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Männerherzen

Herz

Frank Behrens (Flickr)[CC BY-SA 2.0]

Ein Beitrag von Carola Fuchs.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf ihrem Blog.

„Ich würde gern mal spüren in ein Männerherz hinein, um endlich zu verstehen, warum fühlt’s ihr euch so klein?“, sang das Double von Ilse Aigner, der bayerischen Wirtschaftsministerin, am diesjährigen Nockherberg – dem bayerischen Kabarettereignis schlechthin.

„Alles, ja alles um auf Seite eins zu stehn,
ich tu doch auch alles, nur bin ich auf Seite zehn.
Ihr habt’s die Ilse vergessen, ihr Lumpenpack,
genauso wie den Anstand, den ihr nie besessen habt.“

Ja, da stehen sie ganz gerne, die Herren Politiker, auf Seite eins. Für eine Frau, so denken sie vielleicht, hat es die Ilse eh schon weit gebracht. Mehr geht nun wirklich nicht.

Ein tief verborgenes Gefühl von Kleinheit

Die Textschreiber des Nockherbergs nahmen den männlichen Geltungsdrang nicht nur gehörig auf die Schippe, sondern lieferten auch gleich eine Erklärung für dieses selbstverliebte Gebaren: Ein tief verborgenes Gefühl von Kleinheit, das kaschiert werden soll und Anstand kann man sich dabei wohl nicht leisten.

Aber wie sieht es jenseits des Politzirkus in den Männerherzen aus? Wie verkraften die „normalen“ Männer den Machtverlust, den die fortschreitende – aber bei weitem nicht abgeschlossene – Gleichberechtigung der Frauen (Gendergap!) mit sich bringt?

Gemischt, würde ich sagen.

Für die einen ist es kein Problem sondern ein Gewinn, eine selbstbewusste Frau auf Augenhöhe neben sich zu haben. Sie nehmen die zunehmende Aufweichung der strengen Rollenmuster zum Anlass, sich auch im Haushalt und bei der Kinderbetreuung einzubringen. Einige solcher Exemplare kenne ich sogar persönlich. Ein befreundetes Ärzteehepaar zum Beispiel, sie teilen sich eine Stelle und Mutter und Vater sind für die Kinder gleichwertige Bezugspersonen, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Von Kleinheit ist bei diesem Mann rein gar nichts zu spüren und deswegen hat er es auch nicht nötig sich zu produzieren.

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Die unsichtbaren Frauen der syrischen Revolution

Ein Beitrag von Manuela Schon

Vorbemerkung

Am 20. Januar 2016 erschien das Buch „Burning Country: Syrians in Revolution and War“ der beiden syrischen AktivistInnen Leila al-Shami und Robin Yassin-Kassab. (Anmerkung der Redaktion: Eine Übersetzung eines Beitrags von Leila al-Shami aus dem Oktober 2014 wurde auf diesem Blog veröffentlicht) Die AutorInnen sind dem linken, anarchistischen Spektrum zuzuordnen. Das Buch ist ein wichtiges Zeugnis der Geschehnisse in Syrien und enthält Hintergründe zur Geschichte Syriens, den Beweggründen des Widerstands gegen das faschistische Assad-Regime, den Erfolgen der Demokratiebewegung, den internationalen Verwicklungen und den (leider oft auch negativen) Folgen. Auf diese Details wird in diesem Beitrag nur am Rande eingegangen. Die Lektüre des Buches ist unbedingt empfehlenswert. Viele AktivistInnen kommen selbst zu Wort und die Vielfalt an Informationen und weiterführender Literatur ist überwältigend.

Dieser Beitrag fokussiert sich auf die Situation und Rolle der Frauen in Syrien und im Kampf für Frieden, Freiheit und Gleichberechtigung. Die Beispiele sind vielfältig, inspirierend und sollen einen Einblick geben, der uns in deutschsprachigen Medien wenn überhaupt nur sehr vereinzelt gewährt wird. Deshalb spreche ich von den unsichtbaren Frauen der syrischen Revolution. In Syrien sind sie ganz und gar nicht unsichtbar – in unserer „westlichen“ Rezeption des Syrien-Krieges existieren sie (fast) nicht.

Die Darstellung ist nicht abschließend, kann sie auch nicht sein. LeserInnen sollen sich ermuntert fühlen den Links zu folgen und selbst in die Welt der syrischen Frauen in Krieg und Exil einzutauchen. Dann erwartet sie ein Wechselbad der Gefühle zwischen Überraschung, Trauer und Tränen, eventuell aber auch Motivation für den eigenen Kampf vor Ort. Weiterlesen

Born naked, the rest is drag!

Carla Edit by Tori Barratt Crane (CC BY-NC-ND 2.0)

Carly Edit by Tori Barratt Crane via Flickr (modifiziert), [CC BY-NC-ND 2.0]

Ein Beitrag von Doktor Mihi

Textil-Unternehmen haben Angst davor, den Menschen freie Wahl zu lassen. Vom Betreten des Ladens bis zum Produkt werden Kund*innen wie an einem Nasenring in eine bestimmte Richtung geführt.

Pfeile mit “Männerabteilung” und “Frauenabteilung” pflastern wie Mahnschilder den Weg. Jedes Produkt ist nochmals separat markiert – mit Fotos von Männern und Frauen, mit expliziter Beschriftung. Schwierig zu dekodieren sind Abbildungen von räkelnden, abgefuckten, nackten Frauen: die können bedeuten, dass das Produkt für Frauen produziert wurde, oder eben für Männer, um diese dann zu den geilsten Stechern auf dem Planeten zu machen.

Natürlich wird auch erwartet, dass schon der Farbencode deutliche Hinweise oder sogar Warnungen liefert: schwarze Parfüms in der Männerabteilung, rosa-seichte Farben bei den Düften in der Frauenecke. Mahnende Blicke, verbale Korrekturversuche („Das ist eigentlich eine Männerhose!“), „Produced for men“, „for him“, „for her“, „Mr Dior“, „Mrs Dior“, “Echte Männer“, „Playboy“, „Die Frau von heute“ – Warnung, Warnung, Warnung! Betreten verboten!

„Stellen Sie das Produkt wieder an den Platz zurück, ihre Körpermerkmale unterscheiden sich von den notwendigen! Sie bewegen sich außerhalb der vorgegebenen Ordnung!“

Der Reiz des Verbotenen: Was wird wohl passieren, wenn ich mir ein Spritzerchen Armani Code Men auf mein Handgelenk träufle? Ich tue es. Und warte. Mehrere Minuten. Nichts passiert. Gut, vielleicht hatte ich Glück. Ich schnappe mir Bvlgari Men und drücke auf den Knopf. Nichts passiert. Riecht gut. Nun in die Kleiderabteilung. Eine Hose, „für Männer“, ich nehme sie mit in die Umkleidekabine. Was wird mir meinem Körper und Geist, mit meiner Umgebung und der ganzen Welt passieren, wenn ich mir diese Hose überziehe? Nichts. Mein Handy klingelt und ich erschrecke.

Falls die Produkte tatsächlich nur bestimmte Geschlechter ansprechen – könnte man dann nicht auf das penetrante Labeln und sozialisierte Farbcodieren verzichten?

Würden dann nicht als-Frau-identifizierende Menschen automatisch nach dem Erdbeer-Kotze-Sunshine-Parfüm greifen und nicht nach Moschus? Ach klar, mein Fehler, da kommt ja das heteronormative, binäre Korsett ins Spiel: Frauen dürfen herbe Düfte mögen, aber eben am Mann; für Männer sind Pastelltöne auch außerhalb des Golfclubs adäquat, aber nur auf Kleidungsstücken der Frau.

Für Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen wird es schwierig. Wobei, so schwierig auch wieder nicht. Schließlich gibt es ja auch hier einen „Mann“ und eine „Frau“ – abhängig von Haarlänge, Kleidungsstil oder der Bier-vs.-Weinschorle-Entscheidung. Easy.

Etwas zu beschriften, dass mensch als natürliche Ordnung verkaufen will, ist paradox. Als würde ich meine Hände mit „Hände“ beschriften, damit ich sie ja nicht aus Versehen „Füße“ nenne. Dabei müsste man doch bei den Bezeichnungen anfangen: Wenn man sich so vehement an eine Bezeichnung erinnern muss, damit bloß nicht die falsche verwendet wird, vielleicht ist diese Bezeichnung einfach nicht beschreibend. Der Diskurs sollte den Dingen einen Namen und damit eine Bedeutung zuweisen, nicht umgekehrt.

Hinzu kommt, dass die sozialen Geschlechternormen sehr kurzlebig sind. Trugen damals noch Männer High Heels und schminkten sich, ist dies heutzutage ein Tabubruch.
2015 wurde es dann plötzlich wieder trendy sich als Mann zu schminken: „Echte Kerle tragen Make-up!“

Diese Variabilität der Normen – getarnt als „Trends“ – zeigt die Willkür sozialer Vorgaben und der angeblich geschlechtertypischen Vorlieben. Ganz zu schweigen von der Lächerlichkeit der Zweigeschlechtlichkeit.

Zahlreiche Menschen beugen sich den Geschlechtertrends, schließlich resultiert aus der maximalen Anpassung an an etablierte Standards häufig die Zuschreibung (sexueller) Attraktivität. So lautet zumindest die soziobiologische Grundannahme zur Erklärung des Sozialverhaltens. Heute dies, morgen das, übermorgen unisex. Alle Gegenstände sind aus geschlechtsneutralen Rohstoffen hergestellt. Erst durch uns erhalten sie ihr Label.

Sei kein Fähnchen im Wind, trag was dir gefällt! Kleidung, Düfte, Make-up, Frisuren – alles Drag!

Wie ist es für dich? Die seltene Frage nach der Perspektive

Distance by Christian Weidinger

Distance by Christian Weidinger via Flickr, [CC BY-NC-ND 2.0]

Ein Beitrag von Doktor Mihi

Wir vergessen oft, dass andere Menschen die Welt nicht so wahrnehmen, wie wir. Das Ergebnis: Missverständnisse, Abneigungen, negative Urteile. Unsere Sinnesorgane sind nicht „empathisch“ genug.

Bei einer Wortsammlung wie Irrsinn, Blödsinn, Wahnsinn, Stumpfsinn oder Schwachsinn liegt der Zweifel nahe, ob es die Evolution gut mit uns und der Ausstattung unserer Sinnesorgane gemeint hat. 

Viele andere Lebewesen würden uns wahrscheinlich bemitleiden, denn im Vergleich zu ihnen sind wir fast blind, taub und die Leistung von Nase und Tastsinn sind auch unterdurchschnittlich. Unsere Welt würde vielen Tieren grau, eintönig, eindimensional und informationsarm erscheinen. Our senses suck!

Dringen dann Reize durch unsere verschiedenen Öffnungen nach innen, verarbeiten und interpretieren wir diese sehr individuell. Düfte, Töne, Texte, Bilder – jede*r einzelne von uns konzentriert sich auf andere Aspekte, zieht andere Schlussfolgerungen, hat andere Assoziationen. Was wir mit Eindrücken und Reizen im Kopf veranstalten ist unvorhersehbar. Jedes Individuum konstruiert seine Wirklichkeit vollkommen subjektiv: Objektivität gibt es nicht. Jeder Mensch hat seine eigene Sichtweise auf und Vorstellung von den Dingen. Alles nur Konstruktionen, mit einem großen Spektrum von Bedeutungen. Ein Sachverhalt ist nicht ein Sachverhalt, sondern ein jeweiliges subjektives Bild von diesem Sachverhalt. Die eine Beschreibung der Welt gibt es nicht.

Wie wir unsere Umgebung, unsere Mitmenschen, Situationen, Äußerungen wahrnehmen setzt sich aus unzähligen verschiedenen sensorische Reizen, Bedeutungsebenen und unsere Persönlichkeit zusammen.

Beispielsweise schätzen wir die Steile eines Hügels, die Distanz zu einem Punkt umso größer ein, je niedriger wir unsere individuelle körperliche Leistungsfähigkeit einschätzen. Unsportliche Menschen reagieren schneller ängstlich, als solche, die in der Lage sind, schnell wegrennen zu können. Mit jeder Aussage über die Welt machen wir also auch Aussagen über uns selbst. Wir leben in der Annahme, dass wir mit andere Augenblicke gemeinsam erleben – und zwar in dem Bewusstsein, sie gemeinsam zu erleben. Und dann so etwas:

„Auch wenn ich gute Gründe dafür angeben kann,
dass meine Erfahrung der deinen nicht ganz unähnlich ist,
habe ich keinerlei Möglichkeit zu prüfen, ob sie identisch sind.“ [1]

Wir konstruieren nicht nur unanschauliche oder abstrakte Sachverhalte (Geschlecht, Nationen, Geld, Zeit), sondern sogar vermeintlich objektive materielle Räume. Diese werden ebenfalls aus der Perspektive ihrer gesellschaftlichen, sozialen, technischen Konstruiertheit durch Medien, Institutionen, gesellschaftlichen Gruppen (z.B. im Internet, in Prospekten, in Reportagen etc.) und Individuen gesehen. Es ist schwer vorzustellen, dass die Welt, die wir wahrnehmen, nicht die Welt darstellt, wie sie tatsächlich ist.

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Ein ganz gewöhnlicher Freitag? – Prostitution im Wiesbadener „Untergrund“

Prostituted woman in Western Europe

© Kay Chernush for the U.S. State Department [Attribution], via Wikimedia Commons

Ein Beitrag von Manuela Schon, LISA Wiesbaden und Stadtverordnete der Landeshauptstadt Wiesbaden

An den meisten anderen Tagen bewege ich mich überwiegend in meinem eigenen Kiez in Wiesbaden: Hier wohne ich, hier arbeite ich, hier gehe ich aus, hier gibt es (fast) alles, was man halt so braucht. Freitage sind (derzeit) jedoch anders. Denn freitags fahre ich immer zur Uni nach Mainz und freitags mache ich Einkäufe für meine Arbeit, überwiegend in den Wiesbadener Stadtteilen Biebrich und Kastel.

Durch meine Vor-Ort-Recherchen zu Prostitution in Wiesbaden weiß ich ziemlich genau, wo Prostitution in meiner Stadt stattfindet. Durch Lektüre in so genannten Freierforen weiß ich das leider besser, als ich es manchmal wissen will. Viele schlaflose oder unruhige Nächte habe ich deswegen schon verbracht. Wütend und traurig zugleich macht es mich, dass die Chancen etwas dagegen zu tun, nicht gleich Null, aber doch sehr eingeschränkt sind.

Natürlich kann auch ich nicht durch Wände sehen, aber durch meine Recherchen sehe ich dennoch mehr als andere. Zumindest vor meinem geistigen Auge. Dies wird mir immer besonders freitags bewusst, denn insbesondere auf der dann regelmäßig zurückgelegten Strecke liegen zahlreiche der ca. 80 Prostitutionsstätten in Wiesbaden. Nach außen eindeutig als solche erkennbar, sind jedoch nur zwei.

Ich möchte euch mitnehmen auf eine für mich an diesem Wochentag gewöhnliche Rundfahrt durch Wiesbaden:

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Ich find‘ das alles scheiße

Violence against women, we can stop it!

"Violence against women, we can stop it!" by European Parlament via Flickr, [CC BY-NC-ND 2.0]

Inhaltshinweis: In diesem Artikel werden körperliche, sexuelle, psychische Gewalt oder auch Folter beschrieben.Array

Ein Beitrag von Anna W.

Ich finde das alles scheiße! Ich find das richtig scheiße! Jetzt, nach dem ich erst mal geheult habe und mich völlig beschämt und eingeschüchtert und verängstigt und was nicht alles gefühlt habe. Zum Glück kommt jetzt die Wut, sie fühlt sich nämlich viel besser an als die Scham und die Angst.

Aber von Anfang an. Ich wurde grade im Bus auf übelste Art und Weise beleidigt und bedroht.

Zwei Männer kommen in das obere Busstockwerk. Ich sitze dort fast alleine relativ weit vorne. Sie unterhalten sich. Einer von beiden setzte sich erst neben mich, der andere schräg vor mich, zwei Reihen weiter. Und in diesem Moment hab ich mich schon unwohl gefühlt. Ich habe mich gefragt, warum er sich neben mich setzt, wenn sie sich doch unterhalten wollen und überall Platz ist. Aber ich habe es ignoriert. Habe ihn ignoriert und mich sogar noch kurz schlecht gefühlt dafür, dass ich gleich negativ über einen fremden Mann denke. Er dreht sich immer zu mir, aber ich schaue nicht auf, ich lese. Er redet mit seinem Kumpel, steht dann auf und setzt sich zu ihm.

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Ob ich drüber reden möchte? Lieber nicht!

Shut up! Conscience

Ares Nguyen via Flickr, [CC BY 2.0]

„Frauen sind ja selber schuld, dass ihnen nach Vergewaltigungen nicht geglaubt wird. Zu viele von ihnen missbrauchen die Anzeige, um sich an einem Mann zu rächen!“.

Ein Beitrag von Doktor Mihi

Der Tag hat noch nicht recht begonnen, der Kaffee ist gerade erst aufgebrüht, der Geist findet langsam erst seinen Weg in den Wachzustand. Auf diesen Satz meiner Gegenüber war ich nicht vorbereitet. „What the fuck!“ und irgendwas von victim blaming („Täter-Opfer-Umkehr“), rape culture und gesellschaftliche Gehirnwäsche war meine Antwort. Danach hat sich mein Verstand direkt wieder auf den Weg zurück in die Stille des Schlafes verabschiedet – weit weg von Sexismus, Homophobie, Rassismus und sonstigem Abschaum.

Grade jetzt kursieren wieder viele Themen in den Medien, die zugleich Pulver, Lunte und Funke explosiver Diskussionen darstellen. Optimaler Verlauf einer solchen Auseinandersetzung wäre der sachliche Austausch von Fakten, mit offenem und freundlichem Aufeinandereingehen und dem gemeinsamen Ziel einer beidseitig lehrreichen Schlussfolgerung.

Doch das Leben ist bekanntlich weder Ponyhof noch Lollipop. Menschen bewegen sich häufig weit außerhalb der Reichweite von Vernunft, Verstand und Sachlichkeit.

Es gibt einige Settings und Gesprächskonstellationen, die besonders prädestiniert dafür sind, kostbare Energie zu schlucken – und schwarze, stinkende Energie zurück zu spucken. Gesprächsrunden, aus denen mensch erschöpft, unbefriedigt und genervt heraus geht. Kooperation? Fehlanzeige. Der gemeinsame Nenner ist mit erhobenem Mittelfinger und hämischem Lachen über alle Berge.

Wir lassen uns trotzdem immer wieder auf Streitgespräche ein. Die Gründe hierfür reichen vom verdammten inneren Feuer der Leidenschaft für bestimmte Inhalte, bis hin zu Helfersyndrom oder Masochismus. Vielleicht liegt es auch an der
Hoffnung auf die Wirkung des steten Tropfens, der die verschrobenen Ideale, schädlichen Ideologien und verirrten Annahmen eines Menschen von Gespräch zu Gespräch höhlen soll. Zwar trifft es für viele Steine zu, dass sie über kurz oder lang dem feuchten Element nachgeben, aber manchmal beißt mensch eben auf Granit.

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Distanzierungsversuche und abartige Annäherungserfolge – zur Silvesternacht in Köln

Gastbeitrag von Polyträumer (Dieser Beitrag erschien dort am 11. Januar 2016)

Zum Jahreswechsel wurde meine neue Heimat Istanbul in einen unerwarteten Schneeschleier gehüllt, und alles schien gedämpft zu erklingen, nicht vergleichbar mit den nebeligen Bildern aus meinem eigentlichen Kiez in Berlin, wo immer absolut laute und chaotische Zustände herrschen, wenn die Uhr zwölf schlägt. In den folgenden Tagen erschienen in den sozialen Medien, die ich besuche, immer wieder Artikel und Kommentare zu Köln in der Silvesternacht. Lange habe ich es gemieden, ausführlicher zum Thema zu lesen, was ich heute nun nachgeholt habe. Schlagartig habe ich schlechte Laune, die Worte ‚sexualisierte Gewalt’ hallen in meinem Kopf wie ein zu oft gehörter Song und sofort melden sich persönliche Assoziationen und Gedanken an von mir erlebte Situation aus dem Unterbewusstsein zu Wort.

Medien gegenüber habe ich gelernt, skeptisch zu sein, aber doch kommen von allen Seiten ähnliche Informationen, dass sich eine riesige Gruppe von Männern, die in einer unter anderem durch Alkohol enthemmten Stimmung gewesen zu sein scheinen, versammelt hat und sich ein Fest daraus gemacht hat, ihre Hände zwischen die Beine fremder Menschen zu stecken.

Ich spüre in mir, als wäre es gestern gewesen, die Wut, von dem Abend vor zwei Jahren, als ich in einem Club an einer Bar stand, und die blitzartige Bewegung einer Hand spürte, die sich nicht nur zwischen meine Beine, sondern samt Strumpfhose in mein Inneres bohrte. Zutiefst perplex schnellte ich herum, und vor mir ein Gesicht mit einem herausfordernden, selbstbewussten Grinsen. Ich bin nicht stolz darauf, wie die Situation geendet ist, sagen wir so, der schmächtige Möchtegern-Macho hat nicht mit der unkontrollierten Kraft gerechnet, die ich anscheinend entwickele, wenn jemand derart meine persönlichen Grenzen überschreitet. Ich war sehr wütend, einige Minuten später aber, als sich das Adrenalin langsam aus meiner Blutbahn verflüchtigt hatte, musste ich weinen. Ich kam mir so machtlos vor, so dis-respektiert und verspottet. Ich kann mir leider vorstellen, wie die Situation anders hätte ausgehen können, hätte der Kerl damals seine Gruppe von Freunden mitgebracht. Darum bin ich so entsetzt, so unfassbar aufgebracht über diese Idioten, die sich zusammentuen, um in der Überzahl andere zu erniedrigen.

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Auch Jesus saß im Glashaus

Back to the Heir

"Back to the her" by jaci XIII (modified: transparent background for resize), via Flickr, [CC BY-NC-SA 2.0]

A long time ago in a society far, far different… entstand die Bibel.

Ein Beitrag von Doktor Mihi.

Auch Jahrhunderte später ist sie noch Bestsellerin und alltägliche Argumentationsgrundlage. Letzteres besonders häufig, wenn es um die Bewertung der Lebensweisen anderer geht. In diesem „Buch der Bücher“ wird von einem Paar erzählt: Josef und Maria waren zwar verlobt, aber nicht verheiratet. Trotzdem war sie plötzlich schwanger. Unangenehm.

„Als nämlich Maria, seine Mutter, dem Josef verlobt war, wurde sie, ehe sie zusammengekommen waren, schwanger befunden […]“ (Matthäus 1:18)

Für Josef ist das ein Schlag ins Gesicht. Hat Maria ihn tatsächlich betrogen? Er grübelt hin und her, zieht sogar in Erwägung Maria zu verlassen. Doch da passiert es:

„Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem heiligen Geist.“ (Matthäus 1:18-25)

Puh, Glück gehabt! Das wäre sonst echt blöd gewesen. Die Kirchen betonen: Maria hatte keinen Sex vor der Ehe. Der wird nämlich – milde ausgedrückt – gar nicht gerne gesehen in der Bibel: Sie spricht von Unzucht, Sünde (1. Korinther 6:12-20), Unreinheit (Epheser 5:3-8); Schandtat (2.Samuel 13:12) und Hurerei (Hebräer 13:4).

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Antisexistisch einschreiten, wo und wie?

Sitzende Frau U-Bahn

"Waiting for the 1" by dalioPhoto via Flickr, [CC BY-NC-ND 2.0]

Überlegungen mit Hilfe von „Kritischen Überschreitungen“ gemäß Maisha Maureen Eggers
Von Luise

Natürlich sind wir AntisexistInnen, aber wie kann gehandelt werden? Muss es immer vom großen Manifest aus geschehen? Was ist mit den Zeiten zwischen den Demos oder Aktionstagen? Und große Programme bringen es nicht unbedingt. Wann soll ich zu den hohen Zielen hingelangen?
Ist es nicht so, dass mensch oftmals von einer Lesung, einem Aktionstag für die super-offene befreite LGBTI-Gesellschaft nachhause geht- und auf der Straße wieder ins Kontrastprogramm fällt, in die Wildwest-Manier des ausufernden kapitalistischen Chaos, mit Werbeindustrie als Wichsvorlagen, sexistischer Sprache und Kraftmeierei, männlich-normativ mit Sauf-Aus und Hau-drauf- in öffentlichem Raum, Arbeitsplatz oder Web-Foren? In diesem Wilden Westen sollte eigentlich Antisexismus zuallererst zum Tragen kommen, oder? Natürlich zählt es auch, im Internet homophobe Sprüche abzuwehren- aber die größere Kunst bleibt die Abwehr von solchen Sprüchen im realen Leben.

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