Alle Artikel von Manu Schon

Die Rückkehr des Feminismus: Mit Hoffnung ins Jahr 2023!

"If I had a hammer… I'd SMASH Patriarchy"

T via Flickr, [CC BY 2.0] I FOUND IT!

Der Jahreswechsel ist für mich immer ein Anlass über das Vergangene zu reflektieren und die nächste Zeit zu planen: Wie geht es mir? Was (oder wer) kann bleiben? Was (oder wer) muss gehen? Womit möchte ich in den nächsten Jahren die kostbare Lebenszeit verbringen und welche meiner unzähligen Interessen verfolgen? Welche zurückstellen?

Dabei wurde mir klar, dass mein feministisches Awakening vor genau zehn Jahren begann.
Klar: Auch vorher habe ich mich als Feministin bezeichnet und gesehen.
Klar: Auch vorher habe ich mich bereits gegen Gewalt an Frauen engagiert.

Aber vor zehn Jahren, mit dem Engagement gegen Prostitution, mit der Mitbegründung von Abolition 2014 oder dieses Blogs hat sich etwas verändert. Das Verständnis der Zusammenhänge. Das Eintauchen in feministische Schriften aus der sogenannten 1. und 2. Frauenbewegung. 

Ich war eigentlich schon immer sehr zufrieden mit meinem Leben, aber der Feminismus hat es besser gemacht. Ich habe gelernt meine sozialen Kontakte selektiver zu gestalten und toxischen Menschen keinen Platz in meinem Leben zu geben. Er hat mir beigebracht mich nur dort zu engagieren, wo man Frauen nicht als minderwertig sieht und wo mein Engagement geschätzt wird. Er hat mir auch beruflich eine Richtung gegeben. Nicht zuletzt hat er mir geholfen, meine Wut über die Verhältnisse zu kanalisieren und trotz immer neuem Mist gelassen zu bleiben.

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Privilegierte weiße Akademikerinnen!?

Pixabay- Public Domain

Ich habe bereits vor einer Weile über den Irrtum des so genannten „intersektionalen Feminismus“ geschrieben, der ein bedeutsames Konzept der Frauenbewegung (das Konzept der Mehrfachunterdrückung) so um-interpretiert, dass plötzlich Frauen, trotz ihrer untergeordneten Position in der patriarchalen Gesellschaft, trotz der hohen Gewaltbetroffenheit völlig unabhängig von sozialer Schicht, etc. als „privilegiert“ erscheinen lässt.

Ich hatte darüber geschrieben, wie das feministische Verständnis und Bewusstsein von Frauen als sozialer Klasse, die Unterdrückung qua Geschlecht erfährt – zumeist ausgeübt über den biologisch weiblichen Körper – zunehmend verloren geht

In den vergangenen zwei Jahren hat sich diese Tendenz weiter fortgesetzt. Immer häufiger begegnet mir die Aussage weiße Frauen, insbesondere weiße Akademikerinnen, seien privilegiert. Genauso, wie ja die Feministinnen der so genannten ersten Frauenbewegung ja auch „bürgerliche“ Frauen mit ganz vielen Privilegien gewesen seien. Wie geschichtsvergessen, verstießen doch viele von ihnen nicht nur gegen gängige gesellschaftliche Konventionen (unverheiratet, nicht selten in Partnerschaften mit Frauen lebend, …) Sie brachen darüber hinaus Tabus, brachten selbstbewusst Themen auf die Agenda, wie Pornographie und Prostitution, über die Frauen nicht öffentlich zu reden hatten – und schon gar nicht in Gegenwart von Männern. Dies war weder genderkonform (der Geschlechterrolle entsprechend), noch und schon gar nicht konsequenzenlos. Viele von ihnen zahlten einen sozialen Preis für ihr Engagement.

Nun jedoch zu den vermeintlich ach so privilegierten weißen Akademikerinnen heute, und nun mal persönlich:

Ja, ich bin weiß und die Migrationsbewegungen meiner Familie bewegten sich in den zurückliegenden sieben Generationen ausschließlich zwischen Deutschland und Luxemburg.

Ja, ich habe einen akademischen Abschluss.

Und damit werde ich vom „intersektionalen Feminsmus“  oberflächlich „privilegiert gelesen“. 

An meinem Abschluss nicht ablesen lässt sich jedoch die Tatsache einer doch recht einfachen sozialen Herkunft – und auch da können wir wieder viele Generationen meiner Familiengeschichte heranziehen: Bauern, Handwerker, vagabundierende und im Wald lebende Holzfäller und Holzhackerinnen, Dienstmägde, Hilfsarbeiter, … und das bis einschließlich der Generation meiner Großeltern. In der Elterngeneration: Volkschulabschluss und Mittlere Reife. Es ist allgemein bekannt, dass erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine allmähliche Bildungsexpansion einsetzte und einige den Sprung in die (heute wieder erodierende) „Mittelschicht“ schafften. Nach wie vor, bis heute, ist jedoch die soziale Herkunft der Eltern nicht unentscheidend für den eigenen Bildungserfolg, wenngleich das Bildungssystem durchlässiger geworden ist als anno dazumal.

Mein Glück war vielleicht, dass ich zum einen sehr viel Support durch das Elternhaus in schulischen Dingen bekam. Unvergessen die frustrierenden Momente, in denen ich vor Klausuren von meiner Mutter abgefragt wurde und alles was ich oben in meinem Zimmer noch gekonnt hatte, ein Stockwerk weiter unten wieder vergessen war. Lernen fiel mir immer nur dann leicht, wenn die Inhalte mich begeistern konnten. Der sanfte „Zwang“ zum Pauken leistete sicher seinen Beitrag. Ein weiterer Faktor war sicher meine generelle Wissbegierigkeit, dass ich grundsätzlich gerne in die Schule ging, viel las – und der schon immer vorhandene Biss selbst gesetzte Ziele auch mit Fleiß und Beharrlichkeit zu erreichen. 

Auch die Zeit auf dem Gymnasium war für mich nicht das reinste Zuckerschlecken. Phasenweise war Mobbing an der Tagesordnung und zu Teilen meines Jahrgangs fand ich bis zum Schluss keinen Zugang: Weder konnte (und wollte) ich mir Markenklamotten leisten, noch konnte ich bei den tollen Geschichten über den alljährlichen Skiurlaub „mithalten“. Meine Eltern sparten das ganze Jahr eisern um uns einmal im Jahr einen Familienurlaub zu ermöglichen. So konnte ich – was fantastisch ist – schon früh sehr viele Länder bereisen. Skifahren war jedoch nie drin. 

Und überhaupt: Mit 12 Jahren habe ich begonnen mein eigenes Geld zu verdienen. Erst ein Taschengeld durch Putzen bei meiner Oma, Austeilen von Werbeprospekten im Dorf (Stundenlohn etwa 1 DM), ab ca. 15 Jahren Weinlese in den Herbstferien, neben dem Abitur dann später Nachtdienste in der Erlebnisgastronomie (mit Kegelclubs und Fussballvereinen zu „all you can Drink“ – ein ganz großes Vergnügen, ihr könnt es euch vorstellen. Sexuelle Belästigungen = Tagesgeschäft). 

Auch mein Studium habe ich mir zu weiten Teilen selbst finanziert, durch Jobs in der Gastro, dann im Baumarkt und später dann im Punk-Mailorder (geilster Job!)- und mehr oder weniger noch meinen damaligen Partner mit durchgefüttert, der zwar wesentlich mehr verdiente, aber bereits am zweiten vom Monat wegen unkontrolliertem Konsumverhalten keine Kohle mehr hatte.

Ich kann mich noch sehr gut an die unzähligen Male erinnern, bei denen wir die letzte Woche des Monats vom Flaschenpfand, Nudeln mit Maggi und granuliertem Eistee gelebt/überlebt haben. Kein Wunder, dass ich die erstmögliche Gelegenheit ergriff gutes Geld zu verdienen – auf Kosten meines Diplomabschlusses, den ich eigentlich schon fast in der Tasche hatte, die Diplom-Prüfungen schon in der Regelstudienzeit absolviert und das Studium dann doch mitten in der Diplom-Arbeit abgebrochen. Den akademischen Abschluss habe ich dann tatsächlich erst einige Jahre später im zweiten Anlauf nachgeholt.

Angesichts der hohen Gewaltprävalenzen bei geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen kann ich nur sagen, dass ich weitgehend Glück gehabt habe. Und auch wenn ich vergleichsweise wenig eigene Gewaltbetroffenheit habe, spielt u.a. die transgenerationale Traumaweitergabe auch in meiner Biographie eine Rolle – und war – aus heutiger Sicht betrachtet – vielleicht völlig unbewusst ein Motor zu meinem Engagement für Frauenrechte und in meiner Arbeit gegen Gewalt gegen Mädchen und Frauen.

Nicht angepasst zu sein und die vorgesehene Geschlechterrolle zu erfüllen, sondern laut für gleiche Rechte und gegen Unterdrückung einzutreten, hat mir wie vielen anderen Feministinnen neben vielen schönen und motivierenden Erfolgen vor allem eins eingebracht: Ausgrenzung, Hatespeech und Bedrohungen. Hier hat sich realistisch betrachtet überhaupt nichts seit der ersten Welle der Frauenbewegung geändert.

Ganz zu schweigen von (meist männlichen) Narzissten, die in mir nicht selten eine Projektionsfläche für ihre  pathologischen Handlungen gefunden haben. Wie extrem belastend so ein Verhalten sein kann, habe ich erst gemerkt, als ich mich diesen toxischen Strukturen (in dem Fall: Parteienpolitik) bewusst entzogen hatte und wieder frei atmen konnte, Nächte nicht mehr von durch Panikattacken geprägten Träumen begleitet wurden. 

Ich möchte jetzt auch gar nicht davon anfangen, wie eine Gesellschaft mit einer ganz bewusst unverheirateten und kinderlosen Frau umgeht. Welche Sprüche und Abwertungen ich mir seit spätestens meinem 30ten Lebensjahr dafür regelmäßig anhören muss, statt einfach anzuerkennen, dass das mein frei gewählter Lebensstil ist. Und wie oft ich schräg dafür angesehen werde, weil ja schließlich irgendetwas mit mir nicht stimmen muss und „irgendwann merkst du, was du im Leben verpasst hast, spätestens wenn die biologische Uhr abgelaufen ist“. – Ähm … NEIN!

Und jetzt habe ich noch gar nicht über meine Kindheit als „Tomboy“ gesprochen und das ständige Gefühl „The Odd One Out“ und durch Beschäftigung mit vermeintlichem „Jungskram“ irgendwie ein „Freak“ zu sein.

Es ist schlicht nicht zu verleugnen, dass fast alle negativen Erfahrungen, die ich in meinem Leben machen musste, auf mein (biologisches) Geschlecht und Geschlechterrollenerwartungen zurückzuführen sind. 

All das zählt jedoch für den „intersektionalen Feminismus“ nicht. Weiß, Akademikerin, Stempel drauf, fertig. 

Nicht, dass das hier falsch verstanden wird: Ich hadere mit nichts und bin glücklich über mein Leben und meinen Lebensweg, die wertvollen Erfahrungen die ich sammeln konnte – selbst dann wenn sie negativ waren. So abgedroschen es klingt: Alles davon hat mir geholfen zu der Person zu werden, die ich heute bin. 

Aber was ich mir verbitte, ist die Unterstellung eines vermeintlichen Privilegs.

Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen der (völlig korrekten) Aussage „Es gibt Frauen, die sind nicht nur als Frau, sondern mehrfach unterdrückt“ und der (schlicht falschen) Aussage, es gäbe privilegierte Frauen im Patriarchat. Einer Gesellschaft, die Männern grundsätzlich mehr Wert zumisst als Frauen. 

Hört endlich auf mit Cancel Culture – Ein Plädoyer für mehr Streitkultur

granddaughters of the witches

Phil Roeder from Des Moines, IA, USA, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Schon lange juckt es mir in den Fingern über das Thema der mangelnden Streitkultur und der offensichtlichen Unfähigkeit zur kontroversen Debatte zu schreiben. Lange bereits treibt mich um, dass immer mehr meiner Mitaktivistinnen wegen angeblich menschenverachtender Positionen aus öffentlichen Debatten gekickt werden (De-Platforming) oder sogar in ihrer Existenz angegriffen werden und ihre Jobs verlieren. Während anfangs nur Graswurzel-Feministinnen betroffen waren, trifft es zunehmend auch immer mehr Journalistinnen, Autorinnen, (zu J.K. Rowling siehe auch) und Professorinnen.

Als die Twitter-Blockade von Donald Trump in meiner Blase gefeiert wurde, konnte ich mich trotz aller berechtigter Kritik an ihm, seinen (wirklich zum Teil menschenverachtenden) Positionen, seiner Politik und autoritären Amtsausübung nicht darüber freuen: Zu sehr spitzt sich aktuell die Situation in Bezug auf die freie Meinungsäußerung zu – und das in erster Linie gegen verdiente Feministinnen und Wissenschaftlerinnen mit hoher Expertise.

Ereignisse der letzten Woche veranlassen mich nun zu diesem Plädoyer. Ich will es verstanden wissen als Appell endlich mehr miteinander zu sprechen und respektvoller miteinander umzugehen. Und damit fordere ich eines ganz sicher nicht ein: Kritiklosigkeit, Wattebäusche und Friede, Freude, Eierkuchen. Lasst uns gerne miteinander hart in der Sache ins Gericht gehen – aber lasst uns doch bitte auch versuchen die jeweils anderen Positionen und Standpunkte zu verstehen und dem Gegenüber nicht immer nur das Schlimmste zu unterstellen.

Was ich damit ausdrücklich nicht in Frage stellen will: Im persönlichen Umfeld soll natürlich jede und jeder selbst ganz frei entscheiden können, mit wem er/sie sich umgeben will und mit wem nicht. Bei mir selber stelle ich schon seit längerer Zeit eine interessante Tendenz fest: Zunehmende Toleranz für andere Meinungen – was nicht heißt, dass ich meine eigene weniger leidenschaftlich vertrete – aber gleichzeitig auch zunehmende Exklusivität bei meinen persönlichen Kontakten.

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Radikal- vs. Liberal-/Queerfeminismus, oder: Wer exkludiert hier eigentlich wen?

Bild einer Katze

CCO Public Domain, Pixabay

Weil mein auf Facebook gepostetes Fazit zu einer aktuellen Auseinandersetzung sehr lang geworden ist, veröffentliche es nachfolgend der besseren Lesbarkeit wegen an dieser Stelle. Anlass siehe Link – mein Text hier

Achtung es folgt eine Texttapete…  (bereits sorry dafür)

Ich will gar nicht mehr so viel meiner kostbaren Zeit auf diese Diskussion verschwenden, denn diese Art von Auseinandersetzung bringt am Ende keinem was – und am wenigsten noch kommen wir irgendeinem feministischen Ziel damit auch nur einen mm näher. Ich möchte dennoch (hoffentlich für mich abschließend) ein Fazit daraus ziehen (das die „Gegenseite“ sicher nicht teilt, aber das muss sie ja auch nicht)

Erst nochmal ein paar Bemerkungen zum Inhalt (politisch), und zwar ein paar Dinge, die durchaus nochmal gerade zu rücken sind.

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Rache am Patriarchat? Oder doch nur ein leises Rauschen im Blätterwald?

Manche Dinge lassen eine einfach immer wieder ratlos zurück. Aktuell geht es mir so mit einem Protest gegen den ungeheuerlichen Vorgang eines linken Festival-Mitveranstalters, der über Jahre hinweg weibliche Festivalbesucherinnen auf der Toilette und unter die Dusche heimlich gefilmt und diese Videos auf einer Porno-Plattform, XHamster, hochgeladen hat. Der Schock bei vielen jungen Frauen, die auf der Fusion oder Monis Rache waren, sitzt zu Recht tief: „Sind auch Videos von mir online, ohne dass ich etwas darüber weiß?“, „Wie finde ich raus ob ich betroffen und damit Opfer sexueller Gewalt geworden bin?“

Dass sich also Protest regt ist völlig nachvollziehbar. Über das WIE  kann man sich offenbar aber wie immer streiten. Zum einen ist da der Demo-Aufruf selbst, der vor Inkonsistenzen nur so strotzt. Das Demo-Motto lässt das bereits erahnen, lautet es doch: Rache am Patriarchat! My body is not your porn. Still <3ing my Choice“. Der erste Teil klingt radikal und scheint sich gegen die patriachalen Strukturen zu wenden, die Frauen sexualisieren und objektifizieren. Der zweite Teil lässt allerdings bereits erahnen, dass das große aber noch folgen wird. Und die Vorahnung bestätigt sich auch im folgenden Text. Dort heißt es:

Wir werden uns nicht aus öffentlichen Räumen zurückziehen, sondern wir wollen, dass sie sich verändern, damit wir uns wohl fühlen können. Alle Menschen sollen selbst bestimmen, ob und mit wem sie Sex haben möchten. Alle Menschen sollen selber bestimmen können, ob sie mit dem eigenen Körper oder erotischen Dienstleistungen Geld verdienen wollen. Kein Mensch soll sexualisierte Gewalt erleben.“

Dass die Pornokultur AN SICH bereits Grund dafür ist, dass ALLE Frauen ständig und immer wieder im privaten und öffentlichen Raum objektifiziert werden und sexuelle Gewalt erleben, scheint bei den Initatorinnen nicht angekommen zu sein. Studien zeigen eindeutig, welchen negativen Einfluss Pornokonsum auf das Verständnis von sexueller Gewalt auf Männer UND Frauen hat. Das zum einen. Feministische Analyse, nach der Pornographie gefilmte Prostitution ist, die Frauen zu Objekten degradiert (siehe zum Beispiel von Andrea Dworkin): Fehlanzeige. Und dann auch noch das Unvermeidliche: Sexuelle Übergriffigkeit von Freiern gegenüber prostituierten Frauen, wird mal wieder nicht als solche erkannt: Dass es per definitionem sexuelle Gewalt IST, wenn sich ein Freier Zugang zum Körper einer Frau erkauft, die ohne materielle oder andere Entschädigung, diesen an ihr oder ihn ihr durchgeführten sexuellen Handlungen nicht zugestimmt hätte, wird nicht erkannt. Eine Erwähnung empirischer Erkenntnisse, dass das „wollen“ der Ausübung „erotischer Dienstleistungen“ mit statistisch relevanten Zusammenhängen auf erlebten Grenzverletzungen beruht oder aufgrund finanzieller oder anderer Zwänge erfolgt: Findet nicht statt.

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„No Man`s Land“ – Interview mit Frank Turner

Das hier wird ein für mich besonderer Post. Zum einen weil ich zum ersten Mal ein Interview im Rahmen meines Musikjournalismus geführt habe, welches von vornherein auch einen feministischen Anspruch hatte und zum Crossposten hier vorgesehen war. Zum anderen weil mir die Kontroversität durchaus bewusst ist, einem Mann, in dem Fall einem männlichen Musiker Raum auf einem feministischen Blog einzuräumen. Das insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Reaktionen auf Frank Turners achtes Studioalbum von überschwänglicher Begeisterung bis zum „Mansplaining“-Vorwurf reichen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass das Interview eigentlich erst dadurch zustande gekommen ist, dass ich Frank im August des vergangenen Jahres eine Mail schrieb, die nicht nur Lob, sondern auch Kritik enthielt (auf die er im Übrigen sehr positiv, man könnte auch sagen dankbar reagierte). Vielleicht wird es also für diesen Beitrag Kritik hageln, vielleicht aber auch nicht….

Tatsächlich war das Album ursprünglich gar nicht als Album über Frauen geplant, sondern hat sich mehr oder weniger als solches ergeben. Die entsprechenden, bereits erwähnten Reaktionen, ließen auch nicht lange auf sich warten

„Am Anfang hab ich mich gar nicht hingesetzt um Sachen speziell über Frauen zu schreiben. Eigentlich war es vielmehr so, dass ich als Songwriter normalerweise autobiographisch schreibe und ich einigermaßen gelangweilt davon war. Oder zumindest hatte ich da keine Songs mehr in Petto. Ich hielt es für eine interessante Technik mal aus der Perspektive anderer zu schreiben. Ich liebe Geschichte und unterhalte mich gerne darüber. In der Folk-Musik gibt es viel großartige Geschichte, also hab ich versucht ein paar solcher Songs zu schreiben. Nach vier oder fünf Songs stellte ich fest, dass sie alle von Frauen handelten, das war eine Art „Aha“-Moment. Es liegt offenkundig ein politischer Anspruch in der Idee, zu versuchen Geschichten zu erzählen, die noch nicht ausreichend erzählt worden sind und ich dachte mir „Ok, ich verstehe“. […] Es gab Leute, die haben mir das Album übel genommen, und ich hab gesagt „Pass auf, ich bin gut darin Alben zu schreiben. Ich könnte über meinen eigenen persönlichen Bullshit schreiben oder über Männer in der Geschichte, wenn euch das lieber ist…“.

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Das Missverständnis um die Intersektionalität – und die Konsequenzen daraus

Seit geraumer Zeit stellen wir immer wieder fest, dass das wichtige Konzept der Intersektionalität im Queer-/Liberalfeminismus in einer Art und Weise gebraucht wird, welches es in seinem ursprünglichen Sinn und Intention unbrauchbar macht. Wie so viele feministische Konzepte im Laufe der Zeit „geschrottet“ wurden, so erging es auch diesem.  

Ich konnte bisher nie so ganz greifen, was genau da schief gelaufen ist. Bis zu dieser Woche, bei einer Veranstaltung an der Uni Mainz mit der Taz- und Missy Magazin-Autorin Hengameh Yaghoobifarah. Bisher dachte ich nämlich immer, der Fehler in der Rezeption bestünde ausschließlich darin, dass Mehrfachdiskriminierungen von der Kategorie Geschlecht (im Sinne von „sex“, nicht „gender“) abgetrennt und munter aufaddiert würden. Tatsächlich habe ich jetzt verstanden, dass der Dritte Welle Feminismus einem grundlegenden Missverständnis aufgesessen ist, welches mir nun auch einige irritierende politische Aktionen aus diesen Reihen der letzten Jahre erklärt.  Aber dazu am Ende mehr.

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#IranProtests: Es geht um alles oder nichts

Manchmal ist das Leben geprägt von merkwürdigen Zufällen. Erst vor knapp zwei Wochen habe ich auf der Plattform eines großen internationalen Buchhandels eine Rezension zu „Islamists Ruined My Iran: The Second Coming“, einem Buch eines jungen, talentierten Autors über die Situation im Iran veröffentlicht, und nur wenige Tage später erlebt das Land Aufstände gegen das Regime, die von ExpertInnen bereits als die größten seit ca. 40 Jahren beschrieben werden.

Seit fünf Tagen ist der Aufstand im vollen Gange, seit mehr als vier Tagen haben Auslands-IranerInnen bedingt durch die Abschaltung des Internets durch das Mullah-Regime, nun bereits keinen Kontakt zu ihren Angehörigen. Nur ca. 5% der Tweets zu den Protesten kommen aus dem Iran selbst, hauptsächlich von Regime-Vertrauten und Funktionären – für die Handvoll anderer Tweets mussten Aktivistinnen mit komplizierten Proxy-Server-Umwegen agieren.

Währenddessen wurden bereits Tausende verhaftet, die Zahl der Todesopfer hat die 200er Marke überschritten. Im „Westen“ wird der Protest verkürzt auf einen Konflikt um eine „Erhöhung der Benzinpreise“, für die die US-Sanktionen gegen das Land verantwortlich seien. Die schiere Verzweiflung (und Wut) ist bei Twitter unten den Hashtags #IranProtests und #Internet4Iran zu spüren: Warum kommt dem Aufbegehren gegen die nunmehr vier Jahrzehnte währende fundamentalistische Herrschaft keine internationale Aufmerksamkeit zu? Und warum ist es so schlecht bestellt um die Solidarität der „freien und demokratischen Welt“?

Das eingangs erwähnte Buch, oder wie der Autor es selbst nennt „Manifest“, zeichnet sich meines Erachtens dadurch aus, dass es zum einen auf knapp 79 Seiten einen sehr kompakten aber sehr umfangreichen Überblick über die Geschichte des Landes und die ökonomischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Auswirkungen der „Islamischen Revolution“ von 1979 liefert. Zum anderen gelingt es ihm zwischen struktureller und individueller Ebene zu trennen. Trotz der Schilderung der Ernsthaftigkeit der Lage des Landes, die bereits vor dem 14. November als höchstkritisch zu bewerten war, wird vor allem auch die Verbundenheit zum Land und seinen Menschen und die Hoffnung auf eine Veränderung spürbar. Und, wie er angesichts der neuen Situation konstatiert wird sich in den aktuellen Protesten zeigen, ob diese Veränderung nun eintritt, oder – wenn der Versuch der Befreiung fehlschlägt – die gewaltvolle Reaktion des Regimes jeden Hoffnungsschimmer völlig zunichte macht. Es geht um alles oder nichts.

Wenn es jedoch nicht, wie allenthalben suggeriert, um steigende Benzinpreise geht, um was dann? Zum einen um die Tatsache, dass  das Land, welches einst für Modernisierung stand und für seine Dichtkunst von Autoren wie Hafez oder Rumi bekannt war, von einer „stabilen und prosperierenden Nation“, in eine ernsthafte Wirtschaftsrezession manövriert wurde, die Millionen von Iranerinnen und Iranern in die Armut getrieben hat: Steigende Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Inflation sind nur ein paar wenige Stichpunkte. Zum anderen geht das autoritäre Regime unerbittlich mit seinen KritikerInnen um: Inhaftierungen und Exekutionen sind an der Tagesordnung, freie Meinungsäußerung undenkbar. Die Abwendung von der Religion steht unter Todesstrafe, Händchenhalten eines unverheirateten Paares in der Öffentlichkeit führt mitunter zu stundenlangen Arrestierungen. Ethnische und religiöse Minderheiten werden diskriminiert und verfolgt.

Was bedeutet all dies konkret für das Leben von Frauen im Iran?

  • Insbesondere in der ölreichen, aber dennoch von niedriger Beschäftigung und schlechter Luftqualität geprägten Khuzestan-Provinz und in den westlichen Städten des Irans, sehen sich junge Frauen zur Prostitution aus ökonomischer Not gezwungen. Auch Anzeigen für Organverkäufe sind an der Tagesordnung, die Straßen Teherans von Obdachlosigkeit geprägt.
  • Das Tragen des Hijab ist verpflichtend. Die Initiative „My Stealthy Freedom“, im Jahr 2014 initiiert durch die Aktivistin und Exil-Iranerin Masih Alinejad, zeigt Fotos von mutigen Frauen im Iran, die trotz aller Repression ihre Verschleierung ablegen.  Yasaman Aryani , Monireh Arabshahi und Mojgan Keshavarz zeigten sich am diesjährigen Internationalen Frauentag ohne Hijab und wurden wegen Verstoß gegen das Verschleierungsgesetzes und damit der „Anstiftung und Begünstigung von Verdorbenheit und Prostitution“ zu Haftstrafen von zusammen 55 Jahren verurteilt.
  • Fussballfan Sahar Khodayari , auch bekannt als „Das blaue Mädchen“ schlich sich, wie viele andere Frauen als Mann verkleidet in die iranischen Fussballstadien, und wurde für diese „sündhafte Tat“ verhaftet und zu einer Haftstrafe verurteilt. Nach der Anhörung übergoss sie sich vor dem Gerichtsgebäude mit Benzin und zündete sich an. Sie starb eine Woche später im Krankenhaus. Erst im Oktober diesen Jahres durften Frauen erstmalig nach 40 Jahren wieder offiziell ein Fussballstadion betreten
  • Frauen wie die Rechtsanwältin Nasrin Sotudeh, die sich für die Rechte von Frauen und politisch Verfolgten stark machen, werden wegen „Propaganda gegen den Staat“ inhaftiert und mit Peitschenhieben bestraft. Sie sitzt derzeit im Evin-Gefängnis in Teheran eine Haftstrafe von 33 Jahren ab
  • Die 17-Jährige Nazanin Fatehi erstach im Jahr 2004 in Notwehr einen der drei Männer, die sie und ihre 15-Jährige Nichte vergewaltigen uns wurde hierfür 2006 zum Tod durch Erhängen verurteilt. Erst nach internationalem Protest, inklusive der UN, konnte 2007 ihre Freilassung gegen Zahlung eines „Blutgeldes“ erwirkt werden
  • Homosexuelle Handlungen werden im Iran bestraft– bei Männern sofort mit der Todesstrafe, bei Frauen zunächst mit 100 Peitschenhieben und bei der vierten Wiederholung ebenfalls mit der Todesstrafe. (siehe auch)
  • … Die Liste könnte wohl  endlos weitergeführt werden

Die aktuellen Proteste sind deshalb kaum überraschend geprägt von Rufen nach dem Sturz des „islamistischen Regimes“ und der Beendigung der fundamentalistischen Herrschaft.

Unter den Todesopfern sind auch Frauen. Die wenigen verfügbaren Videoaufnahmen zeigen uns, dass Frauen bei den Protesten aktiv mitmischen: So sehen wir eine Frau, die ein antiamerikanisches Banner vom Mast reißt mit den Worten „Unser Feind sind nicht die USA, unser Feind derzeit ist das Iranische Regime“. Oder eine Frau, die sich ihren verpflichtenden Hijab auf einer Brücke unter Applaus der Umstehenden vom Kopf reißt und ruft „Wir leiden seit nunmehr 40 Jahren“. Die Iranische Autorin Roya Hakakian schreibt auf Twitter „So sieht #MeToo im Iran aus: Frauen, die seit 40 Jahren unter der Geschlechter-Apartheid leiden, sind führend bei den #IranProtests“

Was erwarten die Menschen aus dem Iran nun von uns und der internationalen Community? Vor allem internationalen Druck auf das fundamentalistische Regime den Zugang zum Internet im Land wieder für alle herzustellen. Da die Menschen vor Ort derzeit keine Stimme haben, ist es essentiell, dass wir nicht wegschauen, sondern unsere Stimmen erheben. Das Regime muss nun endlich, nach 40 Jahren Tyrannei gegen seine Bevölkerung zur Rechenschaft gezogen werden. 

Feministische Praxis nicht nur für die, die wir mögen

Zugegeben: Als ich die Schlagzeile las, dass die Betreiberin einer Escort-Agentur und „Sexarbeiterin“ Salome Balthus von der Zeitung die Welt in der sie seit einigen Monaten eine Kolumne unter dem Titel „Das Kanarienvögelchen“ schrieb, gefeuert wurde, dachte ich mir „Das wurde aber auch Zeit“. War es mir doch völlig schleierhaft, warum sie diese Möglichkeit überhaupt erst bekommen hatte. Ob einer die Inhalte oder der Schreibstil einer anderen Person gefallen oder nicht, ist ja eher subjektiv und Geschmackssache.

Politisch jedoch hatte ich in mehrfacher Hinsicht ein Problem mit dem Podium, welches ihr dort geboten wurde: Zum einen halte ich es nach wie vor für unerträglich, wie viel Raum Mainstream-Medien jenen Menschen einräumen, die sich für die Erhaltung einer der patriachalsten und frauenfeindlichsten Institutionen unserer Gesellschaft, der Prostitution, stark machen – ohne gleichermaßen auch jenen Frauen in und außerhalb der Prostitution diesen Raum zuzugestehen, die Prostitution als kommerzialisierte sexuelle Gewalt empfinden und für eine Welt ohne Prostitution und Frauenverachtung kämpfen. Dem Netzwerk Ella beispielsweise kommt dieses Privileg nicht zu. Dies ist jedoch den jeweiligen Medien und einer Gesellschaft anzulasten, die natürlich lieber jenen ein Sprachrohr verleiht, welche die gegebenen Machthierarchien stärken – und eben nicht jenen, die diese in Frage stellen.

Unklar ist, ob Balthus an der Prostitution der auf ihrer Agentur-Seite angebotenen Frauen verdient. Ist dem so, dann wäre dies in meinen Augen moralisch verwerflich und nach dem von mir und uns vertretenen Nordischen Modell kriminell und strafbar. Dass sie sich, ihre Agentur und ihre „Hetären“-Kolleginen angesichts des Bewerbungsfragebogens auf der Seite offensichtlich für besonders elitär und intellektuell hält: geschenkt.

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Im Stuhlkreis mit linken Männern

Björn Láczay, auf Flickr (https://www.flickr.com/photos/dustpuppy)

Es wird ja gesagt, dass unser Gehirn emotionale Erfahrungen im Traum verarbeitet: Der Traum als „Reise ins Unterbewusstsein“ oder „Telefonleitung zur Seele“.

Gestern hab ich mal wieder geträumt: Ich saß in einem (sehr großen) Stuhlkreis mit Männern. Linken Männern. Es ging darum, dass ich mich mal wieder, wie früher, außerhalb meiner feministischen Kreise engagieren wollte, aber klarstellte, dass es für mich hierzu notwendigerweise einen gewissen Grundkonsens zu bestimmten Sachen geben müsse. Zum Beispiel, dass Rassismus immer ein „No Go“ ist, auch dann, wenn dahinter eine milliardenschwere Sexindustrie steht.

Das Ende vom Lied: In meinem Traum wurden mir alle Relativierungen von Rassismus gegen Frauen und  Klassismus betreffend Frauen entgegen geschleudert, die allen linken Frauen, dich sie mit diesen Themen befassen, allerbestens bekannt sein dürften. Es war wie ein Gewitter, das auf mich einprasselte und schlussendlich wachte ich schweißgebadet – und völlig gerädert – auf.

Dieser Traum ist offensichtlich Ausdruck einer in mir wachsenden Ratlosigkeit und Ohnmacht. Ich habe mich mehr als 15 Jahre in linken Strukturen engagiert, an vorderster Front gegen Nazis mobil gemacht, Demos angemeldet und für das Einstehen gegen Rechts Drohbriefe erhalten. In meinem Freundeskreis, auch dem engeren, gibt es weniger „Biodeutsche“ (schreckliches Wort) als Menschen, in deren Familie es eine Migrationsgeschichte in der ersten, zweiten oder dritten Generation gibt.  Ich lebe gerne – SEHR GERNE – in meinem Viertel, in dem Menschen mit rund 160 verschiedenen Nationalitäten zuhause sind und wenn ich mit irgendetwas Hilfe brauche, dann stehen sehr viele davon parat (und umgekehrt).

Macht mich also der zunehmende Rassismus in unserer Gesellschaft betroffen?  Ja natürlich. Ich könnte täglich kotzen, wenn ich sehe, wie meine FreundInnen tagtäglich von Behörden behandelt werden, wenn ich (nicht nur deutsche) NachbarInnen höre, die über die „Zigeuner“ weiter oben oder unten in der Straße herziehen oder Typen zuhören muss, die ihren Arsch nicht hochkriegen um ihr eigenes Leben in den Griff zu bekommen und stattdessen Geflüchtete für ihr Elend verantwortlich machen. Weil’s halt so schön einfach ist.

Früher dachte ich immer, dass ich mich als „westliche“ Frau im 21. Jahrhundert glücklich schätzen darf. Ich bin behütet und (relativ) unbeschwert in einem kleinen Dorf in der Eifel aufgewachsen, wurde in allem unterstützt, was ich erreichen wollte und war in dem, was ich tat, erfolgreich. Ich hielt mich immer für weitgehend gleichberechtigt und wie es dem weiblichen Rollenideal entspricht, nahm ich mein gefühltes Privileg wahr, um anderen, weniger privilegierten Menschen (meint vor allem Männern) zu helfen. Gegen soziale Not, gegen Rassismus und Abschiebung, gegen Behördenwillkür.

Passiert ist in all den Jahren Aktivismus in linken Strukturen vor allem eins: Ich habe Sexismus kennengelernt – und zwar nicht zu knapp. Ich habe erlebt, wie Männer sich einen antisexistischen Anstrich geben, sich vielleicht sogar Feministen nennen und genau das Gegenteil von dem verkörpern, was sie vorgeben zu sein. Ich habe erlebt, wie ich für das Eintreten für Frauenrechte fallengelassen, verdeckt oder offen bekämpft oder als hysterische Kuh schlicht abgehakt wurde.

Das war schmerzhaft, das war frustrierend und vor allem hat es mir in weiten Teilen meine politische Heimat und damit auch ein Stück Halt genommen. Inzwischen kann ich sagen, dass mich die Ignoranz, mit der mir frühere Wegbegleiter begegnen und ihre subtile Misogynie mehr schmerzen als ein offen zur Schau getragener Machismo, dem frau wenigstens offen die Stirn bieten kann.

Gerade erst schrieb der von mir wirklich sehr geschätzte Rolf Löchel (ein Mann mit echter Ahnung zur Geschichte der Frauenbewegung und dem Feminismus) in seiner weitgehend sehr positiven Störenfrieda-Buch-Kritik:

„Weiter meint Sigel, der „deutsche Frauenhass“ sei „ein anderer als der in muslimischen Ländern“, nämlich „intellektuell verbrämter, subtiler“ und „gerade deshalb so schwer zu greifen“. Dies klingt ganz so, als sei er darum im Grunde gefährlicher. Schließlich erklärt sie kurzerhand: „Freiheit gibt es nicht, weder unter der Religion, noch im Neoliberalismus“, denn mit dem „muslimischen“ und dem „westlichen Patriarchat“ […] stehen sich zwei zutiefst männerdominierte und patriarchalische Gesellschaften gegenüber […] und keine von ihnen ist besser“. Letzteres in einem radikalfeministischen Buch lesen zu müssen, macht sprachlos. Denn fraglos sind die bis hin zu Verurteilungen von Vergewaltigungsopfern als Ehebrecherinnen, Auspeitschungen, Ehrenmorden und öffentlichen Hinrichtungen reichenden Praktiken der einen weit schlimmer als die übelsten der anderen. Doch ähnlich wie Sigel erklärt auch Schon, Feministinnen liefen „in eine Falle“, wenn sie, „die Lage der Frau in der ‚westlichen‘ (zivilisierten) Welt im Vergleich zu anderen (barbarischen, im Mittelalter feststeckenden) Kulturen als ‚freier‘ und Fortschritt hierarchisieren“. Man muss ja nicht von Fortschritt reden. Wie viele ‚westliche‘ Frauen, zumal Feministinnen würden es aber nicht vorziehen, in einer liberalen, demokratischen Gesellschaft etwa Europas zu leben als in einem muslimisch geprägten Land?“

Die Botschaft dieser „sprachlos machenden“ Message ist eindeutig:  Freut euch doch einfach als „westliche“ Frauen „sanfteren“ (??) Formen von männlicher Gewalt gegen Frauen ausgesetzt zu sein – mal ganz davon abgesehen welches schwarz-weiß Bild von Teilen der Welt in dieser Aussage reproduziert wird… Es ist ein Argument, das uns immer wieder in verschiedenen Formen begegnet, sicherlich nicht von Rolf Löchel, aber sonst: Was wollt ihr denn, hier hat der Feminismus doch gar keine Berechtigung mehr, aber doooort, hinter den sieben Bergen, bei den sieben Muslimen …!

Worauf ich hinaus will: Ja, ich persönlich halte den intellektuell verbrämten und subtilen und schwer zu greifenden Sexismus tatsächlich für gefährlich. Nämlich genau deshalb, weil er Otto (und Ottilie) NormalbürgerIn noch nicht einmal auffällt. Weil diejenigen, die unsere politischen Verbündeten sein wollen (und sollten), uns in jedem unerwarteten Moment das Messer in den Rücken rammen und uns mit unserer Lebensrealität im Stich lassen können, ohne dass es überhaupt jemand als problematisch erachtet. Sie setzen halt andere Prioritäten, ihr Tag hat auch nur 24 Stunden und es gibt ja abgehängtere Menschen (meint: Männer), für die es sich ihrer Meinung nach vorzugsweise einzusetzen gilt.

Und das ganz perfide dabei: Alles, was wir tun um Frauen vom Joch des Patriarchats zu befreien, wird von ihnen auch noch als rassistisch gebrandmarkt:

Prostitution abschaffen: Rassistisch! Neokonservativ! Wie bei den Nazis! (was für eine Offenbarung eines miesen Geschichtsbewusstseins…)

Problematisierung von männlicher Gewalt gegen (geflüchtete und nicht geflüchtete) Frauen, die von geflüchteten (Männern) ausgeht: Rassistisch!

Problematisierung eines Kopftuchzwangs: Rassistisch!

Hinweis darauf, wie die Genderidentitätstheorie sexistische Geschlechterstereotype reproduziert und welche negativen Effekte für Frauen damit einhergehen: Rechts!

Problematisierung von Unterrichtsmaterial, welches vorsieht, dass Jugendliche sich gegenseitig betatschen, erzählen sollen wann sie „das erste Mal Analsex hatten“ und ein Bordell nach den eigenen Vorstellungen planen sollen: Rechts!

usw usw.

Hätte ich nicht irgendwann die Werke Andrea Dworkins entdeckt, dann wäre ich vermutlich verloren gewesen – ich reihe mich ein in die Menge jener Radical Feminists, die sagen „Andrea Dworkin hat mein Leben gerettet“.  Essays wie „Rechter und Linker Frauenhass“ waren für mich eine Offenbarung, haben sie mir doch gezeigt, dass ich mit meiner subjektiven Wahrnehmung nicht alleine dastehe und dass das, was linke Frauen heute in Deutschland erleben, weder singulär noch zufällig ist.

„Der Frauenhass in der Pornographie interessiert keine der beiden Seiten. Der Frauenhass beleidigt … weder die Linken, noch die Rechten. … Die kommen damit klar. Beide Seiten. …“

Und damit kommen wir zum aktuellsten Beispiel:

Während die Rechten auf der einen Seite versuchen, Gewalt gegen Frauen zu instrumentalisieren um rassistische Ressentiments in der Gesellschaft anzufeuern, versichern die Linken im Netz, auf Anti-AfD-Demos, … sich unentwegt, dass sie für Frauenrechte einstehen. Inhaltlich substantiell kommt dabei rein gar nichts rum, aber hauptsache wir haben es mal erwähnt.  Die Gewalt der „anderen“ wird relativiert mit der Gewalt der „eigenen“.  Es werden Statistiken bemüht, dass die meiste Gewalt in den eigenen vier Wänden stattfindet und nicht durch den „Fremden“ im Gebüsch – Etwas dagegen tun, dass Frauen in den eigenen vier Wänden Gewalt erfahren wollen sie jedoch nicht. DAS nenne ich eine doppelseitige Instrumentalisierung von Frauenrechten.

Nach dem Mord an Susanna F. in Wiesbaden Erbenheim und der mantrahaften Betonung von Frauenrechten habe ich versucht, das beim Wort zu nehmen. Unter anderem habe ich gefragt, wer bereit sei etwas gegen das sexistische Programm der diesjährigen Wiesbadener Biennale inklusive Pornokino, Porn-Performance und Prostitutionsbagatellisierung (Pretty Woman im Autokino etc.) zu unternehmen. Nicht verwunderlich war die zugesagte Unterstützung gleich NULL.

Während sich nun angesichts der beunruhigenden Ereignisse in Chemnitz alle wieder überschlagen mit Aktivitäten und u.a. ein Konzert promoten, auf dem u.a. die sexistischen Arschgeigen von K.I.Z. („[Deine Mutter] wird immer dicker, die Drecksschlampe würde ich nicht von der Bettkante stoßen können. Ich bringe den Müll runter im Leichensack, es wird ein Hurensohn. Baby treib ihn ab!“) („Ich bin wie Adam: ein Feigenblatt verdeckt mein Gemächt. Ich komme angeflogen, hacke in dein Loch wie ein Specht”) und Kraftklub („Du verdammte Hure, das ist dein Lied“) ohne irgendeinen wahrnehmbaren Protest auftreten dürfen, bleiben sexistisch-rassistische Ausfälle hier vor Ort mal wieder unbeachtet. Aber klar:  Da die „Künstler“ ja links sind und das, was sie singen, ja alles nur Satire ist, ist das ja maximal für dumme hysterische Kühe wie mich ein Problem. Unter dem Deckmantel der Kunst und Satire ist schließlich alles erlaubt. „Sei halt nicht so verkrampft“.

Deshalb dürfen die Künstler der „Frankfurter Hauptschule“ (juchhu, Klassismus) bei der Biennale (1) dann auch ohne großen Aufschrei eine „Kunstaktion“ unter dem Motto „Der große Austausch“  durchführen und zur Produktion von „interracial porn“ aufrufen. Als „künstlerisches Statement gegen Fremdenhass“ fordern die „Künstler“ „dazu auf, Fotos unter dem Hastag #dergrosseaustausch! in sozialen Netzwerken zu posten, wo Menschen verschiedener Herkunft beim „Knutschen und Fummeln“ zu sehen sind.“. „Die „Frankfurter Hauptschule“ [will außerdem] das Thema Speeddating umdrehen und dort [auf dem Faulbrunnenplatz] einen Interracial Gay Porn mit dem Titel „Der große Austausch“ drehen. […] Der fertige Pornofilm soll dann am Samstag um 21:30 Uhr in dem Container gezeigt werden.“

Mal unabhängig davon, dass das Ziel der Biennale unter dem diesjährigen Motto „Bad News“ offenbar Provokation ist und es fraglich ist, ob Porno in unserer pornifizierten Gesellschaft überhaupt noch Provokation darstellt (außer unter dummen hysterischen Radikafeministinnen natürlich): Wie ignorant kann man denn bitte sein, unter dem Label „Interracial Porn“ ein Zeichen gegen Fremdenhass setzen zu wollen?  Die „interracial porn“ Seite „Latina Abuse“ („Missbrauch von Latinas“) gehört zu den Beliebtesten unter den Pornonutzern, die Soziologin Gail Dines hat in ihrer Arbeit, unter anderem veröffentlicht in ihrem Buch „Pornland“ den unwidersprochenen Rassismus der Pornobranche aufgezeigt, der eigene Erzählungen von der unterwürfigen, “engen” asiatischen Frau und dem angeblich sexuell überaktiven schwarzen Mann wieder und wieder reproduziert. Von Seiten wie „cruel and callous: gypsy porn“ (grausam und gleichgültig: Zigeunerporno) und den dazugehörigen Bildern ganz abgesehen. “Interracial” bedeutet eine zusätzliche, weil rassistische Erniedrigung der Darstellerinnen.

Auf dem Rücken von Frauen werden so wieder einmal Millionen Profite gescheffelt.

Dines kommt zu dem Schluss:

„Die Abwesenheit von Kritik gegenüber diesen offen rassistischen Bildern […] legt nahe, dass diese inzwischen so normalisiert sind, dass sie heute gewöhnliche Annahmen über die Sexualität von People of Colour nahelegen“

Bereits Dworkin, die u.a. die frühen deutschen Ausgaben des Playboys analysierte, hatte auf den der Pornographie inhärenten Rassismus hingewiesen:

„„Die Sexualisierung der Jüdin […] bildet das Paradigma für die Sexualisierung aller rassisch oder ethnisch degradierten Frauen […] Hitler stellte den jüdischen Mann als Vergewaltiger und Schänder arischer Frauen dar. Er schuf das Bild der jüdischen Frau als Dirne, wild, promiskuös, die sinnliche Antithese zur arischen Frau, die blond und rein war. Sowohl männliche wie weibliche Juden wurden als sexuell bestialisch dargestellt.“

Und sie stellte in ihrem Standardwerk „Pornographie“ unter anderem fest:

„Wie nun kann man Rassismus bekämpfen und sich gleichzeitig damit einen runterholen? Die Linke kann nicht ihre Huren und ihre Politik gleichzeitig haben“

Dass nun hier von „Gay Porn“ die Rede ist, macht es im Übrigen in keinster Weise besser: Die beachtliche Zahl an Depressionen und Drogensucht leidender und Suizid begehender homosexueller Pornodarsteller spricht eine deutliche Sprache  und auch im gay porn werden besagte rassistische Stereotype reproduziert.

Kunst soll provokativ sein? Provokativ wäre es wohl eher mal zum Thema zu machen, was nur wenige Meter vom Biennale-Container entfernt im „HM Massage Center“ tagtäglich an sexistischer und rassistischer Scheisse vonstattengeht.

„hatte mal wieder Luft auf chinesisch […] die letzten 8 mal kostet es 45 Euro …. diese Dame kam mir gleich mal mit 50 Euro. Es geht mir nicht um die 5 Euro; aber bei dieser Person merkte ich die Geldgier aus den Augen leuchten. […] Ich sagte noch, sie soll langsamer machen, aber nach kurzer Zeit spritzte ich ab. […] [ich] war ziemlich geladen …. das war das erste Mal in diesem Laden, das es zu so einer Abzocke kam. Emily vor 2 Wochen war eine klare 1+ …. diese Figur eine klare 6- .
Hier kam es mir vor, das die Dame in die eigene Tasche gearbeitet hat …. es war das erste Mal, das die “Bestellung” nicht ins Tablet eingetragen wurde ….. […] 50 Euro für schlechtes Wichsen ….. das geht gar nicht.“

Was bleibt? Ich würde mich sehr gerne wieder auch in anderen Strukturen engagieren, vor allem in Zeiten wie diesen. Was ich aber sicher nicht kann, ist dabei zusehen wie Frauenrechte – egal von wem – politisch instrumentalisiert werden, bunte Schilder malen, mich in Selbstgerechtigkeit baden und zu „Du kleine Hure“ mit den Hüften wippen. Also werde ich wohl auch in Zukunft frühzeitig von Demos verschwinden oder gleich gar nicht hingehen. Und das hat nichts damit zu tun, dass ich in irgendeiner Weise weiter „nach rechts“ gerückt wäre, sondern damit, dass ich mit einer bestimmten Scheinheiligkeit einfach nicht mehr umgehen kann…

Das bedeutet auch: Ich sehe mich zurzeit gezwungen, euch aus dem Weg zu gehen, im Gegenzug benehmt ihr euch bitte so, dass Feministinnen euretwegen keine Albträume kriegen. Bleibt gefälligst wenigstens meinen Träumen fern!

Fußnoten:

(1) Die Wiesbaden Biennale ist ein Festival des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden und wird ermöglicht aus Mitteln des Landes Hessen und der Landeshauptstadt Wiesbaden. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und den Kulturfonds Frankfurt RheinMain.