Interessanterweise höre ich in regelmäßigen Abständen (und immer häufiger), dass meine Facebook-Posts oder radikalfeministischen Statements einen konkreten Nutzen durch Denkanstöße für männliche Freunde haben, bzw. sie – für sich ganz persönlich – mit „meinem Feminismus“ etwas anfangen können. Daran wurde ich immer wieder bei der Lektüre von Jensens „Das Ende des Patriarchats. Radikaler Feminismus für Männer“ erinnert.
Man könnte angesichts des Titels versucht sein zu glauben, dass der amerikanische Journalismus-Professor und „Culture Reframed“-Aktivist Robert Jensen hier ein „Ich erkläre euch mal den Feminismus“-Buch vorlegt hat – aber das ist weder sein Anspruch, noch sein Ziel. Vielmehr geht es ihm darum, aus seiner männlichen Position heraus, zu erläutern, warum radikaler Feminismus für ihn als Mann einen unschätzbaren Wert hat. Oder wie Autor Jeffrey Masson sagt: Es ist kein „Mansplaining“-Buch, sondern das Gegenteil davon: ein „Mann-hört-auf-Frauen“-Buch. Wer also tiefgreifende radikalfeministische Analysen lesen will, sollte nach wie vor (und sowieso) zu den Klassikern greifen.
Freimütig räumt Jensen im Vorwort ein, dass sich in ihm zunächst alles gegen die feministische Analyse gesträubt hat, dass jedoch irgendetwas in ihm wollte, dass er weiterliest – seine Hauptmotivation war geprägt von Eigennutz, der Suche nach einem Ausweg aus dem ständigen Wettkampf „ein Mann zu sein“. (S. 3) Jensen nutzt die feministische Theorie, um seine Erfahrungen in einer sexistischen Gesellschaft (den Vereinigten Staaten von Amerika) für sich erklärbar zu machen (S. 16). Er sieht seine Aufgabe als privilegiertes Mitglied der herrschenden Gruppe darin, die Ergebnisse seines Selbstreflektions-Prozesses öffentlich zur Diskussion zu stellen (S. 17).
Im ersten Kapitel „Sex and Gender“ geht es Jensen um die Abgrenzung von biologischem Geschlecht und sozialem Gender. Während Gender ein soziales Konstrukt ist und wir auch gut ohne es leben könnten (S. 27), weist Jensen darauf hin, dass menschliche Reproduktion von männlichen und weiblichen Menschen abhängt, weshalb biologisches Geschlecht nicht „diskursiv dekonstruiert“ werden kann (S. 28). Während wir auch sehr gut ohne rassische Konzepte und Unterscheidungen leben können, hängt die menschliche Reproduktion von der physischen Differenz ab. Jensen betont, dass es ihm nicht darum geht Sexualität auf Reproduktion zu reduzieren, sondern lediglich darum materielle Realitäten zu benennen (S. 29). Im Verlauf des Buches bringt er immer wieder seine Sorge um den Erhalt des Ökosystems ein, dessen Bedrohung untrennbar mit dem Patriarchat verbunden ist, weshalb er das Patriarchat als eine „evolutionäre Sackgasse“ beschreibt (S. 34).
Im zweiten Kapitel „Patriarchy and Feminism“ skizziert Jensen die feministischen Analysen zur Entstehung des Patriarchats, eine Entwicklung, die vor rund 10.000 Jahren ihren Ursprung nahm. Jensen betont, dass die Existenz des Patriarchats weniger als 5 Prozent der Menschheitsgeschichte ausmacht (S. 47). In diesem Kapitel erläutert Jensen, die außergewöhnliche Bedeutung von radikalfeministischen Vordenkerinnen für seine Bewusstseinsbildung, darunter Andrea Dworkin, Marilyn Frye, Catharine MacKinnon, Gerda Lerner, Audre Lorde und Barbara Smith (S. 55). Die Frage, warum radikaler Feminismus nicht nur in der Kultur generell, sondern auch in der Bewegung des Feminismus selbst marginalisiert ist, beantwortet Jensen wie folgt:
„Gerade weil die Perspektive so überzeugend ist, und uns deshalb herausfordert; ein ernsthaftes Einstehen für einen radikalen Ansatz verlangt uns erhebliche Veränderungen in unseren Leben ab, egal ob wir männlich oder weiblich sind. Radikaler Feminismus lässt uns nicht nur hinterfragen wie das Patriarchat die Institutionen, in denen wir arbeiten und leben, struktuiert, sondern auch wie es unser eigenes Selbstverständnis strukturiert und unsere Vorstellungen definiert. Meiner Erfahrung nach ist dieses Projekt nicht nur schwierig, sondern es kann uns auch überwältigen. Es verlangt eine lebenslange kritische Selbstreflektion, die schmerzhaft sein kann. Ich bediene mich bei James Baldwin, wenn ich sage, dass es uns aufträgt, nicht vor dem Patriarchat wegzulaufen, sondern ihm entgegen zu treten, damit wir zumindest wissen, was uns treffen wird.“ (S.61)
Im Kapitel „Pressing Arguments“ erläutert Jensen, warum es ihm so wichtig erscheint auch als Mann in die Debatte einzugreifen und verweist auf die zahlreichen Strategien des Silencing gegenüber Feministinnen, die nicht selten ihre finanzielle Grundlage riskieren, wenn sie öffentlich bestimmte Positionen vertreten (S.64f). Er beschreibt sein Ziel nicht damit, den radikalen Feminismus zu erklären oder für Feministinnen zu sprechen, sondern vielmehr deutlich zu machen, warum der radikale Feminismus in seinem eigenen „intellektuellen und politischen Leben“ eine so zentrale Bedeutung einnimmt (S. 70):
„Die Ideen, die ich hier darstelle, haben mir dabei geholfen zu verstehen wie ich im Patriarchat in eine toxische Männlichkeit hinein sozialisiert wurde, die nicht nur Frauen unten hält, sondern auch meine eigenen Möglichkeiten vollständig menschlich zu sein, kaputt macht. In meinen frühen Kämpfen mit meiner Einsamkeit und Entfremdung von der Männlichkeit im Patriarchat, dachte ich immer es ginge darum „mich mit meiner femininen Seite zu verbinden“ um die Männlichkeit auszubalancieren. Aber ohne eine feministische Kritik, blieb ich immer noch gefangen in dieser Beherrschungs/Unterordnungs-Dynamik, durch die Männlichkeit und Weiblichkeit im Patriarchat geformt werden. Feminismus hat mich gelehrt, wie ich diese Dynamik analysieren kann, statt vor ihr zu kapitulieren. Feminismus, das habe ich dann verstanden, ist nicht eine Bedrohung für Männer, sondern ein Geschenk für uns“ (S. 71)
Im nächsten Kapitel „Rape and Rape Culture: ‚Normal‘ Violence“ beschreibt er Vergewaltigung als normal, im Sinne von a) statistisch die meisten Frauen betreffend und b) eine Kultur zugrunde legend, die sexuell aggressives Verhalten von Männern begünstigt (S. 75). Jensen nimmt Bezug auf die Aussage von zwei jungen Studentinnen an der Universität von Texas, die als Schutzstrategie beschreiben, dass sie in Gruppen auf Partys gehen und „niemals jemanden zurücklassen“ („we never leave anyone behind“). Er weist darauf hin, dass dies eine Phrase ist, mit der sich Soldaten im Krieg ihre gegenseitige Verpflichtung versichern. Er sagt, dass Frauen gezwungen sind, sich dort wo sie eigentlich Spaß haben sollten, wie an der Front zu verhalten (S. 78). Jensen sieht es nicht als Widerspruch an, dass Männer gleichzeitig Vergewaltigung verurteilen und selbst sexuelle Gewalt begehen können, schlicht weil sie aufgrund der gesellschaftlichen Normalisierung ihr eigenes Verhalten nicht als sexuell aggressiv oder gewalttätig empfinden (S. 79). Die These, dass es bei Vergewaltigung um Macht ginge und nicht um Sex weist er zurück:
„Die verbreitete Phrase „bei Vergewaltigung geht es um Macht, nicht um Sex“ führt uns in die Irre; Bei Vergewaltigung geht es um ein Verschmelzen von Sex und Beherrschung, um die Erotisierung der Kontrolle. Wenn wir, wie ein Autor (eine Autorin?) es ausdrückt, „uns in endlosen Debatten darüber verlieren ob es bei Vergewaltigung um eine sexuelle Belohnung auf der einen Seite, oder die Zurschaustellung von Macht und Dominanz auf der anderen Seite geht; oder darum ob Sex gewalttätig vollenedet wird, oder Gewalt sexuell vollendet wird“, dann verschleieren wir die unangenehme Realität, dass diese beiden Dinge im Patriarchat miteinander verwoben sind, nicht nur in der Vergewaltigung, sondern auch in sehr vielen „normalen“ sexuellen Aktivitäten. Ja, Männer, die vergewaltigen suchen nach einem Gefühl von Macht, aber Männer benutzen auch ihre Macht um Sex von Frauen zu bekommen, manchmal zu Bedingungen, die juristisch nicht als Vergewaltiigung definiert sind, aber verschiedene Ebenen von Kontrolle und Zwang beinhalten.“ (S. 80)
Er weist daraufhin, dass das Wort „gefickt“ im Alltag sehr häufig in Bezug auf Aggression, Gewalt und Beherrschung verwendet wird („Fick dich!“, „ich habe ihn gefickt“, …) und die gesellschaftliche Empörung über die Feststellung von Feministinnen, dass männliche Gewalt offensichtlich in gegenderten Normen von Herrschaft gründet, diesbezüglich verwunderlich ist (S. 81).
Das Konzept des „Konsens“ wird auch von Jensen als unbrauchbar erläutert (S. 88). So verweist er beispielsweise auf eine Studie, nach der sich nur 27% der Frauen, die nach juristischer Definition Opfer einer Vergewaltigung geworden sind, selbst als Vergewaltigungsopfer betrachteten und 88% der Männer, die einen Übergriff schilderten, der nach juristischer Definition als Vergewaltigung klassifiziert würde, sich selbst nicht als Vergewaltiger ansahen und er stellt deshalb fest, dass oft weder Täter noch Opfer in der Lage seien eine Vergewaltigung als solche zu erkennen (S. 89).
Im fünften Kapitel „Prostitution and Pornography: ‚Sex Work‘ or Sexual Exploitation“ positioniert sich Jensen zu Prostitution und Pornographie. Unter anderem geht er auf den Vorwurf des „Moralismus“ gegenüber GegnerInnen der Sexindustrie ein und stellt klar, dass moralische Urteile auf beiden Seiten der Debatte vorhanden sind, da jede Debatte darauf gründet was Partizipierende als menschlich oder gut ansehen (S. 98). Er begründet warum er sowohl die konservative Sichtweise (Sex nur in der Ehe), als auch die liberale Sichtweise (Sex ist, was auch immer eine Person als Sex ansieht) patriarchal sind (S. 99). Er weist darauf hin, dass niemand auf die Idee käme, Kampagnen gegen die Ausbeutung in Sweatshops als Kampagnen gegen die dort Ausgebeuteten zu betrachten, während Kritik an den Institutionen der Sexindustrie in der Debatte immer als Angriff auf die Menschen in ihr angesehen wird (S. 105). Im Kampf um die Deutungshoheit kann es ihm zufolge nicht darum gehen die Pros und Contras auszutauschen und dann einen Gewinner zu küren. Individuelle Strategien in einem Machtsystem können Menschen zwar individuell nutzen, lassen das System selbst jedoch intakt (S. 108f). Die Nicht-Partizipation von Männern in der Sexindustrie ist für Jensen nicht nur wichtig zur Bewahrung der Menschenwürde von Frauen, sondern auch für die Männer selbst:
„Wenn Männer sich entscheiden nicht an den sexuellen Ausbeutungsindustrien zu partizipieren – entweder in Bezug auf den Kauf oder Verkauf von der Sexualität von Frauen – dann erklären wir, dass wir glauben, dass Frauen vollkommen menschlich sind, Würde verdienen und nicht um des sexuellen Vergnügens von Männern existieren. Wenn wir diese Wahl treffen, dann erklären wir auch, dass wir glauben, dass auch wir vollkommen menschlich sind.“ (S. 114)
Er ist der Auffassung, dass es zwar keine Handreichung gibt für einen Weg zur echten Verbundenheit mit einer anderen Person, jedoch:
„Ich zögere nicht damit zu behaupten, dass die sexuellen Ausbeutungsindustrien uns dahingehend im Dunkeln tappen lassen.“ (S. 117)
Im letzten Kapitel „Transgenderism: Biology, Politics, Ecology“ befasst sich Jensen ausführlich mit einem weiteren feministischen Minenfeld: Er verleiht seiner Auffassung Nachdruck, dass Transgenderismus oberflächlich betrachtet vielleicht revolutionär erscheinen mag, dass der radikale Feminismus bei näherer Betrachtung jedoch eine tiefere Kritik des Patriarchats liefert und mehr Erfolg verspricht auf dem Weg zur Befreiung (S. 120). Er betrachtet den Vorwurf der „Transphobie“ gegenüber jenen, die die Transgender-Ideologie nicht teilen, als Versuch von der eigenen inkohärenten Argumentation abzulenken:
„Man kann nicht die Unterstützung für politische Vorschläge einfordern, die ausschließlich auf […] Behauptungen aufbauen. Und wenn Menschen, die Vorschläge machen, Behauptungen anbieten, die in sich widersprüchlich zu sein scheinen, dann haben wir das Recht eine Klarstellung einzufordern. […] Die Feministinnen, die ich als meine Verbündete ansehe, behaupten nicht, dass die Erfahrungen von Transpersonen in Bezug auf Geschlechternormen nicht real sind, sie bieten nur eine alternative Weise an, diese Erfahrungen zu erkunden. Die Interpretation einer Person ihrer Erfahrungen in guter Absicht, politisch oder psychologisch, zu hinterfragen, negiert diese Person nicht.“ (S. 130)
Jensen äußert größtes Verständnis für die Unzufriedenheit von Menschen mit gesellschaftlich konstruierten Geschlechterrollen und den damit verbundenen Erwartungen (S. 138). Während Transgenderismus jedoch die Gendernormen und damit die patriarchalen Strukturen aus denen sie erwachsenen sind, stärkt, stellt radikaler Feminismus diese in Frage (S. 140). Jensen wendet sich auch gegen den Begriff „cisgender“:
„Ich passe nicht in den Begriff ‚cisgender‘ – definiert im Oxford Englisch Wörterbuch als „eine Person, deren Vorstellung ihrer persönlichen Identität ihrem Geburtsgeschlecht entspricht“ – aus Gründen, die meine Position zum Transgender-Konzept zusammenfassen. Meine Vorstellung meiner persönlichen Identität stimmt nicht überein mit den Geschlechter-Normen für Männer im Patriarchat. Ich kritisiere diese Geschlechter-Normen und identifiziere mich mit den feministischen Bewegungen, die diese Normen in Frage stellen. […] Sehr gut kann ich mir eine Welt jenseits des Patriarchats vorstellen, in der Menschen ihre Kompetenzen entwickeln, ohne durch starre, repressive und reaktionäre Geschlechter-Normen eingeschränkt zu werden.“ (S. 150)
In seinem Fazit betont Jensen noch einmal seinen persönlichen Einstellungswandel zum Feminismus, von einer Bedrohung, einer als gefährlich empfundenen Bewegung, die ihm etwas wegnehmen möchte, hin zu seiner Auffassung von Feminismus als einem Geschenk für Männer:
„Feminismus hat mir einen Weg aufgezeigt zu verstehen, warum ich mich immer für nicht männlich genug empfunden habe, eine Angst, die, wie ich gelernt habe, die meisten Männer teilen. […] Feminismus, habe ich erkannt, ist nicht nur ein Vehikel für die Befreiung der Frau, sondern gibt mir die Werkzeuge an die Hand, um mit dem Versuch aufzuhören, der Mann zu sein, der ich nie sein wollte. […] Feminismus ist das Bündel von Vorstellungen, die mir die – intellektuelle und moralische – Stärke verliehen haben, dem Patriarchat entgegenzutreten, das was mir eigentlich Angst gemacht hat.“ (S. 153)
Auch verleiht er noch einmal seiner Bewunderung für Andrea Dworkin`s Analysen Ausdruck, indem er sagt:
„Ich habe ganz schnell erkannt, dass Dworkin nicht nur Frauen, sondern auch Männer zutiefst geliebt hat, und ich habe verstanden, dass sie uns auffordert, einfach die besten Menschen zu sein, die wir sein können, das Streben nach patriarchaler Kontrolle zurückzuweisen und den Kampf anzunehmen, vollauf menschlich zu sein.“ (S. 154)
Robert Jensen beschreibt radikalen Feminismus als seine eigene Überlebensstrategie (S. 155) und unterstreicht, vor welch große Herausforderungen er uns alle individuell stellt – politisch und persönlich. Dies ist seiner Meinung der Grund, warum Liberalfeminismus den meisten als attraktiver erscheint. (S. 157)
Jensen hat die Aussage geprägt, dass Pornographie zeige, wie das Ende der Welt aussieht:
„Wenn wir den Mut finden uns die zeitgenössische Pornographie ehrlich anzuschauen, dann bekommen wir einen Eindruck von den Konsequenzen der Pathologie des Patriarchats. [Pornographie….] macht Ungleichheit sexuell erregend. Pornographie verknüpft männliche Herrchaft mit männlichem sexuellen Vergnügen. Pornographie erotisiert nicht nur weibliche Unterordnung, sondern jede vorstellbare Ungleichheit, insbesondere die rassische Ungleichheit durch die weiße Vormachtstellung. […] Wenn wir uns Pornographie aufrichtig ansehen, dann sehen wir eine Welt in der Empathie und Mitgefühl – die Emotionen, die stabile und annehmbare menschliche Gemeinschaften möglich machen – verschüttet werden von selbstzentrierter und emotionsbefreiter Suche nach Genuss. […] Empathie und Mitgefühl alleine liefern noch keine politische Analyse, aber keine annehmbare Politik ist möglich ohne diese emotionalen Kompetenzen. Wie würde das Resultat von solchen politischen und sozialen Kräften aussehen? Pornographie malt uns ein Bild dieser Welt, und in dieser Welt möchte ich nicht leben.“ (S. 161)
Jensen sieht seine und unsere Aufgabe darin Gemeinschaften zu erschaffen, die auf Würde, Solidarität und Gleichheit beruhen. Anknüpfend an Naomi Scheman empfiehlt er die Gesellschaft als eine Stadt zu sehen, in der das Patriarchat fast alles überlagert. Aber hier und da entstehen Ritzen und in diesen wachsen Pflanzen – und in diesen Ritzen können im übertragenen Sinne Menschen arbeiten (S. 163f).
Seinen Bewusstwerdungsprozess beschreibt Jensen als sehr schmerzhaft und er nimmt diesen Schmerz an, denn
„Schmerz ist einfach ein Teil des menschlichen Lebens, und die Frage ist wie wir mit unserem Leiden umgehen. Laufen wir davor weg, oder stellen wir uns ihm?“ (S. 166)
Nur indem wir uns stellen, ist gesellschaftlicher Wandel seiner Meinung nach möglich. Unsere Aufgabe sei es, sagt er in Anlehnung an James Baldwin, so viel von der Wahrheit zu sagen, wie wir ertragen können, und dann ein bisschen mehr, und dann den Rest der Wahrheit, ob wir sie ertragen können oder nicht, denn:
„Uns von dieser Aufgabe abzuwenden, bedeutet uns von unserer Menschlichkeit abzuwenden.“ (S. 166)
Zum Abschluss findet sich als bemerkenswertes Abschlusswort eine Würdigung von Jensens Arbeit der amerikanischen Feministin, Frauenforscherin und Professorin Rebecca Whisnant. Bemerkenswert daran ist, dass Jensens Buch durch sie zum einen in den Kontext des radikalen Feminismus eingeordnet wird, Whisnant zudem aber auch an der ein oder anderen Stelle inhaltlichen Dissens zu Jensen äußert – damit wird Jensen seinem eigenen Anspruch gerecht, die eigenen Thesen zur kritischen Diskussion zu stellen. Whisnant äußert den Wunsch, dass sowohl Männer als auch Frauen „The End of Patriarchy“ lesen und diskutieren, denn sie hält das Buch für eine „essentielle Rahmung und Verteidigung des radikalen Feminismus“.
Auch ich bin mir sicher, dass Jensens Buch die oftmals so leicht dahingesagte, aber nur selten mit Leben gefüllte Floskel „Feminismus ist gut für alle Menschen, nicht nur für Frauen“ mit Inhalt anreichert und kann die Anschaffung und Lektüre des bei Spinifex Press in englischer Sprache erschienenen Buches nachdrücklich empfehlen.
Vielen Dank für diese Buchvorstellung.
Aber warum kritisiert Jensen die feministischen Analysen zur Entstehung des Patriarchats? Das wurde leider nicht weiter ausgeführt.
Feminismus kann nie ohne Männer betrachtet werden, denn schließlich sind sie der Grund, warum wir Feminismus benötigen. Wenn einige Männer sich hiervon nicht nur betroffen fühlen, weil sie ihre Macht teilen sollen, sondern wenn einige unten ihnen tatsächlich verstehen, was das Patriarchat auch mit ihnen macht, dann ist das natürlich von Vorteil für alle. Doch solange solche Männer Ausnahmen sind, haben wir noch einen langen Weg vor uns.