In Algerien findet seit einigen Wochen ein Krieg zum Thema Bekleidung von Frauen statt, zumindest in den sozialen Netzwerken.
Schon seit einigen Monaten wird immer wieder die sexuelle Belästigung von Frauen auf den Straßen thematisiert. Ähnlich eines Videos von Belästigungen einer Frau durch Männer in New York wurde ein Video von einer jungen Frau in den Straßen von Algier gedreht die ebenso ständig verbal belästigt wurde. Es gab weitere Videos von Übergriffen auf Frauen in Algerien, teilweise im Zusammenhang zum Thema Prostitution, mit der Frage, ob es relevant ist, ob eine Frau eine prostituierte Frau ist oder nicht. Sexuelle Übergriffe, ob verbal oder handgreiflich, machen das Laufen auf der Straße ohne männliche Begleitung zu einer Hölle.
Die meisten Beiträge sehen die Ursache dieser Übergriffe in fehlendem Respekt durch Verwahrlosung in der Erziehung (das kleine Prinzensyndrom), ein schlechtes Bildungssystem, und sexueller Frustration, da die Bevölkerung sehr jung ist, aber Beziehungen nicht möglich sind. Frauen selbst wird aber natürlich auch die Schuld gegeben, da sie nicht völlig verschleiert rausgingen auf die Straße. Auffallend oft wurden aber junge Männer beschimpft.
Vor wenigen Wochen dann durfte eine Jurastudentin nicht in ihrem Rock zu ihrem Examen, da ihr Rock zu kurz war. Ein Securityguard vertrat diese Meinung und so musste sie sich schnell eine Hose kaufen um ihre Prüfung noch ablegen zu können.
Sie klagte bei der Universitätsleitung, Mohamed Tahar Hadja. Dieser gab dem Securityguard recht, denn an der Universität müssten sich, wie er mitteilte, Männer wie Frauen anständig anziehen, deshalb lege keine Diskriminierung vor. Die betreffende Frau veröffentlichte den Vorfall.
Es kam sofort zur Twitter Kampagne #jupetropcourte – „Rock zu kurz“ und die Facebookseite „ ma dignite n`est pas dans la longeur de ma jupe“- meine Würde hat nichts mit der Länge meines Rocks zu tun“ wurde eröffnet. Innerhalb weniger Tage erhielt diese Seite 15,000 Likes, und FollowerInnen teilten demonstrativ Fotos ihrer Beine, teilweise mit dem Schriftzug „mein Körper gehört mir“.
Als Gegenreaktion wurde die Kampagne bei Twitter und anderen sozialen Netzwerken #Sois un homme- „sei ein Mann“ geschaffen und, ebenso, #Ne laisse pas tes femmes sortir avec une tenue osée – lasse deine Frauen nicht in gewagter Kleidung raus“. Bedeckte Kleidung sollte vor sexueller Belästigung auf der Straße schützen. Ein hierfür veröffentlichtes Foto zeigt einen Mann mit seinen vier Töchtern, alle mit Kopftuch und sehr jung, auf einem Sofa sitzend. Ein sarkastischer Kommentar hierzu war : “ Achtung das Baby könnte Männer verführen…“
Das Frauen Schuld zugewiesen wird, in der Regel von Männern für deren eigenes Verhalten, ist uns bekannt. Wieso sollte es in anderen Ländern anders sein.
Auch diese Kampagnen erhielten viel Unterstützung. GegnerInnen versuchten sich noch hierüber lächerlich zu machen indem sie einen Scheich/Cheikh zitierten, der gesagt haben soll, dass nicht die Länge der Frauenröcke das Problem sei, sondern Frauen selbst.
Auf Seiten bei Facebook wie „Rebelles algeriennes“ werden deshalb oft Männer mit muslimischem Bart und Bekleidung bei sexuellen Belästigungen von Frauen gezeigt, oft sogar von Frauen mit Kopftuch, um deutlich zu machen, dass Männer das Problem sind. Die Verschleierung schützt keine Frau, und angeblich strenggläubige Männer sind so widerwärtig wie andere auch, soll auf diesem Weg bewiesen werden.
Dilem, er algerische Karikaturist der seit einigen Monaten für Charlie Hebdo arbeitet, veröffentliche daraufhin eine Karikatur, die eine Frau in einem kurzen Kleid zeigt, wie sie von einem Mann mit langem Bart angeschrien wird:“Dein Rock ist zu kurz“.
In den Kommentaren zu diesem Thema wird immer wieder angemerkt, dass ein muslimischer Mann den Blick zu senken habe, ganz einfach, so wie es auch im Koran steht. Jede Frau könne selbst anziehen was sie wolle und wenn es nicht passt, dann nicht hinsehen. Es gäbe schließlich keinen Zwang im Glauben.
Natürlich ist dieser Krieg im virtuellen Raum nicht vom Himmel gefallen.
Das Thema Frauenkleidung ist in westlichen Ländern seit einiger Zeit wieder im Fokus, allerdings werden hier Frauen für das Tragen vom Kopftuch, Hidjab, abgelehnt und diskriminiert. Ein besonders grauenhafter Zwischenfall hierzu fand in Frankreich statt, auch vor kurzer Zeit, und fast zeitgleich, als eine junge muslimische Studentin der Schule verwiesen wurde, da ihr Rock zu lang sei und religiöse Kleidung untersagt sei. Die Kleidung ist also überall ein spannendes Thema und überall wird gerne von Männern bestimmt, wie und wie viel eine Frau an Kleidung zu tragen habe, damit es gefällt (meistens den Männern). Das sehr bedauerliche an der Kampagne #soisunhomme ist, das diese Kampagne genau westliche Vorurteile oder Urteile zum Kopftuchzwang durch Männer bestätigen zu scheint.
Seit vielen Monaten wird in Algerien ebenso für das Tragen des traditionellen Haik geworben mit ständig neuen Fotos von Frauen in dieser traditionellen Bekleidung (weißer Überwurf und weiße Gesichtsverdeckung) und Aussagen wie..“ der traditionelle Haik zeigt die Würde und Schönheit algerischer Frauen..“. Die dunkle Kleidung von Frauen, die in den letzten Jahren zugenommen hat, wird als arabischer Imperialismus (oder auch shiitischer) wahrgenommen. Auch die Bekämpfung des „fremden“ Einflusses scheint durch Frauen geführt werden zu müssen. Auch in diesem Zusammenhang wurden sofort Fotos kabylischer Frauen in ihrer traditionellen Bekleidung veröffentlicht-diese ist bunt und wenn ein Kopftuch getragen wird, dann wird es hinten zugebunden.
Ob eine Frau sich gezwungen sieht, sich weiß oder schwarz zu verschleiern und das Gesicht zu verdecken, bleibt sich gleich. Weiß wirkt vielleicht weniger bedrohlich und wird oft als Farbe der Reinheit und Unschuld gesehen. In jedem Fall wird Verschleierung durch Lob und Bewunderung für den Haik gefördert. Eine Frau in weiß ist sozusagen die wahre algerische Frau, stolz auf die Tradition ihres Landes. Im Westen werden Frauen in die Nacktheit gelobt und in Algerien in die weiße Verschleierung.
Sofia Djama, eine algerische Filmregisseurin, meinte: „le corps de la femme devient un champ de bataille quand la situation d’un pays est désastreuse“-“ der Körper einer Frau wird zum Schlachtfeld wenn die Situation in einem Land disaströs schlecht ist..“
Die Erdölpreise sind gesunken und Algerien importiert fast hundert Prozent aller Güterwaren aus dem Ausland. Die Arbeitslosigkeit und Verarmung nimmt zu, das Gesundheitssystem ist in einem furchtbaren Zustand. Frauen mit Brustkrebs müssen teilweise Monate auf einen Platz in der Chemotherapie warten und sterben elendig in der Zwischenzeit. Allerdings findet ebenso ein langsames Wiederaufflammen des radikalen Islamismus ( oder des „Integrisme“ , denn Ziel ist es, keine Trennung zwischen Staat und Religion zu haben) statt. Kämpfer für den IS (Daesh) aus dem Ausland reisen über Algerien ein und angeblich gab es schon eine Stellungnahme eines IS Kämpfers in Algerien. Erst vor zwei Wochen wurden 22 Terroristen in Bouira vom Militär getötet, und insgesamt nehmen Gewalt und Entführungen zu. Die Entführung und Ermordung des Franzosen Herve Gourdel war nur ein Fall von vielen, denn auch vor nur wenigen Wochen wurden vier Männer, ehemalige patriotische Kämpfer gegen Integristen im schwarzen Jahrzehnt (decennie noir), das Jahrzehnt in dem Algerien sich fast im Bürgerkrieg befand und tausende Menschen brutal ermordet wurden. Gerade in der Bergregion der Kabylei sollen westliche Geschäftsleute nur noch mit polizeilichem Begleitschutz reisen (Auswärtiges Amt). Die Kabylei ist zwar durch die unwegsamen Berge ein ideales Rückzugsgebiet für Terroristen, aber Kabylen haben auch einen anderen kulturellen Hintergrund und sehen sich nicht als Araber. Es gibt schon lange Unabhängigkeitsbestrebungen und viele in der Bevölkerung lehnen alles arabische ab, inklusive der Sprache. Ein Kabyle sagte..“die Kabylen werden nie zulassen, das alle Frauen sich verschleiern müssen..“ Allerdings würde ich vermuten, dass dies nicht zugelassen wird aus Hass gegenüber allem arabischen, und weniger aus Interesse für die Gleichheit und Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Kabylen (den Männern) selbst wird von arabischen Algeriern vorgeworfen keine Muslime zu sein, denn sie würden Alkohol in Massen konsumieren und Wildschwein essen.
Dieser Kampf zwischen kabylischen und arabischen AlgerierInnen, zwischen Islamisten und Anhängerinnen der Trennung von Religion und Staat, zunehmendes Machtbestreben durch Integristen in einem Land reich an Erdöl und Gas bei immer knapper werdenden Ressourcen, wird auf dem Rücken der Frauen ausgetragen. Aber das ist nichts Neues. Frauen tragen das ganze Patriarchat auf ihrem Rücken. Überall.
http://bigbrowser.blog.lemonde.fr/2015/05/25/prouver-sa-virilite-en-voilant-sa-femme/
(Fotos sind hier alle abgebildet)
http://www.elwatan.com/actualite/l-algerie-ma-terre-de-djihad-22-05-2015-295370_109.php?utm_source=twitterfeed&utm_medium=facebook