Schlagwort: Betroffene

Die Betroffenen-Expertinnen-Dichotomie

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Ky via Flickr, (CC BY 2.0)

Betroffenen von sexueller Gewalt zuzuhören bedeutet, die eigene Enttäuschung, das eigene Ego für einen Moment hinten anzustellen

“There must be those among whom we can sit down and weep and still be counted as warriors.”Adrienne Rich

In den letzten Jahren beobachte ich zunehmend ein Phänomen, das sich grob gesagt als „Entsolidarisierung unter Frauen“ bezeichnen lässt (und es ist sicher kein neues). Wir haben darüber an mehreren Stellen geschrieben und ich möchte heute ebenfalls noch einmal etwas dazu beisteuern:

Vor einiger Zeit, es war die Zeit, in der Thomas Fischer, seines Zeichens Bundesrichter am BGH seine ersten misogynen Ergüsse in der eigens für ihn eingerichteten Kolumne auf ZEIT Online zum Besten gab, entbrannten hier und da Diskussionen zum Sexualstrafrecht. Diese Diskussionen verfolgten unterschiedliche Muster, von denen ich eins hier näher beleuchten möchte.

In diesen Debatten meldeten sich häufig Betroffene zu Wort und häufig Menschen, die fachlich/beruflich mit der Thematik zu tun haben. Das können PsychotherapeutInnen, ÄrztInnen, KriminalbeamtInnen, JuristInnen, etc. sein. Beide „Seiten“, wenn man von solchen sprechen kann, diskutier(t)en stets engagiert, mit Herzblut, jede aus ihrem Blickwinkel. Mit einem von mir häufig beobachteten Unterschied:

Während die „fachliche Seite“ sukzessive die Diskussionen dominiert, wird es um die Betroffenenseite genauso suḱzessive still.  Die fachliche Seite wird als die sachlich-richtige, weil emotions-freie, politisch-korrekte, die mit „Ahnung“ gehandelt, die Betroffenenseite in vielen dieser Diskussionen zum Individualschauplatz erklärt, zu über-emotional, nicht sachlich genug. Der Betroffenenheitsperspektive wird – ob gewollt oder nicht, ob bewusst oder unbewusst – jegliche fachliche Expertise abgesprochen und entzogen. Vergessen wird dabei, dass Betroffene von sexueller Gewalt in ihrer Sache die Expertinnen Nr. 1 sind, die psychischen Folgen, das Äußern von Fragilität, von Ohnmacht, von posttraumatischen Störungen entzieht ihnen jedoch – ob gewollt oder nicht, ob bewusst oder unbewusst – ihr Recht auf eine „sachliche“, „rationale“ Meinung.

Wir sollten uns bei solchen Dynamiken vergegenwärtigen, dass das eine urpatriarchale Strategie ist, die sich in Frauen-Geschichte immer wieder findet. Nehmen wir als ein Beispiel die „Hysterie“, ein Zwangsdiagnostikum, dass das Ziel hatte, die (Gewalt-)Erfahrungen von Frauen für nichtig und phantasiert zu erklären. Kurzum: ihnen nicht zu glauben, ihrem Leid keine Relevanz zuzusprechen – belangloses Leid eben.

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#Ausnahmslos Betroffenen zuhören

1 in 3 women are raped - Poster

by Jonathan McIntosh via Flickr, [CC BY-SA 2.0]

Inhaltshinweis: In diesem Artikel werden physische, psychische, sexuelle Gewalttaten beschrieben.

Was haben die Berichterstattungen und politischen Debatten als Reaktion auf die sexuelle Gewalt in Köln und anderen Großstädten mit #ausnahmslos gemein? Die Betroffenen selbst, ihre Geschichten kommen nicht zu Wort. Was an #ausnahmslos nicht reicht, wurde ja schon geschrieben und dass #ausnahmslos Opfern der kommerziellen sexuellen Gewalt wie eine Farce vorkommt, hat Zora kurz und prägnant zusammengefasst. Nein, es geht mir nicht um ein Bashing oder das Nichtanerkennen einer solchen Aktion. Jede Aktion, die sexuelle Gewalt in die Öffentlichkeit pusht, ist wichtig. Kritisieren darf man sie dennoch.

Also: Betroffene. Wo sind sie? Wo sind die Statements wie zur #aufschrei-Debatte von vor drei Jahren? Ich lese sie nicht. Dabei hätten gerade Menschen mit entsprechender Publicity und einem gewissen Standing im hiesigen Feminismus und der Medienlandschaft die besten Voraussetzungen, diese Geschichten, statt sich selbst, in den Fokus zu rücken. Das hat sogar die Huffington Post begriffen.

Meine Gedanken kreisen derzeit mehr als sonst um jene Menschen, ausnahmslos Frauen, denen ich begegnet bin und die mir ihre Geschichten, ihre Biografien offenbart haben. Aber die scheinen, gemessen an den Reaktionen in der Öffentlichkeit, niemals da gewesen zu sein. Jedenfalls erweckt das Gros der medialen Berichterstattung den Eindruck, als sei sexuelle Gewalt ganz was Neues, etwas nie Dagewesenes. Komisch, ich scheine auf einem anderen Planeten zu leben: Ich selbst habe seit der Kindheit Gewalt jedweder Form erfahren und diese Frauen im Laufe meines Lebens kennengelernt:

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