Alle Artikel von Gastbeitrag

Trauriger Jahrestag: vor 34 Jahren kamen die beiden Vietnamesen Ngoc Nguyen und Anh Lan Do bei einem Neonazi-Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Hamburg ums Leben

El Fascismo Mata - Fascism Kills - Graffiti

By Adam Jones, Ph.D. (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Im August 1980 lebten in der besagten Unterkunft im Hamburger Stadtteil Billbrook 240 Menschen: 211 so genannte Boatpeople aus Vietnam und 29 Roma. In der Nacht zum 22. August 1980 warfen Neonazis einen Molotow-Cocktail in eines der Fenster der Unterkunft. In dem Zimmer dahinter schliefen der 22jährige Ngoc Nguyen und der 18jährige Anh Lan Do. Beide erlagen ihren Verletzungen. Die Tat, ausgeübt von der von Anwalt Manfred Roeder gegründeten und später verbotenen Neonazi-Gruppierung Deutsche Aktionsgruppen, gilt als der erste Brandanschlag mit Todesfolge auf ein Asylbewerberheim.

Gedenken an die Opfer

Dieser todbringende Anschlag ist eine Folge der sich ungehindert ausbreitenden militanten neofaschistischeOrganisationen in der alten Bundesrepublik, die Mitte der 1970er Jahre u. a. mit der Gründung der Wehrsportgruppe Hoffmann begann, und allein in den Jahren 1980 – 82 mehr als 20 Menschen das Leben kostete. Mit der Person Manfred Roeder, seines Zeichens u.a. Anwalt von Rudolf Hess, ist die Verbindung geschaffen vom Hitler-Faschismus über die neofaschistischen Umtriebe in den 1970er/80er Jahre und den ersten bekannten rassistischen Mord an den beiden jungen Vietnamesen bis hin zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), der ja bekanntermaßen in diesem Jahrtausend kreuz und quer durch die gesamte Republik mordete, u.a. auch in Hamburg. Insgesamt kamen seit dieser Augustnacht 1980 in der alten und neuen Bundesrepublik knapp 200 Menschen durch rassistische Anschläge oder gezielte Übergriffe ums Leben. Jedenfalls soweit bekannt – möglicherweise waren es wesentlich mehr: bundesweit sollen 746 ungeklärte Mordfälle wieder aufgerollt werden, um einen eventuellen rechtsextremen Hintergrund zu prüfen. Antifaschistische Gruppen rufen für kommenden Samstag zu einer Gedenkkundgebung auf, als ersten Schritt, einen Ort der Erinnerung an Ngoc Nguyen und Anh Lan Do zu schaffen. 
Weiterlesen

Prostitution und Abolition – (M)eine Historie und ein Standpunkt

Johannessen - Zur Prostitution gezwungen

Aksel Waldemar Johannessen [Public domain], via Wikimedia Commons

Vor einigen Jahren begann relativ unvorhergesehen meine „feministische Sozialisation“. Ich las „Mädchenmannschaft“, zahlreiche Blogs von feministischen Einzelpersonen, abonnierte die Zeitschriften „Missy Magazin“, „an.schläge“ und „Wir Frauen“, kaufte den Unrast- und den Orlanda-Verlag leer und eignete mir sukzessive Wissen an.

In meiner Familie spielten Frauenthemen und Feminismus keine oder eine untergeordnete Rolle. Ganz im Gegenteil wurde ich sehr geschlechtsspezifisch sozialisiert, meine Familie hielt trotz aller Bemühungen an alten und tradierten Rollenbildern fest und war insgesamt sehr konservativ. Wir Mädchen mussten putzen, die Jungs mussten das nicht. Uns Mädchen wurde bestenfalls ein Job in der Care-Arbeit1 zugetraut, die Jungs wurden schon früh auf Wissenschaftswettbewerben für Jugendliche und auf dem Gymnasium gesehen. Mein Großvater war strikter Gegner der gesetzlichen Änderung, dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar wurde und propagierte dies entsprechend, meine Mutter übernahm diese Haltung und negierte, dass Vergewaltigungen in der Ehe überhaupt stattfinden. Zugang zu einer akademischen Laufbahn für mich: diese Möglichkeit fand niemals Erwähnung.

Es ist wichtig für mich, diesen Hintergrund zu erwähnen, weil er deutlich macht, dass das feministische Netz und diese „jungen“ Medien mein Nährboden waren und ich als sozusagen Spät-Feministin keineswegs selbstverständlich (durch Familie/soziales Umfeld und/oder anderweitiges Empowerment) in diesen Themenkomplex reinwuchs und ganz im Gegenteil viel Auseinandersetzung und Aneignung von Wissen über feministische Bewegungen und Kämpfe nachholen musste.

Zur „EMMA“ hatte ich kein Verhältnis (erst vor einigen Wochen habe ich mir mein erstes Exemplar als eMagazin gekauft). Das liegt einerseits daran, dass die „EMMA“ und Alice Schwarzer in der feministischen Netz-Community weitgehend als „Geht-Garnicht-Feminismus“ gehandelt werden (und ich das unkritisch übernommen habe), andererseits aber auch daran, dass ich mit einem Teil ihrer Herangehensweisen an bestimmte Themenschwerpunkte nicht d’accord gehe. Es spielt in diesem Artikel keine Rolle, worum es dabei geht.

Der EMMA-Appell

Im Herbst 2013 in Deutschland veröffentlichte die feministische Zeitschrift „EMMA“ ihren Appell gegen Prostitution. Die Thematik zog zunächst weitgehend an mir vorbei, obwohl mich von da an ein permanenentes und untergründig florierendes Unwohlsein begleitete (retrospektiv betrachtet war dies der Vermutung geschuldet, in dieser Debatte irgendetwas Essentielles übersehen zu haben). Weiterlesen

Gedanken über sexuelle Belästigung, ihre Gründe und Auswirkungen – Bericht aus Dresden

No quiero tu piropo, quiero tu respeto

by Marta García Terán via Flickr, [CC BY-NC-SA 2.0]

Ein warmer Sommertag, den ich mit Feunden im Park verbrachte. Wir hätten den Sonntag bis zum Schluss genießen können, wäre da nicht ein Zwischenfall gewesen. Eine meiner Freundinnen bemerkte, während wir herumalberten, wie auf der anderen Seite der kleinen Grünfläche ein Mann immer wieder um eine junge Frau herumkreiste, die allein auf dem Gras lag und las. Schließlich stellte er sich in etwa fünf Metern Entfernung genau hinter sie auf, um sie von dort aus ausführlich zu beobachten. Als er sich dann zu ihr begab, sahen wir, dass ihr dies unangenehm war. Glücklicherweise hatte ich nur Tage zuvor den simplen, aber ungemein hilfreichen Tipp gehört, in Fällen von Belästigung einfach einmal hinzugehen und bei der Frau oder dem Mädchen vorsichtig anzufragen, ob alles in Ordnung ist. Der jeweilige Typ merkt so, dass sein Verhalten eben nicht ok ist, während sie sich nicht allein und der Situation ausgeliefert fühlt.

Weiterlesen

Wenn man anfängt, bisherige externe männlicher Gewalt zu zählen….

Dicentra Spectabilis

By Wuzur (Own work) [GFDL or CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

In seinem Buch „The Macho Paradox“ stellt Jackson Katz eine Einführungsfrage vor, die er bei Veranstaltungen in gemischten Gruppen stellt. Er fragt zuerst Männer, was sie tun, im alltäglichen Leben, um sich vor sexueller Gewalt zu schützen. Danach stellt er diese Frage den Frauen. Wie wir uns vorstellen können, benennen Frauen unzählige mehr Sicherheitsmaßnahmen und Vorkehrungen als Männer, falls diese überhaupt etwas benennen.

Dieser Kontrast soll Männer zum Nachdenken anregen. Allerdings regte es auch mich zum Nachdenken an. Ich überlegte vor allem, inwiefern ich von Gewalt durch Männer, externe Gewalt, im Laufe meines Lebens schon betroffen war. Und ich merkte schon nach sehr kurzer Zeit, dass ich eine Liste machen musste, und das mir immer mehr und mehr einfiel.  Es waren keine hervorstechenden Einzelfälle, nein, sondern genügend für eine Liste. Es fehlen verbale Übergriffe und verbale Belästigungen; zu viele.

Weiterlesen

Herzlichen Dank, ihr Antifeministen!

Als junges Mädchen in den achtziger Jahren war Feminismus für mich ein wichtiges Thema – wie so vieles, was mich als Jugendliche zu leidenschaftlichen Diskussionen bewegt hat. Sexismus war gerade in dieser Zeit des typisch jugendlichen Auflehnens gegen jede Form von Ungerechtigkeit ein großes Reizthema neben vielen anderen, beispielsweise der Atomkraft: ich wuchs ganz in der Nähe von Wackersdorf auf, wo die WAA (Wiederaufbereitungsanlage für Brennstäbe aus Kernreaktoren) entstehen sollte.

Mit der Zeit ebbten diese Interessen ab. Das Bauvorhaben der WAA wurde eingestellt, viele andere Dinge schienen sich in die aus meiner Sicht richtige Richtung zu bewegen, und auch feministische Themen verloren für mich zunehmend an Brisanz. Gesetzgebung, öffentliche Meinung und der Konsens in meinem unmittelbaren Umfeld hinterließen den Eindruck, alles sei oder werde bald gut, und die altersbedingt typische Rebellionsphase endete irgendwann. Sexisten waren lediglich ein paar ewig Gestrige, die recht bald altersbedingt aussterben würden. So sah ich das für viele Jahre.

Weiterlesen

HAI: Human Awareness Institute-Gruppensex als Weiterentwicklung von Intimität

White shark

Terry Goss [GFDL, CC-BY-SA-3.0 or CC BY 2.5], via Wikimedia Commons

Wer hat schon vom Human Awareness Institute gehört, HAI? Wahrscheinlich fast niemand, und auch ich wäre davon verschont geblieben, wenn mich nicht ein Bekannter darauf angesprochen hätte. Er schilderte vor einigen Jahren begeistert von einer neuen Seminarreihe, die ihn sexuell weiter gebracht hätte, und insbesondere seine Frau wäre durch die Seminare viel offener geworden. Seine Frau selbst wurde von einer Arbeitskollegin auf diese Workshops angesprochen und ihr wurde empfohlen, diese doch auszuprobieren um ihre Ehe zu verbessern.

In jedem Fall wurde ich neugierig über HAI, denn meine …“hier ist was ganz faul Antenne“ war deutlich zu hören.

Schnell stellte ich fest, dass es schwierig ist, überhaupt etwas über HAI herauszufinden, was kein nebulöses Gefasel ist, und Hand und Fuß hat (und nicht Hand aufs Herz, das Motto von HAI). Auf der Seite von HAI Deutschland ist zu lesen:

Was ist HAI?

… ein Weg zu glücklicheren und befriedigenderen Beziehungen – zu uns selbst und anderen.

Weiterlesen

Rap aus Brasilien: Back to the Roots

Emicida

By Elekes Andor (Own work) [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons

Ein brasilianischer Freund, dem ich von den Irrungen und Wirrungen der Prostitutionsdebatte in Deutschland erzählte, schickte mir kurzerhand ein Video des brasilianischen Rappers Emicida zu. Die Bilder des Videos sprechen Bände, aber für die Fans künstlerischer Codes unter uns hat er es ins Englische übersetzt, siehe unten.

Wo sind sie nur, die Künstler in diesen Breiten, wo sind sie, die Rapper, die endlich aufhören, sich als Zuhälter zu präsentieren und sich an die Wurzeln des Rap erinnern? Doch seht selbst, hier der Link zum Video.

Übersetzung:

Weiterlesen

„Das virtuelle Schlachtfeld – Videospiele, Militär und Rüstungsindustrie“

Buchcover: Das virtuelle Schlachtfeld

Michael Schulze von Glaßer: Das virtuelle Schlachtfeld - Videospiele, Militär, Rüstung, PapyRossa, 2014

Die Störenfriedas kritisieren nicht nur die Gewalt im Porno, die Gewalt gegen Frauen, sondern jede Art von Gewaltverherrlichung. Gerade in Computerspielen nimmt diese zum Teil erschreckende Formen an. Militarisierung, Militainment, die Verbindung von Krieg und Unterhaltung sind inzwischen Alltag. Deshalb freuen wir uns über den Gastbeitrag von David Redlberger aus Kassel mit einer Buchrezension zu „Das virtuelle Schlachtfeld“ von Michael Schulze von Glaßer. Dieser Artikel erschien zuerst auf sozialismus.info am 01. Juli 2014.

Andere Games sind möglich

Ego-Shooter werden immer anspruchsvoller und realistischer, Kooperationen zwischen Rüstungs- und Videospielindustrie nehmen zu, genau wie bewaffnete Auseinandersetzungen und imperialistische Konflikte. Diese und weitere Verbindungen beleuchtet Michael Schulze von Glaßer in seinem neuen Buch “Das virtuelle Schlachtfeld – Videospiele, Militär und Rüstungsindustrie“.

Es gibt politische GamerInnen und gamende AktivistInnen – ich kann mich mit beiden Begriffen identifizieren. Nicht nur deshalb habe ich mich sehr gefreut, dieses Buch zu lesen, denn es stößt in ein Vakuum. Meiner Erfahrung nach neigen viele GamerInnen dazu, beim Spielen komplett abschalten zu wollen, während einige politische AktivistInnen den Sinn von Videospielen, in welchen Militarismus und Kapitalismus gutgeheißen werden, nur schwer nachvollziehen können und deshalb auf (zu weite) Distanz zur Gaming-Szene gehen. Michael Schulze von Glaßers Buch richtet sich sowohl an GamerInnen als auch an AktivistInnen und ist dementsprechend angenehm einsteigerfreundlich geschrieben.

Weiterlesen

Architekturpreis für Menschenfeindlichkeit?

anti-SDF, anti-homeless

By DC (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Die Bilder der Metallspitzen vor Häusereingängen und Supermärkten in London, die zur Vertreibung obdachlos gewordener bestimmt waren, haben diesen Monat entschiedenen Protest erregt, der Wirkung zeigte.

Dass diese Praktiken, welche in besagten Spikes nur auf die Spitze getrieben werden, seit Jahren Teil unserer Realität sind, ist den wenigsten bekannt, die sich nicht selbst einmal in dieser Situation befunden haben.

Man gebe einmal „anti-homeless“ oder „anti-SDF“ bei Google Images oder Flickr ein, um ein Gefühl für das Ausmaß jener städtebaulichen Errungenschaften zu bekommen. Weiterlesen