Prostitution ist nicht kompatibel mit Anarchismus

Anarchistische Flagge

By user:Boris23 (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Das Konzept der „freien Wahl“ von Frauen, Sex zu verkaufen, steht im gedanklichen Zusammenhang zu neoliberalem Denken und der Vorstellung des „freien Marktes“; es gehört zu der gleichen Denkschule, die die Meinung vertritt, dass ArbeitnehmerInnen eine „Wahlfreiheit“ und die Kontrolle über ihre Arbeit haben. Es wird angenommen, dass Frauen sich dazu entscheiden, Sex zu verkaufen und wir uns deshalb in Bezug auf die „Sexarbeiterinnen“ um Sicherheit, die Möglichkeit, Geld zu verdienen und die Verfolgung durch den Staat kümmern zu kümmern haben. Während die Sicherheit von Frauen und Frauenrechte von höchster Bedeutung sind, ist die Forderung nach staatlich regulierten Bordellen und Gewerkschaften im besten Falle reformistisch, naiv und rückschrittlich. Selbst der Vorschlag nach „Kollektivbordellen“ ignoriert die geschlechtsspezifische Natur der Prostitution und ihre Funktion, männliche Herrschaft zu stärken.

Eine anarchistische Antwort sollte die Ausrottung aller ausbeuterischen Praktiken fordern und nicht suggerieren, man könnte sie „sicherer“ oder „besser“ machen.

Anarchistische Perspektiven

Anarchismus kommt aus dem Griechischen und bedeutet „frei von Herrschaft“. Er gründet auf der unveräußerlichen Menschenwürde, dem Verlangen nach individueller Freiheit und der Intoleranz gegenüber Herrschaft (Woodcock). Er fordert radikalen und revolutionären sozialen Wandel, nicht Reformismus. Untermauerende Vorstellungen beinhalten:

  • die Ablehnung jeglicher Herrschaft und aller Hierarchien, inklusive Geschlechterhierarchien (Goldman)
  • kein Staatsapparat wird benötigt (Kropotkin)
  • soziale Gerechtigkeit ist Teil unserer menschlichen Natur (Godwin)
  • sozialer Wandel wird durch kollektive Aktion herbeigeführt (Bakunin)
  • jene in Machtpositionen werden diese für das gemeinsame Wohl aufgeben (Godwin)
  • Nachbarschaftshilfe und Gegenseitigkeit resultieren aus einem Austausch zwischen Gleichen (Proudhon)
  • Menschen können souveräne Individuen sein, die frei in Zusammenschlüssen beteiligt sind (das bedeutet ohne Bezahlung) (Kropotkin)
  • die Emanzipation der Frauen wird von ihnen selbst herbeigeführt: „Zunächst, in dem sie sich selbst durch eine Persönlichkeit Geltung verschaffen, nicht als ein Sexobjekt. Zum Zweiten, in dem sie jedem das Recht an ihrem Körper verweigern.“ (Goldman)

Fragen aus anarchistischer Perspektive

Die Frage: Warum glauben Männer, das Recht zu haben, Sex zu kaufen?

Analyse

Gender basiert auf Machthierarchien, und Prostitution ist die Manifestation dieser Machtungleichheit. Die hauptsächlichen Sexkäufer (von Frauen und Männern) sind Männer. Der Anspruch von Männern, Sex zu kaufen resultiert aus ihrer privilegierten hierarchischen Position und der untergeordneten Position der Frauen. Frauen aus ärmeren sozio-ökonomischen Verhältnissen sind in der Sexindustrie überrepräsentiert.

Lösung

Männer sollten aufgefordert werden, ihre hierarchische Macht abzugeben und nicht darin unterstützt werden, sie zu erhalten.

Die Frage: Warum zahlen Männer für Sex?

Analyse

Prostitution ist „eine finanzielle Transaktion für Sex“. Sex ist frei verfügbar, sogar im aktuellen kapitalistischen System! Konsensualer Sex kann zwischen allen Erwachsenen jederzeit ohne finanziellen Austausch ausgeübt werden. Deshalb dient der Zahlungsvorgang für Sex einem anderen Zweck: Er ermöglicht Männern, Macht und Kontrolle über jene Person auszuüben, die er gekauft hat. Die Geltendmachung von Macht und Kontrolle durch den Mann und die Beherrschung der Frau sind Bestandteil der Bezahlung. Es geht nicht um Sex.

Lösung

Männer, die Sex kaufen, sollten für ihren Missbrauch von Macht und Kontrolle gegenüber Frauen zur Rechenschaft gezogen werden

Die Frage: Sind „Sexarbeitsgewerkschaften“ oder „Sexarbeitskollektive“ die Antwort?

Analyse

Die absolute Mehrheit der Frauen verkauft Sex in erster Linie aus Mangel an Alternativen. 90% der Frauen in der Prostitution wollen aussteigen, aber ihnen fehlen die Möglichkeiten dazu (Farley). Wenn Menschen ausgebeutet werden, dann unterstützen wir sie und nicht die AusbeuterInnen. Gewerkschaften sind notwendig für die grundsätzliche Produktion: Sex ist keine Ware – sondern frei verfügbar für jede/n. Gewerkschaften oder Kollektive von Menschen, die Sex an Männer verkaufen, ignorieren die Tatsache, dass der Sexkauf problematisch ist innerhalb der anarchistischen Analyse. Machtungleichheiten und Ungleichheiten zu normalisieren, macht diese weder kleiner, noch bringt es sie zum verschwinden; sie werden stattdessen verstärkt.

Lösung

Menschen sollten gerechte Möglichkeiten haben, wie sie ihr Leben leben können. Die Mehrheit der Frauen in der Prostitution haben keine Auswahl zwischen gerechten Wahlmöglichkeiten. Männer, die Sex kaufen, haben hingegen die Wahl. AnarchistInnen sollten den Status Quo von Geschlechterhierarchien in Frage stellen, indem sie das Recht des Mannes, Sex zu kaufen, in Frage stellen und nicht Wege unterstützen, die es Männern leichter (!) machen, ihre Macht und Kontrolle über Frauen auszuüben und sich selbst damit von der menschlichen Natur zu entfremden.

Andere radikale Ideen

  • Wenn Frauen limitierte Wahlmöglichkeiten haben, dann tun Männer ihnen keinen Gefallen damit, Geld für Sex anzubieten: Schenkt ihnen euer Geld doch einfach (ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen)
  • Menschen, die denken, dass Prostitution ein Service ist für einsame Männer, sollten diesen Männern einfach selbst Sex ohne Geld anbieten
  • Menschen, die denken, dass Prostitution das Gleiche ist wie jede andere Handarbeit, nur besser bezahlt, sollten versuchen ihren Lebensunterhalt auf der Romford Road zu bestreiten (Die Mehrheit der Frauen arbeitet nicht als „gutbezahlter Escort“) (Romford Road = Straßenstrich in London)
  • Jene, die den Sex gegen Geld fetischisieren (!), sind keine AnarchistInnen … oder in sonst einer Art und Weise radikal, sondern sie unterstützen die Entfremdung der menschlichen Wesen (sic!) voneinander

Ein Nachtrag zum Feminismus

Der Feminismus brachte die Ansicht ins Bewusstsein, dass „das Private politisch ist“. Die Voraussetzung einer feministischen Analyse, zwischenmenschliche Interaktionen danach zu untersuchen, ob sie Geschlechterungleichheit befördern oder in Frage stellen, resultiert im gleichen Ergebnis: Wenn Männer Sex kaufen, machen sie sich an der Unterordnung der Frauen als eine Gruppe mitschuldig.

Dieser Beitrag erschien 2001 auf dem englischen Blog Rancom

3 Kommentare

  1. anderen leuten vorschreiben, wie sie ihr leben zu führen haben – > anarchismus?

  2. Ein Artikel, der den Möchtegernanarchisten nicht schmecken wird. Vielleicht hilft es ihnen, ihr halbgares Weltbild etwas zu verbessern.

  3. Hanna Dahlberg

    @Anonymous: Wohl eher: „Seinen Penis in Menschen reinstecken, die keinen Sex wollen aber dringend Geld brauchen um nicht zu verhungern –> Anarchismus?“

    Artikel offenbar nicht verstanden. Aber Lesen und Verstehen sind ja verschiedene Dinge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert