Schlagwort: victim blaming

„Nicht alleine joggen gehen“ – Über eine fehlgeleitete Empörung

No More Rape

Steve Rhodes via Flickr, [CC BY-NC-SA 2.0]

Ich gehe regelmäßig wandern. Über Wiesen. Über Felder. Durch Wälder. In der Regel alleine. Am Wochenende war ich mit einer Freundin unterwegs. Wir unterhielten uns. Wir scherzten. Irgendwann sagte ich ernst zu ihr:

„Du, weißt du, was ich oft denke, wenn ich alleine unterwegs bin? Wenn ich all diese Zeitungsartikel lese über ermordete Joggerinnen und von SpaziergängerInnen oder WanderInnen, gefundene Frauenleichen im Wald? Oder die Leichenteile der armen prostituierten Maria in Hamburg, die AnwohnerInnen an der Elbe fanden? Ich hoffe immer, dass mir so etwas nicht passiert. Das ich nicht plötzlich über eine tote Frau stolpere. Das ist so eine Horrorvorstellung.“ Meine Freundin kannte diese Gedanken. Sie sagte mir, dass sie, wenn sie irgendwelchen finsteren Gestalten im Wald begegnet, auch als erstes an die Entsorgung einer Leiche denkt.

Kurz darauf geht das durch die Medien: Ein Mann vergewaltigt eine Frau in Leipzig auf brutalste Art und Weise. Er geht so brutal vor, dass „selbst erfahrene Polizeibeamte“ geschockt sind. Aufgrund der Tatsache, dass es in den letzten drei Wochen zwei weitere Fälle sexueller Übergriffe gegeben hat, geht die Polizei von einem Serientäter aus und gab als Empfehlung an Frauen aus: „Es wäre besser, zu zweit joggen zu gehen, oder zumindest zu schauen, ob immer jemand anderes irgendwo in der Nähe ist“.

Ein Aufruhr geht durchs Land. Der Vorwurf: Die Polizei mache Frauen für ihre eigene Sicherheit verantwortlich. Von Victim Blaming ist die Rede. Sibel Schick schreibt in der TAZ:

„Die Verantwortung der Polizei liegt nicht darin, Frauen Angst zu machen und sie so versuchen aus dem öffentlichen Raum auszuschließen, sondern darin, sie zu schützen. Wer zu Hause bleiben sollte, sind die Vergewaltiger – nicht die Frauen.“

Ich bin verwirrt und muss mich erstmal im Gespräch mit Freundinnen versichern, dass es mir nicht alleine so geht. Anders als seinerzeit in Toronto, wo der Polizist Michael Sanguinetti die Auffassung vertrat, dass „Frauen vermeiden sollten, sich wie Schlampen anzuziehen, um nicht zum Opfer zu werden“, machte die Polizei in Leipzig doch gar nicht die vergewaltigte Frau für das, was ihr angetan wurde, verantwortlich. Sie sprach eine begründete, anlassbezogene Sicherheitswarnung vor einer akuten Gefahr für Frauen in einem bestimmten Gebiet aus.

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#Ausnahmslos ALLE Opfer sexueller Gewalt benennen – #Frauenfrieden jetzt!

Mehr als 400 Unterzeichnerinnen haben heute eine Initiative unter dem Hashtag #Ausnahmslos und einen entsprechenden Aufruf gestartet. Wir begrüßen, dass drei Jahre nach #Aufschrei – endlich – eine längst überfällige, breite Diskussion über alltägliche sexuelle Gewalt in Deutschland,  und über den oft verschwiegenen Zusammenhang mit Sexismus, stattfindet. Jede Aktion, die sexuelle Gewalt zum Thema macht ist wichtig und verdient unsere Anerkennung.  Sexismus mündet in sexuelle Gewalt – wer diese vermeiden will, muss auch Sexismus deutlich kritisieren.

Trotzdem geht uns der Aufruf nicht weit genug. Wer das Übel nicht an der Wurzel packt, betreibt am Ende nur Schadensbegrenzung. Eine notwendige  grundsätzliche gesellschaftliche Veränderung wird auf diesem Wege nicht erreicht.  Das große Ausmaß sexueller und körperlicher Gewalt gegenüber Frauen zeigt uns, dass politische Ziele noch deutlicher sein müssen.

Wir möchten deshalb noch weitergehen und forden Frieden, Freiheit und das Recht auf körperliche und mentale Unversehrtheit  für alle Frauen. Sexuelle Gewalt begegnet uns nicht nur im Alltag, auf öffentlichen Plätzen wie in #Köln in der Silvesternacht, sondern sie ist auch institutionalisiert in Porno und Prostitution. Solange wir hier noch Ausnahmen machen, kann es keinen Frauenfrieden geben. Es darf nicht das Ziel sein, dass die Gesellschaft eine Gruppe Frauen für Männer zur Verfügung stellt, an denen all die Taten legal begangen werden dürfen, um auf diese Weise das Gros der übrigen Frauen zu schützen.

Es gehts um’s Ganze: Der Kampf um Rechte für Frauen muss ein Kampf mit Blick auf das große Ganze sein. Gewalt gegen Frauen ist kein „Ausrutscher“, sondern hat System. Frauen werden als Waren verdinglicht und entmenschlicht, sowohl in sexistischer Werbung, im Pornorap, aber auch gezielt in Porno und Prostitution. Diese überall sichtbare Entmenschlichung von Frauen schafft das gesellschaftliche Klima, in dem Sexismus und sexuelle Gewalt weiter gedeihen.  Wer gegen sexuelle Gewalt eintritt, darf davor nicht die Augen verschließen. Patriarchale Unterdrückung ist Realität und diese gilt es in all ihren Facetten zu enttarnen und zu überwinden.

„Niemand ist frei, während andere unterdrückt sind“: Der Kampf um die Rechte der Frauen muss das Gesamtwohl ALLER Frauen in den Fokus stellen. Es dürfen keine Ausnahmen gemacht werden, die einzig und allein männlicher Freiheit und Machtausübung dienen. Ein Kampf nur für individuelle Freiheiten der Privilegierten reicht nicht.

Konkret für die Themen Sexismus und (sexuelle) Gewalt gegen Frauen bedeutet das:

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Die Clintons – Eine lange Geschichte sexueller Gewalt

Bill Clinton

By Bob McNeely, The White House [1] [Public domain], via Wikimedia Commons

Ein Gastbeitrag von Manuela Schon

Derzeit sind die Vergewaltigungsanschuldigungen gegen Bill Cosby in den USA ein großes Thema. Die Tatsache, wie viele Frauen inzwischen das Wort ergreifen und aussagen, sexuelle Gewalt durch ihn erfahren zu haben, hat – zumindest von außen betrachtet – eine intensive Debatte zu sexueller Gewalt ausgelöst.

Im Zuge dieser wiesen mich amerikanische Freunde darauf hin, dass Cosby nicht der einzige „Bill“ ist, der es offenbar nicht so mit einvernehmlichem Sex hat und schickten mir Links zu dem ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten (1993-2001), Bill Clinton, die mich tief erschüttert haben. Insbesondere deshalb, da ich nie zuvor jemals etwas davon gehört hatte.

Bereits im Jahr 1999 veröffentlichte Capitol Hill Blue einen Artikel mit dem Titel „Juanita ist nicht die Einzige: Bill Clinton’s lange Geschichte sexueller Gewalt gegen Frauen reicht mindestens 30 Jahre zurück“. Hintergrund war der Gang von Juanita Broaderick an die Öffentlichkeit. Sie hatte ausgesagt, dass sie von Clinton 1978 in einem Hotelzimmer vergewaltigt worden sei. Clinton war damals Generalstaatsanwalt in Arkansas.

Pikant: Juanita Broaderick beschuldigt Hillary Clinton, die derzeit anstrebt, die erste weibliche Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden, dabei mitgeholfen zu haben, die Tat zu vertuschen. Hillary Clinton habe ihre Hand bei einer Wahlkampfveranstaltung genommen und zu ihr gesagt „Danke, für alles was du für Bill tust“. Juanita Broaderick sagt „Das war das erste Mal, dass ich vor dieser Frau Angst bekam“. Mofo schrieb dazu, dass ironischerweise ausgerechnet Hillary Clinton das erste Beratungszentrum für vergewaltigte Frauen in Arkansas gegründet habe.

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Sexting: Alles nur Spaß??

Sexting

© Pro Juventute Aufklärungskampagne ‚Sexting’, via Flickr, CC BY 2.0

Dieser Tage wollen sie es aber wissen: Erst die Taz mit einem Sexting verherrlichenden Beitrag, dann auch die Medien-Informationskampagne medienbewusst.de – kinder. medien. kompetenz. Beides hat mich so aufgeregt, dass ich dazu mal was grundsätzliches loswerden muss.

Von „Sexting“ spricht man wenn via soziale Netzwerke, E-Mail oder das Smartphone Nackt- oder Sexfotos ausgetauscht werden (Sex + Texting = Sexting). Betroffen sind insbesondere Jugendliche, es gibt wohl kaum eine Schule in der das Thema noch nicht aufgeschlagen ist, aber auch Erwachsene.

Die TAZ mockierte sich nun am 23. Juli über die „verklemmte amerikanische Gesellschaft“ und schrieb:

Früher waren es Doktorspiele, provokantes Pimmelzeigen, erste Berührungen im Kino. Heute sind es intime Bilder und Videos, die via Smartphone verschickt werden. Es sind schlicht neue Möglichkeiten, sich erotisch auszutauschen. Solange alles einvernehmlich läuft, ein Mindestmaß an Vertrauen vorhanden ist, ist Sexting nicht zu verteufeln. Im Gegenteil. Lasst den Kindern ihren Spaß. Lasst sie sich in ihren stürmischen ersten Beziehungen gegenseitig mit Pornobildchen versorgen. Es ist völlig harmlos.
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So vermeidest du eine Vergewaltigung

Wer kennt sie nicht, diese wundervoll hilfreichen Tipps, nicht zum Opfer einer Vergewaltigung oder sexueller Belästigung zu werden: Zieh dich nicht zu aufreizend an, trink nicht zu viel Alkohol, lass dein Getränk nicht unbeobachtet, sende keine Signale aus, die er missverstehen könnte, besuche einen Selbstverteidigungskurs. Undsoweiter undsoweiter. Das Perfide daran: Die Schuld für ein Verbrechen wird so dem Opfer auferlegt, die Verantwortung vom Täter weggenommen. Deshalb wird diese Strategie auch als Victim Blaming bezeichnet.

Zitat von Wanjuki

„Vergewaltigung existiert, weil Vergewaltiger sich entscheiden zu vergewaltigen.“ – Wagatwe Sara Wanjuki

Hier ein paar WIRKLICH GUTE Tipps, die jeder beherzigen sollte:

  • Ein kurzer Rock ist keine Einladung zum Sex.
  • Habe keinen Sex mit einer Person, die schläft, egal ob das Bett dir oder ihr gehört.
  • Habe keinen Sex mit einer Person, die ohnmächtig ist.
  • Nutze es nicht aus, wenn eine andere Person betrunken ist.
  • Schütte einer anderen Person nichts ins Glas, um ihr Verhalten zu beeinflussen.
  • Wenn du im Dunkeln hinter einer Person her läufst, die alleine ist, wechsele die Straßenseite.
  • Betrete keine Wohnungen, in die du nicht eingeladen bist.
  • Wenn du einer Person in einer hilflosen Situation hilfst, leiten sich daraus keinerlei Ansprüche auf Sex ab.
  • Helfe nicht einer anderen Person und erschleiche ihr Vertrauen, weil du andere Absichten hast.
  • Wenn du mit einer fremden Person alleine im Aufzug bist: Lass sie in Ruhe.
  • Wenn eine Person während des Sex ihre Meinung ändert: Hör auf.
  • Wenn sie eine bestimmte Sexpraktik nicht will: Akzeptiere es.
  • Wenn eine Person gerade nicht in der Stimmung ist: Lass sie in Ruhe.
  • Wenn es sich um ein Kind handelt: Finger weg.
  • Sag deinen Freunden, Kindern, Enkeln, dass es nicht in Ordnung ist, jemanden sexuell zu belästigen oder zu vergewaltigen.
  • Wenn dein Freund dir erzählt, er habe eine Person vergewaltigt oder sexuell belästigt: Zeige ihn an und sag ihm, er ist nicht mehr dein Freund.
  • Wenn du Zeuge einer sexuellen Belästigung/einer Vergewaltigung wirst: Greife ein.
  • Kommuniziere mit deinem Sexualpartner und versichere dich, dass ein ausbleibendes Nein auch wirklich ein Ja ist.
  • Wenn du nicht alleine in der Lage bist, dich zu kontrollieren: Gehe nicht ohne eine weitere Person in die Öffentlichkeit.
  • Wenn deine Hemmschwelle unter Alkoholeinfluss sinkt: Trinke keinen.
  • Objektifiziere Frauen nicht, sie sind Menschen.
  • Konsumiere keine Medien, in denen Frauen zu Objekten degradiert werden (Werbung, Zeitungen, Musik, Filme, …)
  • Schweige nicht zu Sexismus im Alltag, sondern beziehe deutlich Stellung.
  • Pass auf deine Sprache auf und benutze keine Worte wie „Schlampe“, „Hure“, „Nutte“ usw.
  • Wenn eine Person direkten Körperkontakt meidet: Respektiere es.
  • Gib niemals einem Opfer die Schuld oder in irgendeiner Weise das Gefühl, sie hätte die Tat mit „adäquatem“ Verhalten verhindern können.
  • Gib keine schlauen Tipps, nicht zum Opfer zu werden.

(Diese Liste wurde angeregt durch folgende Kampagne)

Jackson Katz schreibt in seinem Buch „Der Macho Komplex: Warum manche Männer Frauen verletzen und wie alle Männer helfen können“ wie er häufig in seinen Vorträgen in gemischt-geschlechtlichen Gruppen zunächst die Männer fragt, was sie alltäglich tun, um nicht Opfer von Gewalttaten zu werden und dies auf der einen Tafelseite niederschreibt, anschließend das Gleiche mit den anwesenden Frauen. Regelmäßig bliebt die eine Tafelseite leer und auf der anderen reicht der Platz nicht aus. Nicht selten macht dies alle TeilnehmerInnen wütend. Die einen, weil sie realisieren, wie die Angst ihren Alltag bestimmt, die anderen, weil ihnen bewusst wird, was ihre Partnerinnen, Ehefrauen, Töchter, … alltäglich erleben müssen. Im besten Fall führt die Bewusstmachung der Zustände zu dem Willen, etwas zu ändern. Wie sehr würde es dabei schon helfen, wenn sich der Fokus endlich auf die richten würde, die wirklich etwas ändern können: die potentiellen und tatsächlichen Täter.