Auf einer Internetseite wird – ganz frisch – eine „bundesweite Zusammenkunft für Sexworker und Betreiber“ unter dem Motto Zukunft Rotlicht 2018 beworben. Die Veranstaltung, die sich als „Deutschlands 1. Rotlicht-Kongress“ präsentiert, ist angekündigt für den 23. April in Frankfurt a. M.
Sie findet im SAALBAU Gallus statt, einem Bürgergemeinschaftshaus, wo FrankfurterInnen und Nicht-FrankfurterInnen seit vielen Jahren zum kulturellen, sozialen, kreativen, politischen und festlichen Austausch zusammenkommen.
Zukunft Rotlicht 2018 verspricht „Wissen & Networking“, „Branchenbekannte Fachfirmen kennenlernen“ und „Experten (!sic) aller relevanter Bereiche“, darüber hinaus u. a. Kaffee, Brezeln, Currywurst und Prosecco (letzteren aber nur, wenn an der „PartyNetzwerk – Afterwork – Party“ teilgenommen wird).
Ermöglicht bzw. „gesponsert“ wird das Event vom „Rotlicht“ selbst, finden sich im Footer doch fast ausnahmslos Unternehmen, deren Profit sich aus der Sexindustrie speist. Allerdings ist die Sponsorenliste im Laufe der letzten Tage etwas geschrumpft, die Verweise auf einschlägige Anzeigenportale zur Vermittlung von Sexjobs Frauen in der Prostitution wie ladies.de oder kollegin.de sind zwischenzeitlich aus der heißen Auflistung verschwunden. Verstehe einer das Rotlicht, das ist ein guter Punkt, denn es sollte tatsächlich einmal gefragt werden, wer denn damit so gemeint ist, mit diesem „Rotlicht“ und dieser ominösen „bundesweiten Zusammenkunft für Sexworker und Betreiber“. Dass das alles so herrlich ungegendert ist, deutet ja bereits eine einschlägige Richtung an.
Ich stelle mir vor, dass bei „Deutschlands 1. Rotlicht-Kongress“ die Protagonistinnen, aus deren Körper und Seele (und ihrer Schädigung) die milliardenschweren Umsätze generiert werden, nämlich prostituierte Frauen, eine nennenswerte Rolle spielen und es nahe liegt, dass eben diese Frauen auch das Expertinnentum stellen (weil sie es schlicht sind). Oder dass sich unter ihnen ausgewiesene Sozialarbeiterinnen befinden. Doch die Auslese der Branche schwenkt das Fähnchen in die Richtung, wo die Reise wohl hingehen soll.
Der Blick auf den „Auszug“ der „Referenten“ (!sic) ist jedenfalls, sagen wir mal, bemerkenswert. Er besteht aus 9 Männern und einer Frau: eine zynische Selbstoffenbarung, die dieser Industrie gleich kommt, denn es sind mehrheitlich Frauen, die von Männern in der Prostitution ausgebeutet werden. Allerdings gibt die Zusammensetzung des Panels bereits Auskunft darüber, wer die eigentlichen Adressaten der Veranstaltung sind. Sie repräsentiert vorbildlich, wer in der Sexindustrie mehrheitlich die Profiteure sind (Tipp: Männer). Bei einer ersten Durchsicht der jeweiligen Themenprofile der sog. „Experten“ (Stand 14.03.2018) konnten Menschen, die prostituiert werden/wurden jedenfalls nicht gefunden werden, und ein signifikantes „Expertentum“ (für’s „Rotlicht“) konnte auch erst einmal nicht hergeleitet werden (ausgenommen mal jene, die ihre „Expertise“ über die Ausbeutung von Menschen definieren, aber dazu gleich mehr).
Die Veranstaltungsbewerbung hat jedenfalls den Status Quo deutlich gemacht und bestätigt: Dieser Markt ist für Männer und er generiert für Männer.
Wir lassen die folgenden Fakten mal einfach für sich sprechen:
Dipl. Jur. Harald Martin, ist eigentlich Fachanwalt für Strafrecht und Steuerrecht, er betreibt eine Rechtsanwaltskanzlei in Kooperation mit weiteren Sozietäten aus den Bereichen Rechtsberatung, Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung. Außerdem bietet er auch anonyme Rechtsberatung an. Laut der Webseite der Domain (die inzwischen auf seine Kanzlei umleitet) http://www.selbstanzeige-karlsruhe.de/ hat er „seit 20 Jahren Mandanten … auf dem Weg zurück in die Steuerehrlichkeit [beraten]“.
Guntram Knop ist ebenfalls Fachanwalt für Steuerrecht, seine Kanzlei zählt aber auch – aha, doch so’n bisschen Bezug – „Recht der Prostitution“ zu ihren Fachgebieten und betreibt u. a. dafür eine weitere dezidierte Internetseite, auf der es heißt:
„Seit vielen Jahren beraten wir im Bereich des Steuerrechts und Steuerstrafrechts, Ausländerrechts, Baurechts und Polizeirechts mit Fokus auf die Besonderheiten des Prostitutionsgewerbes.“
Ich habe eine Vermutung, welche Personengruppe die potentiellen Mandanten stellt. Da ich es aber nicht weiß, behalte ich sie für mich.
Andreas Ramisch ist Diplom-Verwaltungswirt und hat Rechtswissenschaften studiert. Er war/ist Rechtsamtsleiter der Stadtverwaltung Forchheim und arbeitet als Fachdozent für verschiedene Bildungseinrichtungen aus Privatwirtschaft und der Öffentlichen Hand. Zu diesen zählen u. a. die Sächsische Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie e.V., eine Fortbildungsinstitution, die sich in öffentlicher Trägerschaft befindet sowie SIKOSA, das Studieninstitut für kommunale Verwaltung Sachsen Anhalt e.V. , ein eingetragener Verein, dessen Mitglieder „im Wesentlichen die kommunalen Körperschaften Sachsen-Anhalts (Landkreise, Städte, Gemeinden, Verbandsgemeinden)“ sind. SIKOSA „hat die Aufgabe, den Mitarbeiter/innen der Kommunalverwaltungen und Einrichtungen mit kommunaler Beteiligung die fachtheoretischen Grundlagen für ihre berufliche Tätigkeit zu vermitteln sowie Prüfungen abzunehmen.“ Er doziert zu rechtlichen Disziplinen von Kommunen wie Öffentliche Ordnung, Sicherheitheitsrecht, Lärmschutz und Genehmigung von Plakatierungen, aber auch mit der Straßenverkehrsordnung und dem Glückspielrecht scheint er sich auszukennen.
Prof. Dr. Timo Eckardt ist Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsmediator und Rechtsberater und seine Fachgebiete sind u. a. Wirtschafts- und Wirtschaftsstrafrecht, Steuerrecht sowie Steuerstrafrecht, Strategische Rechtsberatung für KMU, Beratung von Vorstand- und Aufsichtsorganen, Arbeitsrecht, etc.. Er ist zudem Professor externer Lehrbeauftragter an der Hochschule RheinMain und bildet dort Studierende im Bereich Ingenieurwesen aus. Die Hochschule RheinMain ist eine staatliche (sprich aus öffentlichen Geldern finanzierte) Hochschule des Landes Hessen. Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt von Herrn Eckardt ist übrigens das (BD)SM – Recht.
Der „Marketing-Experte“ Michael Beretin ist der ehemalige Geschäftsführer der Paradise-Kette. Es ist noch nicht lange her, dass er wegen des Verdachts auf Menschenhandel in Untersuchungshaft saß und gegenwärtig auf seinen Prozess wartet. Und auch sonst wurde er bereits wegen verschiedener Delikte u. a. Körperverletzung verurteilt. Herr Beretin ist auch bekannt aus der RTL-2-Sendung „Exklusiv – die Reportage“, in welcher er als „Puff-Tester“ „heruntergekommene“ Bordelle berät.
Über Frauen in der Prostitution äußerte er sich in einer Dokumentation über die Sexindustrie in Deutschland, die von einem Sender aus Großbritanien mit dem Titel „The Mega Brothel“ ausgestrahlt wurde, folgendermaßen:
Das ist einfach ein total abgewichstes, kaputtes Volk, wo nur noch ganz wenige Seele und Verstand haben und den Beruf noch mit ein bisschen Herz machen. Das sind einfach vollkommen… das ist einfach so, es ist schade, dass ich das jetzt sagen muss, aber sie sind es.
Howard Chance bezeichnet sich als Autor und Berater. Unter der Herausgeberschaft seines – nennen wir ihn aufgrund unklarer Identitätsmutmaßungen einfach mal einen „Kumpel“ – Marcus Heinbach, hat er eine Publikation zum Prostituiertenschutzgesetz mit dem reißerischen Titel „Das neue Prostitutionsgesetz 2017: Todesstoß für das Rotlicht-Gewerbe?“ publiziert und andere schlüpfrige Geschichten, die scheinbar seiner Hose entstammen (ich will es nicht so genau wissen). Im Autorenprofil finden wir Folgendes:
„Howard Chance ist das Pseudonym eines Autors, der bislang als Chefreporter eines „Lifestyle-Magazins“ und als Verfasser von unterhaltsamen Büchern mit Anekdoten aus der Swinger- und Erotikszene publizistisch in Erscheinung trat. Als Manager war Chance über Jahrzehnte für die größte deutsche Erotikdiscothek verantwortlich tätig und darüber hinaus auch im erotischen Veranstaltungswesen vielfältig aktiv. Seine Branchenkontakte im Rotlicht-Gewerbe sind intensiv und ermöglichen umfassende Einblicke in Konzepte und Abläufe. Er kennt die Damen hinter den roten Fassaden, die Bordell-Betreiber und „das Milieu“ in seiner vielfältigen Form.
Durch seine hervorragenden Kontakte zur „Berliner Politik“, hat Howard Chance Zugriff auf Meinungen, Hintergrundwissen und politische Tendenzen, wenn er dort sein Pseudonym einmal ablegt und als wissbegieriger „Bürger“ das informative Gespräch sucht. …“
Bei dem Namen seines Herausgebers „Marcus Heinbach“ klingelt bei mir etwas – und ich denke es hat mit diesem Rotlicht zutun (mir geht nämlich ein Licht auf!). Mir fällt da die Geschichte der „Erotikdiskothek“ „Beverly“ in Solingen ein, ein „Etablissement“, das von einem Marcus Heinbach betrieben wurde und 2009 abgefackelt wurde; dies zog einen langen Gerichtsprozess nach sich, den Howard Chance in einem Blog dokumentierte. Jedenfalls ist nicht nur die thematische „Überschneidung“ interessant, die beiden sehen sich irgendwie ähnlich, ja echt. Aber es gibt ja auch Zufälle oder Brüder – Zwillinge gar – die füreinander einstehen – bei so einem Thema ist das ja auch immens wichtig.
Howard Chance betreibt die Seite http://prostitution2017.de und bietet unter dem Dach seiner sog. MH-Consulting Marcus Heinbach & Partner, „umfangreiche und individuelle Beratungsleistungen für die Erotik-Branche und deren Akteurinnen und Akteure an“. Auf seiner Webseite präsentiert er seine stolzen Preise, seine Zielgruppen und das, worum es ihm (eigentlich) geht. Er ist auch Autor bei der Huffingtonpost, die Themen, mit denen er sich da so verwirklicht, liegen – nun ja – auf der Hand.
Christoph Rohr ist Geschäftsführer der „Rotlicht-Akademie“. Jene erklärt sich auch im Impressum der Kampagnen-Seite „Zukunft Rotlicht“ als inhaltlich verantwortlich. Der Ulmer Pressedient hatte mal sehr nüchtern dargestellt, wie z. B. so ein Tagesseminar der Rotlicht-Akademie abläuft, wo sich über 50 Bordellbetriebe versammelten.
Die Rotlicht-Akademie versteht sich auch als Bindeglied zwischen Betreibern, Prostituierten und den Behörden. [Quelle: ulm-news 26.06.2017]
Herr Rohr ist bereits seit mehr als 20 Jahren selbständig tätig in den Bereichen Eventmanagement inkl. Nachtgastronomie sowie Unternehmensberatung / Krisenmanagement. Des Weiteren ist er zugelassener Rechtsdienstleister im Bereich Forderungsmanagement.[Quelle: Webseite Rotlicht-Akademie]
Seine Dienstleistungen lässt er sich ordentlich was kosten und da ist so ein „Zusammenkunft“ natürlich spitzenmäßig.
Christoph Rohr ist auch Geschäftsführer von ZustellAnschrift.de. Aus ganz selbstlosen Gründen hat er diesen Dienst gegründet, damit Frauen in der Prostitution eine geschützte Adresse in Anspruch nehmen können, monetäre Absichten: wo kämen wir denn dahin?
Natürlich bin ich keine Hilfsorganisation, sondern Geschäftsmann“, gibt er zu. 150 Seminarteilnehmer hat er geschult. Der Kaufmann stammt selbst aus dem Milieu. Sechs Jahre leitete er den Swingerclub „Fiagra“ in Ulm, er betrieb eine Tabledance-Bar, eine Erotikdisco, organisierte Schaumpartys und nannte sich „jüngster Swingerclub-Besitzer“ Deutschlands, da war er 28. [Quelle: Stern 13.01.2018]
Georg Schiefer ist u. a. Experte für Rauchwarnmelder. Ok, die machen Sinn.
Klaus Brandt und Julia Klotz treten im Duo auf. Klaus Brandt war in seinem Leben in vielen Unternehmen der Medizintechnik, Technik im Gesundheitswesen (in führenden und geschäftsführenden Positionen) tätig und ist momentan u. a. Geschäftsführer der Firma Femteva uG, ein Unternehmen, das u. a. Produkte/Verfahren/Konzepte für gynäkologische Infektionsdiagnostik vermarktet, diese beinhalten das sog. test&treat-Konzept, in dem es letztlich um die Diagnose und Behandlung von ST/I/D-Erkrankungen geht, sprich solche Krankheiten, die auch oder hauptsächlich durch den Geschlechtsverkehr übertragen werden können. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass diese Krankheiten für die Frauen die Hölle sind diesen Rotlicht-Betrieb bzw. bei der Generierung der Umsätze stören, deswegen sind ExpertInnen, die wissen, dass man bei ihnen die Produkte, die vorbeugen und helfen können, kaufen kann, natürlich immens wichtig. Und selbstlos ist das natürlich auch, denn die gesundheitliche Situation prostituierter Frauen ist nachweislich verheerend. Was Julia Klotz für die „wissenschaftliche Leitung“ qualifiziert, bleibt ungesagt.
Fazit
Wenn Steuerrechtler, Strafrechtler, Verwaltungsfachmenschen, (ehemalige) Puff-Besitzer, Sexindustrie-Profiteure und sonstige „Experten“ bei einem Event dieser Art ihre mehrheitlich männlichen Köpfe zusammenstecken, kann das Ziel m. E. nur sein, dass dabei Strategien herauskommen, mit denen die Ausbeutermaschinerie, die die Sex-Indsutrie de facto ist, noch mehr ausgequetscht und perfektioniert werden kann. „Synergien“, mit denen das Milieu weiter entgrenzt werden kann und schlussendlich, wie man Mittel und Wege findet, das so zu tun, dass alles nach außen hin „sauber“ und „rechtlich einwandfrei“ ist (auch wenn es nach innen hin nicht zwangsläufig genauso aussehen muss). Es ist logisch, dass aus diesem Grund die juristische Perspektive so geballt daher kommt, und schlussendlich ist es das gute Recht der Veranstalter, das so zu tun.
Letztlich kann es hier nur um maximalen Profit gehen. Die Frauen aus dem „Rotlicht“ sind die, die ihnen – allen da oben – über dieses unsägliche Leid die Taschen voll machen. Jene, die in dieser Industrie täglich durch die Hölle gehen, geschlagen, gedemütigt und anderweitig gequält werden, die rauswollen, aber nicht können, all diese Frauen werden beim Kongress keine Rolle spielen. Sie werden dort nicht stattfinden. Das ist mit der Bewerbung bereits deutlich geworden.
Wie es Institutionen der öffentlichen Verwaltung mit ihrem Grundverständnis in Einklang bringen, ihre Mitarbeiter als Referent so einer Veranstaltung unter sich zu wissen, müssen sie sich wohl selbst beantworten. Von der Anwaltskammer, an die man sich sicher auch wenden könnte, haben wir erfahrungsgemäß nichts zu erwarten.
Die Bios der Referenten müssten wohl, wenn es kein so ernstes Thema wäre, als Satire durchgehen. Aber wirklich problematisch ist m.E., dass die Räumlichkeiten von einer städtischen Einrichtung „ABG Frankfurt Holding“ bzw. einer Tochtergesellschaft zur Verfügung gestellt werden. Darüber, was politisch gegen Prostitution oder zur Unterstützung von Prostituierten getan werden müsste, läßt sich ja vortrefflich streiten. Aber dass eine öffentlich finanzierte Einrichtung eine kommerzielle und propagandistische Förderung der Prostitution auch noch unterstützt macht schon sprachlos. Obwohl, am Gemeinwohl ist man dort offenbar auch sonst nicht interessiert: https://de.wikipedia.org/wiki/ABG_Frankfurt_Holding#Kritik
Ich hatte immer schon den Verdacht, dass Juristen (Anwälte bis zu Staatsanwälten und Richtern) auf irgendwie dubiosen Winkelwegen mit dem Milieu der Zuhälter verbandelt sind. Es ist dieser Konsens und die
Pimpmentalität bis ganz nach oben, die ja den Ausstieg für Prostituierte so erschweren, wie auch Klagen gegen sexuelle Gewalt verunmöglichen. Also herrscht in Deutschland ein altpatriarchales „Parallelsystem“ welches den Zuhältern in die Hände spielt. Selbstverständlich teilen sich alle den horrenden Gewinn der Frauen-(und Kinder) Ausbeutung. Es geht auch hier vor allem um Geld. um viel Geld. Das Leid und das Leben der Frauen zählt hingegen NICHTS. Wie gesagt: Phallokratie, die in fast Nichts der Mentalität von analphabetischen Taliban oder IS (Sklavenhandel) hintennach steht. Schöne juristische Verklausulierungen und Verdrehungen ändern daran auch nichts. Macht es nur noch schlimmer. Vernebelungstaktik! Das Patriarchat hat immer schon mit Einschüchterung, Lügen und Gewalt Frauen ausgebeutet. Es braucht wieder einmal eine riesige Solidaritätswelle unter Frauen und eine Verweigerung bis zu Aktionen und (Hunger ?) Streiks.