Zwischen Freiheit und Ersticken

Blume Jasminum officinale

By B.traeger (Own work) [GFDL or CC BY 3.0], via Wikimedia Commons

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Weil ich immer wieder gerne von den gravierenden gesellschaftlichen Unterschieden in Skandinavien und Deutschland erzähle wurde ich gebeten dazu mal einen Text zu schreiben. Ich habe das große Glück, dass ich aus verschiedenen Gründen regelmäßig in Schweden und Norwegen sein bin, so dass ich mich nicht nur auf einen flüchtigen und zufälligen Urlaubs- oder Kurzaufenthalt beziehen muss.

Ausgehen

Um es kurz zu machen: Ich gehe in Deutschland kaum mehr abends weg. Und wenn doch, dann weiß ich schon nach spätestens einer halben Stunde wieder warum.

Stenogramm eines typischen Abends mit Freundinnen:

Hinsetzen, nach wenigen Minuten im Gespräch unterbrochen werden, ungefragt ein Bier vor mich auf den Tisch geknallt bekommen (btw: ich hasse Bier!), „Ey Süsse, hier für dich“ – „Nein danke“ – „Wieso?“ – „Ich würde mich gerne mit meinen Freundinnen unterhalten und ich finde es unhöflich wenn du hier einfach so in das Gespräch reinplatzt“ – „Gibst du mir deine Telefonnummer?“ – „Nein“ – Wieso? – „Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig“ – [….] – Irgendwann nach unzähligen weiteren „Wieso?s“ ist man den Nervtöter endlich los und das Ganze wiederholt sich im Laufe des Abends in ähnlicher Weise noch zig Mal.

An anderer Stelle wurde schon mal treffend beschrieben, dass Frau sich lästige Typen nur vom Hals halten kann indem sie (wahrheitsgemäß oder gelogen) ihren „Freund“ ins Spiel bringt, denn ein Nein wird offenbar nur akzeptiert, wenn schon ein anderer Mann Anspruch auf Eigentum an einem erhebt. Ein „Nein, du bist nicht mein Typ“ oder „Nein, ich habe gerade kein Interesse an einer Bekanntschaft“ oder gar „Nein, ich stehe nicht auf Männer“ wird einfach nicht akzeptiert.

Das letzte Mal als ich wegging und dann auch noch Lust zu tanzen hatte endete übrigens in einem Scherbenhaufen, mit einer zwei Wochen lang verbundenen Hand und einer wohl lebenslang bleibenden Narbe. Irgend so ein Idiot wollte nämlich nicht verstehen, dass man als Frau auch gut alleine tanzen kann und beim Wehren gegen den zigsten Versuch mich an ihn heranzuziehen ist es dann passiert.

In Schweden und Norwegen ein völlig anderes Bild: Ich kann unbehelligt den ganzen Abend mit meinen Freund*innen zusammen sein und die Zeit genießen. Man könnte ja meinen „vielleicht stehen die Skandinavier ja einfach nicht auf mich“, aber an den anderen Tischen jedes Mal ein identisches Bild. Das kann also nicht der Grund sein.

One Night Stands

Eine Zeit lang hatte ich die naive Vorstellung, dass es doch eine tolle Sache ist in Zeiten ohne Beziehung One-Night-Stands zu haben. Wenn die Chemie stimmt, man sich gegenseitig gefällt, zusammen Sex zu haben, ohne daraus resultierende Verpflichtungen oder dergleichen. Auch das hab ich hierzulande schnell aufgegeben. Irgendwie meinen Männer doch glatt, dass sich aus einer gemeinsamen Nacht (Tag, Nachmittag, etc.) gleich irgendein Besitzanspruch ableiten lässt. Nervige SMS, Telefonanrufe, und so nen nervigen Kram inklusive. Ich will nicht missverstanden werden: Zuneigung und Nähe ist etwas wunderschönes – allerdings nur wenn es auf Gegenseitigkeit beruht. Nur weil ich einmal mit einem Mann geschlafen habe, heißt das noch lange nicht, dass ich Gefühle für ihn habe. Es ist mir im Übrigen auch mehr als einmal aufgefallen, dass wenn ich mit einem Mann bereits einmal auf einer sexuellen Ebene war es kaum mehr ein Zurück auf eine platonische Ebene gibt.

Nach One-Night-Stands in Schweden oder Norwegen hatte ich dieses Problem irgendwie nie. Sex ist Sex und Freundschaft ist Freundschaft. Und wenn man sich vorher einig ist, dass es sich um einen One-Night-Stand handelt, dann geht auch kein Mann am nächsten Tag davon aus, dass er ganz selbstverständlich erneut Sex mit dir haben kann wann immer er will. Oder, dass du Wert darauf legst von ihm die ganze Zeit via SMS oder Telefon belästigt zu werden. Dennoch: Mit einigen, mit denen ich einen One-Night-Stands hatte bin ich heute noch auf einer völlig freundschaftlichen Ebene verbunden, mit dem ein oder anderen gab es auch nochmal eine Wiederholung, aber jedes Mal weil beide eine Wiederholung wollten, diese sich so ergeben hat und ohne vorangegangene Grenzüberschreitung.

Ein entscheidener Unterschied ist übrigens auch der, dass mir hier ein „Abenteuer“ gar nichts bringt: Es geht immer nur um SEINE Lust und um SEINEN Orgasmus – ob es mir gefällt oder ob ich zum Orgasmus komme spielt gar keine Rolle. Ich bin eben Objekt, Mittel zum Zweck. Nichts weiter. Anders in Skandinavien. Es braucht nicht immer Liebe, aber Leidenschaft und gegenseitiges Aufeinander-Eingehen sollten doch selbstverständlich sein. Ist es dort.

Flirten

Ich flirte gerne. Es gibt für mich nichts Spannenderes als diese Verunsicherung ob er wirklich gelächelt hat, mich wirklich einen Moment länger als gewöhnlich angeschaut hat, etc., diese Aufregung, die Schmetterlinge, und all das was dazu gehört. Dabei ist es überhaupt nicht wichtig, ob es tatsächlich zu einem Gespräch kommt, geschweige denn zu Sex oder gar einer Beziehung.

Das letzte Glücksgefühl durch Flirten in Deutschland ist schon Jahre her. Schaust du einen Mann einen Moment zu lange an, oder lächelst du ihn zu freundlich an, ob intendiert oder unintendiert, folgt gleich – ohne jeglichen Spannungsbogen – die überaus platte Frage „Zu mir oder zu dir?“ Was soll ich denn damit bitte anfangen?

Ich werde nie diese eine Woche in Norwegen vergessen wo ich diesen unglaublich attraktiven Mann in einer Bar sah. Es war ziemlich voll, wir verloren uns mehrfach aus den Augen, aber immer wieder trafen sich unsere Blicke. Irgendwann war er weg. Es beschäftigte mich den ganzen nächsten Tag: Hatte ich es mir eingebildet? Hätte ich einfach mal zu ihm gehen sollen? Würde ich noch eine Chance bekommen? Am nächsten Abend: Anderer Ort, und da war er tatsächlich wieder. Es dauerte erneut ca. 3 Stunden bis ich zu meiner Freundin sagte „Siehst du den da hinten in der Ecke? Der ist voll süss und ich glaube er flirtet mit mir“. Sie antwortete: „Haha, den kenne ich. Das ist mein Arbeitskollege“ Ich konnte es kaum glauben: Obwohl er sie kannte hatte er keine Anstalten gemacht zu uns zu kommen. Zunächst dachte ich mir, na vielleicht habe ich es mir ja doch eingebildet, sonst hätte er doch die Chance genutzt, oder etwa nicht? Ich war verunsichert, aber fühlte mich auch herausgefordert. Ich bat sie ihn doch unauffällig zu uns an den Tisch zu holen. Wir unterhielten uns dann bestimmt zwei Stunden sehr angeregt, es passierte jedoch seinerseits nichts, abgesehen von dem umwerfenden Lächeln. Irgendwann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und legte meine Hand sachte auf seinen Oberschenkel. Es dauerte keine Sekunde und er hielt sie fest, als hätte er die ganze Zeit nur darauf gewartet, dass ich einen solchen Schritt mache. So saßen wir noch bestimmt eine Stunde da bevor wir uns erst küssten…. Auch mit ihm bin ich heute noch sehr gut befreundet.

ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll, aber ich habe in Schweden oder Norwegen immer das Gefühl, dass ich das Heft in der Hand halte, dass das männliche Pendant mich zu nichts drängt, mir die Chance gibt zu entscheiden wie es weiter geht. Skandinavische Männer sind nicht ignorant, eher im Gegenteil: Sie sind sehr aufmerksam und reagieren auf deine Signale (sofern das Interesse auf Gegenseitigkeit beruht)

Mein Gesamteindruck

In Deutschland fühle ich mich als Frau objektifiziert in vielfacher Art und Weise. Ob es die ganzen Idioten sind, die mich gegen meinen ausdrücklichen Willen „Schatzi“ nennen, die mein Aussehen kommentieren (und zwar in einer eindeutig anzüglichen und grenzüberschreitenden Weise), diejenigen die mir ungefragt mitteilen welche Sexualpraktiken sie mögen oder mit wem sie schon mal Sex hatten, ob sie in den Puff gehen, oder was auch immer. Ständig wird mir signalisiert, dass ich weniger Wert bin, zwar gerne für Sex zur Verfügung stehen darf, aber in den allermeisten Fällen keine Augenhöhe für mich vorgesehen ist.

In Skandinavien kann ich (wie eine Bekannte mal so schön sagte) atmen, ich kann frei sein. Ich werde als Frau respektiert. Respekt ist meines Erachtens das Schlüsselwort. Respekt, der sich nicht nur daraus ausdrückt, dass es unschick ist für Sex zu bezahlen, sondern dadurch das Frauen einfach Menschen sein dürfen. Menschen, mit denen man sexuelle Interaktionen auch haben kann, ohne sie zu erniedrigen, sie zu objektifizieren, sie zu benutzen. Wer einmal diese Freiheit gerochen hat, droht in dieser, unserer Gesellschaft tagtäglich zu ersticken.

 

Lina

5 Kommentare

  1. Ich möchte deine Erfahrungen wirklich nicht anzweifeln, aber… so extrem kenne ich das nicht, wenn ich mit meinen Freundinnen weggehe. Und… bevor da so ein Bild auftaucht: Da sind einige wirklich attraktive Mädels dabei. Vielleicht kommts auch so ein bisschen auf die Locations an? Es stimmt allerdings: Wenn sich mal ein Typ (meist mit entsprechend glasigen Augen) mal an unsere Fersen geklemmt hatte, wurde es auch schon nervig.

  2. Käsestulle: Eine wirklich stichhaltige Erklärung kann ich nicht liefern. Ich glaube es liegt daran, dass Frauen dort einfach gleichberechtigter und unabhängiger sind und es keine so stark ausgeprägte sexualisierte Sozialisation gibt wie hierzulande. Jungs wird schon früh beigebracht, dass sie Mädchen und Frauen respektieren sollen. Und wie ich schon schrieb Frauenkauf nicht zum guten Ton gehört. Ich denke es ist dieses Gesamtpaket.
    Viele Deutsche bezeichnen SkandinavierInnen als unterkühlt und arrogant. Ich halte das für eine fehlerhafte Wahrnehmung, die genau auf diesen nicht erfüllten Erwartungen im Verhalten (also anders als wir das gewöhnt sind) beruht. Sie sind meiner Meinung nach eher zurückhaltend-abwartend, grenzwahrend und sehr herzlich.

    Susanna: Es ist leider völlig unabhängig von der Location. Und ich kenne viele denen es ebenso ergeht. Die auch die Skandinavien-Erfahrung teilen. Ich muss aber sagen, dass es mir so extrem erst durch den krassen Unterschied in anderen Ländern aufgefallen ist. Früher habe ich das nicht so hinterfragt. Wie viele andere Dinge leider auch nicht.

  3. In Deutschland bin ich als Frau selbst in einer Beziehung nicht frei. Ist der Mann sehr attraktiv hat man als Frau und auch der Mann nirgendwo seine Ruhe. Da werden weibliche berufliche Stellungen dann ausgenutzt was das Zeug haelt nur um den Mann auszuspannen. Von Privatsphaere in einer Beziehung kann man da nur träumen. Das funktioniert sogar bei schwulen Männern. Auch die koennen keinen gut aussehenden Mann in einer hetero Beziehung oder gar Ehe mehr vertragen. Anstand und Diskretion sind in Deutschland zu absoluten Fremdwörtern verkommen genau wie der Begriff Privatsphäre. Setzt sich eine Frau gegen männliche Nachstellungen zur Wehr sitzt am Ende sie vor Gericht und zahlt auch bei einem Freispruch zumindest die Gebühren für den benötigten Anwalt aus eigener Tasche und wird auf diese Weise dann doch bestraft, während mit den Tätern sehr milde und geduldig verfahren wird und auch ohne das man einen One- night- stand mit dem Täter hatte.

  4. Ganz so krass wie beschrieben habe ich das auch noch nicht erlebt. Obwohl ich dachte meine Erlebnisse sind schon komisch. Ich erlebe es auch so, dass man als Frau mit den wenigsten Männern mit denen man ein one night stand hatte zurück auf ne freundschaftliche Ebene kann. Einen Freund habe ich mit dem das gelungen ist. Obwohl er am Anfang auch noch Anspielungen gemacht hat.

    Letztens hab ich auch eine solche Situation erlebt. Ich lief in einer Gruppe von Leuten zu einer Bar und unterhielt ich mit einer Freundin über das Thema Kochen im Zusammenhang mit meinem Freund. Neben uns lief ein Typ den ich schonmal gesehen hatte. Er hörte uns zu, dachte ich zumindest. Als alle anderen in die Bar gingen und ich weiter lief in Richtung einer anderen Bar (dort war ich mit anderen Freundinnen verabredet) quatschte mich der Typ an. Es war einfach eine Unterhaltung. Ohne Anspielungen. Die andere Bar war zu voll und wir kamen nicht mehr rein, also beschloss ich heim zu gehen. Er wohnte in die gleiche Richtung. Auf dem Weg legte er seinen Arm um meine Taille. Ich sagte ihm das ich auf dieser Ebene kein Interesse habe. Ihm wurde sichtbar etwas heiß und er wusste nicht was er sagen soll. Meinte nur was von aaaahhh schade, seinerseits total. Wir liefen weiter und ich dachte das Thema sei rum. Wir tranken halt noch gemeinsam nen Tee bei mir. Ich sagte vorher noch zu ihm, warum nicht, danach müsse er heim gehen. Meine Mitbewohnerin kam dazu. Und irgendwann als der Tee leer war merkte ich er wollte nicht gehen. Also schmiss ich ihn verbal raus. Er ging.
    Am Montag ne Woche drauf war mein Freund noch da und wir waren so am Arbeiten. Es klingelte und der Typ stand vor der Tür. Ob ich rauskommen will, spazieren gehen. Oder ob er hohkommen kann auf ne Tasse Tee.
    Ich meinte das mein Freund da sei und wir arbeiten und er gerne hoch kommen könne. Seine Antwort war nur, ach ne er habe schon gehört. Sein lachen war wieder ähnlich panisch wie in der Situation als ich ihm gesagt hab das ich kein Interesse habe. Er wollte nicht auf nen Tee hoch kommen. Der Freund war im Weg. ich fühle mich als Person nicht geachtet. Sondern auf ein sexuelles Objekt reduziert. Da ist die sexuelle Begierde stärker als das echte Interesse an mir.

    Da muss dann also ein Freund her, damit man Frau glaubt, dass sie nix von einem will. Mich regt das so auf, dass ein Nein nicht akzeptiert wird. Nur ein anderer Platzhirsch. Ich hätte mir was freundschaftliches vorstellen können. Und ich habe ganz bewusst gesagt das ich kein interesse habe und nicht das ich einen Freund habe. Weil ich will, dass diese Aussage akzeptiert wird und nicht der andere Mann, der grade garnicht sichtbar ist. Das ist doch hirnrissig!
    Wahrscheinlich werden einige sagen das ich total naiv war. Aber wenn ich klipp und klar sage das ich kein interesse habe ausser an Freundschaft und der Kerl es weiterhin versucht, dann ist das echt ganz schön dreist. Schade finde ich es auch nicht das keine Freundschaft draus wurde. Solchen Männern würde ich gerne mal links und rechts eine in die Fresse geben.

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