Schlagwort: Neoliberalismus

Patriarchat und Neoliberalismus

Vortrag von Inge Kleine bei der FILIA-Konferenz in Salford/Manchester am 21. Oktober 2018. Originaltext hier

Zu allererst möchte ich FILIA, das heißt dem großartigen Organisationsteam dafür danken, dass sie diese Konferenz und diese Möglichkeit geschaffen haben, so viel großartige Aktivistinnen und Feministinnen zu treffen.

Mein Thema ist die Widerstandsfähigkeit des Patriarchats und wie schwierig es ist, ihm auf unserem Kampf dagegen nicht auf den Leim zu gehen.

In seiner fortlaufenden Selbstbestätigung gelingt es im Patriarchat, unsere Kämpfe, zumindest in westlichen Ländern oder denen des globalen Nordens, als obsolet, als überkommen darzustellen (1), womit es uns direkt in die erste Reihe an Fallen schickt. Männer deuten dabei auf andere Länder, „woanders“ hin, am liebsten nach Süden or „Osten“ und auf dortige Gesellschaften. Dies ist ein sehr alter Trick, da Liberalismus und Kolonialismus zusammengehören (2), und er funktioniert so: „Hier haben wir keine wirklichen Probleme, aber schaut mal dorthin! Da solltet ihr hinschauen. Arabische Länder!“ Die unmittelbare Reaktion zumindest einer deutschen Feministin könnte darin bestehen klar zu stellen, dass Algerien mehr weibliche Abgeordnete im Parlament hat als Deutschland, samt dem sofortigen Genuss die Selbstgefälligkeit aus dem Gesicht der Herrklärer verschwinden zu sehen. Aber diese Reaktion enthält Fehler, weil sie uns sofort zu typischen wenn auch indirekten Fehlschlüssen führt, die „unserer“ Überlegenheit, denn warum sollte Algerien nicht mehr Frauen als Abgeordnete haben als Deutschland und was für Einstellungen sind nötig, damit wir davon ausgehen, dass Algerien als Beleidigung für selbstgefällige Deutsche genutzt werden kann? Und dies geht noch weiter. Nachdem ich meinen rechten Fuß tief in den Morast des Patriarchats gestellt habe, lasst mich den linken Fuß gleich nachziehen. Unterschiede abzustreiten oder darauf zu bestehen, dass das Patriarchat überall herrscht und dass unsere Kämpfe überall die gleichen sind, kann uns dazu verleiten, wichtige Informationen über unsere Schwestern zu übersehen, es kann uns dazu bringen – in diesem Fall westliche Feministinnen – nicht zu sehen, wo ihre Kämpfe andere sind oder wo die konkreten Rahmenbedinungen andere sind. Es dient auch dazu, Aufmerksamkeit abzuziehen und sie wieder hübsch auf uns selber zu lenken. Und während ich spüre, wie ich immer tiefer im Matsch versinke, lasst mich noch die dritte Falle dazu stellen, wenn eine Anerkennung von Unterschieden in unseren täglichen Herausforderungen und Kämpfen zu Ansichten führt, die mal ein „Lieblings-“artikel von mir verbreitete, in dem stand, dass muslimische Mädchen in Pakistan Werte der Familiensolidarität hätten, die bedeuteten, dass sie keine individuelle Freiheit wollen oder brauchen.

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“Deutschlands neue Asoziale” – Rassismus ein Bildungsproblem?

"Rassismus führt zum Verlust Ihres Mitgefühls."

Dierk Schäfer via Flickr [CC BY 2.0]

Am 24. Juli 2015 erschien bei der Huffington Post ein Artikel mit dem Titel “Die neuen Asozialen: Eure Dummheit bringt Deutschland zum Abgrund”.

Dieser Artikel wurde unter meinen FacebookfreundInnen gefeiert – dutzendfach erschien er auf meiner Pinnwand, weshalb ich mich zu einer Erwiderung entschieden habe. Kritik zu äußern, fällt mir in diesem Fall nicht leicht, denn die Autorin Sabrina Hoffmann fiel mir vor genau einem Jahr – im Juli 2014 – sehr positiv auf, als sie sich als eine der ersten deutschsprachigen Journalistinnen mit einem sehr guten Artikel, “Prostitution: Warum Deutschland Sexkauf verbieten muss” , für ein Sexkaufverbot nach schwedischem Modell in Deutschland ausgesprochen hatte.

Ich möchte diese Replik deshalb als konstruktive und wertschätzende Kritik verstanden wissen.

Im Artikel wird die These aufgestellt, dass es nicht “die Zuwanderer [sind], die das Bildungsniveau senken” in Deutschland, sondern “es … die Deutschen selbst” sind. “Und zwar ausgerechnet jene, die bei Facebook gegen Ausländer hetzen.”. Fremdenfeindliche “gebildete und intelligente Menschen” bezeichnet sie als Ausnahme. Und sie sieht es als Gefahr an, dass sich ungebildete Menschen “von Gefühlen beherrschen lassen”.

Hoffmann beendet den Text mit

“Diese Menschen sind blind für die Not anderer. Sie sehen nur sich selbst. Und die Probleme, die sie bekommen könnten, wenn eines Tages zu viele Zuwanderer in Deutschland leben. Sie verstehen nicht, was Menschlichkeit ist. Sie stehen mit dem Kopf zur Wand und sehen nur Tapete. Wenn wir die Fremdenfeindlichkeit in Deutschland in den Griff bekommen wollen, müssen wir hier ansetzen. Alles andere ist nur Kosmetik.”

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(Internalisierter) Neoliberalismus: Jetzt reiß dich halt zusammen!

Gleise Bahnhof Köln-Deutz

Gleise Bahnhof Köln-Deutz

Anmerkung: Dieser Text ist stellenweise zynisch. Das ist nicht unbedingt ein “literarisches Mittel”, sondern in erster Linie eine Überlebensstrategie.

Mein Rentenversicherungsträger hat mir kürzlich mitgeteilt, dass ich weder arbeits- noch rehabilitationsfähig bin. In der Konsequenz heißt das, dass er mich in Rente (auf Zeit) schickt. Das gibt Mitmenschen Anlass mir mitzuteilen, dass ich entweder faul bin oder mich nicht so anstellen soll oder zu sagen: „Ich schaffe es schließlich auch.“

In meinem Leben gibt es im Moment ein Tabu, einen Teil Alltag, den ich am liebsten immer und überall verschweigen möchte: Ich lohn-arbeite nicht, denn ich bin nur begrenzt gesellschaftlich verwertbar arbeitsfähig. Als ich vor ca. einem Jahr an einer schweren Depression erkrankte und sich zeitgleich die Symptomatik meiner Posttraumatischen Belastungsstörung (in der Ausprägung einer Dissoziativen Identitätsstruktur1) drastisch verschlechterte, musste ich ins Krankenhaus, in ein psychiatrisches versteht sich. Nach wenigen Monaten kündigte mir mein Arbeitgeber und meine Kund_innen aus selbstständiger Tätigkeit suchten sich eine andere Dienstleisterin (verständlich, zumindest Letzteres). Ca. 5 Monate war ich von der Bildfläche verschwunden, mein mir ohnehin nur spärlich möglicher (wegen meiner Erkrankung/en) politischer Aktivismus fror ein, soziale Kontakte brachen ab und Freund_innen (nicht alle! Es verfestigten sich zeitgleich andere <3.) suchten (mal wieder) das Weite. Als ich Mitte August nach Hause kam, war ich in noch desolaterem Zustand als vorher, denn ich hatte eine abgebrochene, versuchte Traumatherapie hinter mir (hierzu wird in nächster Zeit ein weiterer Artikel erscheinen, in dem dezidiert über das Erlebnis mit – missglückter – Traumatherapie berichtet wird). Diese wurde mir im Krankenhaus empfohlen, weil monatelanges Rumdoktern an meiner Psyche erfolglos blieb; hätte ich eine Traumatherapie erst einmal hinter mir, würde auch alles andere nach und nach besser.

Fehlsch(l)uss.

Dieser Tiefschlag im letzten Jahr war nicht der erste in den letzten Jahren. Er war vielmehr der dritte innerhalb der letzten 4 Jahre. Davor ging es mir lange Zeit einigermaßen gut (so gut es einer eben gehen kann mit Traumafolgestörungen und rezidivierender depressiver Erkrankung) und ich führte ein stabiles und gesellschaftlich (einigermaßen) unauffälliges Leben. Vor vier Jahren erreichte mich dann nach langer Zeit wieder ein massiver gesundheitlicher Einbruch. Von der Traumafolgestörung abgesehen: Eine schwere Depression ist unendlich schmerzhaft und mit ihr geht einher, dass eine sich genauso unendlich schämt. Dafür, einfach nichts mehr zu schaffen. Auch nicht, eine Packung Pommes in den Ofen zu schieben. Depressionen erzeugen Schmerzen in Körper und Seele, die unerträglich sind. Wenn ich jetzt an diese Zeit zurück denke, breche ich in Tränen aus, Tränen, die ich während der Depression nicht weinen konnte (ich hätte so gerne gewollt!). Und nachdem es mir wieder besser ging, dauerte es kein Jahr, bis der nächste Schub kam. Und dann, dann wurden die Abstände immer kürzer, die Abstände zwischen gut und schlecht gehen und durch einen Auslöser in meinem familiären Umfeld fiel ich Anfang des letzten Jahres so tief, dass ich, im Rahmen einer dissoziativen Amnesie, einen Haufen Medikamente aus meinem Tablettenfundus – von dem ich bis dato nicht mal wusste, dass er existiert – in mich reinstopfte.

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“Affektive Arbeit” – der neue Pelzmantel für Prostitution

Prostitution is Human Trafficking

Markus Walker via Flickr [CC BY-NC-SA 2.0]

Ab und an habe ich das Bedürfnis, mir anzuschauen, was der deutsche Wissenschaftsbetrieb mehr oder weniger aktuell zum Thema “Prostitution” zu sagen hat.

Mein Meinungsbild hat sich auf Erfahrungen von Überlebenden sowie Erkenntnissen essentieller Studien wie die von Melissa Farley et al. aufgebaut. Insofern gehe ich in diesem Bestreben, im aktuellen Wissenschaftsapparat zu lesen, nicht davon aus, dass mich irgendwelche “neuen” Erkenntnisse von meiner Ansicht, dass Prostitution nichts anderes als kommerzielle sexuelle Ausbeutung und damit sexuelle Gewalt ist, abbringen können. Aber es interessiert mich, wie und in welcher Weise zum Themenkomplex “Prostitution” Wissenschaft in die Geschichte hineingeschrieben wird. Zugegeben, es schwingt auch immer ein wenig Hoffnung mit, Hoffnung, die aus der Tatsache der vielfach gesilencten Stimmen, die die Hölle von innen gesehen haben, entspringt. Das innige Bedürfnis, auf Wissenschaftlerinnen oder Menschen allgemein zu stoßen, die sich allumfassend und ganzheitlich dem Thema gewidmet haben. Dazu gehört eben auch, die Gewalt anzuerkennen und zu benennen, die dem System Prostitution inhärent ist.

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