„Affektive Arbeit“ – der neue Pelzmantel für Prostitution

Prostitution is Human Trafficking

Markus Walker via Flickr [CC BY-NC-SA 2.0]

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Ab und an habe ich das Bedürfnis, mir anzuschauen, was der deutsche Wissenschaftsbetrieb mehr oder weniger aktuell zum Thema „Prostitution“ zu sagen hat.

Mein Meinungsbild hat sich auf Erfahrungen von Überlebenden sowie Erkenntnissen essentieller Studien wie die von Melissa Farley et al. aufgebaut. Insofern gehe ich in diesem Bestreben, im aktuellen Wissenschaftsapparat zu lesen, nicht davon aus, dass mich irgendwelche „neuen“ Erkenntnisse von meiner Ansicht, dass Prostitution nichts anderes als kommerzielle sexuelle Ausbeutung und damit sexuelle Gewalt ist, abbringen können. Aber es interessiert mich, wie und in welcher Weise zum Themenkomplex „Prostitution“ Wissenschaft in die Geschichte hineingeschrieben wird. Zugegeben, es schwingt auch immer ein wenig Hoffnung mit, Hoffnung, die aus der Tatsache der vielfach gesilencten Stimmen, die die Hölle von innen gesehen haben, entspringt. Das innige Bedürfnis, auf Wissenschaftlerinnen oder Menschen allgemein zu stoßen, die sich allumfassend und ganzheitlich dem Thema gewidmet haben. Dazu gehört eben auch, die Gewalt anzuerkennen und zu benennen, die dem System Prostitution inhärent ist.

Back to topic: Der neueste Schrei, so benenne ich mein jüngstes Fundstück einfach mal, ist verfasst von Nele Bastian und Katrin Billerbeck und ist mit „Prostitution als notwendiges Übel? Analyse einer Dienstleistung im Spannungsfeld von Stigmatisierung und Selbstermächtigung“ betitelt. Diese Analyse ist schick und fügt sich wunderbar in die etablierte neoliberale Einordnung von Gewaltsystemen. Ich rede von „Freiwilligkeit“, von „Empowerment“, von „Agency“ und all diesen Terminologien, die uns ruhiger schlafen lassen sollen. Und während uns die Postmoderne damit aufs Kreuz legt, sterben irgendwo da draußen wieder die Seelen von unzähligen Frauen und Mädchen, die, hmm, das nicht so hinbekommen haben mit dem ganzen Empowerment rund um sexuelle Befreiung.

Ich möchte einen, sagen wir „essentiellen“ – im Sinne für diese Arbeit – Punkt herausstellen, der sich dem/der geneigten LeserIn in der „Selbstpositionierung“ ab Seite 41 offenbart. Und von dem ich meine, dass er gut hineinpasst in all diese Gewalt verschnörkelnden Theorien, Terminologien oder nennen sie wir doch einfach: Euphemismen. Billerbeck/Bastian möchten in diesem Teil ihre „eigene Position zu Prostitution als Bestandteil der patriarchalisch-kapitalistischen Gesellschaft“ darstellen. Und hierbei leiten sie ganz fix über zu ihrer ganz eigenen Vorstellung respektive Betrachtung von Prostitution als eine Art von (Überraschung) Arbeit. Für Billerbeck/Bastian ist Prostitution Sexarbeit „affektive und prekäre Arbeit in einem Dienstleistungsgewerbe“. Sie stützen sich bei ihrer Theorie von Prostitution als „affektiver Arbeit“ auf Michael Hardt, einem Literaturtheoretiker und politischen Philosophen aus den USA sowie auf den Begriff der „immateriellen Arbeit“ nach Maurizio Lazzarato und Antonio Negri. Immaterielle Arbeit beschreibt Arbeit, die immaterielle Güter herstellt wie etwa Dienstleistungen, Wissen, kulturelle Produkte und Kommunikation.1 Affektive Arbeit ist eine Form immaterieller Arbeit und nach Negri/Hardt die „Herstellung und das Unterhalten zwischenmenschlicher Kontakte und Interaktionen“2. Im Glossar des Arbeitskreises Feminismus „Geschlecht bestreiten“ wird deutlicher, worauf diese Einordnung hinauslaufen soll:

Emotionale und affektive Arbeit sind immaterielle Arbeiten, d. h. sie produzieren kein konkretes Endprodukt, das man anfassen kann. Sie stellen stattdessen zwischenmenschliche Beziehungen her oder pflegen diese. Statt emotionaler Arbeit oder affektiver Arbeit sagt man auch Beziehungsarbeit. Diese Arbeit besteht also darin z. B. in privaten Beziehungen jemanden zu trösten, Streit zu schlichten oder den Problemen anderer zuzuhören. Auch in der Lohnarbeit gibt es emotionale Arbeit, die oft von Frauen ausgeführt wird, z. B. sollen Frauen dafür sorgen, dass es in der Firma harmonisch zugeht oder alle sich entspannt fühlen.
Affektive Arbeit heißt auch, sich um das körperliche Befinden von anderen zu kümmern, darunter fällt die ganze Spa, Yoga und Wellness-Kultur.

Billerbeck/Bastian schlussfolgern – in sich logisch, wenn auch perfide – folgerichtig:

Sexarbeit lässt sich demzufolge als affektive Arbeit definieren, da sie der Befriedigung von Bedürfnissen immaterieller Arbeit dient und die produzierten Affekte zugleich in einem Äquivalenzverhältnis stehen wie jede andere Ware [ja, ihr habt richtig gehört] auch, die auf dem Markt erscheint.3

Nun zur Einordung von Prostitution als „affektive Arbeit“ und wie ich schlussfolgere:

Mit dieser Zementierung ist bereits das Todesurteil gefällt. Die maßlose Gewalt kann in einer solchen Betrachtung niemals als das, was sie ist und bedeutet, sichtbar werden. Die psychischen und physischen Folgen von Prostitution wie Posttraumatische Belastungsstörung, Dissoziation, Zwänge können hier letztlich nur als „Arbeitsunfall“ oder „Berufsrisiko“ auftauchen und nicht als diese unsägliche Verletzung und Beschädigung der körperlichen, seelischen und sexuellen Ingegrität (bedauerlicherweise bewahrheitet sich diese Einordnung in dieser Forschungsarbeit).

Die folgenden Kapitel unternehmen immer mal wieder den Versuch, die Gewalt zu benennen:

Ich habe keine Frau kennengelernt, die wirklich heil […] diesen Beruf ausübt.

Aber die Schlussfolgerungen sind – aus meiner Sicht – schlichtweg falsch. Es ist viel von Trennung die Rede, die Trennung von Privat und Arbeit und dass „Gefühle“ außen vor bleiben müssen (ich würde viele Stellen und Aussagen mit „Dissoziation“ übersetzen, aber soweit reicht das Erfassungsspektrum dieser Arbeit offensichtlich nicht) … und eine „Opferkonstruktion“ … die helfe ja nunmal auch niemandem (es ist wiederkehrend interessant zu beobachten, wie die einst verachteten Kachelmann’schen Rhetoriken im Kontext von Prostitution absolut en vogue zu sein scheinen).

Ich kann hier nicht auf die weiteren Kapitel dieser Forschungsarbeit eingehen, ich kann dieses Buch nicht einer „sachlichen“ Rezension unterziehen. Weil in meiner Betrachtung moralische und ethische Gesichtspunkte unerlässlich sind, sie sind meiner Denkweise inhärent. Ich denke an universelle feststehende Dinge wie Menschenwürde und lese statttdessen von „affektiver Arbeit“ als postmoderne Verschleierungsstrategie und die Betrachtung aus – ich mutmaße – in vieler Hinsicht privilegierter Position. Billerbeck/Bastian reflektieren ihre Position nur augenscheinlich, sie ziehen in ihrer Selbstpositionierung das Konzept des „situierten Wissens“ nach Haraway heran, ein Konzept feministischer Wissenschaftskritik, das in der Einbettung in ihre Forschungsarbeit allerdings nur als hilfreiches Konstrukt herangezogen wird, aber letztlich „folgenlos“ bleibt.

Die Schlussfolgerungen aus den Interviews mit „Sexarbeiterinnen“ sind vielerorts so gewaltvoll, brutal und die Realität ausblendend und verschleiernd, dass ich nicht aufhören könnte zu zitieren, um damit zu demonstrieren und zu fragen, was wir in unserer Gesellschaft Frauen antun. Und dass 400.000 Frauenleben egal sind. Weil sie eben arbeiten: Immateriell. Affektiv.

Es ist bemerkenswert, wenn auch nicht überraschend, wie sich Forschungsarbeiten und ihre RezipientInnen einem neoliberalen Machtgefälle unterwerfen, unbemerkt und amnestisch, und dadurch völlig aus der Acht gelassen wird, wie es um die Lebenswirklichkeit im System Prostitution bestellt ist. Dieser Trend scheint hip zu sein und zeitgemäß, aber Ich empfinde ihn in höchstem Maße bedenklich und gefährlich. Weil ich mir ausmale, wie diese Gesellschaft sukzessive postmoderne Euphemismen konstruiert, die auch andere Lebensrealitäten betreffen, deren eigentliche Brutalität in einen Schatten rückt zugunsten einer irgendwie gearteten kapitalistischen Verwertungslogik.

[Es wurde] wurde zudem veranschaulicht, wie psychische Probleme [!sic] als berufsimmanent für Prostituierte und damit als Berufskrankheit konzipiert werden. Dabei spielt der Bruch von Normen eine Rolle wie Monogamie, die Verknüpfung von Sexualität mit Liebe (vor allem bei Frauen [!sic]), bzw. die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben. Die Konstruktion [!sic] der Prostituierten als immer schon ‚kaputt‘ […] führt dabei sowohl zur Abwertung der Sexarbeiter_innen, als auch zur Nicht-Anerkennung von Sexarbeit als Beruf.4

Hingegen war es für uns folgerichtig, Sexarbeit in den Kontext affektiver Arbeit zu stellen, um Schwierigkeiten, aber auch Vorteile der Arbeit im Sexgewerbe in den Blick zu bekommen. Diese Einordung lässt von den Interviewpartner_innen benannte Probleme nicht zwangsläufig als spezifisch für Prostitution begreifen, sondern auch als Auseinandersetzung mit prekärer, affektiver Arbeit grundsätzlich sowie den Anforderungen an die Subjekte, einer heteronormativen Gesellschaftsstruktur zu genügen.5

Wenn Frauen prostituiert werden, dann leisten sie einen affektiven und immateriellen Beitrag zur Gesellschaft.

Herzlichen Glückwunsch.


1Immaterielle und unsichtbare Arbeit. Überlegungen zu einer queerfeministischen Ökonomiekritik, Cornelia Möser
2 Affektive Arbeit, Michael Hardt
3 Billerbeck/Bastian, S. 41
4 Billerbeck/Bastian, S. 281
5 Billerbeck/Bastian, S. 300


Zum Weiterlesen

Edit: Fußnote ergänzt

0 Kommentare

  1. Herzlichen Glückwunsch. Dieses letzte Zitat strotzt nur so vor akademischer Herangehensweise an ein Thema. Mitgefühl ausgeschaltet.
    Es ist ja schön, dass die feministische Bewegung es geschafft hat uns aus der Abhängigkeit vom Mann heraus zu holen. Leider haben wir uns dabei zu sehr am Sein des patriarchalischen Mannes orientiert und scheinbar seine Werte als einzig wahre Herangehensweise identifiziert. Das führt dann dazu,dass die vom Mann erfundene Wissenschaft, in der man ohne Emotionen Messungen und Beobachtungen durchführt (was dem emotional verkrüppelten Mann besonders gut liegt), auch von Frauen adaptiert wird.
    Und in dieser Untersuchung erleben wir nun die haarsträubenden Auswirkungen dieser Entwicklung. Eine emotionslose,akademische, rationale Herangehensweise die wie jede andere Forschung auch die Ethik außen vor lässt.

  2. P.s. leider fehlt den Akademikern allzuoft der bezug zur Wirklichkeit. Die Praxisnähe. Die Beschäftigung zum Thema findet im Büro oder Labor statt. Wenn diese Frauen mal ein Bordell besucht haben,dann wohl nicht „undercover“ und als „sexarbeiterin“ verkleidet.
    Warum gibt es eigentlich noch keine sozial-Praktika in Bordellen? Für Menschen die solche Untersuchungen durchführen…

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