich für diesen schönen Text bedanken, trifft er doch genau meinen Namen nerv. Meine Entwicklung ist etwas andere als die deine, die Erkenntniss bleib aber die selbe. Ich war erst lesbisch und stellte dann durch meine Studien fest, wie toll das eigentlich ist. Ich finde es schön, dass es mir so möglich war das gesellschaftliche Stigma der Homosexualität für mich vollständig durch etwas für mich zutiefst positives zu ersetzen… Joa, das wollte ich nur mal sagen!
Liebe Grüße!
Toll. Das ist mir absolut aus der Seele gesprochen.
Im Gegensatz zu den meisten (allen ?) Männern sind Frauen ja, rein anatomisch gesehen, in der Lage zum Beischlaf, auch wenn sie grad gar keine Lust drauf haben, zu dem bestimmten Zeitpunkt, oder auch mit diesem bestimmen Gegenüber. Dieser Unlust, oder der Abwesenheit von Lust nachzuspüren, ist durchaus ein willentlicher Akt, der nich t von selbst passiert. Zu einer Entscheidung zu kommen, Nein zu sagen, zu diesem bestimmten Zeitpunkt, zu diesem bestimmten Gegenüber, pauschal zu einer bestimmten genitalen Konfiguration, ist eine Entscheidung, die frau einfach treffen muss (und kann, wenn sie es kann).
Ich denke nicht dass Sozialisierung oder Normen einen Anteil an der Entstehung von Homosexualität haben, wohl aber an der Fähigkeit, das für sich zuzulassen. Und die ist auch erlernbar.
Yvonne,Du sprichst mir mit Deinem Beitrag (Pimmelkratie) aus tiefster Seele,ich denke absolut genauso. Ich habe schon beim Text „Niemand wurde gezwungen,ein Lächeln für bare Münze zu nehmen“ gedacht,die Chucks dieser Welt – sind das nicht die,genau die,die nach unten treten und nach oben buckeln,die sich eine Menschenwelt ohne starre und ungerechte Hierarchien gar nicht vorstellen können,sie in selbstgerechter Weise als „gottgegeben“ verstehen,ihren Gott eigens zu diesem Zweck erfunden haben… Man beobachtet ja immer wieder wie Männer dem „Alphamännchen“ in speichelleckerischer Weise schön tun,wie sie hündischen Gehorsam zeigen – da gerate ich als Mensch ins Fremdschämen und komme mir manchmal vor wie ein Alien,der das Gen „Herrschen/Beherrscht-Werden“einfach nicht besitzt.
Hier gehört mein Beitrag nicht hin,sondern zu „Männer,Therapeutinnen und mein Innenleben“.
Jutta! Genau so ist es. Ich schäme mich auch „fremd“. Vor allem wenn man noch sieht, wie diese männlichen „creeps“ und hündischen „Speichellecker“ feige ihren Frust und ihre Aggressionen direkt oder indirekt dann an Frauen ablassen. Einfach nur beschämend.
Bei mir war es ähnlich. Ich stand nie ernstahaft auf Männer, habe mir aber immer wieder die Frage gestellt, ob ich vielleicht doch Gefühle für Männer entwickeln könnte, wenn ich mich nur lockerer machen würde. Ich hatte Angst eine ‚Chance‘ zu verpassen, Gefühle für einen Mann zu entwickeln, wenn ich mich als lesbisch klassifizieren würde. Irgendwann habe ich dann verstanden: umso besser. Ich stehe auf Frauen und mehr brauche ich eigentlich nicht zu wissen. Ob ich rein theoretisch auch auf Männer stehen kann, ist egal. Für mich ist lesbisch sein eine politische Entscheidung, die ich treffen kann weil ich auf Frauen stehe. Und sie bedeutet für mich eben unter anderem auch, dass ich mich mit diesen ‚könnte ich rein theoretisch auch auf Männer stehen‘-Fragen nicht mehr beschäftige. Interessanterweise sind meine romantischen und sexuellen Gefühle gegenüber Frauen stärker und meine Scham bezüglich meiner Sexualität viel kleiner geworden, seitdem ich die Entscheidung getroffen habe lesbisch zu sein.