Kategorie: Sexuelle Gewalt

Eine radikalfeministische Perspektive auf BDSM

By David Shankbone (Own work) [GFDL or CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

Begriffsklärungen

B = Bondage
D = Domination, Dominance, Discipline
S = Sadism, Submission, Slave
M = Masochism, Master

Sadismus: Ein Mensch erlebt (oftmals sexuelle) Lust oder Befriedigung dadurch, andere Menschen zu demütigen, zu unterdrücken oder ihnen Schmerzen zuzufügen.

Masochismus: Ein Mensch erlebt (oftmals sexuelle) Lust oder Befriedigung dadurch, dass ihm Schmerzen zugefügt werden oder er gedemütigt wird.

Sexualität ist nicht einfach eine Privatangelegenheit

“Ich glaube nicht, dass Sexualität nichts mit dem übrigen Leben zu tun hat. Als marginalisierte Frau weiß ich, dass Dominanz und Unterordnung keine Schlafzimmer-Themen sind” – Audre Lorde

Das Mantra der „sex-positiven“ Sexualliberalen lautet, das alles was im privaten Schlafzimmer passiert Privatsache ist, egal ob der Konsum von Pornographie, der Kauf von „sexuellen Dienstleistungen“ oder das Praktizieren von BDSM. Sexualität wird in die Privatsphäre des Individuums verschoben und damit als indiskutabel gekennzeichnet. Behauptet wird, es sei progressiv wenn Individuen gesunde Sexualität selbst und individuell definieren.

Nun geht es bei einer strukturellen Analyse jedoch NICHT darum, wie häufig als Vorwurf erhoben, durch geschriebene oder ungeschriebene Gesetze das Sexualleben von Individuen zu regulieren.  Es geht zum Beispiel NICHT darum, Frauen vorzuwerfen, dass sie an BDSM partizipieren, sondern zu verstehen welche Rahmenbedingungen dazu führen, dass sie es tun. Es geht schlichtweg um eine Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse und biographischen Faktoren, die Sexualität konstruieren. Es geht um das Aufzeigen der gesellschaftlichen und individuellen Konsequenzen sowie um das Aufzeigen von Lösungsmöglichkeiten und der (begrenzten) Möglichkeiten sich Schritt für Schritt eine eigene Sexualität zu erarbeiten.

In meiner Nachbarschaft erlebe ich regelmäßig folgendes: Ein Mann, der unter der Woche als Anwalt seinem Job bei einer bekannten Versicherungsfirma nachgeht, läuft mit Glatze, SS-Uniform und Springerstiefeln mit weißen Schnürsenkeln durch die Gegend. Er möchte durch diese Provokation erreichen, dass ihm Menschen „aufs Maul“ hauen. Er bietet sogar regelmäßig Menschen Geld dafür an, dass sie ihn verprügeln. Wer auch immer auf diesen Deal eingeht muss jedoch – zu Recht – mit einer Anzeige wegen Körperverletzung rechnen, denn objektiv betrachtet ist es eben genau das.

Die Prostitutionsüberlebende Rebecca Mott berichtet auf ihrem Blog wie sie durch den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater in der Kindheit darauf vorbereitet wurde in der Prostitution den schlimmstdenkbaren Praktiken zuzustimmen. Zum Beispiel wurde sie von Freiern regelmäßig einer Waterboarding-Behandlung unterzogen. Waterboarding gilt  als „weiße Folter“ und ist selbst in Bezug auf Einsatz im Krieg stark verpönt – so löste eine Aussage des neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump es wieder einzuführen weltweit große Empörung aus.

Würde der Mann aus meinem Beispiel seinem Verlangen geschlagen zu werden in einem Bordell nachkommen, würde – Hokuspokus – aus der Körperverletzung eine konsensuale sexuelle Handlung. Genauso wie man mit prostituierten Frauen (oder anderen) durch die Verbannung des Sexuellen in den privaten Bereich unter dem Deckmantel des „Konsens“ alles machen kann – ohne gleichermaßen auf gesellschaftliche Empörung zu stoßen.

Die verstorbene Domina Ellen Templin wies in einem Interview darauf hin wie durch das Prostitutionsgesetz von 2001 die Nachfrage nach „Sklavias“ sprunghaft anstieg.

„…erstmal sollte man gar nicht glauben, dass es möglich ist Körperöffnungen zu kaufen, für finanzielles Geld zu erwerben, die Frauen fertig zu machen, vor allem in der SM-Prostitution, die passiven Frauen werden zum Teil gefoltert. Das kann man im Internet alles finden. Man braucht nur gucken unter SM Sklavia, dieses Kunstwort Sklavia, dann findet man alles was dort gemacht wird. Das sollen die Leute, die gerade zuhören und die das interessiert, dann bitte selber recherchieren, weil dann geht’s mir gleich noch beschissener, wenn ich das auch noch sagen müsste jetzt. […] Die werden geschlagen, die müssen Anüsse auslecken, ich sag das jetzt ein bisschen witzig, die müssen Arschlöcher auslecken von irgendwelchen Familienvätern, die müssen sich anscheißen und anpissen lassen, sie werden aufgehangen, die Brüste werden abgebunden. Es ist ein Wahnsinn.“

Nur weil etwas zur „konsensualen Sexualität“ erklärt wird, wird aus Gewalt nicht plötzlich Nicht-Gewalt. Gewalt ist objektiv definierbar, auch wenn manche das offenbar gerne zur subjektiv dehnbaren Angelegenheit erklären würden – und ein persönliches und/oder kollektives Interesse daran haben.

Zur Erinnerung: (Radikal)Feministinnen haben nicht umsonst den Slogan „Das Private ist politisch“ geprägt. Häusliche Gewalt wurde viel zu lange als „Privatangelegenheit“ betrachtet, so wurde Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland erst 1997 zum Straftatbestand erhoben.

Die Wahrheit ist: Das private Verhalten von frauenverachtenden Männern ist keine „private Fantasie“, sondern eine gesellschaftliche Realität, die uns alle zu interessieren hat. Millionen von durch häusliche und sexuelle Gewalt traumatisierte Frauen zeigen ein Muster auf – ihre Schicksale und Überlebensstrategien mögen im Detail unterschiedlich sein, das gesellschaftliche, patriarchale Muster jedoch kann nicht individualisiert werden. Das sind keine „privaten Fantasien“ – denn sie manifestieren sich in realer Gewalt gegen Frauen, und dies völlig unabhängig davon wie „freiwillig“ und „konsensual“ Frauen an dieser partizipieren.

Nur weil etwas mit Sex zu tun hat, bedeutet das also nicht, dass es frei von Kritik bleiben muss. Das „Shaming“-Argument wird verwendet mit der Absicht KritikerInnen mundtot zu machen und es wird behauptet dies könnte schädlich sein. In Wahrheit dient es aber dazu tatsächliche Verletzungen und Gewalt an Frauen unsichtbar zu machen.

Sozialisation  in der pornofizierten Gesellschaft (Porn Culture)

“Der kulturelle Frauenhass f*ckt unser ALLER Gehirne, so dass wir als Frauen gar keine Vorstellung davon haben, wie unsere Begierden in einer Gesellschaft aussähen, in der Frau und Mann gleich sind” – Women on a Journey

Egal ob wir KonsumentInnen sind oder nicht: Pornographische Bilder haben sich in unserer sexualisierten Kultur in unser aller Psyche eingebrannt. Wir kommen an diesen nicht vorbei. Diese Bilder und der gesellschaftliche Diskurs über Sexualität lehren uns von klein auf was sexuell antörnend und was als „normal“ und akzeptabel gilt. (Nicht nur) in diesem Sinne ist Sexualität immer kulturell konstruiert.

Weibliche Sexualität gründet auf männlichen Fantasien über Frauen. Alles was wir als Frauen tun und fühlen ist geprägt durch patriarchale Macht- und Kräfteverhältnisse, die wir alle, manche mehr und manche weniger, internalisiert haben und nicht auf den ersten Blick erkennen. Bourdieu nennt dies den „weiblichen Habitus“, der ein Produkt der „männlichen Herrschaft“ ist: Wir werden unbewusst zu dem als das andere uns behandeln.

Frauen wird u.a. durch die Pornographie und die gesellschaftlichen Reaktionen auf Gewalt gegen sie tagtäglich deutlich gemacht, dass sie es verdienen verletzt, benutzt und Gewalt ausgesetzt zu werden.  Dies alles findet statt in einer von Geschlechterungleichheit geprägten Gesellschaft. Diese Ungleichheit wird fetischisiert.

Häufig wird argumentiert, dass jegliche unserer sexuellen Neigungen angeboren sind und ein unveränderbarer Teil unserer Persönlichkeit, sprich in diesem Kontext, dass sado-/masochistische Neigungen schlicht eine gegebene psychologische Determinante unserer Persönlichkeit sind.

Dem ist aber nicht so: Sexualität wird gesellschaftlich konstruiert und unsere eigene Sexualität maßgeblich in den gegebenen gesellschaftlichen und individuellen Machtverhältnissen von anderen konstruiert – nach den Interessen derjenigen die in der Machthierarchie oben stehen.

Es ist nachweisbar wie die verschiedenen Wellen in der Pornographie (Oralsex, Analsex, BDSM, …) sich in der Prostitutions-Nachfrage niedergschlagen haben. Und natürlich gilt das gleichermaßen für den Bereich der privaten, nicht-kommerziellen Sexualität.

Dee Graham (Loving to Survive) bezeichnet die so in Gang gesetzten Mechanismen als „gesellschaftliches Stockholm Syndrom“: Da Frauen als Gruppe keine Chance haben Männern zu entkommen, finden wir Wege um mit diesem gewalttätigen und destruktiven Verhalten klar zu kommen. Wir erotisieren es und internalisieren ein Verlangen danach. Dies wird auch als „double bind“ bezeichnet „Du willst mir weh tun? F*ck dich; du wirst mir niemals so weh tun können wie ich mich selbst verletzten möchte“. Männlich-dominierten Sex zu „wählen“ gibt Frauen so ein Gefühl von (limitierter) Macht.

Darüber hinaus ist es sehr häufig kennzeichnend für sexuelle Gewaltverhältnisse, dass Gewalt nicht als solche erkannt wird: Beim Stockholm Syndrom oder dem Trauma Bonding handelt es sich um weit verbreitete, unbewusste, Überlebensstrategien. Betroffene entwickeln eine positive Lesart der Misshandlungen. Wenn wir zum Beispiel davon ausgehen, dass der Kreislauf der Gewalt in häuslichen Gewaltbeziehungen dadurch aufrecht erhalten wird, dass der Täter das Opfer zwischen den Gewaltausbrüchen mit Zuneigung und Trost „belohnt“, dann entspricht dies von der Systematik her genau der „Aftercare“ Praktik im BDSM.

Das einzige was also die herkömmliche Gewaltbeziehung von der BDSM-Geschichte unterscheidet ist die Zustimmung der misshandelten Person zu dem Geschehen. Wie praktisch.

Das Problem von Individualisierung und Identitätspolitik

“Die Tatsache, dass Millionen von Menschen einer Irreführung unterliegen, macht sie nicht gescheit” – Erich Fromm

Menschen mögen Dinge. Menschen verteidigen Dinge, die sie gut finden und tun. Menschen wollen nicht, dass ihnen jemand in ihr Privatleben reinquatscht. Das ist nur allzu natürlich und verständlich. Aber nur weil man etwas mag heißt dies nicht, dass es kein Recht auf Kritik gibt. Nur weil man etwas gut findet, heißt das nicht, dass etwas tatsächlich gut ist.

Die kanadische Radikalfeministin Meghan Murphy verwendet das Beispiel der Schönheitsindustrie: Sie mag es sich zu schminken und fühlt sich dennoch nicht persönlich angegriffen wenn Menschen die Schönheitsindustrie kritisieren oder die Art und Weise wie wir dazu sozialisiert werden Make-Up und Lippenstift gut zu finden. Das ist der Unterschied zwischen Mikro- und Makroebene: Unterdrückende kulturelle Praktiken zu benennen und zu kritisieren bedeutet nicht zu sagen, dass alle die daran partizipieren schreckliche Menschen sind.

Zum anderen macht die Behauptung man dürfe sexuelle Präferenzen und Neigungen nicht beurteilen keinen Sinn. Denn kaum jemand käme – jenseits entsprechender Lobbys – ernsthaft auf die Idee sexuelle Präferenzen für „Sex mit Kindern“ oder – deutlich als solche erkannte – Vergewaltigung und Mord für akzeptabel zu erklären.

Hieraus ergibt sich auch, dass es selbstredend weder die ausschließliche Angelegenheit eines Individuums oder einer Community ist und alle nicht Partizipierenden einfach aus der Debatte ausgeschlossen werden können.  Gesellschaftliche Phänomene sind eine gesellschaftliche Angelegenheit und betreffen alle, das lässt sich kaum leugnen.

Die Ausnahme bestätigt die Regel

„Das Streben nach Geschlechtergleichheit mit Männern ist das Streben danach reich zu sein statt arm, die Vergewaltigerin statt der Vergewaltigten, die Mörderin statt der Ermordeten“ – Andrea Dworkin

Ja, nicht alle „Submissives“ sind Frauen und Unterordnung oder Masochismus sind nicht essentialistische Bestandteile weiblicher Sexualität. Der mantrahaft vorgetragene Verweis auf die Tatsache jedoch, dass es auch Dom-Frauen gibt, ist letztendlich irrelevant. Gewalt zurückzugeben schafft noch keine gleichen Bedingungen:  Wir lösen das Rassismus-Problem nicht indem wir z.B. genauso viele Menschen der Herkunftsgesellschaft diskriminieren wie Menschen aus ethnischen Minderheiten. Gleiche Bedingungen können nur geschaffen werden, indem wir Unterdrückung beseitigen und tatsächliche gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen.

Feminismus hat nicht das Ziel Machtverhältnisse umzudrehen, sondern Machtunterschiede und Gewalt in sexuelle Beziehungen zu beseitigen. Einzelne Frauen die Männer misshandeln ändern nichts am Geschlechterverhältnis allgemein und sie führen auch nicht dazu, dass es weniger männliche Gewalt gegen Frauen gibt.

Auch ist spielerisch die Macht-Rollen zu wechseln („switch“) nicht das gleiche wie eine geschlechteregalitäre Beziehung: Wenn ein Mann eine Frau vergewaltigt und sie ihn zum Ausgleich ebenfalls vergewaltigen würde, dann macht das die Vergewaltigung an ihr nicht wieder gut. So etwas als Gleichheit zu verkaufen wäre absurd.

BDSM beruht auf Machtungleichheiten und dies wird nicht aufgehoben dadurch, dass Menschen sich in anderen Lebenssituationen anders verhalten.

Die liberale Lesart nach der Gleichheit dann hergestellt ist wenn jeglichem Verhalten die gleiche gesellschaftliche Akzeptanz zukommt hat nichts mit der radikalfeministischen Vorstellung von Gleichheit zu tun, bei der es darum geht Menschen (i.d.R. Männer) davon abzubringen Macht über andere Menschen (i.d.R. Frauen) auszuüben.

BDSM ist nicht „subversiv“

„Traditionelle Formen der männlich-überlegenen Sexualität basieren auf Dominanz und Unterwerfung und die Ausbeutung und Objektifizierung einer versklavten Klasse von Frauen werden jeweils als erregende und „transgressive“ Politik gefeiert“ – Sheila Jeffreys

BDSM-Praktizierende sehen sich häufig als unterdrückte Gruppe und verorten „vanilla privilege“ bei jenen, die BDSM nicht praktizieren. Behauptet wird häufig, dass BDSM  Sexualität verkörpere, die Grenzen der Norm überschreiten und gegen Tabus verstoßen würde. Allerdings: Welche Norm soll das sein, gegen die BDSM verstößt?

BDSM erotisiert ungleiche Machtverhältnisse, Dominanz, Schmerz und Misshandlung. Damit verkörpert es patriarchale Normen. Die Botschaft von Patriarchat und BDSM ist jeweils: Gewalt an Frauen ist sexy, Frauen zu unterjochen geht klar. BDSM ist nicht das Teilen von Gewalt, sondern deren Wiederholungsspiel. Die einzigen Normen die dabei in Frage gestellt werden sind die gegen Folter und Misshandlung. Es klingt nicht wirklich logisch, dass dies ein feministisches Anliegen sein sollte.

Außerdem ist BDSM inzwischen ein völlig akzeptierter Teil der Populärkultur, nicht erst seit „50 Shades of Grey“. Wenn große Tageszeitungen völlig unaufgeregt darüber berichten („So wild geht es in deutschen Schlafzimmern zu“), dass BDSM-Utensilien einen immer größeren Anteil des Umsatzes von Sexshops ausmachen, BDSM-positive Sendungen zur Prime Time über unsere Bildschirme flimmern und Prominente unumwunden öffentlich zugeben BDSM zu praktizieren, kann nicht wirklich davon gesprochen werden, dass Menschen die darin partizipieren eine marginalisierte und diskriminierte Minderheit darstellen.

Safe, sane, consensual?

“Dieser Tage halten feministische Konferenzen zwei verschiedene Workshops in zwei verschiedenen Teilen des Gebäudes ab, der eine über weibliche “Lust”, der andere über das Überleben sexueller Gewalt – als könnte man diese Phänomene in zwei verschiedene Schubladen stecken” – Sheila Jeffreys

Genauso wie im Liberalfeminismus Wert auf die Trennung zwischen „Sexarbeit“ und Zwangsprostitution gelegt wird, wird gegenüber Betroffenen, die ihre eigenen BDSM Erfahrungen in die kritische Diskussion einbringen eingewandt, dabei handele es sich ja nicht um BDSM – genauso wie aus der BDSM-Community eingewandt wird bei „50 Shades of Grey“ handele es sich nicht um BDSM.

Das Beispiel von Maggie Mayhem zeigt sehr deutlich wie sexuelle Gewalt im BDSM von der Community immer wieder als „Fehlkommunikation“ bagatellisiert wurden:

„I got one response…which was people saying [things like] … I`m very sorry that you had a miscommunication during your scene that made it not very fun for you, but I don`t want to hear about it”.

“Mir wurde immer das gleiche erwidert … und zwar sagten die Leute [Sachen wie]… es tut mir sehr leid, dass du in deiner Szene eine Fehlkommunikation hattest, die dafür gesorgt hat, dass du keinen Spass dabei hattest, aber ich möchte nichts davon wissen.”

Für Mayhem ist dies nicht die Ausnahme, sondern als eindeutiges Muster erkennbar. In die gleiche Kerbe schlägt auch Kitty Stryker:

„I have yet to meet a female submissive who hasn`t had some sort of sexual assault happen to her […] When I start to think of the number of times I have been cajoled, pressured, or forced into sex that I did not want […] I can`t actually count them. […] I`ve been pressured [a lot of times] into a situation where saying “no” was either not respected or not an option.”

“Ich habe noch keine einzige female Sub getroffen, die noch keinen sexuellen Übergriff erlebt hat. […] Ich kann die Zahl der Male in denen ich zu etwas das ich nicht wollte überredet, gedrängt oder gezwungen wurde nicht zählen. […] Ich wurde [sehr häufig] in eine Situation gedrängt, in der “Nein” zu sagen entweder nicht respektiert oder keine Option war.”

Darüber hinaus: Die Seite FetLife.com ist eine der beliebtesten englischsprachigen Seiten der BDSM-Community. Diese besteht zu 99% aus Männern 40+, die Vergewaltigung, Pädophilie und Inzest fetischisieren. Dies lässt Rückschlüsse darüber zu was in dieser Community geschieht.

Grundsätzlich: Wir müssen verstehen lernen, dass man Sexualität und sexuelle Gewalt nicht getrennt voneinander diskutieren kann.

Warum das Konsens-Konzept uns schadet

“Die Verteidigung bei Sadomasochismus handele es sich um konsensuelles Verhalten macht ihn nicht feministisch. Frauen wurden dazu herangezüchtet unterwürfig zu sein, männliche Dominanz zu erwarten und sogar zu wollen. Aber Dominanz und Erniedrigung zu wollen, oder ihr zuzustimmen macht sie nicht weniger unterdrückerisch. Es zeigt lediglich wie tief und profund diese Unterdrückung ist” – Diana E.H. Russell

Das Konsens-Konzept verfolgt eigentlich eine gut Intention: Wir sollen selbst in der Lage sein zu artikulieren wo unsere Grenzen liegen. Das klingt emanzipativ und fortschrittlich, und ist auch grundsätzlich nicht verkehrt.

Das Problem dabei: Die Definition von Gewalt wird individualisiert und damit gewalttätige Handlungen legitimiert („Sie wollte es doch so“).

Diese Legitimierung lässt sich sprachlich nachvollziehen:

Aus Vergewaltigung wird Sex.

Aus Folter und Unterordnung wird sexuelle Befreiung und Spiel.

Aus Manipulationen werden Kopfspiele.

Aus Luftabdrücken werden Atemspiele.

Aus Misshandlungen werden  Szenen (Performanz).

Aus härteren und gewalttätigen Praktiken werden fortgeschrittene Praktiken, Praktiken für Profis.

Aus Prostitution wird Sexarbeit.

Aus Pornographie wird „free speech“.

 

Bei BDSM handelt es sich nicht um Fantasien, sondern echte Schmerzen, echte Verletzungen, echte Folter und Kontrolle und echte Dominanz eines anderen Menschen, da beißt die Maus keinen Faden ab.

Das Konsens-Prinzip geht davon aus, dass Individuen immer im Eigeninteresse handeln. Dem ist aber nicht so. Weder können wir die Folgen unseres Handelns immer voraussehen, noch sind wir frei von unbewussten Zwängen und Prägungen.

Durch das Konsens-Prinzip wird männliche sexuelle Aggression legitimiert und die Tendenzen zum Victim Blaming werden verstärkt. Damit gibt es auch keinerlei Möglichkeit mehr körperliche Integrität objektiv zu definieren.

Am Ende bleibt auch die Frage wo dann die Grenzen legitimer Gewalt denn liegen sollen. Bei konsensualem Mord, konsensualem Kannibalismus oder irgendwo vorher und wenn ja wo und wer bestimmt das dann eigentlich?

Viele Darstellungen von angeblich konsensuellen BDSM-Praktiken stellen anschaulich dar, wie die untergeordnete Person in eigentlich ungewollte Handlungen gegroomt und manipuliert wird. Dies hat nichts zu tun mit einem Respekt vor Grenzen, ganz in Gegenteil.

Bei Ethik dreht es sich nicht um Individuen, sondern darum wie unser Verhalten und unsere Handlungen unser Umfeld und die Gesellschaft beeinflussen. Das Vorliegen von individueller Zustimmung zu Handlungen hebt dieses Prinzip nicht auf, es macht es nicht zu einem ethischen Verhalten. Wenn wir Verhalten und Verhaltensstandards individualisieren reden wir nicht mehr über Ethik, sondern von Eigeninteresse und Egoismus.

Erotisierung von Gewalt

„Sadomasochismus ist die institutionalisierte Bejubelung von Dominanz/Unterordnungs-Beziehungen. Und er bereitet uns darauf vor Unterwerfung zu akzeptieren oder Dominanz zu erzwingen. Auch im Spiel wird, durch die Bejahung von Macht über die Machtlose als erotisch oder empowernd, der emotionale und soziale Rahmen gesetzt für die Fortführung dieser Beziehung, politisch, sozial und ökonomisch. Sadomasochismus füttert den Glauben daran, dass Dominanz unausweichlich und legitimer weise genießbar ist“  – Audre Lorde

Die gesellschaftliche Erotisierung von Gewalt gegen Frauen und von männlicher Gewalt ist eine reelle Gefahr für alle Frauen.  Die Realität im Patriarchat für uns alle lautet: Männer sind die dominante Gruppe, Frauen die untergeordnete Gruppe. Täglich werden Frauen Opfer männlicher Gewalt.

Die Erotisierung von Gewalt führt zu einer grundsätzlichen Akzeptanz von Gewalt gegen Frauen: Nicht mehr wird Gewalt gegen Frauen grundsätzlich abgelehnt, sondern nur unter bestimmten Umständen (wenn sie „nicht-konsensual“ ist).

Macht wird in unserer Gesellschaft sexualisiert. Dies führt zu einem Wandel der sexuellen Normen: Frauen zu verletzen und zu erniedrigen wird sexy. Es ist deshalb nicht verwunderlich wenn Frauen Vergewaltigungsfantasien entwickeln. Wenn sie diese in ihrer Sexualität ausleben sind sie dafür nicht zu verurteilen. Dies gilt jedoch nicht für Männer die ihre Vergewaltigungsfantasien an Frauen ausleben. Dies ist sehr wohl zu verurteilen. Wer davon erregt wird Gewalt an anderen zu verüben sollte darüber nachdenken wie er dem effektiv begegnen kann.

Nur weil ein weibliches Individuum darauf steht Gewalt zugefügt zu bekommen, heißt dies nicht, dass die Erotisierung männlicher Gewalt an Frauen und die männlich dominierte Kultur in der wir leben in keinem Zusammenhang stehen. Nur weil männliche Macht und Dominanz manchmal sexualisiert daher kommt sollen wir denken sie sei nicht von Misogynie geleitet? Absurd!

Gewalt ist keine subjektiv interpretierbare Angelegenheit, sondern liegt objektiv entweder vor oder nicht vor, unabhängig davon ob sie von den Beteiligten als solche wahrgenommen wird.

Nach Audre Lorde ist Sadomasochismus das Ausleben von Überlegenheit und dem Recht zur Dominanz. BDSM erotisiert nicht Konsens, sondern Schmerzen, Verletzungen, Schäden, Dominanz, Zwang und Kontrolle.

Wir müssen neu fokussieren

“Ich bin der Meinung, dass eine Welt nicht denkbar ist, in der Frauen frei sind und gleichzeitig eine Sexualität beschützen, die auf ihrer Unfreiheit beruht. Unsere sexuellen Leidenschaften müssen zu den Leidenschaften unserer politischen Vorstellung passen einet Welt ohne schädliche Hierarchien, inklusive jener, die auf Rasse und Klasse basieren. Nur eine Sexualität der Gleichheit […] macht eine Freiheit von Frauen denkbar” – Sheila Jeffreys

In der öffentlichen Debatte dreht sich die Debatte darum on Frauen submissiv sein dürfen und sich Schmerzen zufügen lassen dürfen. Darum geht es wie gesagt jedoch nicht. Die Frage um die es geht ist, warum Männer Frauen weh tun möchten. Wäre die Debatte ehrlich müssten die Befürworter den Fokus rumdrehen und stattdessen argumentieren „Aber Männer mögen es Frauen weh zu tun! Sie haben das Recht Frauen weh zu tun!“ Besonders feministisch klingt das dann nicht mehr.

Debatten um Sexualität drehen sich komischerweise IMMER um die „freie Wahl“ der Frau. Natürlich können Frauen (Menschen) sich immer für und gegen Dinge entscheiden und wir sollten diese Entscheidungen nicht zum Anlass nehmen sie ihnen vorzuwerfen.  Von radikalfeministischer Seite wird jedoch eine Art von Orgasmus-Politik kritisiert, nach der jeder Orgasmus, egal unter welchen Umständen, als BEFREIEND gilt.

Mit dem Mantra des „Konsens“ wird Frauen, die zunächst schädlichen Handlungen zugestimmt haben, die Möglichkeit genommen, diese Schäden zu thematisieren – denn sie haben diesen ja selbst zugestimmt. Durch das Konsens-Konzept wird darüber hinaus die ethische und politische Betrachtung einer Tat unmöglich gemacht, da keine objektiven Grundsätze mehr existieren für „richtig“ oder „falsch“ / „gut“ oder „schlecht“ – wir bringen die einer Gewalthandlung ausgesetzte Person (und zwar dann jede Person) damit in die Lage sich regelmäßig verteidigen zu müssen vor dem Vorwurf, dass sie vielleicht ihre Grenzen nicht deutlich genug gemacht hat. Objektive Sachverhalte werden dann munter subjektiv interpretiert. Wohin dies führt sehen wir an vielen Beispielen von Vergewaltigungsprozessen. Damit wird die emotionale, soziale und moralische Last der Beweisführung in Bezug auf missbräuchliches und ausbeuterisches Verhalten den jeweiligen Opfern auferlegt – zugunsten der Täter.

Wenn also ein Mann einer Frau im BDSM Kontext weh tut und diese hinterher traumatisiert ist und/oder merkt, dass dies ihr nicht gut getan hat, dann wird ihr der schwarze Peter zugeschoben, dass sie ihre Grenzen falsch definiert hat, nicht gut genug kommuniziert hat, das Safe Word nicht verwendet hat – und der Täter ist fein raus. Er hat nichts Falsches gemacht. Nicht seine Absichten spielen mehr eine Rolle, sondern Frauen werden für etwaige Traumatisierungen selbst verantwortlich gemacht (weil sie eben zugestimmt haben).

Aus dem Blickpunkt gerät so das Handeln der Männer sowie der konkrete Schaden den Frauen davontragen. Die Frage muss deshalb lauten ob es grundsätzlich akzeptabel ist, Frauen unter dem Deckmantel der Sexualität Schmerzen und Schäden zufügen, oder nicht.

Nochmal: Es geht also nicht darum zu beurteilen was Frauen als Angehörige der im Patriarchat untergeordneten Klasse tun, sondern vielmehr darum was Männer ihnen antun.

Radikalfeministinnen kämpfen für die kollektive Befreiung von Frauen, nicht für „choice“ und „agency“. Wichtigster Bestandteil der Analyse müssen die sozialen Normen  und Rahmenbedingungen bleiben, unter denen die Wahlentscheidungen von Frauen wie Männern getroffen werden. Sexuelle Befreiung bedeutet nicht die Freiheit zu haben zu tun was immer wir wollen, sondern es bedeutet die Freiheit zu haben unsere eigene Sexualität finden und rekonstruieren zu können.

Eine Debatte die sich um das Recht der Frau zur Unterordnung dreht bringt die unterdrückende Klasse (der Männer) zum Verschwinden. Radikalfeministinnen setzen sich dafür ein, dass Frauen ein Recht auf ein gewaltfreies Leben haben. Wir setzen uns ein für sichere, gesunde, auf Augenhöhe stattfinde Beziehungen und Sexualität, frei von Unterdrückung, Grausamkeiten, Erniedrigung und Misshandlungen, egal in welchem Kontext. Eine Gesellschaft, die Gewalt gegen Frauen erotisiert und glorifiziert ist diesem Ziel in keinster Weise zuträglich.

 

Quellen und Tipps zur Vertiefung

http://www.feministcurrent.com/2012/07/10/its-not-about-you-beyond-kink-shaming/

http://www.feminist-reprise.org/docs/lordesm.htm

http://www.ontheissuesmagazine.com/1996spring/s96orgasm.php

http://www.feminist-reprise.org/docs/hein.htm

https://antipornfeminists.wordpress.com/category/anti-bdsm/

 

Offener Brief gegen die sprachliche Verharmlosung sexueller Gewalt

Im vergangenen August erschien das Buch „Vergewaltigung“ der Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal.

Darin kritisiert sie, dass die gesellschaftliche Beschäftigung mit dem Thema sexuelle Gewalt innerhalb bestimmter Grenzlinien verlaufe.

„Im Vergewaltigungsskript gibt es nur zwei Geschlechter: Täter und Opfer. Wer Vergewaltigung sagt, denkt an aggressive Männer und ängstliche Frauen, an Penisse als Waffen und Vaginas als ungeschützte Einfallstore in ebenso ungeschützte Körper; oder weniger martialisch: an Männer, die meinen, »ein Recht« auf Frauenkörper zu haben.“ (Quelle: Edition Nautilus)

Das will Mithu Sanyal so nicht akzeptieren. Der „Opferdiskurs“ soll aufgebrochen werden, Opfer sollen sich nicht länger Opfer oder Überlebende nennen, sondern vielmehr „Erlebende“, wie sie jüngst in einem Artikel in der taz forderte.

Sprache strukturiert unser Denken. Wie wir etwas benennen, entscheidet darüber, wie wir es beurteilen. Opfer sexueller Gewalt zu „Erlebenden“ zu machen, lässt die Gewalt aus dem Sprachgebrauch verschwinden, die Tat und die Täter und bis nur noch die Betroffenen übrig sind, die sich selbst nun auch nicht mehr „Opfer“ nennen sollen, weil sie das degradiert. Hier sitzt Mithu Sanyal einem Irrtum auf. Es ist nicht der Opferdiskurs, der Opfer degradiert. Es ist die Tat, die aus Menschen Opfer macht, es sind die Täter, nicht die Selbstbeschreibung. Keine noch so euphemistische Umdeutung kann die Tat für ein Opfer ungeschehen machen – sehr wohl aber für den Rest der Gesellschaft – wie außerordentlich praktisch!

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Im Erlebnisbad der Gewalt – eine Replik auf den Text „Du Opfer“

Vor ein paar Tagen haben die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal und die Studentin der Sozialen Arbeit Marie Albrecht auf taz online einen Text veröffentlicht, in dem vorgeschlagen wird, vergewaltigte Personen nicht mehr „Opfer“, sondern „Erlebende“ zu nennen. (Ja, richtig gelesen, nicht „ÜBERlebende“, sondern „Erlebende“.) Sanyal und Albrecht begründen das so:

„Denn ´Opfer´ ist keineswegs ein wertfreier Begriff, sondern bringt eine ganze Busladung von Vorstellungen mit. Wie die, dass Opfer wehrlos, passiv und ausgeliefert sind – und zwar komplett. Bloß sind Menschen, denen etwas angetan wurde, ja immer noch sie selbst (…) Wenn mir jemand erzählt, dass er oder sie einen Autounfall gehabt hat, wird sich meine Wahrnehmung dieser Person wahrscheinlich kaum verändern. Genau das passiert jedoch, wenn wir ´Autounfall´ durch ´Vergewaltigung´ ersetzen. (…) Indem wir Menschen als Opfer bezeichnen, stecken wir sie in eine Schublade und werfen den Schlüssel weg.“

 
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Die Sache mit den Safe Spaces – Warum ich keine Schwänze auf Frauentoiletten haben will

Gestern war ich tanzen, und als ich aufs Klo wollte, stand dort ein Mann in Frauenkleidern und schminkte sich. Ich war irritiert, konnte, so lange wie er da war, nur baff rumstehen und habe später angemerkt, dass ich mich nicht wohl und nicht sicher fühle, wenn Menschen mit Schwanz sich auf dem Frauenklo aufhalten.

Kurz voranschicken möchte ich: ich habe mit umoperierten Transfrauen auf dem Klo überhaupt kein Problem. Ja, diese haben trotzdem eine männliche Sozialisation usw., aber darum geht es jetzt nicht. Womit ich ein Problem habe, sind Menschen mit Schwanz auf dem Frauenklo. Ist mir egal, unter welchen Frauenklamotten dieser Schwanz vor sich hergetragen wird und wieviel Schminke die Person, die ihn trägt, im Gesicht hat. Eine Toilette ist ein intimer, geschützter Rückzugsort. Hier kann man sich erleichtern, kotzen, sich umziehen, telefonieren oder heulen. Der Privatsphäre in einer Toilette kommt eine große Bedeutung zu. Sex auf Toiletten ist beliebt und akzeptiert. Auf gemeinsamen Toiletten kommt man sich unter Fremden sehr nahe, oft zu nahe. Das ist unangenehm, bislang für Frauen aber nicht gefährlich. Ein Schwanz aber ist eine potenzielle Waffe. Er kann benutzt werden, um Frauen gegen ihren Willen zu pentrieren, vielleicht in einer Situation, in der sie hilflos, ungeschützt oder schlichtweg unachtsam sind. Opfer sexueller Gewalt müssen ein Recht auf schwanzfreie Räume haben. All das schoss mir durch den Kopf, während ich dort stand und überlegte, wie ich mit der Situation umgehen soll.

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Warum Sexualassistenz auch nur Prostitution ist

Alter Mann im Rollstuhl

Pixabay CCO Public Doman

Ein Gastbeitrag von Huschke Mau

Die Debatte um Sexualassistenz hat mich richtig derbe aufgewühlt. Ich hab mehrere Nächte gebraucht um auseinanderzuklamüsern, was genau mich so fertig macht daran. Was mich daran hindert, einfach einen neuen bösen Text zu schreiben.

Ich bin nicht nur Exprostituierte, ich habe nicht nur Erfahrungen in der Prostitution. Ich hab auch mal für ein paar Wochen im Behindertenheim gearbeitet. Und während der Debatte sind mir so viele Bilder von damals wieder aufgetaucht. Wir hatten einen 50igjährigen auf der Station, der hatte seit einem Hirnschlag keinerlei Kontrolle mehr über sein Sprachvermögen (unter anderem). Und das bei vollem Bewusstsein. Greifen ging nicht mehr, essen ging nicht mehr, sprechen ging nicht mehr. Zu dieser Zeit hatte ich einen Flirt mit einem Pfleger auf der Station. Niemand hat das mitbekommen, nur der Patient hat immer gegrinst, wenn er uns beide sah, hat zwischen uns hin- und hergeschaut und die Augenbrauen neckisch hochgezogen. Wir haben uns angelacht und fortan wussten also 3 Menschen von diesem Geheimnis. Aber ich habe mich auch unglaublich geschämt, dass ich einfach so rumlaufen und mich verlieben und das auch ausleben darf, während andere das nicht mehr können. Dann war da noch eine Patientin mit Trisomie 21, die mich dauernd umarmt hat. Ich kannte das nicht von Zuhause, liebevoll angefasst zu werden, und hab gleich erstmal losgeheult. Und jeden Tag hat sie mich auf ihre Hochzeit eingeladen. Sie hat sogar schon Bilder gemalt, von sich und ihrem Kleid und den Luftballons und den Gästen. Wenn man auf die leere Stelle neben der Braut getippt und gefragt hat: „Wo ist denn dein Bräutigam? Wen willst du denn heiraten?“ meinte sie immer leichthin: „Och, das weiß ich noch nicht. Aber bis morgen ist doch auch noch Zeit!“

Heute Morgen hab ich dann endlich klargekriegt, was mich an der Debatte so fertig macht.

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Fragwürdiges Philosophieren über sexuelle Gewalt

"Take rape seriously" - Protester with Placard Reproductive rights activist Shelby Knox.

by Women's eNews via Flickr, [CC BY 2.0]

Ein Gastbeitrag von Luise

Eigentlich kann mensch es begrüßen, wenn sich linke Medien des Themas sexualisierter  Gewalt annehmen. Doch bedauerlich war, wie das Thema im Magazin „Streifzüge“ vom Frühling 2015 besprochen wurde. Karin Wachter vom Verein Frauen gegen Vergewaltigung in Wien schrieb hier mit dem Titel „Sexualisierte Gewalt. Aspekte eines gesellschaftlichen Problems“– ehrgeizig und nutzlos.
Ihre Literaturliste bietet im Grunde das Interessanteste im zweiseitigen Artikel. In ihrem Text verzichtet sie aber auf jegliches konkretisierende Zitat aus dieser Literatur, was ihre Besprechung undeutlich macht. Sie surft in Begrifflichkeiten und philosophiert zum Thema – ohne jede konkrete Bezugnahme auf gesellschaftliche Fakten oder Theorien aus der Literatur. Um es gleich zu sagen, der stärkste Eindruck, der sich aus ihrem Artikel ergibt, ist der Ehrgeiz der Autorin: Auf zwei Seiten mit „Klischees“, „Binsenweisheiten“ und „Tabus“ aufzuräumen als wollte sie sich profilieren. Sie relativiert Opfer-und Täterrolle und bedient die heute in vielen bürgerlichen Medien wiederaufgelegte These, dass „der Feminismus“ „seit nunmehr vier Jahrzehnten“ die Frau zum Opfer erkläre und die männliche Norm in der Gesellschaft anprangere- unvernünftigerweise, wie Wachter befindet.  Sie gründet hier wohl – wie gesagt, ich kann ohne konkretes Zitat nur raten- auf den Thesen der weiblichen „Mittäterschaft“ von Christina Thürmer-Rohr (diese schrieb vor 20 Jahren zum Thema und ich würde ihre Sicht nicht so fraglos als heute aktuell voraussetzen).

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Sicherungsverwahrung, Maßregelvollzug, Opferschutz und die LINKE. Hessen

Gefängnis in Kassel, Deutschland

x1klima via Flickr, [CC BY-SA 2.0]

Am Freitag den 13.03.2015 fand vor dem Landtag in Wiesbaden eine Kundgebung in Wiesbaden statt, angesichts eines neuen Gesetzes zum Maßregelvollzug. Die Behandlung psychisch kranker Straftäter (endlich einmal richtig nicht gegendert!) verstößt gegen die Verfassung.

Aber was ist der Maßregelvollzug überhaupt? Der Maßregelvollzug betrifft Menschen, die im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit eine Straftat begangen haben. Ein Gericht kann hier die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik anordnen wenn vom Kranken erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, oder er für die Allgemeinheit als gefährlich angesehen wird. In Hessen sind zur Zeit 700 psychisch kranke Täter im Maßregelvollzug.

Es geht mir insgesamt bei dem Thema von Sicherungsverwahrung und Maßregelvollzug nicht unbedingt um die Besonderheiten der Rechtssprechung in diesem Bereich, sondern um die völlige Ignoranz gegenüber Opfern von Straftaten. Aus irgendwelchen Gründen gibt es diese nämlich nicht. Es gibt nur arme „Opfer“, nämlich die Täter (in der Regel männlich), die ungerecht behandelt werden.

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Unter „Kinderfreunden“: Edathy und der Kinderschutzbund

Quelle: Facebook

Paukenschlag im Fall Edathy! Es kommt nun so, wie es sich schon in den letzten Tagen und Wochen angedeutet hat: Edathy hat ein Geständnis abgelegt, nun wird gegen Zahlung einer Geldauflage von € 5000,- (nein da wurden leider keine Nullen vergessen) das Verfahren eingestellt. Edathys Vorstrafenregister bleibt damit blütenweiß und rein.

Die Tatsache, dass er für den Konsum von so genannten „kinderpornographischen Schriften“ (passender: Kinderfolterdokumentationen1 oder visuelle Darstellungen sexueller Gewalt) mit € 5000,- (in Worten: FÜNFTAUSEND) viel zu „billig“ davon kommt, gemessen an den gravierenden Schädigungen, mit denen die Opfer seiner Taten bis an ihr Lebensende leben müssen, ist schlimm genug.

Die Vorwürfe treffen zu

erklärte Verteidiger Christian Noll im Namen Edathys.

Ich habe inzwischen eingesehen, dass ich einen Fehler gemacht habe

hieß es in der Erklärung weiter. Er bereue, was er getan habe. Mehr braucht es offenbar nicht.

Einsicht? Tatsächliche Reue? Sieht irgendwie anders aus als das hier:

Quelle: Facebook

Quelle: Facebook

Ich begrüße die Einstellung des Verfahrens durch das Landgericht Verden. Eine Fortsetzung wäre unverhältnismäßig gewesen. – Ich weise darauf hin, dass ein „Geständnis“ ausweislich meiner heutigen Erklärung nicht vorliegt. Die Staatsanwaltschaft war mit dem Wortlaut der Erklärung einverstanden. Eine Schuldfeststellung ist damit ausdrücklich nicht getroffen worden.

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Der Fall Edathy: Über Täter-Opfer-Umkehr und die gesellschaftliche Bagatellisierung von sexueller Gewalt gegen Kinder

Children

astrid westvang via Flickr, [CC BY-NC-ND 2.0]

Ein Beitrag von Hanna Dahlberg, Anna Hoheide, Judith März und Ariane Panther

Heute wurde mitgeteilt, dass S. Edathy seine Mitgliedschaft in der SPD nicht verliert, sondern das die Mitgliedschaft drei Jahre ruhen würde. Was wir von Edathy und den gesellschaftlichen Zusammenhängen halten, haben wir unter anderem letzten Dezember deutlich gemacht. Er ist unverändert ein bisschen Mitglied in der SPD. Auch andere Parteien sehen sich nicht in der Lage, eine klare Haltung gegenüber Pädokriminellen oder anderen sexuellen Gewalttätern in ihren Reihen zu vertreten. Kein Wunder, dass sich nichts an der gesellschaftlichen Haltung bezüglich sexueller Gewalt ändern kann.

Am Donnerstag, den 18.12.2014 gab Sebastian Edathy eine Pressekonferenz. Gegen den 45-Jährigen Edathy läuft in Niedersachsen ein Strafverfahren wegen des Besitzes kinderpornografischen Materials. Ein Ausschuss will jetzt klären, wer genau und wann von den Ermittlungen gegen den Innenpolitiker wusste. Geklärt werden soll auch, ob Edathy gewarnt wurde. Eine besondere Rolle spielen der heutige SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann und der Bundestagsabgeordnete Michael Hartmann.

Es ist sicherlich wichtig, wer Edathy warnte, denn es sagt etwas über den Stellenwert von Kindern und sexueller Gewalt in unserer Gesellschaft und Komplizenschaft bei deren Bagatellisierung aus. Allerdings wird diese Frage im Moment von Edathy genutzt, um sich auf einer medialen Bühne zu präsentieren und die Medien spielen mit, um die eigentlichen Taten in den Hintergrund zu drängen und somit zu verharmlosen.

Im Focus wird von der „Kinderporno Affäre“ gesprochen. Alleine diese Überschrift beinhaltet eine widerwärtige sprachliche Distanzierung und eine weitere Objektifizierung von Kindern zum Zwecke sexueller Ausbeutung. Es ist keine „Kinderporno-Affäre“, sondern es geht in dieser Sache um wirkliche Kinder, die als Masturbationsvorlage für Männer dienen und dienten. Es sind keine Filme irgendwo, die nichts mit der Realität zu tun haben, sondern Kinder mit realen Gefühlen, die für immer im Netz der sexuellen Ausbeutung von Männern dienen. Wie muss ein Mensch sich fühlen, wenn er oder sie weiß, dass der eigenen Körper immer und immer wieder als Wichsvorlage dient und man niemals etwas daran ändern kann? Adrian P., ein Betroffener dazu:

Die Bilder von mir sind schrecklich. Ich werde sie nicht wieder los.

Edathy selbst spricht von „Bestellungen“, als er über die Kinder spricht, zu denen er masturbiert hat:

Ich glaube schon, dass die Mehrheit der öffentlichen, kritischen Stimmen zu den Bestellungen – wenn ich ganz ehrlich bin – richtig liegt.

Edathy übernimmt, in der Schlussfolgerung, keinerlei Verantwortung für sein Verhalten.
Ein Reporter fragte: „Sind Sie pädophil, Herr Edathy?“ – Edathy antwortet:

Sind Sie homosexuell oder heterosexuell? Vielleicht sind Sie pädophil … wissen Sie, das geht Sie einfach nichts an.

Diese Antwort ist sehr geschickt, denn er bringt „Pädophilie“ auf eine Ebene mit Homosexualität und Heterosexualität. Diese Aussage ist symptomatisch für die Haltung Edathys, die in das Horn von Organisationen Pädokrimineller, wie zum Beispiel die Krumme 13 und weiterer, tutet. Diese versuchen seit Jahrzehnten das sexuelle Interesse an Kindern als normale Sexualität zu verkaufen, die ausgelebt werden sollte. Denn diese ist nach deren Definition normal und die Folgen solcher ihrer Ansicht nach „normalen Sexualität“, gemeint ist die sexuelle Ausbeutung von Kindern, wird von ihnen konsequent verharmlost und negiert. Letztendlich ist es tatsächlich egal, ob Edathys Verhalten der Definition von „Pädophilie“ entspricht oder nicht. Aus welchen genauen Gründen Kinder Gewalt erlitten haben oder nicht, ist unerheblich. Die Konsequenzen sind von jenen zu tragen, die die sexuelle Gewalt ausgeübt haben und von denen, die von ihr (nachträglich) profitieren. Der Tätertypus eines Herrn Edathy ist in der Tat irrelevant.

Diese Rechtfertigung solcher Taten ist gesellschaftlich weit verbreitet, die Gründe dafür werden hier angeschnitten, denn sie haben ganz reale Auswirkungen auf den Fall Edathy und seine mediale Rezeption:

Der Begriff „Pädophilie“ stammt aus dem Griechischen und setzt sich aus παῖς = „Knabe, Kind“ und φιλία = „Freundschaft“ zusammen. Er möchte uns suggerieren, dass Männer mit sexuellem Interesse an Kindern und solche, die Kinder sexuell ausbeuten, eigentlich auf Basis einer echten, wahrhaftigen freundschaftlichen Zuneigung heraus handeln. Auch in diesem Fall verformt Sprache eine doch sehr grausame Realität. Das Motiv einer freundschaftlichen Zuneigung kann ohnehin angezweifelt werden und zieht man es doch als valide in Erwägung, dürfte es sich selbst spätestens dann erledigt haben, wenn Machtverhältnisse ausgenutzt und Grenzen überschritten werden, in dem sexuelle Gewalt gegen Kinder angewendet wird.

„Pädophilie“ ist als „Krankheit“ in den ICD-10 und DSM eingezogen und vor allem ist sie als „Krankheit“ in die Köpfe der Gesellschaft eingezogen. Das hat viel Mitleid für „betroffene“ Männer zur Folge. Es hat auch dazu geführt, dass Menschen dem Druck unterworfen sind, stets Verständnis – für die Täter versteht sich, nicht für die Opfer – zu haben und den Blick „auf beide Seiten“ zu richten, wenn es zu sexueller Gewalt von Männern an Kindern gekommen ist. „Einsichtige“ Männer, die „therapiebereit“ sind, werden bejubelt und es gehört dazu, dass Menschen, die sich dagegen – gegen das Bejubeln – entscheiden, als herz- und charakterlos, nicht einfühlsam zu bezeichnen. Es ist ohnehin zu diskutieren, inwieweit „Pädophilie“ in ihrer Anerkennung als Krankheit ein Konstrukt darstellt; wenn wir diese Überlegung weglassen, können wir uns aber mindestens fragen, wer eigentlich schon einmal wann ein Opfer von sexueller Gewalt dafür bejubelt hat, wenn sie oder er sich in Therapie begeben hat (sofern es überhaupt einen Therapieplatz gibt, die völlig unzureichende psycho-traumatologische Versorgung von Gewaltopfern ist einen eigenen Artikel wert).

Bereuen Sie eigentlich irgendetwas?

fragt ein Reporter. Edathy antwortet umständlich. Seiner Meinung nach sei die Erwartung falsch, Menschen in öffentlichen Ämtern müssten fehlerfrei sein. Er sieht sich als Opfer des Rechtsstaats.

Die Kinder sind auch Opfer.

sagt der Reporter. Kann sich Edathy sicher sein, dass die Kinder ohne Zwang gehandelt haben? Edathy bezieht sich wieder auf das BKA:

Ich habe einen hohen Preis bezahlt, für das, was ich gemacht habe. Ich werde versuchen, mir eine neue Existenz aufbauen. Vielleicht wird es mir möglich sein, irgendwann ohne Angst in Deutschland leben zu können.

Der Makel, einmal mit Kinder- oder Jugend in Kontakt gekommen zu sein, würde ewig an einem haften – auch, wenn sich derartige Vorwürfe als falsch erweisen würden. Die kanadische Firma, bei der er die entsprechenden Filme bezogen habe, sei über Jahre juristisch ohne Beanstandung geprüft worden. Edathy betont immer wieder, dass die Filme „legal“ seien, nur einmal, in einem Nebensatz, sagt er, dass es

[…] moralisch nicht ok war.

Immer wieder wird auch die Frage gestellt, ob die Nacktfotos legal waren. Die Überschrift im Fokus ist: “Harmlose Nacktfotos oder kriminelle Kinderpornos?“. Edathy selbst sagt:

Ich habe nicht konspirativ gehandelt. Ich war felsenfest der Überzeugung, dass die Bilder nicht strafrechtlich relevant sind.

Edathy sagt auch:

Wir sprechen hier nicht von einem Kapitalverbrechen.

Er sagt auch es sei okay, solche Bilder oder Filme zu konsumieren, bei deren Erstellung „nicht erkennbar Zwang angewendet wurde.“ Im Stern steht. „Es war falsch, die Filme zu bestellen. Aber es war legal“. Wo bleibt die Verantwortung eines zum Tatzeitpunkt Bundestagsabgeordneten für die Gesellschaft, wenn dieser alles als „okay“ und „legal“ ansieht, bei dem er als Konsument nicht erkennen kann, ob Gewalt im Hintergrund steht oder nicht? Darf er die Verantwortung dafür auf andere abwälzen? Oder wäre nicht eine Übernahme von Verantwortung angemessen im Sinne von: „Solange ich Gewaltanwendung nicht 100% ausschließen kann, bin ich moralisch und rechtlich dazu verpflichtet, die Finger davon zu lassen?“. Wenn jeder so handeln würde, gäbe es auch keinen Markt für Prostitution oder Pornographie mit erwachsenen „ProtagonistInnen“, denn es ist schlicht unmöglich, Gewalt auszuschließen. Davon einmal abgesehen: Warum wird sich hier auf eine vermeintliche Absolution berufen, die auf der ebenfalls vermeintlichen Versicherung gründet, dass keine Gewalt angewendet wurde, wenn diese „nicht sichtbar“ ist oder war. Was meint Edathy eigentlich, wenn er von Gewalt spricht? Muss Gewalt „sichtbar“ sein? Ist sie das zwangsläufig? Das ist sie nicht. Es spricht für Edathys Haltung und die der Gesellschaft, dass es offensichtlich einen „unter normalen Umständen“ und „gewaltfreien“ Kontext geben darf, einen moralisch-ethisch wie justiziell vertretbaren, in dem solche Fotos produziert, verbreitet und kommerzialisiert werden. Ergo: In Bezug auf Minderjährige sollte sich die Frage nach Zwang oder nicht Zwang gar nicht erst stellen.

Die vielfältigen Versuche der Sexindustrie-Lobby, auch Kinder zu „selbstbestimmt handelnden Akteuren“ zu machen und die Bestrebung „Kinderprostitution“ und „-pornographie“ (über diese Begrifflichkeiten lässt sich wahrlich streiten) zu legalisieren, weisen jedoch einen anderen Weg.

Eine weitere Frage sollte sein, welchen Unterschied es wirklich macht, ob ein Politiker zu „legalen“ oder illegalen Nacktfotos masturbierte. Weist die ganze Angelegenheit nicht darauf hin, dass die Rechtsprechung erhebliche Lücken aufweist und als Resultat der gesetzliche Rahmen für Nacktfotos von Kindern dringend evaluiert und strikter werden sollte? Aus welchem Grund benötigt Mann (oder Frau) überhaupt Nacktfotos von Kindern? Ist „Kunst“ nicht einfach nur die übliche Entschuldigung für sexuelle Gewalttäter, straffrei zu bleiben? Es ist blanker Hohn, dass Politiker, deren Aufgabe es ist, Gesetze zu verfassen und für den ungenügenden Schutz von Kindern und Frauen verantwortlich sind, ihre Machtausübung über die Gesetzeslage rechtfertigen. So wirft die Behauptung, Menschen würden“sexuelle Neigungen“ nicht von Straftaten unterscheiden die Frage auf, warum dies keine Straftat ist. Mit Schweigen aufgrund der Legalität lässt diese Gesellschaft zahlreiche Opfer im Stich und verrät diese. Das Entsetzen Edathys, dass trotz seiner Immunität eine Hausdurchsuchung stattfand, zeigt deutlich, dass mächtige Männer besonderen Schutz genießen.

Thorsten Denkler stellte während der Pressekonferenz fest, dass es wohl einen Unterschied zwischen Legalität und moralisch richtig gäbe. Dies wehrt Edathy aggressiv ab. Sein Privatleben gehe wohl niemanden etwas an. Dieser Verweis auf die Privatsphäre ist ein billiger Trick, der aber funktioniert, um Tätern Schutz zu bieten. Es ist selbstverständlich, dass jeder seine Privatsphäre hat und diese geschützt sein muss. Doch es ist auch selbstverständlich, dass dies nicht auf Kosten anderer geschieht. Ein kollektives Wegsehen der Gesellschaft bei Pädokriminalität schützt nicht Privatsphäre, sondern unterstützt Täter. Edathy ist sich sicher, dass in dieser Gesellschaft die Sensibilität bei Handlungen mit Kindern sehr hoch ist, aber mit Hysterie einhergeht. Diese Wahrnehmung unterstützt ihn bei seiner Selbstdarstellung als Opfer. Den Makel bekäme er nie wieder los. Auffällig ist die immer wiederkehrende Aggression, sobald die Sprache auf das Filmmaterial kommt. Mehrfach greift er die fragende Person daraufhin verbal an und verbleibt bei Aussagen über die Rechtslage. Dieses Filmmaterial sehe er als Kunst, nicht als Kinderpornografie an. Dass auch hier zumeist ökonomisch schwache Kinder reichen Männern dienen liegt auf der Hand. Doch wenn nur sichtbare Gewalt relevant ist, dann interessieren ökonomische Zwänge, Gewalterfahrungen, Suchterkrankungen und andere Ursachen offensichtlich weder Täter noch Gesetzgeber. Das Ausbeuten dieser Kinder als problematisches Sexualverhalten abzutun, zeigt deutlich die Bagatellisierung der Medien auf. Dass mit den Einnahmen legaler Aufnahmen selbstverständlich auch auch strafrechtlich Relevantes finanziert wird, ist eine naheliegende Gefahr, die nicht debattiert wurde.

„Ist es nicht menschlich, nahestehende Personen zu warnen?“ lautet eine häufig gestelle Frage. Das kommt wohl auf das Gewissen der Person an. Wer Mitgefühl hat, wird dazu kaum in der Lage sein. Bei sexueller Gewalt muss klar sein, dass es keinen Täterschutz geben darf. Wie die vielen Mitwisser, die weiterhin im Amt sind damit leben können, dass ihnen das Schicksal der Kinder egal war und sie einen Täter weitermachen lassen wollten, ist schwer nachvollziehbar.“Was glauben Sie, welche Prozesse ablaufen, bei der Erstellung von Posing-Fotos von Knaben, an denen sie sich ergötzt haben. Haben Sie ein Gefühl dafür, in welchem Produktionsprozess dieses geschieht und wann haben Sie begonnen sich darüber Gedanken zu machen?“ fragt Dieter Wonka. Auch hierzu fällt Edathy nur ein, dass es strafrechtlich nicht relevantes Material war und geht sofort zum Angriff über, da Wonka ihn irrtümlich für einen Juristen hielt und nicht ordentlich recherchiert habe. Ähnlich widerfährt es einer Journalistin, die ihn auf Berichte schwer traumatisierter Kinder diverser Filme hinweist. Wie er dazu stehe? Aufbrausend erwidert er, dass sie wohl die letzten beiden Stunden nicht aufgepasst habe und der Fernsehsender Phoenix ihr eventuell eine Aufzeichnung zur Verfügung stelle. Egal wie oft sich diese Journalistin diese Aufzeichnung ansehen wird, ein mitfühlendes Wort für die Kinder wird sie vergeblich suchen. Auf die Frage nach einer Botschaft für die Kinder hat er dementsprechend auch keine Antwort.

„Pädophile“ sind sehr kreativ in der Nutzung von Masturbationsvorlagen. Wenig reicht aus, im Zweifelsfall, um ihre Fantasien lebendig werden zu lassen. Ein Genre ist zum Beispiel das Modelling von Kindern für Strumpfhosen in verschiedenen Posen. Müssen Kinder für Männer mit sexuellem Interesse an ihnen auf dem Präsentiertteller serviert werden? Möchte das eine Gesellschaft für ihre Kinder und möchten wir so eine Gesellschaft? Ist es wichtig und notwendig für Kinder, unbedingt Nacktfotos von sich selbst im Internet zu haben?

In der aktuellen Ausgabe des „Stern“ vom 17.12.2014 heißt es: “ Die Affäre Edathy.“. Auch hier geht es nicht um Kinder, sondern um eine Parteiaffäre. Nichts ist Zufall und der Slogan des Titelblatts dieses Sterns lautet: “Die Kraft der Vergebung“. Gemeint sind mit diesem andere Menschen in einem anderen Artikel, aber natürlich soll hier eine Assoziation zu Edathy hergestellt werden. Tatsächlich ist es ein Irrglaube, dass Vergebung hilft. Diese Idee hat eher etwas mit dem christlichen Glauben zu tun, der die Idee forciert hat, dass gute Menschen vergeben können und böse und schwache Menschen nicht. Tatsächlich ist es für ganz viele Opfer von Gewalt sehr wichtig, dass ein Täter auch bestraft wird und auch angemessen. Für viele Opfer und Angehörige wurde das Leben zu einer Hölle auf Erden und alleine der Gedanke, das ein Täter lachend weitere Straftaten verüben könnte, ist schwer auszuhalten. Vergebung ist ein Konzept und hilft niemandem außer den Prädatoren und ihrer Verantwortungslosigkeit. Die Idee der Vergebung setzt Opfer sogar noch weiter unter Druck, denn sie können sich ihren Gefühlen gar nicht nicht ganz stellen, denn bei religiösen Menschen werden Gefühle wie Hass und Rache als „böse“ gesehen. Opfer können und dürfen aber fühlen, was sie wollen. Fertig.

Die Reaktionen der Medien und vieler Menschen sind erklärbar, aber wenig hilfreich:

Die meisten Menschen sehen die Welt durch eine rosaroten Brille, um sich wohl zu fühlen. Die Wahrheit über das wirkliche Ausmaß grauenhafter Straftaten und Gewalt würden sie ansonsten nicht aushalten können. Zumindest nicht ohne die Bedrängnis, handeln zu müssen. Einige sagen auch: „Es gibt etwas Gutes in jedem Menschen“. Diese Aussage ist obsolet und unerheblich, gar lächerlich, denn es ist bei manchen Straftaten völlig egal, ob es etwas angeblich „Gutes“ in einem Menschen gibt. Wen interessiert hier, ob ein Mann, der zum Beispiel Kinder vergewaltigt hat, sich wohlwohlend um seine kranke Ehefrau oder Kinder kümmert oder Blumen oder Tiere mag? Im englisch-sprachigen Raum werden Sexualstraftäter, unabhängig vom Tätertyp, als Raubtiere, als Prädatoren bezeichnet. Solche suchen sich zielgerichtet ihr Opfer aus und planen genau, wie sie ihre Taten erfolgreich ausführen können. Der deutsche Sprachraum hingegen gibt viel her, das die Täter, ihre Taten, ihre Motivation scheinbar legitimiert. Es wird von „Trieben“ gesprochen, das drückt fehlende Kontrolle aus und ebnet in der Konsequenz den Weg für Täter, die Verantwortung abzugeben und der Gesellschaft zu suggerieren, dass diesen Tätern nichts vorgeworfen werden kann und darf. Ein weitere sehr übliche Bezeichnung ist die der „Neigungen“: eine weitere völlige Verharmlosung der schrecklichen Gewalt an Kindern. Einige Menschen sagen auch „krankhaft“, das kommt wohl daher, dass bestimmte Verhaltensweisen uns krankmachen, da sie so widerwärtig und grausam sind, was ja an sich stimmt. Allerdings kann das nicht bedeuten, dass diese Täter „krank“ sind, denn dies würde heißen, sie könnten nichts für ihre Handlungen und ihr Verhalten wäre frei von Schuld.

Viele Menschen machen den Fehler zu glauben, dass sie Lügen erkennen können. Allerdings sind Menschen sehr schlecht im Erkennen von Lügen, wie Studien, seit Jahrzehnten bestätigen. (Predators, Dr. Anna Salter, Ph.d, Basic Books, 2003). Auch Polizeibeamte sind nicht besser als andere Menschen oder PsychiaterInnen. Alle Berufsgruppen erbrachten die gleichen Ergebnisse wie der Zufall (Predators, Dr. Anna Salter, Ph.d, Basic Books, 2003; 162). Auch im Falle des Herrn Edathy glauben vielleicht einige, aufgrund ihrer angeblich großen Menschenkenntnis davon ausgehen zu können, dass Edathy nicht wirklich etwas Schlimmes gemacht hat, nicht gemacht haben kann.

Es gibt viele Theorien darüber, wieso Menschen, fast immer Männer, sich zu Kindern hingezogen fühlen. Aber tatsächlich gibt es kein bestätigtes Wissen. Die Verhaltensweisen und Vorgehensweisen sind aber bekannt. Es geht immer eine lange Zeit des Planens und der Fantasie voraus. Die Obsession bezüglich Kindern wird aufrecht erhalten durch das ständige Masturbieren zu Fantasien von Kindern oder tatsächlichen Bildern von Kindern.

Wir haben vielleicht immer noch nicht die Antwort darauf, wie wir Männer wie Edathy stoppen können oder wie wir ihr Verhalten tatsächlich erklären können. Wir und die für Medien Verantwortlichen sollten aber tatsächlich aufhören, ihr Verhalten zu entschuldigen. Es ist nicht unsere Aufgabe, Täterverhalten zu erklären und zu rechtfertigen. Das ist lediglich ein Ablenkungsmanöver und hilft den Opfern nicht. Wir sollten uns für die Opfer interessieren und ihnen Raum geben. Die Täter sind selbst dafür verantwortlich, ihr Verhalten zu beenden und sie sollten auch in jedweder Hinsicht die Konsequenzen dafür tragen (müssen). Opfer müssen ihr Leben lang die Konsequenzen sexueller Gewalt tragen. Edathy wurde weitläufiger Raum in den Medien zugesprochen. In diesem wurden die Opfer zur „Kinderporno-Affäre“.

Julian Blanc wird zu Recht verurteilt – aber wer kritisiert die globale Wirtschaft für ihren Frauenhass?

Brass Rail Toronto

von Hard Seat Sleeper (The Brass Rail) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

Es ist einfach, einen globalen und systematisch organisierten Zusammenhang auf „einige wenige böse Jungs” zu reduzieren. Das wird deutlich an Fällen wie dem „Dating-Ratgeber“ Julien Blanc. Blanc tourt durch die Welt, um Männern die Pick-Up-Kunst, (zu Deutsch etwa „Die Kunst des Abschleppens“) beizubringen. Er zeigt die Misogynie, die der Pick-Up-Szene innewohnt, indem er andere Männer in seinen Techniken aus Gewalt und emotionalem Missbrauch gegenüber Frauen unterrichtet. Nachdem es einen öffentlichen Aufschrei gegeben hatte, wurde Blanc aus Australien ausgewiesen, bevor er sein in Melbourne geplantes Seminar halten konnte. Seine Methoden beinhalten das Würgen von Frauen und ihre Gesichter gewaltsam in den Schoß zu ziehen – Verhalten, das typisch für Pornographie ist. Aber während Blanc zu Recht kritisiert wird, bleiben jene Institutionen, die von solchen Bildern profitieren, verschont.

Global betrachtet hat sexuelle Gewalt epische Ausmaße erreicht. Eine von drei Frauen ist betroffen. Während die sozialen Zusammenhänge häufig angesprochen werden, bleiben die ökonomischen und politischen Hintergründe unerwähnt. Diese Gewalt muss im Kontext der globalen Wirtschaft betrachtet werden. Bis die Betreiber sexueller Gewalt gestellt werden, werden uns Männer wie Blanc immer wieder begegnen. Tatsächlich ist Blanc nicht die Ausnahme der Regel, in einer globalisierten und misogynen Gesellschaft ist er eher die Normalität.

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