Im Nachfolgenden handelt es sich um Auszüge einer Rede, gehalten von Sheila Jeffreys auf der Andrea Dworkin Commemorative Conference am 7. April 2006
[Ich möchte heute darüber sprechen] wie inspirierend [Andrea Dworkins Buch „Women Hating“ aus dem Jahr 1974…] für das Schreiben meines Buches „Beauty and Misogny“ war. Auch möchte ich ein wenig über „Right Wing Women“ sprechen, ein weiteres wichtiges Buch, ich glaube aus dem Jahr 1977.
Als ich Anfang der 1970er Jahre Feministin wurde, wusste ich nichts von „Women Hating“. […] Erst später habe ich die Bücher gefunden. […] Wenn ich über Weiblichkeit und Männlichkeit spreche, dann rede ich von nichts dergleichen, wie der verrückten modernen postmodernen Idee, dass man sein Geschlecht wählen oder verändern kann, sondern ich verstehe [darunter] die Verhaltensweisen männlicher Dominanz, Männlichkeit, und weiblicher Unterordnung, Weiblichkeit. Es geht um Verhaltensweisen in der Machthierarchie, und ich möchte das gerade heraus sagen, ich glaube nicht, dass Gender diese umfasst.
[…]
[Dworkin] analysiert in „Woman Hating“ die Idee von Schönheit als einem Aspekt aufgrund dessen Frauen gehasst werden in der männlich dominierten Kultur und sie klagt diese Kultur des Frauenhasses als verantwortlich für die Tode, Verletzungen und Gewalt gegen Frauen an, und sagt, dass der Feminismus nach Alternativen sucht um die Kultur, wie wir sie kennen, zu zerstören, und nach unseren Vorstellungen neu aufzubauen. Ich finde das Wort „zerstören“ ist stark, es ist gut und es ist ausschlaggebend. Es geht nicht darum an den Rändern der Kultur etwas herumzuflicken, sondern ich bitte euch heute, euch Gedanken darüber zu machen, wie wir dieses Gender, wie es manchmal genannt wird, zerstören können, von dem ich glaube, dass Geschlechterrollen es passender umschreibt. […] Heute spricht kaum einer mehr von der Zerstörung der Kultur, denn wir leben in konservativen Zeiten. Wir alle haben gelernt unsere Sprache zu mäßigen, denke ich. Andrea hat das nicht getan. Sie hat es abgelehnt ihre Sprache zu mäßigen. Es ist nach wie vor notwendig die Kultur zu zerstören, aber ich glaube der Optimismus der späten 1970er Jahre über die Möglichkeiten eines radikalen, sozialen Wandels existiert meines Erachtens nicht mehr.
Als ich für mein aktuelles Buch, „Beauty and Misogyny“ recherchiert habe, habe ich nach feministischen Schriften gesucht, die deutlich und unmissverständlich die Schäden durch die Schönheitspraktiken des Westens benennen, sowie die Notwendigkeit sie zu beseitigen. Kaum etwas von diesen Denkweisen der frühen Siebziger […] ist tatsächlich nieder geschrieben worden. Andrea hat es getan, aber ich habe diese Politiken, die sich radikal mit Schönheitspraktiken beschäftigen, kaum sonst wo gefunden. Die einzige andere Person, die ich finden konnte, war Sandra Bartky in den späten 1970er Jahren.
[…]
Andrea Dworkin sieht Schönheitspraktiken als erheblich schädigende Effekte auf die Körper und Leben von Frauen auslösend an […] :
„Schönheitsstandards beschreiben präzise die Beziehungen, die Individuen zu ihrem eigenen Körper haben werden. Sie schränken ihre Mobilität ein [denkt an Absatzschuhe, enge Röcke], die Spontaneität, die Körperhaltung, den Gang, das, wofür sie ihren Körper nutzen können.“
Und dann sagt sie, in Anführungszeichen:
„Sie definieren präzise die Dimensionen der physischen Freiheit.“
Das ist für mich entscheidend. […] Schönheitspraktiken sind nicht nur eine Art optionaler Wahl, zusätzlich, sondern sie konstruieren grundlegend, wer eine Frau ist und deshalb deren Vorstellungskraft, denn sie beschränken ihre Bewegungen und erschaffen erst die möglichen Verhaltensweisen ihres Körpers.
Sie sagt auch, dass Schönheitspraktiken psychologische Effekte auf Frauen haben, denn das Verhältnis zwischen physischer Freiheit und psychischer Entwicklung, intellektuellen Möglichkeiten und kreativem Potential, ist ein verbundenes.
[…]
Sie weist darauf hin, dass in unserer Kultur [… ] nicht ein einziges Teil des weiblichen Körpers unberührt oder unverändert bleibt. […] Von Kopf bis Fuß, jeder Teil ihres Gesichts und jeder Teil ihres Körpers wird Gegenstand der Modifizierung und Veränderung.
[…]
Heute müssen wir uns mit invasiveren und schädigenderen […] Praktiken auseinandersetzen [als zu Andreas Zeiten]. 1974 waren [zum Beispiel noch] nicht viele Frauen gepierced […] [Nehmen] wir die „Fotze“, das Wort welches wir damals benutzt haben, ich war jetzt nicht so besonders scharf darauf es so zu nennen, aber ok. Die Fotze wird heute deodoriert, rasiert und einparfümiert. Wir müssen sagen komplett rasiert, denn die Frauen in westlichen Kulturen machen heute Brazilian Waxing um das Haar vollständig zu entfernen. 1974 wurde vielleicht nur ein bisschen an den Rändern rasiert, wer weiß. Und heute gibt es Labioplastik, wo Chirurgen Teile der Labia entfernen, weil Frauen sagen, dass sie unansehnlich ist, oder weil ihnen (von Chirurgen) erklärt wird, dass es besser beim Geschlechtsverkehr sei, weil man sich sonst dabei verhakt. Und ich denk mir, Donnerwetter, ich war mal heterosexuell, und ich kann mich nicht an dieses Problem erinnern, und auch nicht, dass andere von diesem Problem erzählt hätten ([Gelächter]
[…]
Es gibt heute viel mehr Brustimplantate als noch 1974, […] es gibt viel mehr gewöhnlichere kosmetische Chirurgie, die schon fast wie Make-Up ist. Frauen lassen sich Botox in ihre Gesichter spritzen um ihre Muskeln zu paralysieren, als etwas völlig alltägliches, jeden Monat zu erneuern, und so weiter. Worüber ich also in meinem Buch schreibe, ist, dass im Vergleich zu den Praktiken von 1974, […] das was wir heute haben sehr viel invasiver ist, die Praktiken jetzt unter die Haut gehen, mit Blut verbunden sind, und sehr viel brutaler und scherzhafter sind, als die Praktiken von damals.
Was Andrea auch sagt über diese Praktiken, ist, dass „Schönheitspraktiken lebenswichtig für die Wirtschaft sind“. Das ist wahr, aber es gab nur sehr wenig Untersuchungen dazu, WIE unerlässlich sie für die Wirtschaft sind, und: „Sie sind ein zentraler Inhalt von männlich weiblicher Unterscheidung, die unmittelbarste physische und psychische Realität eine Frau zu sein.“ In anderen Worten schaffen sie Geschlechterdifferenzierung. Diese Praktiken – sehr schädigend, schmerzhaft, extrem teuer, zeitverschwendend und den Körper einschränkend, sowie das beeinflussend was Frauen denken können – sie schaffen Geschlechterdifferenzierung. Wie könnten wir sonst wissen wer oben und wer unten ist, und es ist grundlegend für männliche Dominanz, dass wir wissen, wer oben und wer unten ist. Sonst kann das System nicht arbeiten. Ich denke sie erklärt das wirklich gut.
[…]
[Und heute] hat sich nichts verändert, Frauen sind nicht frei aus dem Haus zu gehen, mit beiden Füssen auf dem Boden, die Hände in den Taschen, ohne sich Sorgen machen zu müssen wie sie aussehen, mit unverhülltem Gesicht. So ist es nicht gekommen. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass das passieren kann, dass Frauen dieses Menschenrecht und die Freiheit haben können, die Männer haben, einfach nur auf dieser Welt zu sein, die Straße entlang zu laufen. So ist es nicht gekommen.
[…]
Die kosmetischen Chirurgen beschneiden auch Gender, und schreiben Gender ein, in die Körper der Männer, die trans-sexen und trans-gendern. Und dieselben Chirurgen entfernen die Labia von Frauen und erschaffen Labia, angeblich von Frauen, für Männer, die trans-gendern. Es gibt Webseiten auf denen sie all das Zeug anbieten. Was sie [anbieten] wird immer heftiger, ich vermute mal, in Zukunft wird es auch die Entfernung von Gliedmaßen auf Nachfrage geben, denn das ist der neueste Schrei, dahin geht es. Es nennt sich „Body Integrity Disorder“, die vor allem Männer haben, ich glaube die meisten von ihnen schwule Männer, die sich wünschen ihre Arme oder Beine abgenommen zu bekommen […] Ich glaube es gibt nicht wirklich Grenzen für die extraordinären Formen aggressiver Operationen, die von plastischen Chirurgen durchgeführt werden.
Als Antwort auf die feministische Ablehnung von Schönheitspraktiken […] habe ich selbst solche Praktiken im Jahr 1973 abgelegt. Der Grund dafür war die Lektüre zweier Bücher, „Sexual Politics“ [von Kate Millett] und „The Female Eunuch“ [von Germaine Greer] in den Jahren 1970 und 1971. Davor hatte ich langes, glattes Haar, welches mir ins Gesicht fiel. Ich wollte nicht, dass die Leute mein Gesicht sehen, und es war gefärbt. Ich habe alle möglichen Arten von Make-Up benutzt, inklusive vieler verschiedener Farben um meine Augen, falsche Augenbrauen, und so weiter. Ich habe mir die Achseln und Beine enthaart, ich habe High Heels getragen, ich hab den ganzen Kram gemacht. Ich war heterosexuell und ich habe akzeptiert, dass ich den sexuellen Frondienst ableisten muss.
Andrea Dworkin hat diese Schönheitspraktiken allesamt fallen lassen, und das ist einer der aussagekräftigsten Weisen, mit denen ihre KritikerInnen sie immer wieder an den Pranger gestellt haben. Aber ihre lebenslange Entschlossenheit in der Ablehnung dessen, was sie Geschlechterrollen nannte, und was die jetzt Gender nennen, und Weiblichkeit war schon immer eine Inspiration für andere Feministinnen. Nur wenige amerikanische Feministinnen haben Weiblichkeit vollständig abgelehnt. Trotz ihrer zweifellos wichtigen Verdienste, haben sie Weiblichkeit nicht genauso entschieden und geradlinig zurückgewiesen wie Andrea das im Verlauf ihrer Karriere getan hat.
Wir leben in einer Welt, in der die sozialen und politischen Voraussetzungen nicht durch ideologische Kontrolle in die Gedanken der BürgerInnen eingeimpft, sondern in ihr Fleisch eingeschnitten werden. Im Besonderen werden die physischen Voraussetzungen, die das richtige Gender darstellen sollen, in die Brüste von Frauen, ihre Labia und Lippen geschnitten, und auf die Körper von Männern, die sich entscheiden Frauen zu sein. Und die Brutalität dieser Praktiken ist ein Indikator dafür, dass wir unter einem anspruchsvolleren Gender-Regime leben [als je zuvor]. Ich nehme an, dass ihr euch in vielerlei Hinsicht in einer schlechteren Position in Bezug auf Gender befindet, als wir vorher. […] Der Begriff Gender war in den 1970er Jahren nicht geläufig, als Andrea Dworkin ihre Schriften verfasste, und sie verwendete den Begriff Geschlechterrollen. Und ich mag diesen Begriff, denn der macht deutlich, dass die Verhaltensweisen, die er beschreibt, sozial konstruiert sind. Es handelt sich um einen netten, geradlinigen Begriff, der aus der Soziologie kommt. In den 1990er Jahren wurde der Begriff Gender von vielen Feministinnen übernommen […] und ich habe das nie so Recht verstanden und ich habe den Begriff Gender auch nie gemocht.
Was schnell klar geworden ist, ist, dass […] der Begriff Gender sehr schnell von jenen angeeignet wurde, die eine völlig andere Politik verfolgen als der Feminismus, und die tatsächlich in vielen Fällen Antifeminismus betreiben. In den 90er Jahren wurden die Frauenstudien in den Universitäten von den Gender Studies übernommen. Die Frauenabteilungen in den Buchläden, wurden durch die Genderabteilungen übernommen. Und in der Zwischenzeit […] durchlief der Begriff „Gender“ eine Metamorphose […] hin zu seinen Ursprüngen. […] Die Sexologen hatten den Begriff in den 50er Jahren verwendet und ihm eine biologische Basis gegeben, sie sagten es gäbe ein biologisches Substrat im Gehirn von Männern und Frauen, welches bedeute, dass sie das richtige Geschlechterverhalten entweder lernen oder nicht lernen können. [Dass sich eine Person in einem anderen und falschen Gender befindet] […] kann man nicht beweisen, aber es wird heute als biologische Basis für Transgender betrachtet.
„Gender“ wurde zu einem alternativen Wort für Geschlecht, Geschlecht wurde von Feministinnen immer als biologisch und Gender als sozial konstruiert angesehen, schließlich wurde „Gender“ die Vertretung für Geschlecht […] Sex und Gender sind im öffentlichen Bewusstsein eine Metamorphose eingegangen. […] Heute sind Transgenderisten für ihre neuen Identitäten den tradtionellen Auffassungen von Gender […] verpflichtet, während Feministinnen der siebziger und achtziger Jahre der Meinung waren, dass Geschlechterrollen abgeschafft werden müssen, damit Frauen Freiheit erlangen können. Transgender versuchen [hingegen] Gender vor Kritik abzuschotten.
[…]
Judith Butler nennt uns jetzt „Bio-Frauen“. So dass Transgenderismus ein Konzept von wahren Frauen entwirft, und Frauen, die nicht Transgender sind, jetzt eine Vorsilbe vor ihrem Namen brauchen und „nicht-trans“ oder „bio“ werden. Hallo, Bio-Frauen! [Gelächter]
[…]
In der Gesetzgebung [des Gender Recognition Act] wird Gender synonym mit Geschlecht (sex) verwendet. Das Gesetz erlaubt es Männern oder Frauen […] ein Zertifikat zu erhalten, welches sie nun einem anderen Gender zuschreibt. Dieser Prozess bedarf keiner Operation oder einer Hormonbehandlung, sondern nur eines Dokumentes von einem Mediziner/einer Medizinerin, die attestiert, dass diese Person den Real Life Test gemacht hat, die Kleidung des anderen Geschlechts zu tragen. Das ist alles, was notwendig ist.
[…]
Eines der Dinge, die ich rätselhaft finde, ist, dass wenn ich mir die Debatte im House of Lords anschaue, ich am meisten mit der radikalen Rechten übereinstimme. Die Person, mit der ich am meisten übereinstimme, und ich denke er wird darüber nicht sehr erfreut sein, ist Norman Tebbitt [von der Conservative Party]. Als Reaktion auf den Gender Recognition Act sagte er, nachdem er eine sehr gute Definition von Gender als soziales Konstrukt gegeben hat, in eurem Gesetz habt ihr da was durcheinander gebracht, es sollte wohl sex heißen und nicht gender. Und Lord Filkin, der für die Regierung spricht, die für die Gesetzgebung verantwortlich ist, sagt, dass sex und gender das Gleiche sind und überhaupt, was spiele es denn für eine Rolle? Ist das nicht außergewöhnlich? Tebbitt bezichtigt ihn dann des linguistischen Relativismus. Was ich gut finde (Gelächter) Ich hätte es nicht besser benennen können. Tebbitt sagt auch, dass wir die brutale Verstümmelung des Transgenderismus eine schädliche kulturelle Praxis nennen würden, wenn sie in anderen Kulturen, außerhalb von Großbritannien durchgeführt würde […] Er macht all diese Argumente von der politischen Rechten aus gesehen, und das ist ziemlich peinlich in meinen Augen, aber ich muss es sagen, dass die fortschrittlichen und linken Leute die Menschenrechtsverletzungen des Transgenderismus nicht anerkennen und auch nicht anerkennen, wie verrückt diese Gesetzgebung ist. […] Jeder muss verrückt werden um diese Gesetzgebung zu verstehen oder auf sie zu antworten.
Was mich sehr besorgt ist, dass […] wenn der Staat jetzt durch das Gesetz Gender reguliert, und nicht nur noch Geschlecht (sex) […] was sage ich denn dann, wenn ich vor dieses Gender Recognition Panel komme? Ich kann dann nicht mehr „nein danke“ zu denen sagen. Ich glaube wir haben eine dramatische Stufe erreicht, auf der Staat und Gesetzgebung daran beteiligt werden Gender zu regulieren, auf eine unglaublich traditionelle und sehr fiese, irgendwie auch brutale, Weise.
Warum sind […] eine solche Praxis des Transgenderismus und diese Gesetzgebung akzeptabel? Ich denke, weil es eine sehr tiefsitzende Annahme in westlichen Gesellschaften und vielleicht allen Kulturen gibt, dass so etwas wie Gender existiert, existieren muss, dass wir uns diesem nicht entledigen können, dass es einen irgendwie unvermeidlichen biologischen Unterschied gibt […] . Was sich niemand vorstellen kann, ist dass Gender überwunden werden kann, […] und entfernt werden kann, so dass alle Frauen mit ihren Füssen auf dem Boden stehen können. Das ist meines Erachtens das Grundlegende an der Arbeit von Andrea Dworkin und an „Woman Hating“, wenn sie sagt „Wir müssen die Kultur, wie wir sie kennen, zerstören.“ Nicht Gender passend machen mit außergewöhnlicher Gesetzgebung, schrecklichen verstümmelnden Operationen und Hormonen […] für diese unglücklichen Menschen, die vom Gendersystem, in dem wir derzeit leben, verwirrt und kaputt gemacht wurden.
[…]
Andrea Dowrkins Arbeit sorgt dafür, dass ich mich geistig gesund fühle. Sie hilft mir dabei, dass es sich für mich sinnvoll anfühlt, auf die Abschaffung von Gender hinzuarbeiten. Und sie hilft mir in meiner Überzeugung, dass Feminismus wiederkommen wird. […] Die Tatsache, dass junge Frauen Interesse an der Arbeit von Andreas Dworkin haben, macht mich zuversichtlicher gegenüber der Zukunft. Danke euch. [Applaus]
Der Alptraum des Patriarchats und der Wirtschaft wären Frauen, die mit sich und ihren Körpern rundum zufrieden sind und ihr Glück selbst und ausserhalb des Patriarchats, des mainstreams und der Schönheitsnormen suchen und erst noch finden. Ganze Wirtschaftszweige und Institutionen würde zusammenbrechen. Mit sich selbst unzufriedene Frauen sind der Motor, der das Patriarchat aufrecht erhält. Darum hat es auch ein Interesse daran ständig Frauen auf ihren Körper zu verweisen und zu betonen, wie mangelhaft der ist. „Zu“ ist das Wort. Die Frau ist immer: Zu dick, zu dünn, zu dumm, zu alt, zu jung, zu angepasst, zu aufmüpfig, zu arm, zu reich, zu, zu, zu…. etc. etc. Und das Schlimmste; Sie ist kein Mann! Der Mann ist DIE NORM an der alles gemessen wird. Nein danke!
Mich erinnert es daran, daß ich mal als junge Forscherin eine Untersuchung über Schönheitschirurgie gemacht habe. Dafür führte ich Interviews mit Schönheitschirurgen und ihrer Klientel, überwiegend Frauen.
Einmal kam ich zu einem verabredeten Interview ins Sprechzimmer eines Arztes. Während er auf mich zuging, um mich zu begrüßen, musterte er mich von oben bis unten und meinte dann strahlend: „Doch, aus Ihnen kann ich viel machen!“
Ich klärte ihn über das Mißverständnis auf, und er entschuldigte sich. Obwohl er wußte, daß er mit einer Wissenschaftlerin verabredet war, die über seine Profession und die Hintergründe eine Untersuchung machte, konnte es es nicht lassen, selbst mich mit den Augen eines Schönheitschirurgen auf Optimierung hin abzuchecken.
Ich finde übrigens nicht, daß man Schönheitschirurgie auf Frauenhass verkürzen sollte. Diese Art der Chirurgie hat ganz viele unterschiedliche gesellschaftliche und kulturelle Facetten, die man mMn nicht vorschnell monokausal erklären sollte. Das ist mir zu verkürzend.
Obschon es stimmt, daß Schönheits-OP´s vor allem für die mangelnde Selbstachtung der (überwiegend weiblichen) Klientel ein Ventil bieten. In eine solche OP projizieren sie ihren Wunsch nach Kontrolle hinein. Auch Machtphantasien spielen eine Rolle. Ich habe keinerlei Kontrolle über die Realität, in der ich lebe; dafür aber darüber, wie mein Körper aussieht. Dass diese vermeintliche Macht dadurch ad absurdum geführt wird, daß frau sich sozialen (Schönheits-)Normen unterwirft, bleibt meist verborgen und unbewußt.
Nur zu den Schönheitspraktiken:
Immer weniger kann ich die Schuldzuweisung an ein Patriarchat teilen. Du schreibst:
„Das ist für mich entscheidend. […] Schönheitspraktiken sind nicht nur eine Art optionaler Wahl, zusätzlich, sondern sie konstruieren grundlegend, wer eine Frau ist und deshalb deren Vorstellungskraft, denn sie beschränken ihre Bewegungen und erschaffen erst die möglichen Verhaltensweisen ihres Körpers.“
Das klingt nach Zwang, den ich aber nicht sehe. Ich weiß, dass persönliche Erfahrung nicht als „wissenschaftlich“ anerkannt ist. Da aber auch du aus deiner Geschichte erzählst, füge ich hinzu:
Für mich waren diese Praktiken immer nur „Option“ – nichts sonst. Eine Option, die ich nur ganz selten mal wahrgenommen habe, etwa in Form eines soften Liedschattens zu „besonderen Gelegenheiten“. Nie im Alltag, niemals irgend etwas, das nervt oder einschränkt. Ich schaue auf ein Leben ohne Higheels / hohe Absätze zurück, in dem ich in Sportschuhen und Jeans durch alle Situationen im privaten und beruflichen Leben problemlos durchkam.
Nie mangelte es mir an Männern, niemand meinte, ich solle mich mehr aufhübschen, und regelmäßig lobten Friseurinnen meine „naturbelassenen“ und deshalb gesunden Haare („sowas sieht man ja kaum mal…“). Auch meine Haut wurde nicht Jahrzehnte-lang mit wechselnden Cremes malträtiert, also hab ich mit ihr auch keine Probleme.
Nicht Feminismus war der Grund, auf derlei weitgehend zu verzichten, mir war einfach der Aufwand zu hoch: Zeit, Geld, Aufmerksamkeit – ja du lieber Himmel, warum denn, wenn ich doch auch so als – durchaus durchschnittlich aussehende – Frau alles machen konnte, was ich wollte? Insbesondere die Männer, die ich begehrte, mäkelten nie an mir herum.
Die Gewalt und Macht, die hier immer wieder behauptet wird – wo findet sie denn statt? Ja, es gibt ein recht realitätsfremdes Schönheitsideal und jede Menge Werbung für die Praktiken und Produkte, mit denen frau ihm näher kommen können soll. Aber hey, das ist alles nur Kommunikation, wir sind hier und heute so frei, derlei Indoktrination ignorieren zu können! Von der Professorin bis zur Kassiererin an der ALDI-Kasse sehe ich jede Menge Frauen, die sich bequem kleiden und kein Bohei um ihr Styling machen – kann man da wirklich behaupten, das böse Patriarchat ZWINGE den Frauen die Schönheitspraktiken auf?
Nein, es sind aus meiner Sicht durchaus die Frauen selbst, die ihren Ehrgeiz allzu sehr auf die äußere Optik lenken. Seit den 70gern gibt es die Frauenbewegung, gibt es Feminismus, gibt es ganz real immer mehr Freiheit und Erfolge gegen Diskriminierung – aber es braucht eben auch Frauen, die sich das zu eigen machen. Die ihre Freiheit auch leben wollen und die Möglichkeit, sich manchen Erwartungen an „Weiblichkeit“ zu verweigern, auch wahrnehmen.
Womit ein zweiter Aspekt aufscheint: es ist ja nicht nur der Druck eines Schönheitsideals, der die Frauen verleitet, allzu viel Energie ins Schön-Sein zu stecken. Für nicht wenige ist es auch das Ausreizen der Möglichkeit, per erotischer Attraktivität MEHR von irgend etwas zu bekommen, als ihnen durch sonstige Leistungen (die größere/andere Mühen erfordern als sich aufzuhübschen) erreichbar erscheint.
Die Tatsache, dass junge hübsche Frauen leichter allerlei Benefits bekommen, weil sie „Objekte des Begehrens“ sind, halte ich nicht für vollständig „sozial konstruiert“, sonder eher evolutionär begründet. Aber egal wie: es ist ein Pfund, mit dem viele Frauen gerne wuchern! Der Verzicht auf Praktiken, die diesen Effekt befördern, erscheint ihnen nicht als Befreiung von einem Zwang, sondern als Verlust einer funktionierenden Machtoption.
Feministische Interventionen, Gegenreden, Aufklärungen, Empowerment-Bemühungen kommen dagegen seit Jahrzehnten wenig an. Dass das Patriarchat daran Schuld sei, akzeptiere ich nicht mehr als singuläre Erklärung. Der Kapitalismus produziert eben alles, was nachgefragt wird – also auch jede Menge Mittel und Methoden zum „Schöner werden“. Derlei nicht mehr nachzufragen, ist die Freiheit jeder einzelnen Frau. Die sie aber auch ergreifen wollen muss. Tut sie das nicht, sag ich mittlerweile: na dann viel Spass dabei!
@Claudia Berlin: Ja, Frauen sind häufig Akteurinnen bei ihrer eigenen Unterdrückung. Zugleich ist „Schönheit“ aber immer noch ein beträchtliches soziales Kapital, mit dem frau (und Mann inzwischen auch) wuchern kann.
Mir erzählte z.B. eine Teilnehmerin an einer Modelschule in einem Interview:
„Wieso soll ich denn jahrelang studieren und mich quälen, wenn ich auf viel leichtere und angenehme Art zu Wohlstand und Ansehen kommen kann“.
Nasen-, Ohren- oder Bauch-OP´s sind noch einigermaßen „plausibel“, aber warum bloß lassen sich Frauen die Labien umoperieren? Warum nehmen sie eine spätere mögliche Einschränkung ihres Lustempfindens dafür in Kauf? An einer Körperstelle, die niemand sieht außer dem jeweiligen Liebhaber.
Ich versteh´s nicht. Kann mir das eine erklären?
Ja,Leute,liebe Kommentatorinnen,Ihr habt ja recht mit allem,was Ihr so an Kritik,an Beobachtungen,an Analyse schreibt! Aber bitte lasst mir doch das bisschen Styling,wenn’s mir Freude macht,wenn’s einfach nur ein Spielfeld ist,mein einziges ohne „political correctness“. (Ich nähe und stricke auch,habe Spaß an Farben,Materialien,Haptik und fühle bei diesen Tätigkeiten eine tiefe Befriedigung und Seelenruhe.) – Bitte erzwingt doch nicht bei diesen Äußerlichkeiten einen Konformismus,der quasi wieder im Klischee der „lila Latzhose“ endet. Ich verstehe mich als sehr wütende und in meinen im Lauf bitterer Lebensjahre gewonnenen Einsichten und Erkenntnissen fundamental radikale Feministin. Halt eine mit roten Lippen,Lidschatten und Wimperntusche.Jedem Tierchen sein (harmloses) Pläsierchen.
@Jutta: na klar, das ist voll ok! Ich hatte überlegt, das in meinem Kommentar auch noch dazu zu schreiben: dass es oftmals ein Spiel ist bzw. einfach Freude am kreativen Styling der eigenen Optik. Manche gestalten Wohnungen oder Gärten schön, andere schaffen Kunst und Kunsthandwert – also warum nicht auch das eigene Outfit individuell gestalten – wenns Freude macht?
Hab‘ ich dann blöderweise weggelassen, weil mir der Artikel oben zu ERNST für derlei erschien.. Fehler!
Allerdings finde ich Gift im Gesicht (Botox) oder Umschnippeln lassen schon ein anderes Kaliber – aber das muss halt jede für sich selber wissen!
@Jutta: Das war jetzt aber ironisch gemeint, oder? Um den Blödsinn der Körperschnippelei (aua!) pointiert herauszuarbeiten.
Ist das aber nicht der Fall und Sie gehören zu denjenigen gelangweilten Zeitgenossinnen, denen Ikebana, Küchen-Fengshui und Filz-Klöppeln nicht mehr genügt und die daher Hand an sich selbst anlegen (lassen) – gutes Gelingen!
Claudia Berlin: Danke. Natürlich finde ich alle Auswüchse der Schönheitsundustrie total bescheuert und Frauen,die z.B. Mit Silikonbrüsten herumlaufen,tun mir leid ob ihrer fremdgesteuerten Dämlichkeit. – Und:Ich versuche,alles um mich herum „schön“ zu gestalten.Das ist meine kleine Gegenwelt zur oftmals unerträglich. hässlichen Menschen-(Männer-) Welt. – Und: Ich finde,jeder noch so „ernste“ theoretische Geisteserguss MUSS im Sinne kritischen Querdenkertums auf konkret gelebtes Leben bezogen werden,nur so kann man verifizieren oder falsifizieren.Alles andere führt zur allseits bekannten Verlogenheit sogenannter Wetedebatten.
Sorry,Korrektur: Wertedebatten
„aber warum bloß lassen sich Frauen die Labien umoperieren?“
Ich fand diese Körperregion schon als keines Kind (Vorschulalter) unschön. Da hatte ich logischerweise weder einen Porno gesehen noch eine andere Vulva und hatte keine Ahnung, dass es Schönheits-OPs überhaupt gibt.
@Käsestulle: Nein, das glaube ich nicht, daß frau/man „diese Körperregion schon als kleines Kind unschön“ findet. Jedenfalls nicht ohne „Nachhilfe“ von außen. Das Unschön-finden ist etwas ERLERNTES, die kulturelle Entwertung weiblicher Genitalien findet ihren Gipfel darin, daß es dafür sogar ein Schimpfwort gibt (Fo***).
@käsestulle. Solches „Unschön-Finden“ schnappt man schon als kleines Kind auf, z.B. an Reaktionen der Eltern, wenn man daran spielt usw.
Das erinnert mich an eine Unterhaltung, die eine Freundin zwischen einem Bekannten (öko/linke Szene, sehr engagiert und sozial) und seiner kleinen Tochter im Vorschulalter angehört hat. Tochter: „Du Papa, wo der XX (älterer Bruder) seinen Pullermann hat, da habe ich eine Muschi, stimmts?“ Vater: „Wo der XX seinen Pullermann hat, da hast du GAR NICHTS.“
🙁
„Glaub ich nicht“ und „aufgeschnappt“. So kann man einen Diskussionsbeitrag natürlich wunderbar delegitimieren. So von Frau zu Frau.
… ich fand übrigens auch Ohren und Nasen ziemlich unschön. Da habt ihr sicher auch eine wohlfeile Erklärung für.
@vuk: Puh, das arme Mädchen, den Schock wird es nicht so schnell vergessen. Die patriarchalen Alternativen für unsere Genitalien lauten also entweder Fo*** oder „gar nichts“. Das große Loch. Der Weltenschlund, vor dem Männer fürchten, verschlungen zu werden. Männerphantasien eben, mehr nicht.
Bis ins 19. Jahrhundert hinein (also bis zum „Siegeszug“ der wissenschaftlichen Medizin) war man da schon weiter. Noch 1819 defnierte das „London Medical Dictionary“ es so, daß Frauen und Männer dieselben Genitalien hätten – mit dem Unterschied, daß sie bei Frauen innerhalb des Körpers angeordnet sind und beim Mann außerhalb.
Dies Erklärungsmodell geht zurück bis zu den „alten Griechen“ Aristoteles und Galen. Zitat Galen (130 – 210 n.Chr.):
„Betrachte zunächst einen beliebigen Teil, wende ihn bei der Frau nach außen, wende den des Mannes nach innen und falte ihn doppelt; und du wirst sie bei beiden in jeder Hinsicht GLEICH finden“.
Durch die Professionalisierung der Medizin, speziell der Gynäkologie, und dem damit verbundenen Aufstieg der „Männermedizin“ verschwand dies analoge Körpermodell der Geschlechter immer mehr aus dem Bewußtsein der Menschen. An seine Stelle trat eine Sichtweise auf den weiblichen Körper, der ihn als defizitär umdefinierte und zur „Hysterie“ neigend pathologisierte.
@Käsestulle. Meine Mutter hatte keinen Namen für diese Körperegion, sie nannte sie schlichtweg „unten“. Der Frauenbewegung bin ich dankbar, dass ich als junge Frau u.a. durch den Doppelband „Unser Körper-unser Leben“ nicht nur Zugang zu „unten“ gefunden habe. Schwierig war nur, ein preiswertes Plastik Spekulum für die genauere Selbstbetrachtung und Erforschung zu bekommen. Seitdem sind „Mimi“ und ich Freundinnen:)
@Käsestulle: Das hat mit „delegitimieren“ ziemlich wenig zu tun, eher mit kontextualisieren. In einer feministischen Diskussion das Wort „unschön“ für das weibliche Genital unhinterfragt in den Raum zu stellen, provoziert nun mal Widerspruch. Zu recht.
Im Vorschulalter, in dem du diese Bewertung vorgenommen hast, sind die meisten gesellschaftlichen Codes und (Be-)Wertungen bereits internalisiert. Daher ist das kritische Hinterfragen angemessen und Zweifel an einer authentischen Einordnung von dir als Kind berechtigt.
Kira: Au weia, ganz schön „ad hominem“ (wie wir so schön gelernt haben im Artikel der störenfriedas vom August diesen Jahres „Schopenhauer für Feministinnen“), Deine Reaktion auf meine ehrliche Schilderung wie ich es mit „Styling“ halte,just for fun,weit entfernt von operativer Schönheitsindustrie. — Da spüre ich ihn,diesen Zwang zum Konformismus schon bei Äußerlichkeiten. Sorry. — Was das obige Ansprechen des persönlichen Empfindens bezüglich der Schönheit oder Unschönheit der Vulva anbelangt,würde ich gerne die diesbezüglichen Kindheitserfahrungen von vielen Frauen hier kennenlernen. Es ist ja trotz Übersexualisierung und ach so offener Aufgeklärtheit schier unmöglich im „real life“ sich offen und ernsthaft über dieses Thema auszutauschen.
Ad hominem? Wo? Ich verstehe nicht, warum du dich fürs Schminken (mache ich auch, wenn ich Lust drauf hab) und deine anderen Hobbies rechtfertigst und noch weniger warum du dich am Thema „Konformismus“ bzw. „Anti-Konformismus“ abarbeitest.