Kategorie: Feminismus

Das Phänomen Trump – und die (feministischen) Lehren daraus

Die Welt ist aus dem Häuschen. Donald Trump ist der 45. Präsident der USA. Kurzzeitig brach die Börse zusammen, ebenso wie die Einwanderungsseite Kanadas. Auf Twitter, Facebook, im Fernsehen überschlug sich die moralische Empörung, die absolute Entgeisterung. WIE, fragen sie alle, konnte das passieren. Und schon melden sich die ersten Feministinnen zu Wort. Durch die Bank sind sie sich alle einig, die liberalen Feministinnen, die deutschen, die amerikanischen, die Schwarzer-Feministinnen, dass Trump nur deshalb gewonnen hat, weil Hillary eine Frau ist, weil der Frauenhass über die Inhalte gesiegt hat. Es ist einfach, das so zu analysieren, zu sagen, die „angry white men“ hätten so entschieden, weil sie eben eine Frau ist. Leider ist es aber falsch, oder zumindest nicht so einfach.

Niemand, oder nur die wenigsten, sahen Trumps Wahlsieg kommen. Alle glaubten, Hillary mache das Rennen, lag sie doch in den Umfragen, in den statistischen Erhebungen vorn. Leise waren die Mahnungen derer, die sagten, dass viele wählen werden, die diese Experten gar nicht auf dem Schirm haben, jene, die bisher noch nie wählten. All die Intellektuellen, die Politiker, die Journalisten, sie prügelten auf Trump ein und auch auf seine Wähler, die sie für schießwütige Rednecks hielten, für „White Trash“ und Schlimmeres. Auch die deutschen Medien berichteten so. Innegehalten und zugehört haben ihnen nur die wenigsten, denn, solche wie die können doch nicht darüber bestimmen, wie ein Land regiert wird, das wissen die Eliten, all die Wohlgelehrten so viel besser und sie waren so überzeugt von sich, dass sie glaubten, das Brodeln und Rumoren im eigenen Land wahlweise überhören oder verurteilen zu können, ein Phänomen, das wir bei uns im Spott über die „besorgten Bürger“ wieder erkennen. Auch in den USA schämte man sich dieser besorgten Bürger, die so gar nicht weltmännisch daher kommen, denen die Welt und die Globalisierung und die politische Korrektheit und das Klima egal sind, die sich dafür interessieren, wieder Jobs zu haben, Rechnungen bezahlen zu können und Hoffnung zu haben.

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Töten und Männlichkeit

Mann mit Gewehr

[Public Domain]

Als Zeichen der Männlichkeit wird traditionell Aggressivität und die Fähigkeit zum Töten gesehen. Es ist ein Thema, mit dem man sich beschäftigen sollte, denn es erklärt auch, als ein Faktor, die massive Gewalt an Frauen und Kindern, und natürlich auch Amokläufe, Terrorakte und „Familiendramen“. Und Gewalt fängt auch beim Verhalten gegenüber Tieren an, beim Schlachten, denn auch hier schon beginnt die „Psychologie des Tötens“. Ein Aspekt bedingt den anderen. Ja, wir müssen über das Töten und Männlichkeit sprechen.

Immer wieder wird man unverhofft mit direkter Gewalt an Tieren konfrontiert, seien es von Bäumen hängende Hasen in der Jagdzeit, auf die man während einer Fahrt mit der S-Bahn blicken muss, seien es an Gummiseilen tote hängende Meerschweinchen, die zur Fütterung in Zookäfigen hängen, oder Bräuche wie Gänsereiten in der Karnevalszeit, wo Reiter zwischen den Bäumen hängenden Gänsen den Kopf abreißen müssen. Früher wurde dies mit lebenden Gänsen durchgeführt und war auch in England und den Niederlanden üblich. Die Gewalt der Massentierhaltung ist versteckter, aber natürlich genauso grauenhaft. Alles aber sind Gesichter männlicher Gewalt, auch wenn sich einige Frauen an dieser Form der Gewalt beteiligen.

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Deutsche Zustände

Ein Gastbeitrag von Huschke Mau

Es ist ein Samstag im September. Ich bin extra früh aufgestanden, weil ich zum Sport wollte. Aber das kann ich jetzt knicken, denn vor dem Sport sollte man ein bisschen was essen, und ich krieg jetzt nichts mehr runter. Ein Hoch auf die fatale Angewohnheit, noch vor dem Frühstück in die sozialen Medien zu gucken. Hätte ich mir sparen sollen.

Es ist ein Samstag im September, und ich lese, dass ein Bordellbetreiber, ein verurteilter Menschenhändlermit Kontakten in die organisierte Kriminalität, Prinz Marcus von Sachsen-Anhalt, im Fernsehen aus dem Nähkästchen plaudern darf. Darüber, wie reich ihn die Ausbeutung von Frauen gemacht hat. Darüber, wie das so läuft, wenn er Frauen an andere Zuhälter verkauft. Darüber, wie er die Frauen hat 16 Stunden am Tag schaffen lassen und darüber, wie viel Kohle ihm das gebracht hat. Darüber, dass er sich für einen „guten Luden“ hält. Und darüber, wie lustig das ist, dass die Polizei das alles für Sklaverei hält.

Denn in Deutschland, dem Land mit dem liberalsten Prostitutionsgesetz der Welt, haben im Jahr 15 seit Verabschiedung eben jenen Gesetzes Menschenhändler, Zuhälter und Bordellbetreiber nichts weiter zu fürchten. Sie sitzen gelackt und geschniegelt in Talkshows und können sich offen über ihren Job verbreiten, sie sind angesehene Geschäftsmänner und wenn sie Ärger mit der Justiz bekommen, dann höchstens wegen Steuerhinterziehung. Willkommen in einem Land, für dessen Bevölkerung Zuhälter und Menschenhändler nicht verachtens- und ächtenswert, sondern Unterhaltung sind. In der sie als schillernde Vögel durch ihre Bordelle führen dürfen. In der sie Promis sind, deren Knasterfahrung und Nähe zu den Hells Angels höchstens noch als spannend angesehen werden.
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Lesben nehmen sich viel zu wichtig

Woman Power Symbol, Feminist Fist

Public Domain C00

Und bähm, rausgezockt hat es mich aus der Versenkung. Obwohl: Versenkung gibt es ja eigentlich nicht, wenn ich das singende Twitter-Liedchen mal wörtlich nehmen soll. Denn wir sind Ü.B.E.R.A.L.L. Und wir sind so S.I.C.H.T.B.A.R.

Und jetzt wird es mal Zeit, dass ich mal sage, was mich so richtig abgefahren nervt:

Lesben.

Jeden verdammten Tag. ÜBERALL.

Diese überdimensionale Präsenz lesbischen Begehrens: Sie ist wirklich nicht mehr zum aushalten.

Kennt ihr? Nein? Dann denkt mal nach, an den letzten Spaziergang, die Arbeitsstelle, die Fußgängerzone, Geschäfte, Cafés, Kneipen:

ÜBERALL treiben die sich rum, diese Lesben. ÜBERALL, wo man hinsieht: Frauenpärchen, Frauenpärchen, Frauenpärchen.

Und diese wilden Knutsch-Szenarien erst: furchtbar, können die nicht, ich meine zu Hause und so … MUSS DAS SEIN?

Um ehrlich zu sein, ich komme mit dieser Omnipräsenz meiner Zunft fast kaum noch zurecht. Ich suche mir jetzt eine Therapeutin – eine heterosexuelle selbstredend.

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Die Betroffenen-Expertinnen-Dichotomie

Listen

Ky via Flickr, (CC BY 2.0)

Betroffenen von sexueller Gewalt zuzuhören bedeutet, die eigene Enttäuschung, das eigene Ego für einen Moment hinten anzustellen

“There must be those among whom we can sit down and weep and still be counted as warriors.”Adrienne Rich

In den letzten Jahren beobachte ich zunehmend ein Phänomen, das sich grob gesagt als „Entsolidarisierung unter Frauen“ bezeichnen lässt (und es ist sicher kein neues). Wir haben darüber an mehreren Stellen geschrieben und ich möchte heute ebenfalls noch einmal etwas dazu beisteuern:

Vor einiger Zeit, es war die Zeit, in der Thomas Fischer, seines Zeichens Bundesrichter am BGH seine ersten misogynen Ergüsse in der eigens für ihn eingerichteten Kolumne auf ZEIT Online zum Besten gab, entbrannten hier und da Diskussionen zum Sexualstrafrecht. Diese Diskussionen verfolgten unterschiedliche Muster, von denen ich eins hier näher beleuchten möchte.

In diesen Debatten meldeten sich häufig Betroffene zu Wort und häufig Menschen, die fachlich/beruflich mit der Thematik zu tun haben. Das können PsychotherapeutInnen, ÄrztInnen, KriminalbeamtInnen, JuristInnen, etc. sein. Beide „Seiten“, wenn man von solchen sprechen kann, diskutier(t)en stets engagiert, mit Herzblut, jede aus ihrem Blickwinkel. Mit einem von mir häufig beobachteten Unterschied:

Während die „fachliche Seite“ sukzessive die Diskussionen dominiert, wird es um die Betroffenenseite genauso suḱzessive still.  Die fachliche Seite wird als die sachlich-richtige, weil emotions-freie, politisch-korrekte, die mit „Ahnung“ gehandelt, die Betroffenenseite in vielen dieser Diskussionen zum Individualschauplatz erklärt, zu über-emotional, nicht sachlich genug. Der Betroffenenheitsperspektive wird – ob gewollt oder nicht, ob bewusst oder unbewusst – jegliche fachliche Expertise abgesprochen und entzogen. Vergessen wird dabei, dass Betroffene von sexueller Gewalt in ihrer Sache die Expertinnen Nr. 1 sind, die psychischen Folgen, das Äußern von Fragilität, von Ohnmacht, von posttraumatischen Störungen entzieht ihnen jedoch – ob gewollt oder nicht, ob bewusst oder unbewusst – ihr Recht auf eine „sachliche“, „rationale“ Meinung.

Wir sollten uns bei solchen Dynamiken vergegenwärtigen, dass das eine urpatriarchale Strategie ist, die sich in Frauen-Geschichte immer wieder findet. Nehmen wir als ein Beispiel die „Hysterie“, ein Zwangsdiagnostikum, dass das Ziel hatte, die (Gewalt-)Erfahrungen von Frauen für nichtig und phantasiert zu erklären. Kurzum: ihnen nicht zu glauben, ihrem Leid keine Relevanz zuzusprechen – belangloses Leid eben.

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Burkini – es ist kompliziert

Women in Islam

By Petar Milošević (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Eigentlich wollte ich nichts zur Diskussion über den Burkini beitragen. Es wurde schon sehr viel geschrieben und viele scheinen Antworten zu haben. Ich habe keine Antwort, nicht wirklich.

Ich sehe im Patriarchat nicht wirklich die Freiheit zu tragen, was wir möchten und auch nicht das zu tun, was wir wirklich möchten, nicht wirklich und nirgendwo.

Es gibt auch nicht „die Burkini-Trägerin“: damit fängt das Problem an und wird kompliziert.

Die Entscheidungen einen Burkini zu tragen sind so vielfältig wie Frauen unterschiedlich sind. Eine europäische Burkini-Trägerin hat andere Beweggründe als eine Frau in einem islamischen Land, und auch islamische Länder sind völlig unterschiedlich kulturell geprägt.

Ich kann nur über Algerien wirklich sprechen, aber einige Aspekte sind übertragbar.

Und da die Burkini-Diskussion besonders Frankreich betrifft und hier angefangen hat, ist es unabdingbar über Algerien zu sprechen. Es geht gar nicht anders.

Wir müssen deshalb auch in die Vergangenheit blicken, in die Kolonialzeit, die ein Ende mit dem algerischen Unabhängigkeitskrieg hatte, 1962. Es ist nicht wirklich lange her. Die Gräueltaten der Franzosen sind präsent in Algerien, immer, viele der Mudjahedin, Revolutionskämpfer, leben noch.

Die algerische Nationalhymne spricht Frankreich direkt an: „Oh Frankreich, die Zeit der Unterdrückung ist vorüber, wir schlossen sie wie ein Buch, oh Frankreich, die Zeit der Abrechnung ist gekommen, so bereite Dich auf unsere Antwort vor.“

Algerien spricht von 1 ½ Millionen toten Algerier und Algeriererinnen in der Zeit des Krieges von 1954 bis 1962, Frankreich hat natürlich andere Zahlen. Aber schon 1945 kam es zum Massaker von Setif und Guelma, wo 45.000 Algerierinnen abgeschlachtet wurden von französischen Soldaten.

Das Denkmal der Revolution, le Monument, und das Museum befinden sich in Alger mit nachgestellten Szenen der Folterungen durch das französische Militär. Die FLN, die RevolutionskämpferInnen, hat 154.000 Menschen von insgesamt 336.000 verloren, also die Hälfte der Menschen, die ihr Leben für ein freies Algerien opfern wollten.

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Rufe alle Lesben bitte kommen!

Ausschnitt Cover "Beiträge 25/26/98"

Die altgewohnten Lesben unter uns wissen, woher der Titel stammt. Und ich gestehe: ich habe ihn gnadenlos geklaut! 1974 veröffentlichte ein Lesbenkollektiv die CLIT-Papiere. 1977 publizierte der Tomyris Selbstverlag die deutsch-sprachige Ausgabe, der ihr den besagten Titel gab. (Übrigens: Leseempfehlung, aber bitte vorher hetero-normative Abwehrreflexe ausschalten – denn da wird das hetero-sexistische Patriarchat gnadenlos bis an die Wurzel analysiert! Im Zweifelsfall: Das mitnehmen, was passt, und das, was nicht passt, zurücklassen 😉 ).

Nun gut, back to topic: Ich meine den Titel ernst. Gibt es Lesben noch? Und wenn ja, wo?

In den letzten Tagen ist in meinem Kopf ein Facepalmenstrand gewachsen, ich las zuviel über Lesben(magazine), zuviel über queer, zuviel über die vermeintlich große Akzeptanz nicht heteronormativen Begehrens in der Gesellschaft und sah im Gegenzug dazu keine Lesben und keine dezidiert lesbenpolitischen Inhalte.

Deswegen wird es Zeit für eine Kolumne! Jawohl! Und ich leite sie völlig durcheinander und unstrukturiert mit ein paar Fragen und Gedanken ein.

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Dörte, wir müssen reden: mehr Männer, mehr Probleme

Kopie Zeitungsartikel Sächsische Zeitung

Donnerstag, den 7. Juli morgens, blieb mir beim Frühstück fast das Brötchen im Halse stecken. Grund dafür war dieser Artikel in der Sächsischen Zeitung:
Mir ist vor Schreck gleich gar nicht klar, wo ich anfangen soll. Hinzu kommt das Problem der Sprach-, oder besser: Wortlosigkeit. Dieses Phänomen, das weiß ich aus Gesprächen mit Freundinnen und weiblichen Bekannten, betrifft nicht nur mich. Die Frage lautet: Wie formuliere ich, dass es ein mehr oder weniger neues Phänomen gibt, welches mir Angst macht, ohne dass ich rassistisches Vokabular gebrauche?

Ich beschreibe zunächst mal, was mir im letzten halben Jahr so passiert ist und was ich gesehen habe, draußen auf der Straße.

Da gab es:

  • Einen Mann der mir von der Haltestelle nach Hause folgte, nachdem ich in seine Richtung geschaut hatte
  • Männer, an denen ich nicht vorbeigehen konnte, ohne dass sie mich ansprachen („Hallo“, „schöne Frau“, Kussgeräusche).
  • Männer denen ich nicht ins Gesicht schauen kann, mit denen ich Blickkontakt vermeiden muss, weil sie sich sonst ermuntert fühlen auf mich zuzukommen und mich zu bedrängen.
  • Männer, die den ganzen Tag auf unserer größten Einkaufsmeile, der Prager Straße, rumhängen und fast alle Frauen anmachen, die an ihnen vorbeilaufen.
  • Männer, die ebendort in Gruppen minderjährige Mädchen umringen, sie ansprechen, anfassen.
  • Männer, die sich mir in den Weg stellten und mich sehr aggressiv fragten, ob ich „ficken“ will, und die mich daran hinderten, ihnen auszuweichen und an ihnen vorbeizulaufen.
  • Männer, die mich im Vorbeigehen als „Fotze“ oder „Schlampe“ bezeichneten, oder die hinter meinem Rücken ausspuckten.
  • Männer, die mich fragten ob ich ficken will, und die mich als „Rassistin“ und „schwul“ bezeichnen und mir Schläge anboten, als ich ablehnte.

All das waren nicht nur Aktionen einzelner Männer, diese Männer standen oft in Gruppen zusammen. Ich habe nicht gezählt, wie oft das vorkam, es ist jedenfalls inzwischen soweit, dass meine Hand automatisch zum Pfefferspray geht, wenn ich an solchen Gruppen vorbei muss, und nein, das sind keine Vorurteile, das sind Erfahrungswerte – leider. Und ich werde aus solchen Gruppen heraus jedes Mal angesprochen. JEDES. VERDAMMTE. MAL. Und ich kann froh sein, wenn es dabei bleibt. Und für diejenigen LeserInnen unter uns, die immer noch auf Vergewaltigungsmythen stehen: Nein, ich bin nicht Miss Universum. Nein, ich trage nicht täglich einen Minirock. Nein, ich sehe das nicht als Kompliment und nein, ich will das nicht!

Und jetzt die Frage: Wie soll ich diese Männer – denn natürlich sind es Männer, das Merkwürdige ist, dass sich alle darum kloppen, wer jetzt schlimmer ist, Migranten oder Deutsche, aber daran, dass es Männer sind, stört sich selten jemand – bezeichnen, ohne rassistisch zu sein? Es sind bestimmt nicht alle Flüchtlinge. Es sind bestimmt nicht alle Asylbewerber. Soll ich sagen: „es sind Männer mit Migrationshintergrund“? Soll ich sagen: „es sind Männer mit dunkler Haut“? Wie soll ich sie nennen? „Die da“?

Und da fängt die Sprachlosigkeit an. Sie beginnt dabei, dass ich nicht benennen kann, welche Gruppe hier für diese stark veränderte Atmosphäre auf der Straße sorgt. Das Problem verläuft sich dort weiter im Sand, wo der „nicht alle“-Konflikt hinzukommt. Jede Frau, die Gewalt durch Männer problematisiert, hört ihn dauernd: den Einwand „aber nicht alle Männer sind so!“. Dieser Spruch ist aus mehreren Gründen problematisch.

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Meinungspluralismus im Feminismus

Grafik mit dem Text: "Think"

Public Domain, via Pixabay

In der letzten Zeit denke ich viel über meine eigene Entwicklung nach, die ich bzgl. des Umgangs mit unterschiedlichen Haltungen im Feminismus durchgemacht habe. Der Text der Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt sowie auch der Text von Kate Leigh „Abschied vom liberalen Feminismus“ haben mich nun veranlasst, diesen Prozess und meine Gedanken dazu aufzuschreiben:

Ich wurde nicht feministisch sozialisiert, die Thematisierung von Feminismus beschränkte sich in meiner Familie auf das Lächerlichmachen von Alice Schwarzer, wenn diese im Fernseher auftrat. Bei einem kurzen Aufenthalt an einer Fachhochschule, in der ich mich auch an Gremienarbeit beteiligte, kam ich in Kontakt mit dem Frauen- und Lesbenreferat. Ich nahm an einigen Sitzungen teil und merkte, dass ich mich dort nicht „abgeholt“ und „überhört“ fühlte. Diese Frauen schienen irgendwie andere Probleme zu haben als ich, hatten einen gebildeteren Hintergrund, waren feministisch belesen, ich war dies nicht und das habe ich oft in Herablassung zu spüren bekommen. Aus diesem Grunde entfernte ich mich aus diesem Kreis und beteiligte mich nur noch an anderen hochschulpolitischen Themen – Feministin wollte ich mich nicht nennen, wenn Feminismus bedeutet, andere aufgrund ihres Bildungshintergrundes lächerlich zu machen.

Dann vergingen viele Jahre und ich ergriff einen technischen Beruf in der Metallindustrie. Eine Frau unter vielen Männern. Anfangs lachte ich bei dem dort vorherrschenden Sexismus mit, um nicht als spaßbefreite Emanze zu gelten, später lachte ich nicht mehr mit und reagierte nicht und noch viel später ertrug ich es einfach nicht mehr. Da ich dann auch sehr krank wurde, war es mir nur recht, aus diesem Beruf aussteigen zu können.

In dieser Zeit, in der mir Sexismus so deutlich vor die Augen geführt worden war, ich ihn am eigenen Leib erlebte und vor allem immer häufiger überhaupt wahrnahm, wie konditioniert wir Frauen in dieser Gesellschaft eigentlich sind, begann ich im Internet nach Feminimus-Plattformen zu suchen. Die Blogs, die ich fand, waren alle queer-feministisch orientiert und ich musste erst einmal viel recherchieren, um manche Begriffe überhaupt erst einmal zu verstehen. Die meisten der dort vertretenen Meinungen und Haltungen übernahm ich, viele übernahm ich – rückblickend betrachtet – völlig unhinterfragt. Das tat ich etwa eineinhalb Jahre lang, bis ich mich in vielen Situationen, Diskussionen ein ganz merkwürdiges, nicht greifbares, aber sehr ungutes Gefühl beschlich. Da ich auch in Projekte involviert war, machte mir das immer mehr Unbehagen. Dieses ungute Gefühl steigerte sich in absolutes Unwohlsein im Umgang mit einigen Menschen dieser Queer-Szene, aber auch in ein Unwohlsein dabei, wie Debatten geführt wurden. Richtig benennen, was mich da so beschlich, konnte ich damals aber nicht.
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Abschied vom liberalen Feminismus

Liberaler Feminismus vs. Patriarchat (Comic)

Dies ist eine Übersetzung des Textes „Leaving Liberal Feminism“ von Kate Leigh mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

Ich kann euch – um ehrlich zu sein, nicht mehr sagen, wann ich damit begann, mich der liberal (ausgerichteten) intersektionell-feministischen Denkweise anzuschließen. Sie war einfach Teil meiner Auseinandersetzungsprozesse und in in Folge dessen mein Alltag – online und offline. Ich folgte allen Blogs und Seiten. Ich steuerte Kommentare bei, teilte Inhalte. Ich wies Menschen darauf hin, ihre Privilegien zu überprüfen und darauf, dass auch Männer Feminismus brauchen. Der liberale Feminismus war der einzige, den ich kannte. Eigentlich habe ich mich aber nie als liberale Feministin bezeichnet, obwohl ich seine Haltungen vertrat. Ich bezeichnete mich als „Feministin“, ohne zu wissen, dass es noch andere (feministische) Ausrichtungen gibt.

Mit meinen noch frischen Erinnerungen an das, was mir durch den Kopf ging, während ich diese Überzeugungen vertrat, möchte ich im nächsten Abschnitt versuchen, meine Erfahrungen aus der Zeit der liberal-feministischen Perspektive zu beschreiben. Im abschließenden Teil erkläre ich,  warum ich meine Haltung änderte und wie es dazu kam.

Die liberal-intersektionelle feministische Mentalität

Empowert durch Wahl(möglichkeitkeiten)

Alle Entscheidungen sind gut und richtig, solange du sie wählst. Agency steht an erster Stelle. Wir dürfen niemals Entscheidungen einer anderen Person in Frage stellen. Wir werden das unveräußerliche Recht jedes Menschen, ihre_seine eigene Entscheidungen zu treffen, bis auf den Tod verteidigen und jede_n verurteilen, die_der es unternimmt, diese Entscheidungen in einem größeren Kontext zu analysieren. Als Frauen ist jede Wahl, die wir treffen, standardmäßig eine femininistische Wahl, sofern wir Frauen sind und uns entscheiden. Folglich ist es feministisch, Stilettos zu tragen oder eine „Sexarbeiterin“ [Anführungszeichen von Störenfriedas] zu werden. Jede_r, die_der es unternimmt, das größere Ganze zu diskutieren, muss zum Schweigen gebracht werden, um individuelle Entscheidungen zu verteidigen.

Weil alle Entscheidungen gut und feministisch sind, bin ich unfehlbar in allem, es ist unerheblich, für was mich entscheide. Es ist mein Recht und niemand darf es mir nehmen. Es ist persönlich empowernd und zu verteidigen.

Selbst-Identifikation

Jeder Mensch hat das Recht, sich selbst zu bezeichnen und niemand hat das Recht, die Identität einer anderen Person in Frage zu stellen. Identität ist angeboren und intern; sie kann nicht verändert werden. Identität ist das, was du wirklich bist und immer gewesen bist; sie ist unabänderlich. Jemandes Identität in Frage zu stellen, ist inakzeptabel. Identitäten müssen angenommen, geglaubt und von allen bekräftigt werden. Jemand, die_der es wagt, das Gegenteil zu tun, wird unhinterfragt ausgebuht. Ich bin das, was immer ich behaupte zu sein. Ich bin allein so, wie ich mich fühle. Jede_r hat mich zu akzeptieren. Ich fühle mich empowert.

Privileg und Privilegien-Check

Es existiert ein riesiges und komplexes Privilegien-System. Wir sind alle in bestimmten Bereichen privilegiert und in anderen nicht. Es liegt in jeder Person selbst, eigene Privilegien zu erkennen und das Überprüfen von Privilegien anderer einzufordern. Die_der Privilegierte darf niemals die_den weniger Privilegierteren hinterfragen. Eine weiße Frau beispielsweise darf niemals die Erfahrungen und Entscheidungen einer Schwarzen Frau hinterfragen. Zu Privilegien gehören – (die Sammlung) ist aber nicht darauf begrenzt: männliches Privileg, weißes Privileg, Thin-Privileg (Privileg, dünn zu sein), Able-Privileg (das Privileg, nicht von einer Behinderung/Krankheit betroffen zu sein), ökonomisches Privileg und: Cis-Privileg (das Privileg der Übereinstimmung von biologischem und sozial konstruierten Geschlecht (Gender).

Ich bin mir meiner eigene Privilegien bewusst und überprüfe sie regelmäßig. Ich stelle Menschen zur Rede, wenn sie ihr eigenes Privileg nicht erkennen. Ich fühle mich überlegen und selbstgerecht dabei, für die Verletzlichsten einzutreten. Ich gehe auf die ein, die weniger Privilegien als ich haben und ich gestatte es niemals jemandem, sie_ihn oder ihr_sein Erleben zu hinterfragen. Weil ich Cis bin, darf ich niemals irgendetwas hinterfragen, was mit dem Leben als Trans-Person zu tun hat. Ich bin besser als Menschen, die ihr Privileg nicht erkennen.

Feminsmus ist für alle da

Feminismus ist nichts Exklusives. Wir schließen alle mit ein und nehmen jede_n mit. Wir sind davon überzeugt, dass auch Männer Feminismus brauchen, auch wenn sie den Begriff weder kennen noch erfassen. Frauen stehen nicht im Zentrum des Feminismus, wir sollen es auch nicht werden. Wir alle sollen gleich sein.

Ich bin aufgeschlossener als die meisten Menschen und wieder: ich fühle mich überlegen. Ich denke, dass ich jede_n unterstütze, auch wenn sie (die ich unterstützen möchte) gar nicht wissen, dass sie meine Hilfe benötigen. Weiterlesen