Schlagwort: Unterdrückung

Catharine MacKinnon: Von der Praxis zur Theorie, oder: Was ist überhaupt eine „weiße“ Frau

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Nachfolgend die Übersetzung von Auszügen aus einem Text aus dem Jahr 1991 der US-amerikanischen Juristin und Radikalfeministin Catharine MacKinnon zu der Frage der Intersektionalität von Geschlecht, Ethnizität und Klasse und der Frage, ob Unterdrückung “weiße”, “privilegierte” Frauen vielleicht gar nicht (be)trifft. Der gesamte Text auf Englisch ist hier zu finden.

„Bin ich denn keine Frau?“ – Sojourner Truth

„Schwarze Feministinnen sprechen als Frauen, weil wir Frauen sind…“ – Audre Lorde

Man sagt häufig, dass etwas zwar in der Theorie gut klingt, aber sich in der Praxis anders erweist. Ich wollte dann immer, dass die Theorie dann wohl nicht so gut ist, nicht wahr? […]  Das konventionelle Bild von der Beziehung zwischen den beiden ist, dass man zuerst eine Theorie hat, und dann die Praxis. Du hast erst eine Idee, dann handelst du nach ihr. […]

Die postmoderne Version dieses Verhältnisses zwischen Theorie und Praxis ist Diskurs bis zum Umfallen. Theorie erzeugt nicht Praxis, sondern noch mehr Text. Es erscheint so, als könnte man Machtverhältnisse dekonstruieren, indem man ihre Markierungen im Kopf hin und her schiebt. Wie alle anderen formellen Idealismen, gibt es bei diesem Theorieansatz die unbewusste Tendenz existierende Machtverhältnisse zu reproduzieren, zum Teil weil es sich um eine vollkommen verlagerte Elitentätigkeit handelt. […] Nicht die Welt ist der Antrieb, sondern der Kopf.  Erst denkt man über sozialen Wandel nach, dann handelt man. Bücher beziehen sich auf Bücher, Köpfe unterhalten sich mit Köpfen.  Und nicht Körper pressen sich an Körper oder Menschen bewegen Menschen. […]

Die Bewegung zur Befreiung von Frauen […] funktioniert anders herum. Erst kommt die Praxis, dann die Theorie. […] Feminismus war eine Praxis, lange bevor er eine Theorie war. […] Die Frauenbewegung […], in der Frauen sich entgegengesetzt der Festlegungen in Bezug auf andere Frauen bewegen, bleibt mehr Praxis als Theorie. Das ist der Unterschied zum akademischen Feminismus. […] Die Theorie zu dieser Praxis zu schreiben, bedeutet nicht, sich durch Rätsel zu tüfteln […], nicht über Utopien zu fantasieren, nicht zu moralisieren oder Menschen zu erzählen, was sie zu tun haben. Es geht nicht um die Ausübung von Autorität; die Theorie lenkt die Praxis nicht. Die Aufgabe besteht darin, sich auf das Leben einzulassen durch das Entwickeln von Mechanismen, die identifizieren und kritisieren, anstatt soziale Praktiken der Unterordnung zu reproduzieren und sie besteht darin Werkzeuge aus dem Bewusstsein und dem Widerstand von Frauen zu entwickeln, die den praktischen Kampf gegen Ungleichheit unterstützen. Diese Art von Theorie setzt Bescheidenheit voraus und benötigt Partizipation. […]

Ich möchte untersuchen, wie die Realität von Geschlechterungleichheit, die Erfahrungen von Frauen in dieser Welt, die Konturen von Geschlechterdiskriminierung im Gesetz geformt hat/haben.

Geschlechtergleichheit als rechtliches Konzept wurde traditionell nicht theorisiert unter Einbeziehung von sexueller Belästigung oder Reproduktion, weil die Gleichberechtigungstheorie aus der Praxis von Männern entwickelt wurde, nicht der von Frauen. […] Es gibt Männer, die auf diese Art und Weise geschädigt wurden, aber sie sind wenige, und sie werden nicht als geschädigt angesehen weil sie Männer sind, sondern obwohl sie Männer sind oder als abweichend von ihnen betrachtet werden. […] Deshalb werden Sexualität und Reproduktion nicht als Gleichberechtigungs-Themen im traditionellen Ansatz betrachtet. […]

Mechelle Vinson setzte sexuelle Belästigung am Arbeitsmarkt als Geschlechterdiskriminierung nach dem bürgerlichen Recht durch. […] Ihre Sichtweise, dass das was ihr Vorgesetzter Sidney Taylor ihr antat, sein wiederholtes Penisschwingen in ihrer Anwesenheit im Tresorraum der Bank, ihr deshalb angetan wurde, weil sie eine Frau ist, änderte die Theorie der Geschlechterdiskriminierung für alle Frauen. […] Lillian Garland setzte durch, dass die Garantie von unbezahltem Urlaub für schwangere Frauen nach dem Gesetz keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist, sondern ein Schritt in die Richtung zur Beendigung von Geschlechterdiskriminierung. […] Es war ihr Widerstand gegen ihren Arbeitgeber […], der sich weigerte sie nach ihrer Schwangerschaftspause wieder einzustellen; Es war ihre Identifikation dieser Praxis als gesetzwidrige Behandlung, aufgrund der Tatsache, dass sie eine Frau war, die dem Geschlechter-Gleichberechtigungs-Gesetz einen Schubs in die Richtung von Gleichberechtigung gab […].

Was ist also gemeint, wenn hier von einer Behandlung „als Frau“ die Rede ist? Es meint, ein empirisches Statement über die Realität zu machen, um die Realität der Situation der Frau zu beschreiben. […] Unter Einbeziehung aller Unterschiede, können wir über die Gruppe der Frauen sagen, dass sie eine kollektive, soziale Geschichte der Entmachtung, Ausbeutung und Unterordnung hat, die bis in die Gegenwart reicht. „Wie eine Frau“ behandelt zu werden, bedeutet diesem Sinn nach, auf bestimmte Weise benachteiligt zu sein, rührend aus der Tatsache, dem weiblichen Geschlecht zugerechnet zu werden. […]

Andrea Dworkin sagte vor langer Zeit, dass die Situation der Frauen eine neue Art zu Denken voraussetzt, und nicht nur das Denken neuer Dinge. „Frau“ als Abstraktion, Destillation, gemeinsamer Nenner, oder Idee ist die alte Art zu denken […] aber es ist nicht eine neue Art zu denken. Noch ist das Denken „als Frau“, als Verkörperung einer kollektiven Erfahrung, das gleichbedeutend mit „wie eine Frau“ zu denken, was die Reproduktion der Determinanten und zu denken wie ein Opfer bedeuten würde. […]

Theorie auf die konventionelle abstrakte Art zu machen, wie viele es tun, bedeutet die Annahme zu importieren, dass alle Frauen gleich sind, oder sie sind keine Frauen. Was sie zu einer Frau macht ist ihre Passgenauigkeit zu der Abstraktion „Frau“ oder ihre Konformität zu einer festen, postulierten weiblichen Essenz. Die Konsequenz hieraus ist es, Dominanz zu reproduzieren.  […] Einfacher biologischer Determinismus wird so als kritische Theorie des sozialen Wandels präsentiert. […] Hier fehlt die Berücksichtigung männlicher Dominanz. Es gibt in Bezug auf Vergewaltigung keine biologische Notwendigkeit […] Beide hier benannten Frauen sind schwarz. Dies unterstützt meine Ahnung, dass eine Theorie dann nicht wahr ist, oder dann nicht funktioniert, wenn sie nicht […] für alle Frauen gilt. […]

In den jüngsten Kritiken gegenüber feministischer Arbeit wird gesagt, dass Ethnie (race) oder Klasse nicht ausreichend berücksichtigt werden, und dabei ist es lohnenswert zu erkennen, dass die Tatsache, dass es etwas wie „Rasse“ oder „Klasse“ gibt, angenommen wird, obwohl beides normalerweise eher als Abstraktionen behandelt wird um Geschlecht zu attackieren, denn als konkrete Realitäten, wenn sie denn überhaupt zur Sprache kommen. […] Immer werden „Rasse“ und Klasse als unproblematischer weise real betrachtet, und keiner Erklärung oder theoretischen Konstruktion bedürfend. Nur Geschlecht ist nicht real und muss gerechtfertigt werden. […] Dass es einen Unterschied gibt zwischen den Erfahrungen von Männern und Women of Colour, und von Frauen der Arbeiterklasse und Männern unabhängig ihrer ethnischen Zugehörigkeit, bedeutet nicht zu behaupten, dass „Rasse“ und Klasse keine bedeutsamen Konzepte wären. Ich habe noch niemanden sagen gehört, dass man nicht ohne Geschlechterspezifizierung über „People of Colour“ diskutieren könnte. Jedoch hat die Phrase „People of Colour und „weiße“ Frauen“ das frühere „Frauen und Minderheiten“ ersetzt, von dem Women of Colour zu Recht nicht wahrgenommen haben als würde es sie doppelt beinhalten, und als würden sie einen „weißen“ Standard für Geschlecht verkörpern und einen männlichen für „Rasse“. Aber ich höre zum Beispiel nichts über „alle Frauen und Men of Colour. Es ist bedeutsam darüber nachzudenken, dass wenn Women of Colour sich auf „Menschen, die aussehen wie ich“ beziehen, dass sie Menschen mit anderer Hautfarbe meinen, und nicht Frauen, obwohl sowohl „Rasse“ als auch Geschlecht visuelle Zuweisungen sind, beide sowohl Klarheit als auch Uneindeutigkeit beinhalten, und beide Unterdrückung markieren, und damit Gemeinschaft.

In Verbindung hiermit, habe ich kürzlich mitbekommen, dass es hierbei um die “weiße” Frau geht, deshalb habe ich mich entschlossen herausfinden zu wollen was das ist. Diese Kreatur ist nicht arm, wird nicht geschlagen, nicht vergewaltigt (nicht wirklich), nicht als Kind sexuell missbraucht, wird nicht als Teenager schwanger, wird nicht prostituiert und auch nicht in die Pornographie gezwungen, sie ist als Mutter nicht von Sozialleistungen abhängig und wird nicht ökonomisch ausgebeutet. Sie arbeitet nicht. Entweder entspricht sie dem Bild, das der “weiße” Mann von ihr hat – verweichlicht, verhätschelt, privilegiert, beschützt, unbeständig und maßlos – oder sie ist das Bild, das der “schwarze” Mann von ihr hat – all das genannte, plus das „hübsche weiße Girl“ (was hässlich wie die Nacht bedeutet, aber die ultimative Schönheit bedeutet, weil sie “weiß” ist). […] Sie schüttelt ihr Haar, fühlt sich immer hübsch, beschwert sich über die Dienste der People of Colour, gibt wenig Trinkgeld, kann nichts, macht nichts, weiß nichts, und fantasiert über Sex mit schwarzen Männern, während sie diese beschuldigt sie vergewaltigt zu haben. Wie Ntozake Shange ausführt, hängt die gesamte Westliche Zivilisation von ihr ab. Und als Krönung besitzt sie die Unverfrorenheit […] zu denken, dass sie befreit werden muss. […]

Dieses Bild ist nur sehr schwer mit der Realität [der “weißen” Frau] in Einklang zu bringen: Der Tatsache, dass die Mehrheit der Armen “weiße” Frauen und ihre Kinder sind (mindestens die Hälfte davon sind weiblich); der Tatsache, dass Frauen systematisch in ihrem Zuhause geschlagen werden, von ihnen nahe stehenden Männern und Serienkillern gleichermaßen getötet werden, als Kinder sexuell missbraucht werden, tatsächlich vergewaltigt werden (zumeist von “weißen” Männern) und dass sogar “schwarze” Männer, im Durchschnitt, mehr verdienen als sie. Wenn man dies nicht so genau wüsste, dann könnte man durch das Bild des “weißen” Mannes fehlgeleitet werden. […]

Man könnte meinen, dass der Mythos der “weißen” Männer, dass sie “weiße” Frauen schützen, der Wirklichkeit entsprechen würde, und nicht ein rassistisches Cover über ihr exklusives und nicht in Frage gestelltes Recht auf sexuellen Zugriff – was bedeutet, dass sie sie vergewaltigen können, und es auch tun, eine Haltung die sich in dem Ausschluss von Vergewaltigung in der Ehe zeigt und den weitgehend nutzlosen Gesetzen gegen Vergewaltigung im Allgemeinen.  Man könnte meinen, dass die einzigen “weißen” Frauen in den Bordellen im Süden während des Civil War in „Vom Winde verweht“ existierten. Dies alles soll nicht heißen, dass es so etwas wie Privilegien aufgrund der Hautfarbe nicht geben würde, sondern eher, dass diese “weiße” Frauen niemals vor der Brutalität und der Frauenverachtung der Männer bewahrt haben, zumeist aber nicht exklusiv von “weißen” Männern […]. In anderen Worten: Den „weißen Mädchen“ in dieser Theorie geht in der Realität der “weißen” Frauen und der Praxis der männlichen Vorherrschaft ziemlich viel ab.

Neben der Trivialisierung der Unterordnung der “weißen” Frau, die implizit in der herablassenden Verspottung „heterosexuelle, weiße, ökonomisch privilegierte Frau“ (Eine Phrase, die zu einem feststehenden Begriff geworden ist […]) deutlich wird, liegt die Auffassung, dass es an sich gar keine Frauenunterdrückung gibt. […]

Drehen wir das Ganze mal rum. Wie ich erwähnt habe, waren sowohl Mechelle Vinson und Lillian Garland afro-amerikanische Frauen. Wurde Mechelle Vinson nicht als Frau sexuell belästigt? Wurde Lillian Garland nicht als Frau schwanger? Sie haben das so gesehen. Der Dreh- und Angelpunkt ihrer Fälle lag darin, dass sie sich als geschädigt „auf der Basis von Geschlecht“ sahen, das heißt, weil sie Frauen sind. Die Täter, und die Gesetze unter denen sie benachteiligt wurden, sahen sie als Frauen. Was ist Frausein, wenn es nicht beinhaltet als eine Frau unterdrückt zu sein? Als die Reconstruction Amendments „Schwarzen das Wahlrecht gaben“, und “schwarze” Frauen immer noch nicht wählen durften, wurden sie dann nicht „als Frauen“ von der Wahl ausgeschlossen? Wenn afro-amerikanische Frauen doppelt so häufig vergewaltigt werden als “weiße” Frauen, werden sie dann nicht als Frauen vergewaltigt? Das bedeutet nicht, dass ihre Ethnie irrelevant wäre und es bedeutet auch nicht, dass ihre Verletzungen außerhalb des rassistischen Kontextes verstanden werden können. Es bedeutet vielmehr, dass „Geschlecht“ sich aus den Erfahrungen aller Frauen ergibt, inklusive der ihren. […] Es bedeutet, dass jede Frau, auf ihre Weise, alle Frauen ist.

Die Behandlung von Frauen in der Pornographie zeigt diesen Ansatz in grafischer Weise. Auf irgendeine Weise sind alle Frauen im Porno. Afro-amerikanische Frauen werden dargeboten in Fesseln, sich wehrend, in Käfigen, als Tiere, unersättlich. Wie Andrea Dworkin gezeigt hat, macht die sexualisierte Feindschaft ihnen gegenüber ihre Haut zu einem Geschlechtsorgan […]. Asiatische Frauen sind passiv, träge, so wie tot, grausam gefoltert. Latinas sind heiße Mommas. Fülle den Rest der abwertenden und feindseligen rassistischen Stereotype, die du kennst, ein; dort [im Porno] ist es Sex. Dies wird nicht den Männern angetan, nicht in heterosexueller Pornographie. Was “weißen” Frauen angetan wird ist eine Art Boden; es ist die beste Weise wie jemand behandelt wird und das reicht von Playboy über SM bis hin zu Snuff. Was “weißen” Frauen angetan wird, das kann allen Frauen angetan werden […] Das macht “weiße” Frauen nicht zur Essenz der Weiblichkeit. Es ist eine Realität, dass hieran beobachtet werden kann, was den am meisten privilegierten Frauen angetan werden kann und angetan wird. Dies ist es, was das Privileg als eine Frau dir einbringen kann: am meisten wertgeschätzt zu sein als totes Fleisch. […]

“Weiß” ist nicht unmarkiert; es ist ein spezifischer Geschmack. So definiert und benutzt zu werden, definiert was Frau sein in der Praxis bedeutet. […]

Meiner Meinung nach ist der Subtext von der Kritik an Unterdrückung „als Frau“, dass die Kritik davon ausgeht, dass es so etwas nicht gibt, und dies ist Ent-Identifizierung mit Frauen. Eine der Konsequenzen daraus ist die Zerstörung jeglicher Basis für eine Rechtsprechung für Geschlechtergleichberechtigung. Ein Argument, dass von vielen WoC vorgebracht ist, ist, dass die Theorie über Frauen alle Frauen einschließen muss, und wenn dies der Fall ist, dann wird die Theorie sich ändern. Auf einer Ebene ist das notwendigerweise richtig. Auf der anderen Seite ignoriert dies die gestaltenden Beiträge von WoC zu feministischer Theorie, seit deren Beginn. Ich habe jedoch das Gefühl, dass viele Frauen, nicht nur WoC und nicht nur Akademikerinnen, nicht einfach „nur Frauen“ sein wollen, [….] weil dies bedeutet in einer Kategorie mit „ihr“ zu sein, der nutzlosen “weißen” Frau, deren erste Reaktion es ist, wenn es ein bisschen grober wird, in Tränen auszubrechen. Ich habe das Gefühl, dass Menschen mehr Würde darin ausmachen, in einer Gruppe zu sein, die auch Männer beinhaltet, als in einer Gruppe zu sein, die die ultimative Reduzierung auf die Vorstellung von Unterdrückung einschließt, diese Anstifterin von Lynchmobs, diese lächerliche Quenglerin, […] die “weiße” Frau. Es scheint, dass wenn die Unterdrückung auch einen Mann betrifft, dass du wahrscheinlicher auch als unterdrückt anerkannt wirst, im Gegensatz zu minderwertig. […]

Ungleich zu anderen Frauen teilt die “weiße” Frau, die nicht arm oder aus der ArbeiterInnenklasse ist, oder lesbisch, oder jüdisch, oder mit Behinderung, oder alt oder jung, ihre Unterdrückung nicht mit einem Mann.  Das macht ihren Zustand in keinster Weise maßgeblicher für die Definition von Frau, als die Situation irgendeiner anderen Frau. Ihre Unterdrückung jedoch zu trivialisieren, weil es nicht potentiell rassistisch oder klassenbasiert oder heterosexistisch oder antisemitisch ist, definiert die Bedeutung von „anti-Frau“ mit einer besonderen Klarheit. Die Vorstellung, Konstruktion und Behandlung der “weißen” Frau wird zu einem sehr sensitiven Indikator für das Maß in dem Frauen, als solche, verachtet werden. […]

Kulturrelativismus vs. Universalismus. Oder: Warum der Kontext immer eine Rolle spielt

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Radikalfeministische Theorie nimmt in hohem Maße Bezug auf wissenschaftliche Erkenntnisse und empirische Befunde. So begründen sich abolitionistische Positionen (die auf die Abschaffung der Prostitution abzielen) insbesondere in wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Tatsache, dass vor allem marginalisierte (arme, ethnisch diskriminierte) Frauen in der Prostitution landen, und solche, die sexuelle (oder andere) Gewalterfahrungen machen mussten. Auch historisch-feministische Analysen bezüglich der gesellschaftlichen Position der Frau und der Reproduktion der Unterordnungsverhältnisse durch die Prostitution spielen eine bedeutende Rolle. Es ist sinnvoll und zielführend so vorzugehen, auch in Bezug auf andere gesellschaftliche Phänomene.

Leider werden in meinen Augen öfter mal einige Dinge durcheinander gebracht und mit wissenschaftlichen Begriffen oder Konzepten umher geworfen, deren Hintergründe vielleicht nicht immer so klar sind. Dieser Beitrag versucht hier ein wenig zu erklären und Ordnung zu schaffen. Dabei gilt: Ein Blogbeitrag soll und kann keine wissenschaftliche Abhandlung sein.

Grundsätzliches zu wissenschaftlichen Konzepten

Sozial- und Geisteswissenschaften versuchen Gesellschaft und gesellschaftliche Mechanismen erklärbar zu machen. Man spricht deshalb auch von der „Psychologie der Gesellschaft“. Individuelles und menschliches Verhalten wird demnach in Bezug auf das Kollektiv (die Familie, die Peer Group, die Subkultur, die Gesellschaft eines Landes, …) analysiert.

Nicht nur weil gesellschaftliche Entwicklungen nicht statisch sind, sondern ständigen Veränderungen aufgrund vieler Faktoren unterworfen sind, kann man diese Analysen auch als Annäherung an Phänomene verstehen, die immer wieder weiterentwickelt und überprüft werden müssen. Selbst eine Theorie, die im Verlaufe weiterer Forschung empirisch widerlegt werden kann, kann deshalb durchaus Erkenntnisgewinne hervorbringen. Manche Theorien und Konzepte sind auch in der Lage Teilphänomene zu erklären, scheitern aber in anderen Punkten. Auch müssen Konzepte immer in ihrem historischen Kontext betrachtet werden.

Gesellschaftswissenschaftliche Analysen sind nicht vergleichbar mit mathematischen Gleichungen: Einmal aufgestellt, kaum mehr in Frage gestellt. Das ist der Komplexität menschlichen Verhaltens und sozialer Interaktionen geschuldet. Und trotzdem gelingt es ihnen Dinge zu erklären und begreifbar zu machen. Das müssen wir uns vergegenwärtigen.

Ethnologische Paradigma – ein Kurzüberblick (= Wissenschaftliche Ebene)

Die Ethnologie ist eine Wissenschaft, die sich traditionell mit anderen Gesellschaften und Kulturen („dem Fremden“) auseinandersetzt, während die Kulturanthropologie/Volkskunde sich eher mit der heimischen Gesellschaft und Kultur auseinandersetzt („das Eigene“). In der zeitgenössischen Wissenschaft sind die Grenzen nicht mehr ganz so starr, so befassen sich sehr viele Ethnographien auch mit Aspekten der „eigenen“ Kultur. Das Fach hat im Laufe der Zeit vielfältige und tiefgreifende Wandel durchgemacht: Von der Lehnstuhlethnologie (ForscherInnen, die am heimischen Schreibtisch Theorien entwickelten) hin zu verschiedenen Formen des Eintauchens in das Untersuchungsobjekt (langzeitige Feldstudien, „going native“, …). Auch die theoretischen Konzepte wurden entwickelt, diskutiert, weiterentwickelt oder verworfen. Ethnologische Forschung arbeitet in hohem Maße deskriptiv (beschreibend). Detaillierte Aufzeichnungen und Protokollierungen sowie Tonband- und Filmaufnahmen sollen es Dritten ermöglichen Gedankengänge nachvollziehen und einer kritischen Überprüfung unterziehen zu können. Das ist wichtig, da Interpretationen nie frei von eigenen Denk- und Wertungsschemata sind.

Folgende wichtigen Strömungen werden in Bezug auf Kulturentwicklung unterschieden (Achtung, nicht vollständig!):

Evolutionismus (18. /19. Jahrhundert)

Der Evolutionismus der frühen Lehnstuhlethnologie ging in seiner darwinistischen Prägung aus von einer unilinearen Gesellschafts- und Kulturentwicklung, die jede Gesellschaft in der gleichen Weise durchlaufen werde. Adam Ferguson (1723-1816) beispielsweise prägte das bekannteste Drei-Stufen-Modell:  Wildheit –> Barbarei –> Zivilisation. Den „primitiven“ Völkern wurden also „entwickelte“ Völker gegenüber gestellt und eine klare Wertung vorgenommen. Bei James George Frazer (1854-1941) ging hingegen von folgendem Modell aus: Magie -> Religion –> Wissenschaft.  Diese Theorie wurde kritisiert für ihren Ethnozentrismus und ihre wenig fundierten Kenntnisse über andere Kulturen.

Evolutionistische Arbeiten waren stark geprägt von kolonialistischen Vorstellungen über „die Anderen“. Relikte evolutionistischen Denkens in politischen Diskussionen finden sich auch heute noch sehr oft in politischen Diskussionen, wenn andere Kulturen als „rückständig“ beschrieben werden und die eigene als „weiterentwickelter“. Oder wenn gesagt wird eine Gesellschaft ist noch „im Mittelalter steckengeblieben“.

Kulturrelativismus (auch: Amerikanische Kulturanthropologie) (19./20. Jahrhundert)

Der Begründer der amerikanischen Kulturanthropologie ist Franz Boas (1858-1942), der stark beeinflusst wurde vom Deutschen Historismus. Boas ging davon aus, dass jede Kultur ihre eigene Geschichte hat  (Partikularismus), einzigartig und nur aus sich selbst heraus zu verstehen ist (emische Sichtweise). Er beschreibt Kultur als individuellen Lernprozess (Enkulturation). Im Gegensatz zu den Evolutionisten setzte er stark auf empirische Forschung. Boas Schüler führten umfangreiche Feldstudien in vielen Teilen der Welt durch. Zu seinen Schülerinnen der 2. Generation gehörten Margaret Mead (1901-1978) und Ruth Benedict (1887-1948), die beide die culture and personality studies entscheidend prägten – das Banard College an dem er unterrichtete war ein College ausschließlich für Frauen.

Positiv hervorzuheben ist, dass der Kulturrelativismus mit der Vorstellung der Überlegenheit des „Eigenen“ brach und anderen Kulturen eine Eigenständigkeit zugestand und diese nicht mehr einer vergleichenden und hierarchisierenden Wertung unterzog. Auf die Kritik, die er auf sich zog wird zu einem späteren Zeitpunkt im Text näher eingegangen.

Funktionalismus/Strukturfunktionalismus (auch: Britische Sozialanthropologie) (19./20. Jahrhundert)

Bronislaw Malinowski (1884-1942) gilt als Begründer des Funktionalismus. Er betrachtete gesellschaftliche Phänomene nach ihren Funktionen zur Erfüllung biologischer und abgeleiteter Bedürfnisse. Bei der Betrachtung der Institutionen ist für ihn deren Effizienz diesbezüglich relevant. Kultur ist die Summe der Institutionen. Der Funktionalismus wurde von Edward Evan Evans-Pritchard (1902-1973) als unzureichend kritisiert, da er der Meinung war man müsse erst die innere Struktur einer Gesellschaft verstehen, bevor eine funktionale Interpretation vorgenommen werden kann. Zeitgleich entwickelte Alfred Radcliffe-Brown die Theorie des Strukturfunktionalismus: Geschichte, Struktur und Komplexität werden zum zentralen Zugang für die Rolle sozialer Institutionen. Die Sicht der Angehörigen einer Gesellschaft ist entscheidend für die Bewertung einer gesellschaftlichen Institution, die nur aus ihrem Kontext heraus erklärbar ist. Da Struktur-/FunktionalistInnen von universellen Merkmalen aller Menschen ausgehen stehen sie in evolutionistischer Tradition und orientierten sich an weltweiten Gemeinsamkeiten kultureller Phänomene.

Neoevolutionismus (20. Jahrhundert)

Seit den 1930er Jahren und nach dem Zweiten Weltkrieg wurden neoevolutionistische Theorien entwickelt und weiterentwickelt und erlebten ihren Durchbruch in den 1960er Jahren. NeoevolutionistInnen gehen davon aus, dass gesellschaftliche Entwicklungen unterschiedlich verlaufen können, auch rückwärts. Damit wird der Idee der Entwicklung von der Rückständigkeit hin zum sozialen Fortschritt eine Absage erteilt: Der Neoevolutionismus verzichtet auf Werturteile und Vermutungen über den Untersuchungsgegenstand und setzt auf nachprüfbare empirische Belege. Einige NeoevolutionistInnen plädieren auch dafür keine hierarchische Bewertung der Kulturphänomene vorzunehmen.

Exkurs:  Trommelnde Frauen oder: Warum kontextbezogene Betrachtungen wichtig sind

Die große Errungenschaft aus den kulturrelativistischen Theorien ist die Erkenntnis, dass für das Verständnis kultureller Phänomene ein Eintauchen in die Denk- und Wertesysteme des Untersuchungsgegenstands unabdinglich ist, da es sonst unweigerlich zu Fehlinterpretationen kommt. Dies soll an einem Beispiel, mit dem ich ausführlich befasst habe, verdeutlicht werden.

Theodor Baker stellte 1882 die These auf, dass Frauen nicht gleichermaßen an indigener Musik (hier gemeint sind die First Nations in Kanada und den USA) partizipieren wie Männer. Auch heute noch wird die Repräsentation von Frauen am PowWow (Algonkin für Ratsversammlung, Zusammenkunft von nordamerikanischen Indigenen um gemeinsam zu singen, tanzen, storytelling, diskutieren, …) marginalisiert: Der PowWow sei männlich dominiert, die Rolle der Frau sei auf die einer Backgroundsängerin beschränkt, usw. Erst Ende der 1980er und in den 1990er Jahren setzte sich die Erkenntnis bei den ForscherInnen durch, dass indigene Frauen immer eine wichtige Rolle in der indigenen Musik gespielt haben und Hatton/Vander stellen fest, dass Frauen in vielen nördlichen Gemeinschaften aktiv und gleichberechtigt in die PowWow Musik involviert sind.

Trommeln ist von zentraler Bedeutung in der indigenen Musik. Die Beobachtung, dass es häufig Männer sind die trommeln führte ohne emische Betrachtungsweise der indigenen Kulturen zu Fehlinterpretationen.

Die Bedeutung der „Big Drum“ geht auf Wiyaka Sinte Win (Tail Feather Woman) zurück, einer Dakhota-Frau, die Ende des 19. Jahrhunderts lebte. Die Geschichte ist heute unter den Ojibwe weiter verbreitet als unter den Dakhota und es gibt zahlreiche Variationen, aber die Kerngeschichte lautet: Wiyakas Dorf wurde von amerikanischen Soldaten (blue coats) angegriffen. Sie versteckte sich in einem See, die meiste Zeit unter Wasser. Sie wandte sich hilfesuchend an den Schöpfer, der ihr die Vision der „Big Drum“ brachte: Das Schlagen der Trommel würde den Menschen Heilung und Einheit bringen (weshalb man heute auch von einer „Healing Ceremony“ spricht). Tail Feather Woman verließ geleitet durch den Ruf eines Spirits und der Hilferufe der Familie das Wasser und wurde von den Soldaten nicht gesehen, weil sie für diese unsichtbar war. Erschöpft und krank fand sie ihre Familie, die sie gesund pflegte. Sodann zog sie durch das Land und erzählte den Menschen von ihrer Vision und brachte die „Big Drum“-Zeremonie überall hin. Bei der ersten Zeremonie wurden amerikanische Soldaten durch das Schlagen der Trommel aufmerksam und dachten es handele sich um ein Kriegsfest – als sie aber in das Dorf kamen saßen jedoch alle friedlich zusammen. Die Soldaten wurden eingeladen, man aß und trank zusammen und ging in Freundschaft auseinander.

Der Trommel, die den Frieden bringt, symbolisiert den Herzschlag von Mutter Erde. Es herrscht die Vorstellung einer komplementären Beziehung zwischen Männern und Frauen. Die Trommel ist weiblichen Geschlechts (essence of women`s spirit) und wurde den Männern von einer Frau gebracht. Frauen sind in der Vorstellung der indigenen Gesellschaften bereits heilig, stark und machtvoll dadurch, dass sie gebären können, die Schmerzen ertragen und Leben schenken können. Männer hingegen müssen die Erdverbundenheit und das Gleichgewicht mit der Natur durch das Trommeln jedoch erst herstellen. Auch wird durch das Trommeln das Herstellen von Frieden gewährleistet, gegen die kriegerische Natur der Männer. Die weibliche Trommel und die männlichen Trommler symbolisieren das Idealbild der Beziehung zwischen Mann und Frau.

Zu der Frage ob Frauen trommeln dürfen gibt es zwischen den Stämmen unterschiedliche Meinungen:

1)      Ja, aber es ist nicht notwendig

2)      Ja, und deshalb tun sie es auch

3)      Nein

In nur sehr wenigen Stämmen ist es Frauen verboten zu trommeln. In einigen Fällen sehen Frauen das Verbot als Resultat der Internalisierung der Frauenverachtung in Folge des Kolonialismus (Übernahme von weißen Männern).

Frauentrommelgruppen sind sehr willkommen auf den PowWows und nur auf sehr wenigen nicht erwünscht. Es gibt Mixed und All Women Drum Groups. Die einzige Einschränkung: Während der Schwangerschaft oder der Menstruation darf nicht getrommelt werden, da die Frauen währenddessen besonders stark sind und die starke Verbindung mit der Trommel diese zum Zerbrechen bringen könnte.

Man muss sich also hüten aus einer Beobachtung, dass mehr Männer als Frauen auf öffentlichen Veranstaltungen trommeln, die falschen Schlüsse zu ziehen – oder im politischen Kontext verfehlte Forderungen.

Kulturrelativismus versus Universalismus ( = Politische Ebene)

Wenn politisch diskutiert wird, kommt es häufig zu einem Streit zwischen kulturrelativistischen und universalistischen Standpunkten.

Beim Universalismus handelt es sich um eine ethische Betrachtung. Ein ethisches Prinzip wird zu einem Universalismus, einem Ordnungsgesetz erhoben. Die Moralphilosophien von Platon, Aristoteles, Hegel oder Kant oder die Menschenrechtspositionen gehen davon aus, dass es nur eine gültige Ethik gibt, die für alle Menschen in allen Situationen gilt.

Der Kulturrelativismus hingegen versucht die Einstufung aller anderen Kulturen im Hinblick auf die eigene Weltanschauung zu vermeiden: Jedes Moralprinzip ist nur innerhalb einer bestimmten Kultur gültig. Deshalb gilt er in den Augen von Verfechtern der allgemeinen Menschenrechte als verpönt: KulturrelativistInnen sind in deren Augen Menschen, die den Verstoß gegen Menschenrechte als entschuldbar betrachten.

Aber: Das Prinzip der Enkulturation (Sozialisationsprozess) weist in den kulturrelativistischen Positionen darauf hin, dass Moralprinzipien wie zum Beispiel die Menschenrechte nicht einfach da sind und schon immer da waren, sondern sie wurden erst erworben. Der Universalismus hingegen geht davon aus, dass die Menschenrechte (oder andere Moralprinzipien) aus dem abgeleitet werden, „wie jeder Mensch im inneren Kern ist“ (naturalistische Argumentation).

Zwischen diesen beiden Positionen tobt so ein erbitterter Streit:

UniversalistInnen sind der Meinung, dass durch den Kulturrelativismus alle Grausamkeiten, die Menschen angetan werden, ihre Rechtfertigung finden und letztlich dazu diene, dass Kulturen sich gegen Kritik von außen völlig abschotten können. Die Kritik von FGM (Female Genitale Mutilation) würde damit beispielsweise demnach im Sande verlaufen.

KulturrelativistInnen sehen im Universalismus und den Menschenrechten dagegen ein Produkt von „Dead White European Males“ – verwiesen wird auch darauf, dass diese Gleichheitskonzepte die angeblich universell waren, immer Menschengruppen ausschlossen (im alten Griechenland zum Beispiel waren nur Bürger der Stadt inkludiert, Menschenrechte waren zunächst als Männerrechte konstituiert und schlossen Frauen von ihrer Gültigkeit aus).

Eine Kompromissposition strebt deshalb eine Kombination von kulturrelativistischen und universalistischen Prinzipien an, zum Beispiel der „schwache“ Kulturrelativismus, dem an kulturspezifischen Formen und Interpretationen von Menschenrechten gelegen ist. Dem entspricht u.a. das Vorgehen von Entwicklungszusammenarbeits-Projekten auf ein erkanntes Problem Möglichkeiten zur Vermittlung zu finden, die von den Menschen auch angenommen werden.  Ein weiterer Ansatz ist es die drei Generationen der Menschenrechte unterschiedlich zu behandeln, sprich die Menschenrechte der ersten Generation gelten als unantastbar, bei denen der zweiten und dritten Generation sind zumindest Diskussionen möglich.

Exkurs: Amnesty und die Prostitution

Amnesty International begründet seine Position der vollständigen Entkriminalisierung der Prostitution (inklusive Bordellbetrieb und Freiertum) mit dem Argument der Menschenrechte. Nach deren Meinung fällt explizit der Zugang von Männern zu Prostitution unter deren Menschenrechte, da Sexualität (am lebenden Objekt) als Grundbedürfnis konstruiert wird.

Amnesty Prostitution Policy document S.6

Amnesty Prostitution Policy document S.5

Dieses Beispiel einer bekannten und vielfach geschätzten Menschenrechtsorganisation sollte zeigen, dass das mit dem Universalismus mindestens auch nicht so eindeutig oder einfach ist.

Fazit

Wenn ich versuche eine Kultur aus sich heraus zu verstehen und soziale Mechanismen nachzuvollziehen, heißt das nicht gleichzeitig, dass ich sie legitimiere.

Wissenschaftliche Konzepte sind erst einmal wissenschaftliche Konzepte, jeweils mit ihren Vor- und Nachteilen. Manche erweisen sich als hilfreich, manche als unbrauchbar

Wissenschaftliche Konzepte sind immer auch ein Spiegel ihrer Zeit – Denk- und Wertstrukturen einer Epoche spiegeln sich mitunter in ihnen wieder.

Aus feministischer Sicht ist es nicht problematisch kulturrelativistisch zu analysieren und zu verstehen – problematisch wird es, wenn (physische oder symbolische) Gewalt gegen Frauen mit dem Kultur-Argument legitimiert wird.

Aus feministischer Sicht birgt aber auch der Universalismus die Gefahr Gewalt gegen Frauen als ethisch korrekt zu proklamieren und damit zu legitimieren (siehe das Amnesty-Beispiel).

In Kombination mit evolutionistischen Denkweisen tappt man aus feministischer Sicht meines Erachtens ebenso in eine Falle, wenn man die Lage der Frau in der „westlichen“ (zivilisierten) Welt im Vergleich zu anderen (barbarischen, im Mittelalter feststeckenden) Kulturen als „freier“ und Fortschritt hierarchisiert. Hier besteht dann manchmal auch die Gefahr des Kulturrelativismus gegenüber der eigenen Kultur.

Andrea Dworkin und andere Radikalfeministinnen haben deutlich gemacht wie die vermeintliche sexuelle Befreiung zu einem Bumerang für die Frauen in den „westlichen“ Gesellschaften geworden ist. Der Soziologie Bourdieu schreibt in seinem beachtenswerten Buch „Die Männliche Herrschaft“ (im Rückgriff auf feministische Analysen) jene Anpassungsleistungen der männlichen Herrschaft, die sich in immer anderen Ausprägungen reproduziert.

Frauen überall auf der Welt teilen sehr ähnliche Unterdrückungssymptome. Andrea Dworkin schlug vor die gegen Frauen ausgeübte Gewalt durch Männer als Maßstab für den Befreiungsgrad der Fau in einer Gesellschaft zu nehmen. Wenn mehr als jede dritte Frau in Europa Opfer von männlicher Gewalt wird, wenn in “westlichen” Ländern die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Frauen hoch organisiert und legalisiert als Normalität gilt, erscheint es mir zynisch unsere Lage als Frauen als auch nur annähernd frei zu bezeichnen. Meine These wäre demnach: Ja, die Unterdrückung der Klasse Frau kommt in unterschiedlichen kulturellen Kontexten unterschiedlich daher. Wir sollten jedoch nicht den Fehler machen uns in einer Sicherheit zu wiegen in der wir uns nicht befinden und zu proklamieren wir seien weniger unterdrückt als „die Anderen“. Wir wurden in unsere jeweilige Unterdrückung sozialisiert, deshalb haben wir sie in vielfacher Weise unbewusst schon längst internalisiert. Woher wissen wir ob die Empfindung einer Frau aus einem anderen gesellschaftlichen Kontext, die mit der Hypersexualisierung unserer Gesellschaft und allgegenwärtigen Objektifizierung von Frauen bei uns konfrontiert wird, nicht bei ihr zu ähnlichen Bewertung („Ja in meiner Kultur werde ich unterdrückt, aber zum Glück bin ich noch ein bisschen freier als die…“) führt? Dies bringt uns nicht weiter, wir sollten schlicht dafür kämpfen, dass alle Frauen überall ein Leben ohne Gewalt, in Frieden und und ohne geschlechtsspezifische Unterdrückung leben können.

Ein Aufruf an Feministinnen, sich an das historische und geschlechterbasierte Wesen ihrer Unterdrückung zu erinnern

Das wirklich Brillante am Patriarchat…es verwandelt Unterdrückung nicht nur in etwas Natürliches, es sexualisiert den Unterdrückungsakt. Es erotisiert Dominanz und Unterwerfung. Es institutionalisiert sie als Maskulinität und Feminität. Also normalisiert, erotisiert und institutionalisiert Unterwerfung. Das Brillante am Feminismus ist, dass wir das erkannt haben.
– Lierre Keith

In den vergangenen Monaten wurden in den USA und anderswo so viele Gesetze erlassen oder vorgeschlagen, die eine Eskalation des Kriegs – ja, es ist Krieg – gegen Frauen anzeigen. Das Russische Parlament hat gerade mit 380 zu 3 Stimmen die Entkriminalisierung häuslicher Gewalt entschieden. Es ist ein Land, in dem durchschnittlich 40 Frauen pro Tag – 14.000 Frauen pro Jahr – von ihren männlichen Partnern ermordet werden.

Die Vereinigten Staaten, wo über 1000 Frauen pro Jahr von ihren Partnern ermordet werden, haben gerade einen Präsident gewählt, der damit prahlt, dass “wenn du ein Star bist, lassen sie es dich einfach tun, pack sie an der Pussy” und in Pornografie und Menschenhandel verwickelt ist. Sein Plan ist es, die finanzielle Unterstützung für 25 Programme gegen häusliche Gewalt zu eliminieren und weiblichen Angestellten zu befehlen, sich “wie Frauen anzuziehen”. Texas denkt darüber nach, Frauen, die eine Abtreibung hatten, ihr Wahlrecht zu entziehen; Arkansas möchte Vergewaltiger in die Lage versetzen, Frauen zu verklagen, die abtreiben.

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