Schlagwort: Patriarchat

Das Missverständnis um die Intersektionalität – und die Konsequenzen daraus

Seit geraumer Zeit stellen wir immer wieder fest, dass das wichtige Konzept der Intersektionalität im Queer-/Liberalfeminismus in einer Art und Weise gebraucht wird, welches es in seinem ursprünglichen Sinn und Intention unbrauchbar macht. Wie so viele feministische Konzepte im Laufe der Zeit „geschrottet“ wurden, so erging es auch diesem.  

Ich konnte bisher nie so ganz greifen, was genau da schief gelaufen ist. Bis zu dieser Woche, bei einer Veranstaltung an der Uni Mainz mit der Taz- und Missy Magazin-Autorin Hengameh Yaghoobifarah. Bisher dachte ich nämlich immer, der Fehler in der Rezeption bestünde ausschließlich darin, dass Mehrfachdiskriminierungen von der Kategorie Geschlecht (im Sinne von „sex“, nicht „gender“) abgetrennt und munter aufaddiert würden. Tatsächlich habe ich jetzt verstanden, dass der Dritte Welle Feminismus einem grundlegenden Missverständnis aufgesessen ist, welches mir nun auch einige irritierende politische Aktionen aus diesen Reihen der letzten Jahre erklärt.  Aber dazu am Ende mehr.

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Patriarchat und Neoliberalismus

Vortrag von Inge Kleine bei der FILIA-Konferenz in Salford/Manchester am 21. Oktober 2018. Originaltext hier

Zu allererst möchte ich FILIA, das heißt dem großartigen Organisationsteam dafür danken, dass sie diese Konferenz und diese Möglichkeit geschaffen haben, so viel großartige Aktivistinnen und Feministinnen zu treffen.

Mein Thema ist die Widerstandsfähigkeit des Patriarchats und wie schwierig es ist, ihm auf unserem Kampf dagegen nicht auf den Leim zu gehen.

In seiner fortlaufenden Selbstbestätigung gelingt es im Patriarchat, unsere Kämpfe, zumindest in westlichen Ländern oder denen des globalen Nordens, als obsolet, als überkommen darzustellen (1), womit es uns direkt in die erste Reihe an Fallen schickt. Männer deuten dabei auf andere Länder, „woanders“ hin, am liebsten nach Süden or „Osten“ und auf dortige Gesellschaften. Dies ist ein sehr alter Trick, da Liberalismus und Kolonialismus zusammengehören (2), und er funktioniert so: „Hier haben wir keine wirklichen Probleme, aber schaut mal dorthin! Da solltet ihr hinschauen. Arabische Länder!“ Die unmittelbare Reaktion zumindest einer deutschen Feministin könnte darin bestehen klar zu stellen, dass Algerien mehr weibliche Abgeordnete im Parlament hat als Deutschland, samt dem sofortigen Genuss die Selbstgefälligkeit aus dem Gesicht der Herrklärer verschwinden zu sehen. Aber diese Reaktion enthält Fehler, weil sie uns sofort zu typischen wenn auch indirekten Fehlschlüssen führt, die „unserer“ Überlegenheit, denn warum sollte Algerien nicht mehr Frauen als Abgeordnete haben als Deutschland und was für Einstellungen sind nötig, damit wir davon ausgehen, dass Algerien als Beleidigung für selbstgefällige Deutsche genutzt werden kann? Und dies geht noch weiter. Nachdem ich meinen rechten Fuß tief in den Morast des Patriarchats gestellt habe, lasst mich den linken Fuß gleich nachziehen. Unterschiede abzustreiten oder darauf zu bestehen, dass das Patriarchat überall herrscht und dass unsere Kämpfe überall die gleichen sind, kann uns dazu verleiten, wichtige Informationen über unsere Schwestern zu übersehen, es kann uns dazu bringen – in diesem Fall westliche Feministinnen – nicht zu sehen, wo ihre Kämpfe andere sind oder wo die konkreten Rahmenbedinungen andere sind. Es dient auch dazu, Aufmerksamkeit abzuziehen und sie wieder hübsch auf uns selber zu lenken. Und während ich spüre, wie ich immer tiefer im Matsch versinke, lasst mich noch die dritte Falle dazu stellen, wenn eine Anerkennung von Unterschieden in unseren täglichen Herausforderungen und Kämpfen zu Ansichten führt, die mal ein „Lieblings-“artikel von mir verbreitete, in dem stand, dass muslimische Mädchen in Pakistan Werte der Familiensolidarität hätten, die bedeuteten, dass sie keine individuelle Freiheit wollen oder brauchen.

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Nationalismus, Trauma und Patriarchat

Bundesarchiv, Idealbild der deutschen Mutter aus: SS-Leitheft, Februar 1943, CC-BY-SA 3.0

Ein Gastbeitrag von Antje Holtzmann

Wir alle haben ein Bild vor Augen, wenn wir an Neonazis denken: Springerstiefel, Glatze, Thor Steinar oder Consdaple Kleidung, grölend mit einer Flasche Bier in der Hand. Wenn wir an Neonazis denken, denken wir in der Regel an einen weißen cis-Mann. Aber was ist mit den Frauen der Bewegung? Wie dürfen wir uns die Rolle der Frau der rechten Szene vorstellen und was sind Beweggründe, sich als Frau einer absolut misogynen Bewegung anzuschließen? Oder wie kommt es, dass Menschen dem Nationalismus verfallen, die gar nicht dumm genug sind, den haltlosen Argumenten dieser Ideologie glauben zu schenken?

Nach drei Jahren in der rechten Szene kann ich von meinen persönlichen Erfahrungen erzählen und glaube auch, eine neue Perspektive auf das Thema eröffnen zu können.Um Zusammenhänge besser aufzeigen zu können, muss ich erst einmal ein bisschen autobiographisch werden. Ich komme aus einer bayrischen Großstadt, wuchs ohne Vater bei einer psychisch kranken Mutter auf und kam dann zu Pflegeeltern. Die Zeit bei meiner Mutter war ich mit ihren Traumata konfrontiert und wurde auch selbst von Bekannten der Familie sexuell missbraucht. Ab meiner Pubertät erlebte ich immer wieder sexuelle Gewalt und begann dann mit 14 mit der Prostitution. Frauenhass war für mich sowohl Realität, als auch Normalität. Auch meine Mutter negierte jegliche Weiblichkeit. Sie schnitt mir seit meinem zweiten Lebensjahr die Haare kurz und wandelte meinen Vornamen in die männliche Variante um. Sie selbst gab sich auch Mühe, möglichst maskulin auszusehen.

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Buch: Beauty and Misogyny. Harmful Cultural Practices in the West (Sheila Jeffreys)

Buchcover "Beauty Misogyny"

Sheila Jeffreys ist Professorin an der Universität von Melbourne, an der sie Sexualpolitik und internationale feministische Politik lehrt. Seit 1973 setzt sie sich für lesbische Politik ein und ist Aktivistin gegen Pornographie und Gewalt gegen Frauen. Sie ist Mitglied der Coalition Against Trafficking in Women und hat insgesamt neun Bücher über Sexualitätsgeschichte und –politik veröffentlicht. Auf Deutsch erschienen ist ihr Buch „Die industrialisierte Vagina. Die politische Ökonomie des globalen Sexhandels“. Dieses Review bezieht sich auf die zweite Edition des bei Routledge in englischer Sprache erschienenen Buches „Beauty and Misogyny. Harmful Cultural Practices in the West“.

In ihrem Vorwort verleiht Jeffreys ihrer Verwunderung Ausdruck, dass die Ablehnung der Schönheitsindustrie zwar Konsens in der so genannten zweiten Welle des Feminismus war – in erster Linie beruhend auf den Analysen dergleichen von Catharina MacKinnon und Andrea Dworkin – dass diese Linie jedoch nicht bis heute fortgeführt wurde. Von den postmodernen Feministinnen nachvollziehbarer Weise nicht –  jedoch auch nicht von den Aktivistinnen des „radikalfeministischen Revivals“ (S. 1).

The „grip of culture on the body“. Beauty practices as women`s agency or women`s subordination

In ihrem ersten Kapitel erläutert Jeffreys Grundlagen radikalfeministischer Kritik, die insbesondere auf der Durchbrechung der Öffentlichkeit/Privat-Dichotomie beruht: Die Unterdrückung der Frau ist allgemein deshalb so erfolgreich, weil sie durch die Betonung der Privatsphäre geschützt wird. „Das Private ist Politisch“ war und ist deshalb ein wichtiger Ansatz um dies zu durchbrechen.

Eine besondere Bedeutung für einen Backlash gegenüber den radikalfeministischen Analysen kam dem Buch „The New Feminism“ von Natasha Walter zu, welches jene Dichotomie im Feminismus wieder einführte und die Sexualisierung von Ikonen wie Madonna zu einem Ausdruck von weiblicher Unabhängigkeit und Sexualität erhob. Während viele nachfolgende Bücher in die gleiche Kerbe schlugen, veröffentlichte Walter zehn Jahre nach „The New Feminism“ ihr Buch „Living Dolls. The Return of Sexism“, wo sie alle ihre vorherigen Thesen über den Haufen warf und sagte:

„Ich bin bereit zuzugeben, dass ich komplett falsch gelegen habe“ (S. 11, 13)

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Marilyn Frye: Wer will ein Stück vom Kuchen?

Quelle: https://alchetron.com

Übersetzung von Passagen aus dem Text „Who Wants a Piece of the Pie“ aus „Willful Virgin: Essays in Feminism (1992, The Crossing Press). Den vollständigen Text findet ihr hier.

1976

Für Feministinnen besteht das allgegenwärtige moralische Problem in Bezug darauf wie man leben sollte darin, das eigene Leben mit den feministischen Werten in Einklang zu bringen. […] Kurz gefasst: Wir müssen uns um unsere Existenzsicherung und etwas darüber hinaus kümmern, wir wollen diese auf eine gesunde Art und Weise verdienen, und all das müssen wir in einer uns feindlich gesinnten, sexistischen Gesellschaft schaffen. Wenn wir uns die Leben von Menschen allgemein mal anschauen, dann scheint es fast schon ein Luxus zu sein, mehr als die Existenzsicherung zu verlangen, und es könnte naheliegend sein zu sagen, dass in einer feministischen Ethik Luxus fast schon elitär erscheint. Da ist etwas dran, aber das ist nicht alles. Zum einen kann es schon sein, dass Revolution so etwas wie Luxus ist – denn man findet ihr Momentum nicht unter den richtig Bettelarmen. Auf der anderen Seite: Wenn es als Luxus angesehen wird, Ressourcen über dem Existenzminimum zu haben, dann wurden wohl viele von uns in den Luxus hineingeboren, genauso sicher wie wir in unsere Unterdrückung als Frauen hineingeboren wurden […].

Für manche von uns ergibt sich dieses Dilemma konkret in Bezug auf Arbeit und Privilegien. Einige Feministinnen haben Zugang zu Positionen im Establishment oder einer Profession, oder streben dies an. […] Es gibt Feministinnen, die demgegenüber misstrauisch sind und die geneigt sind, solche Möglichkeiten oder Hoffnungen aufzugeben, als Teil ihrer Ablehnung von Klassenprivilegien.

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Der Irrtum des Anti-Verhüllungsgebots

Niqab

In Österreich haben SPÖ und ÖVP in Einklang mit dem europäischen Gerichtshof entschieden, dass in der Öffentlichkeit ein Vollverschleierungsverbot bzw. ein „Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz“ gilt. Sprich, Niqab und Burkas, die das Gesicht verstecken, sind ab sofort verboten und werden mit Geldstrafen von 150,- Euro geahndet. Vor Allem Beamte am Flughafen sollen in hohem Maße zum Einsatz kommen und das neue Gesetz „mit Fingerspitzengefühl“ durchsetzen. Es sind allerdings nicht nur Burkas, sondern auch andere Sichthindernisse, wie Atemschutzmasken (ohne medizinischen Grund), Maskierungen o.ä. (außer zur Faschingszeit) untersagt. In Saudi-Arabien wurde daraufhin eine Reisewarnung für Österreich ausgesprochen.

Nun gut. Da könnte frau im ersten Moment denken: „Toll, Österreich tut was für die Befreiung der Frau!“ Denken wir einen Schritt weiter, wird klar, nein. Das ist genau das Gegenteil. Wir müssen uns nicht darüber streiten, dass eine Vollverschleierung antifeministisch ist. Aber wenn wirklich etwas FÜR Frauen getan werden soll, dann bitte doch nicht, indem man einigen von uns ein weiteres Verbot auferlegt!

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Sheila Jeffreys: Make-Up und Schleier: Läuft das auf das Gleiche hinaus?

Bildquelle: http://www.sheilajeffreys.com/

Bei der nachfolgenden Übersetzung handelt es sich um Auszüge aus dem 2005 erschienenen Buch „Beauty and Misogyny. Harmful Cultural Practices in the West“ von Sheila Jeffreys.

Statt als zwei Seiten einer Medaille der Frauenunterdrückung, werden der Schleier und Make-Up in der Regel als Gegensätze angesehen. Make-Up wird sogar manchmal als befreite Alternative zum Tragen des Schleiers angesehen. Während es offensichtlich einen Unterschied gibt, wenn von ehrenhaften Frauen in der islamischen Kultur erwartet wird, dass sie ihre Köpfe und Körper bedecken, damit Männer nicht sexuell in Versuchung geführt werden, und im Westen von Frauen erwartet wird, sich so zu kleiden und zu schminken, dass Männer sexuell in Versuchung geführt werden und ein Fest für deren Augen veranstaltet wird, gibt es doch eine Verbindung zwischen den beiden. Diese Erwartungen spiegeln nämlich jeweils den traditionellen Dualismus in Bezug auf die Funktion von Frauen unter männlicher Dominanz wieder. Von Frauen wird traditionell erwartet, sich in die Kategorien Heilige oder Hure einzufügen, auch im Westen. Jungfrauen waren tabu bis zu ihrer Hochzeit und wurden dann sexuell individuell, also von einem Mann, besessen, während Huren zu Diensten von Männern allgemein existierten.

Leider können selbst feministisch Forschende oft nicht außerhalb dieses Dualismus denken, um sich einen autonomen Lebensweg für Frauen, der nicht in diese Kategorien fällt, vorzustellen. Lama Abu-Odeh zum Beispiel, die über die Wiedereinführung des Schleiers in manchen muslimischen Ländern schreibt, spricht davon, dass ihre Annahme als eine arabische Feministin die sei,

„dass arabische Frauen in der Lage sein sollten, sich sexuell auszudrücken, damit sie lieben, spielen, reizen, flirten und aufregen können … Darin sehe ich Akte der Subversion und der Befreiung“,

schreibt sie.  Was sie jedoch als freudvoll ansah, betrachteten die Frauen, die den Schleier anlegten, als „böse“. Indem sie der Rolle für Frauen als sexuell aufregend für Männer gegenüber dem Verhüllen den Vorzug gibt, ist Abu-Odeh gefangen in dieser Dualität, die Frauen unter männlicher Dominanz angeboten wird, Sexobjekt oder Verschleierte, Prostituierte oder Nonne. Es gibt jedoch eine dritte Möglichkeit: Frauen könnten sich selbst neu erfinden, jenseits der Stereotype westlicher und nicht-westlicher patriarchaler Kultur. Frauen könnten Zugang zum Privileg der Männer erhalten, sich nicht um ihr Aussehen scheren zu müssen und ungeschminkt und ohne Kopfbedeckung in die Öffentlichkeit zu treten.

Beides, sowohl Schleier als auch Make-Up, werden oft als freiwillige Verhaltensweisen von Frauen angesehen, die von selbstständiger Wahl gekennzeichnet sind und die Agency ausdrücken. Aber in beiden Fällen gibt es beträchtliche Beweise für den Druck, der von der männlichen Dominanz ausgeht und diese Verhaltensweisen auslöst. Die Wirtschaftshistorikerin Kathy Peiss beispielsweise stellt die These auf, dass die Kosmetikindustrie in den 1920er und 1930er Jahren ihren Durchbruch erzielte, als Frauen die öffentliche Welt der Büros und anderer Arbeitsplätze betraten. Sie sieht das Zurechtmachen der Frauen als Zeichen für eine neue Freiheit. Aber es ist auch eine andere Erklärung möglich. Feministische Kommentatorinnen der Wiedereinführung des Schleiers in muslimischen Ländern Ende des 20. Jahrhunderts weisen darauf hin, dass Frauen sich sicherer und freier fühlen in Bezug auf Beschäftigung und Bewegung im öffentlichen Raum, wenn sie sich verschleiern. Es könnte sein, dass auch das Tragen von Make-Up darauf hinweist, dass Frauen kein automatisches Recht haben den öffentlichen Raum im Westen zu betreten, also gleichberechtigt zu Männern. Make-Up stellt, genauso wie der Schleier, sicher, dass sie maskiert sind und nicht die Unverfrorenheit besitzen sich als jene echten und gleichen Bürgerinnen, die sie in der Theorie sein sollten, zu zeigen. Vielleicht offenbaren sowohl Make-Up als auch Schleier den Mangel an Anspruchsberechtigung von Frauen.

In manchen Fällen ist das Anlegen des Schleiers ein klares Resultat von Zwang und Gewaltandrohungen. Im Iran ist das sich bedecken vorgeschrieben und wird vom Staat vollstreckt. Wie Haleh Afshar erklärt, ist

„die offene Ablehnung des hejab und die Erscheinung in der Öffentlichkeit ohne ihn, mit 74 Schlägen zu bestrafen.“

Hier kann man nicht davon sprechen, dass Frauen „wählen“ können den Schleier zu tragen, da der Durchsetzungsprozess so deutlich und so brutal ist.

„Frauen, die als unadäquat bedeckt betrachtet werden, werden von diesen Männern (Mitgliedern der „Partei Gottes“, den Hezbollahis) mit Messern oder Waffen angegriffen und können froh sein, wenn sie das überleben.“

Make-Up wird nicht mit einer solchen Brutalität in westlichen Kulturen durchgesetzt.

Jedoch wird der Schleier, wie Homa Hoodfar ausführt, aus verschiedenen Gründen in verschiedenen Ländern, manchmal sogar innerhalb eines Landes, getragen. In manchen Situationen gibt es keinen sichtbaren Zwang. Lama Abu-Odeh beschreibt die Wiedereinführung des Schleiers. Sie sagt, dass in den 1970er Jahren Frauen

„die Straßen der arabischen Städte bevölkert haben, die westliche Garderobe trugen: Röcke und Kleider oberhalb der Knie, High Heels und Ärmel, die im Sommer den Oberarm bedeckten. Man konnte in der Regel ihre Haare sehen und sie trugen Make-Up.“

In den 1980er und 1990er Jahren legten viele, sogar viele eben jener Frauen, den Schleier an, hier definiert als Kopftuch. Abu-Odeh lässt uns wissen, dass „ihre Körper das Schlachtfeld zu sein schienen“ zwischen den Werten des Westens, der „kapitalistischen“ Konstruktion, in der weibliche Körper „sexualisiert, objektifiziert, verdinglicht“ werden und der traditionellen, in der Frauenkörper „eingezäunt“, „in Besitz genommen“ und als Hüterinnen der (sexuellen) Familienehre angesehen werden. Die Frauen, die den Schleier anlegten, waren jene, die öffentliche Verkehrsmittel nutzen mussten, um zur Arbeit oder dem Studium zu kommen. So wurden sie weniger wahrscheinlich von Männern sexuell belästigt. Bei Gelegenheiten bei denen sie sexuell belästigt wurden, fühlten sie sich wohler damit verschleiert zu sein, denn dann konnten sie nicht dafür verantwortlich gemacht werden, das missbräuchliche männliche Verhalten angespornt zu haben. Es war einfacher für die verschleierten Frauen und Mädchen empört zu sein und andere empörten sich eher für sie, wenn sie als unschuldige Opfer, die eine solche Behandlung nicht verdient haben, angesehen wurden. Das Anlegen des Schleiers kann insofern als Weg betrachtet werden, die Verletzungen abzumildern, die Frauen als Resultat männlicher Dominanz zugefügt werden. Eine solche „Wahl“ rührt jedoch eher aus einer Unterdrückung, als dass sie Agency ausdrückt.

Hoodfar erklärt die Wiedereinführung des Schleiers in Ägypten, wo es keine Bedrohung durch brutale Bestrafung gibt. Frauen, die sich „wieder verschleiern“ sind, wie Hoodfar es ausdrückt, eher der unteren Mitelschicht zugehörig, haben Universitätsbildung oder sind Büroangestellte im öffentlichen Sektor. Die Gründe, die Hoodfar liefert für die „Wiederverhüllung“, legen nicht nahe, dass Frauen nennenswerte Alternativen zu dieser Entscheidung gehabt hätten. Eine Frau, die Hoodfar interviewte, drückte bevor sie heiratete Widerstand zur Vorstellung einen Schleier zu tragen aus, erfuhr jedoch nennenswerten Druck durch die Familie ihres zukünftigen Ehemannes in Bezug auf ihre Arbeit als Lehrerin, auf die sie sich hatte ausbilden lassen und auf die sie sich freute. Ihre zukünftigen Schwiegereltern argumentierten, dass „die Leute reden würden, und ihre Reputation in Frage gestellt würde“, wenn sie arbeiten gehen würde. Außerdem würde sie sexuelle Belästigungen erfahren, „In überfüllten Bussen würden Männer, die ihren traditionellen Respekt vor Frauen verloren hätten sie belästigen und dies würde ihre Ehre und Würde beschmutzen, und auch die ihres Ehemannes und ihrer Brüder“. Um diesen Druck zu überwinden, beschloss sie eine muhaggaba (eine Verschleierte) zu werden. Dies stellte die Familie des Ehemannes zufrieden.

Die Gründe, die Hoodfar gibt, beziehen sich deutlich auf Versuche von Frauen sich der männlichen Dominanz anzupassen. Der Schleier, sagt sie, demonstriert die Loyalität der Frauen zu den Regeln der männlichen Dominanz, er

„kommuniziert der Gesellschaft im Allgemeinen, und den Ehemännern im Speziellen, laut und deutlich, dass sich die Trägerin an die islamische Idee ihrer Geschlechterrolle gebunden fühlt.“

Verschleierte Frauen können arbeiten, weil sie demonstrieren, dass sie immer noch „traditionelle Werte und Verhaltensweisen“ respektieren. Frauen, die den Schleier tragen, „vermindern die Unsicherheit ihres Ehemannes“ und zeigen ihren Ehemännern, dass „sie als Ehefrauen, nicht im Wettstreit stehen, sondern in Harmonie und Kooperation zu ihnen“.  Im Gegenzug für all diese Zeichen des Gehorsams, versetzt der Schleier

„Frauen in die Lage zu erwarten und zu verlangen, dass ihre Ehemänner sie ehren und ihre islamischen Rechte anerkennen“.

So lassen die Ehemänner die Frauen das Geld, was sie verdienen, behalten und erfüllen ihren Teil der Abmachung „der Familie das Maximum ihrer Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen.“ Keiner der hier genannten Gründe legt eine gewählte Aktivität nahe, die Frauen eine Befriedigung gibt, die abgetrennt ist von den Kräften der männlichen Dominanz. Um das Recht, das Männer besitzen, in der öffentlichen Welt arbeiten zu dürfen, in Anspruch zu nehmen, müssen Frauen sich verschleiern und andere Stereotype und Erwartungen an die untergeordnete Rolle der Frauen erfüllen.

Eine andere Frau, die von Hoodfar interviewt wurde, legte den Schleier an, um konkret sexuelle Belästigungen zu vermeiden, wenn sie nachts spät nach dem Studieren den Bus nach Hause nehmen musste:

„So oft haben mich Leute schlecht behandelt, dass ich nachts nach Hause kam und weinte.“

Sie entschied sich für den Schleier, damit

„die Leute wissen, dass ich eine gute Frau bin, und dass meine Umstände mich zwingen bis spät nachts zu arbeiten“.

Eine Strategie zu suchen, um nicht auf offener Straße von Männern angegriffen zu werden, ist keine Ausübung von freier Wahl, sondern eine Anpassung an Unterdrückung. Der gewöhnliche Mann in Ägypten, der sie belästigt, kann als das bürgerliche Äquivalent angesehen werden zu den Hezbollahs, die Frauen im Iran auspeitschen.

[…]

Abu-Odeh erinnert Feministinnen, die der Meinung sind, dass Frauen den Schleier einfach ablehnen sollten, daran, dass dies „gesellschaftlicher Selbstmord“ wäre. Muslimische Frauen haben keine Stellung um sich gegen den Schleier auszusprechen, weil dies als Verteidigung des Westens angesehen würde. Sie ergänzt den Einfluss islamischer Prediger als einen weiteren Grund für die Wiederverschleierung:

„Eine Frau, die sich entscheidet den Schleier anzulegen, unterliegt in der Regel einer bestimmten ideologischen Indoktrination […], nach der ihr gesagt wird, dass eine muslimische Frau sich bedecken muss, um Männer nicht zu verführen, und dass sie, indem sie dies tut, Allahs Wort befolgt“.

Das kann natürlich eindeutig als religiöse Indoktrination angesehen werden, aber es erscheint mir begründet zu fragen, ob es notwendigerweise machtvoller ist, Mädchen dahingehend zu beeinflussen, sich mit dem Schleier zu bedecken, als das was die Magazine und Mode- und Schönheitskultur des Westens tun, um Mädchen dazu bringen, sich mit Make-Up zu bedecken.

Westlicher Kulturimperialismus – Export schädlicher Praktiken in den Nicht-Westen

Die in Afghanistan angeblich neuerdings von der Herrschaft der Taliban befreiten Frauen, sind gefangen in der patriarchalen Dualität von Heilige und Hure, da ihnen zwei Wahlmöglichkeiten für ihre Erscheinung angeboten werden: die Verhüllung mit der Burka oder die mit Make-Up. Westliche Schönheitspraktiken werden als so offensichtlich natürlich, unvermeidbar und gut für Frauen betrachtet, dass sie den Frauen in Afghanistan wie ein Heiliger Gral angeboten werden. Nach Jahren schrecklichster Unterdrückung, in denen sie nur in einer alles verhüllenden Burka nach draussen gehen konnten, nur in Begleitung eines Mannes reisen durften, ihnen Bildung und Beschäftigung untersagt wurde und in denen sie auf der Straße von den Hütern islamischer Selbstgerechtigkeit ohne Entschädigung verprügelt werden konnten, erscheint die Möglichkeit sich an westlichen Schönheitspraktiken, insbesondere für Gesicht und Haar, zu beteiligen, nicht unbedingt als dringendstes Bedürfnis. Dennoch wird dies so angepriesen.

Die amerikanische Schönheitsindustrie stürzte sich 2002 in der Folgezeit des Krieges nach Afghanistan, unter dem Deckmäntelchen einer dringend benötigten Schönheits-„Hilfe“. Dies wurde in den Medien als positive Unterstützung dargestellt, und nicht als amerikanischer Kulturimperialismus und kapitalistisches Unternehmen. Frauen wurde die Rolle der in Make-Up verhüllten und sexuell objektifizierten Frau angeboten, statt unter der Burka verhüllt zu sein, um sie davor zu schützen, von Männern als Sexobjekte angesehen zu werden. […]  Ein Who ist Who der amerikanischen Schönheitsindustrie, angeführt von der Herausgeberin der Vogue, „eilte bald zur Hilfe“. Ein Ergebnis dieser Großzügigkeit war die Eröffnung einer Schule für Kosmetik, die auf dem Gelände des Afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten eröffnete, als wären Schönheitspraktiken tatsächlich ein äußerst wichtiges Menschenrechtsanliegen für Frauen, auf einer Linie mit Bildung, Sicherheit und Arbeit.

Die Hersteller von amerikanischen Schönheitsprodukten gaben Handbücher heraus um das Unterfangen zu unterstützen. Die Herausgeberin der Vogue, Anna Wintour, bezeichnete die Schönheitsindustrie als „unglaublich philantropisch“ und war der Meinung, die Kosmetikschule würde

„nicht nur den afghanischen Frauen helfen besser auszusehen und sich besser zu fühlen, sondern sie sogar mit Beschäftigungsmöglichkeiten versorgen“.

Offensichtlich führte die Situation in den 20 Kosmetiksalons, die nach Beseitigung der Taliban-Kontrolle eröffnet wurden, jedoch zu einer Krise im Gesundheitssystem, da die Bedingungen extrem unhygienisch und gefährlich waren. Eine afghanische Auswanderin berichtet:

„Sie verwenden rostige Scheren, sie haben einen einzigen billigen Kamm für den gesamten Salon und desinfizieren ihn nicht, es gibt kein fließendes Wasser oder Rasierschaum, und es gibt ein echtes Läuseproblem. Sie verwenden Holzstöcke und Gummibänder für die Dauerwellen. Und es gibt keine Watte, so dass die Dauerwellenlösung in die Gesichter der Kundinnen tropft“

[…]

Nicht nur in Afghanistan haben die amerikanischen Kosmetikunternehmen eine Marketing-Möglichkeit gesehen. Sie haben nach dem Fall des kommunistischen Regimes schleunigst die Sowjetunion aufgesucht, um ihre Dienste den Frauen dort anzubieten, und sie streben auch nach China. Wie die Wirtschaftshistorikerin Kathy Peiss es ausdrückt,

„verkaufen sogar in amazonischen Regenwäldern Frauen Avon, Mary Kay und andere Schönheitsprodukte“.

Aber Peiss verschweigt, wie die vielen Menschen, die in Afghanistan westliche Schönheitsideale verkaufen, die Unterdrückung durch diese kolonisierende Aktivität, indem sie auf die damit verbundenen Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen, die dringend darauf angewiesen sind, verweist.

[…]

Die Verhüllung von Frauen in patriarchalen Religionen

Obwohl die erforderte sexuelle Objektifizierung von Frauen im Westen sich sehr von der Verhüllung in Islamischen Regimen zu unterscheiden scheint, ist es aufschlussreich sich die identische kulturelle Basis aus der sowohl westliche als auch islamische Kulturen sich entwickelt haben, vor Augen zu führen. Die Bedeckung des Kopfes ist eine kulturelle Praxis von mittelöstlichen Stämmen, die sich über die monotheistischen Religionen, die in dieser Region entstanden, in andere Teile der Welt verbreitet hat. Die Bedeckung von Kopf und Körper wurde christlichen Frauen im Westen noch bis vor kurzem aufgenötigt. In Bezug auf meine Kindheit in den 1950er Jahren in Malta, wo mein Vater mit der Army stationiert war, erinnere ich mich an die Schilder in den Bussen, die Frauen instruierten „ein marienhaftes Kleid zu tragen“. In vielen Teilen Europas müssen Frauen beim Betreten einer Kirche noch immer ihren Kopf bedecken. Die christliche Religion hat, wie der Islam und die andere patriarchale, monotheistische Religion, das Judentum, seine Wurzeln in früheren patriarchalen Kulturen, die im Mittleren Osten existierten. In diesen frühen Kulturen mussten ehrbare Frauen sich nach dem babylonischen Code des Hammurabi bedecken. Gerda Lerner erklärt in „Die Entstehung des Patriarchats“, dass dieser Code, der vor die drei Religionen zu datieren ist, von Frauen, die keine Prostituierten waren, verlangte, dass sie sich bedeckten, so dass sie damit anzeigen konnten, dass sie der Besitz eines individuellen Mannes waren. Die prostituierten Frauen, in der Regel Sklavinnen, waren hingegen unverhüllt, um anzuzeigen, dass sie der Besitz der Allgemeinheit der Männer waren.

Im frühen Christentum wurde ein ähnlicher Code durchgesetzt. In Pauls Brief an die Korinther im Neuen Testament wird der Bedeckungscode ausgesetzt. Er erklärt, dass „der Kopf jedes Mannes Christus ist; und der Kopf der Frau ist der Mann;  und der Kopf von Christus ist Gott“. Dies soll jedoch durch eine Kopfbedeckung demonstriert werden:

„Ein jeglicher Mann, der betet oder weissagt und hat etwas auf dem Haupt, der schändet sein Haupt. 5 Ein Weib aber, das da betet oder weissagt mit unbedecktem Haupt, die schändet ihr Haupt, denn es ist ebensoviel, als wäre es geschoren. 6 Will sie sich nicht bedecken, so schneide man ihr das Haar ab. Nun es aber übel steht, daß ein Weib verschnittenes Haar habe und geschoren sei, so lasset sie das Haupt bedecken.  7 Der Mann aber soll das Haupt nicht bedecken, sintemal er ist Gottes Bild und Ehre; das Weib aber ist des Mannes Ehre. 8 Denn der Mann ist nicht vom Weibe, sondern das Weib vom Manne. 9 Und der Mann ist nicht geschaffen um des Weibes willen, sondern das Weib um des Mannes willen.“

Die Kopfbedeckung der Frau zeigte an, dass sie der Besitz des Mannes ist. Andere schädliche Praktiken des frühen Christentums gingen mit dem Dresscode einher.

[…]

Was macht eine schädliche kulturelle Praktik aus?

Ich habe in diesem Kapitel die These aufgestellt, dass sowohl die westlichen Kulturen, die vom Christentum beeinflusst sind, als auch die Kulturen, die vom Islam beeinflusst sind, Frauen schädliche kulturelle Praktiken aufzwingen. Nur die Entschlossenheit die politischen Ursprünge, Funktionen und Konsequenzen westlicher Schönheitspraktiken einfach zu ignorieren, kann die Vorstellung ermöglichen, dass die westliche Kultur in Bezug auf die Freiheiten, die sie Frauen in Bezug auf ihre Erscheinung erlaubt, [nicht-westlichen Kulturen] überlegen ist. […] Beide Sets von Regeln, die das Erscheinungsbild betreffen, setzen voraus, dass Frauen „anders/unterwürfig“ sein sollen, und beide setzen voraus, dass Frauen den männlichen sexuellen Bedürfnissen Genüge tun, entweder in dem sie sexuelle Erregung zur Verfügung stellen, oder indem die Frauenkörper versteckt werden, damit Männer weniger erregt werden. In beiden Fällen wird von Frauen erwartet, dass sie die männlichen Bedürfnisse im öffentlichen Raum befriedigen und, dass sie selbst nicht die Freiheiten haben, die Männer besitzen.

Das Konzept schädlicher kultureller Praktiken in Bezug auf die äußere Erscheinung, sollte deshalb nicht auf nicht-westliche Kulturen beschränkt werden. Alle in diesem Buch beleuchteten westlichen Schönheitspraktiken, von Make-Up bis Labioplastik, erfüllen die Kriterien für schädliche kulturelle Praktiken. Ich lege dar, dass sie stereotype Geschlechterrollen produzieren, dass sie aus der Unterordnung der Frauen entspringen, dass sie von Vorteil für die Männer sind und dass sie durch Tradition gerechtfertigt werden. Ich habe in Kapitel 6 dargelegt, dass selbst jene Praktiken, die wenig Effekt auf die Gesundheit von Frauen und Mädchen zu haben scheinen, wie das Tragen von Lippenstift, schädlich sein können. Obwohl westliche Schönheitspraktiken selten durch tatsächliche physische Gewalt aufgezwungen werden, sind sie dennoch kulturell aufgezwungen. Das Scheitern darin Make-Up zu tragen, die Beine zu enthaaren oder die Achseln, mag vielleicht nicht „gesellschaftlicher Selbstmord“ in den westlichen Kulturen sein, aber es beeinflusst, wie ich im Make-Up Kapitel dargelegt habe, die Möglichkeiten von Frauen in Arbeit zu kommen und diese zu behalten [….]. Die weiblichen britischen Abgeordneten, die ich erwähnt habe, mussten weibliche Kleidung tragen und ihre Beine zeigen um irgendeine Legimitation in der Gesetzgebung zu erhalten und sie hätten es sehr unwahrscheinlich dort überlebt, wenn Achselhaare unter ihren Blusen oder Beinhaare durch die Strumpfhosen durchgeblitzt wären.

Natürlich ist mir bewusst, dass das Ausmaß der Schäden, die durch plastische Chirurgie und Lippenstift tragen hervorgerufen werden, nicht das gleiche ist. Die Voraussetzung für die Anerkennung westlicher Schönheitspraktiken als schädliche kulturelle Praktiken, wie von der UN Konvention für die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen definiert, ist die Veränderung der sozialen Einstellungen, die ihnen unterliegen. Im Fall mancher kosmetischer Schönheitschirurgiepraktiken sind die Konsequenzen ausreichend ernst und eine Regulierung könnte sehr einfach durch gesetzliche Bestrafung der Ärzte erreicht werden, so dass man sie einfach über die Gesetzgebung beenden könnte. Das Tragen von Lippenstift und Enthaarung sollte nicht ausgeklammert werden bei der Betrachtung, […] wobei gesetzliche Maßnahmen hierbei wohl nicht angemessen wären. Sie markieren Frauen als untergeordnet und demonstrieren deutlich stereotype Geschlechterrollen, auch dann wenn sie keine tiefgreifenden Folgen für die Gesundheit von Frauen haben. Die Rolle der Regierungen, die sich der Beendigung solcher Praktiken verschreiben, […] sollte es deshalb sein, die Herstellung von Geschlechterdifferenz zu bekämpfen, sowie jene Vorstellungen und Einstellungen und Geschäftspraktiken, die diese Auffassungen als Fundament der westlichen Kultur festschreiben.

Sonia Johnson: Unseren Blick von den Typen abwenden

Ausschnitt Buchcover, Sonia Johnson: From Housewife To Heretic

Auszüge aus einer Rede, gehalten am 8. April 1987 an der New York University Law School, veröffentlicht im Sammelband “The Sexual Liberals and The Attack on Feminism“, herausgegeben von Dorchen Leidholdt und Janice G. Raymond im Jahr 1990. Vollständiger Text „Taking Our Eyes Off the Guys, Sonia Johnson“ (auf englisch) auf radfem.org

Alle von uns – alle Frauen im Patriarchat – wurden daran gewöhnt Sklavinnen zu sein, wurden daran gewöhnt Prostituierte zu sein. Alle von uns sind oder waren, in einem gewissen Sinne, Prostituierte und Sklavinnen, und die meisten von uns werden das für den Rest ihres Lebens sein. …

Die patriarchale Familie ist das Modell für jegliche Unterdrückung: Die patriarchale Familie mit dem Mann an der Spitze als Gott und die Frau und die Kinder als Würmer unter ihm – zu oft im wahrsten Sinne des Wortes unter ihm.

Wir haben verstanden, dass das Paradigma – das Macht-über Paradigma, dieses sadomasochistische Paradigma, welches das Patriarchat darstellt – sich auf alles erstreckt, dass es das Modell ist für alle sozialen Institutionen, für alle wirtschaftlichen Strukturen, für die internationale Politik. Die Weißen an der Spitze als Gott, ethnische Minderheiten in der Position der Frauen als Würmer darunter. Es sind die Reichen an der Spitze als Männer, die Armen als Frauen am Boden. Es sind die Menschen oben, alle anderen Lebewesen unten. Es ist groß oben, klein am Boden – große Länder männlich, kleine Länder weiblich – und so weiter. …

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Femizid und das ohrenbetäubende Schweigen der Gesellschaft – Ein Wake-Up-Call

Frau, die sich wehrt

European Parliament (CC BY-NC-ND 2.0)

„Ni Una Menos“ (Nicht eine Weniger) heißt eine Kampagne in Argentinien, die seit mehreren Jahren Gewaltverbrechen gegen Frauen zum Thema macht. Eine ähnliche Bewegung gibt es in Peru. Deutsche Medien von N-TV, über TAZ und Junge Welt berichteten in der Vergangenheit darüber.

So rechnete die TAZ uns am 4. Juni 2016 vor:

Daran, dass in Argentinien rechnerisch alle 32 Stunden eine Frau umgebracht wird, hat sich auch ein Jahr danach wenig geändert. In den letzten zwölf Monaten wurden 275 Mädchen und Frauen ermordet, davon 162 von ihrem Ehemann, Freund, Partner mit oder ohne der Vorsilbe „Ex“

Die Junge Welt schrieb am 15.08.2016:

Mehrere hunderttausend Menschen sind am Samstag in Lima auf die Straße gegangen, um gegen die hohe Zahl von Morden an Frauen zu protestieren. Allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2016 wurden nach Angaben des peruanischen Frauenministeriums 54 Morde und 188 Mordversuche an Frauen registriert.

Männliche Gewalt ist weltweit hauptverantwortlich für den vorzeitigen Tod von Frauen. Fast täglich können wir auch in Deutschland lesen von männlicher Gewalt gegen Frauen, die tödlich oder fast tödlich endet. Einer gesellschaftlichen Anerkennung dieser schlichten Fakten gibt es jedoch nicht. Eingeordnet werden diese Fälle hierzulande von den Medien als „Beziehungs-„ oder „Familiendrama“ – oder seit neuestem auch gerne, wenn der Täter sich ebenfalls umbringt – als „erweiterter Selbstmord“. Die Tatsache, dass meist nur Lokalmedien berichten (wenn überhaupt) und die Einordnung der Taten in den privaten Kontext gibt der Gesellschaft die Entschuldigung wegzusehen. Strukturelle Analysen finden nicht statt, auch linke Medien berichten wie gezeigt gerne mal über Anti-Femicido-Initiativen im Ausland – Empörung über die alltägliche Gewalt vor unserer Haustür gibt es jedoch nicht, sondern – wie auch im Fall der Prostitution – nur ohrenbetäubendes Schweigen.

Dies gilt im Übrigen auch für linken Gruppierungen, die sich sonst (und das ist gut so!!!) überschlagen Initiativen und Gruppen zu gründen zur Bekämpfung jeglicher Formen der Diskriminierung von und Gewalt gegen Menschengruppen. Die Behauptung – eben auch von links – wir seien als Frauen doch weitgehend gleichberechtigt, lässt uns Worte wie „Femizid“ nur schwer über die Lippen bringen. Aber verleugnen können wir die Relevanz des Geschlechts für Hassverbrechen angesichts der Realität doch auch nicht.  Deshalb ist das hier ist ein Wake-Up-Call!

Nachfolgend das Ergebnis einer Schnell-Recherche, die Auflistung beansprucht keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, ist sie defintiv nicht! Die oben genannten Zahlen von Argentinien und Peru toppen wir jedenfalls allemal, interessiert hier im vermeintlich geschlechtergleichberechtigten Wunderland Deutschland nur niemanden kaum jemanden, sind halt nur Frauen. Monat April: 30 Tage, 30 Fällle. Voilá!

Zwischen dem 31. März und 8. April 2017: Der 17 Jahre alte John B. tötet und zerstückelt seine 58 Jahre alte, körperbehinderte Mutter Ilona F. Nachbarn berichten, dass er seine Mutter häufig bedroht und geschlagen haben soll. (Quelle)

2. April 2017, Seelze: Der 41 Jahre alte Christian I. erwürgt seine Freundin, die 29 Jahre alte Jana W. (Quelle)

3. April 2017, Heusenstamm: Ein 55 Jahre alter Mann erschlägt im Streit seine 53 Jahre alte Ehefrau mit einem Werkzeug, durch einen Schlag auf den Kopf. Hintergrund: Trennung (Quelle)

4. April 2017, Leipzig: Ein 34 Jahre alter Mann verletzt seine 28 Jahre alte Ehefrau im Streit schwer. Die Polizei ermittelt wegen eines versuchten Tötungsdeliktes. Die Frau schwebte zeitweise in Lebensgefahr. (Quelle)

5. April 2017, Düsseldorf: Der 30 Jahre alte Maninder S. verletzt seine 24 Jahre alte Ex-Lebensgefährtin schwer. Er flüchtet, als eine Zeugin zur Hilfe eilt. Die Polizei wertet die Tat als versuchtes Tötungsdelikt. Das Opfer schwebte zeitweise in Lebensgefahr. Mutmaßliches Motiv: Der Täter wollte die Trennung nicht akzeptieren. (Quelle)

6. April 2017, Altenburg. Ein 54 Jahre alter Mann tritt massiv auf seine 57 Jahre alte Nachbarin ein und verletzt sie lebensgefährlich. Sie stirbt nach einem Sturz aus dem Fenster. (Quelle)

6. April 2017, Darmstadt: Ein 49 Jahre alter Mann tötet seine 56 Jahre alte Ehefrau. (Quelle)

7. April 2017, München: Ein 32 Jahre alter Mann versucht seine 63 Jahre alte Mutter zu erwürgen. Das Eingreifen eines Nachbarn rettet ihr das Leben, indem er von Balkon zu Balkon klettert und dazwischen geht. Bei dem Täter war bereits in der Vergangenheit eine psychische Erkrankung festgestellt worden, weshalb er wegen versuchten Mordes in einer psychiatrischen Klinik untergebracht wurde. (Quelle)

7. April 2017, Staßfurt: Ein 58 Jahre alter Mann ersticht seine 50 Jahre alte Ehefrau und verletzt den 26 Jahre alten Sohn, der mit lebensbedrohlichen Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert wird. Die Zeitungen berichten von einem „Familiendrama“ (Quelle)

9. April 2017, Kreis Aschaffenburg: Ein 31 Jahre alter Mann ersticht seine 26 Jahre alte Ex-Freundin mit mehreren Messerstichen in den Hals und stürzt sich selbst von der Brücke Dem Täter war aufgrund von häuslicher Gewalt bereits am 17.03.17 ein 14-tägiges Kontaktverbot erteilt worden. Am 6. April musste die Polizei erneut einschreiten. Ein am 7. April beantragtes neuerliches Kontaktverbot wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 7.4.2017 mangels Antragsvoraussetzungen abgewiesen. (Quelle)

12. April 2017, Mömlingen: Ein 47 Jahre alter Mann zerrt im Verlaufe eines Streits seine 43 Jahre alte Ehefrau aus dem Auto und misshandelt sie mit brutaler Gewalt. Der anwesende, 22 Jahre alte, Sohn bringt seine schwer verletzte Mutter in die Wohnung und verständigt den Rettungsdienst. Die Polizei ermittelt wegen versuchter Tötung. (Quelle)

15. April 2017, Cottbus: Eine Gruppe von Männern um die 20 überfährt die 22 Jahre alte ägyptische Gaststudentin Shaden M. Motiv: Rassismus (Quelle)

15. April 2017, Hannover: Ein 25 Jahre alter Mann verletzt die 27 Jahre alte Melissa S. schwer. Sie erliegt am 16. April ihren Verletzungen. (Quelle)

16. April 2017, Mainz: Ein 39 Jahre alter Mann ersticht seine 32 Jahre alte Ehefrau (Quelle)

17. April 2017, Düsseldorf: Ein 39 Jahre alter Mann stößt seine 24 Jahre alte Lebensgefährtin aus dem Fenster. Diese stürzt Meter in die Tiefe. Sie schwebte zwischenzeitlich in Lebensgefahr. Die Polizei ermittelt wegen eines versuchten Tötungsdeliktes. (Quelle)

19. April 2017, Wersten: Ein 67 Jahre alter Mann verletzt seine 10 Jahre jüngere ehemalige Lebensgefährtin auf dem Gelände einer Sportanlage. Er lässt erst von ihr ab, als ein Passant auf das Geschehen aufmerksam wird. Die Polizei wertet die Tat als versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. (Quelle)

19. April 2017, Unterensingen: Ein 45 Jahre alter Mann tötet seine Tochter und seinen Sohn (8 und 4 Jahre alt) und dann sich selbst. Motiv: Eifersucht. Die Ehefrau ist schuld. Auf Facebook schreibt er: „Sie hat mir alles genommen. Unsere Familie. Unsere Liebe. Unsere Zukunft.“ Und: „Die Vorstellung, dass ich unsere Kinder nicht mehr jeden Tag sehe, dass ein anderer Mann sie anfasst, sie ins Bett bringt, sie in den Schlaf streichelt, bringt mich um den Verstand.“ Die Presse titelt „Familiendrama“ (Quelle)

21. April 2017, Dresden: Der 29 Jahre alte Shahjahan B. ermordet seine Freundin, die 41 Jahre alte Thu T. mit einem „scharfen Gegenstand“ (Quelle)

21. April 2017, Hamburg: Ein 53 Jahre alter Mann verletzt seine 44 Jahre alte Lebensgefährtin schwer. Das Opfer musste mit schweren Kopfverletzungen notoperiert werden und schwebt in Lebensgefahr  (Quelle)

23. April 2017, Syke: Ein 32 Jahre alter Mann erwürgt seine gleichaltrige Lebensgefährtin. Die Presse berichtet von einem „Familiendrama“. (Quelle)

24. April 2017, Berlin: Eine 45 Jahre alte Frau wird tot in ihrer Wohnung gefunden. Die Polizei geht von einem Gewaltverbrechen aus. Die Hintergründe sind noch unklar. (Quelle)

24. April 2017, Sasbach: Ein 50 Jahre alter Mann ersticht seine 43 Jahre alte Ex-Lebensgefährtin im Zuge eines Streits im Treppenhaus. (Quelle)

24. April 2017, Mönchengladbach: Ein Mann schießt auf offener Straße mehrfach auf seine Ex-Partnerin. Die Polizei ermittelt wegen Mordversuchs. Die Medien berichten von einem „Beziehungsdrama“. (Quelle)

24. April 2017, Bad Driburg: Ein 33 Jahre alter Mann ersticht nach einem Ehestreit, in Zuge dessen die 28 Jahre alte Ehefrau fast nackt fliehen muss, seine Tochter (5) und seinen Sohn (8), verletzt die Ehefrau und eine weitere Tochter (3) schwer, und tötet sich dann selbst. Die Medien berichten von einem „Familiendrama“ und „erweiterten Selbstmord“.(Quelle)

26. April 2017, Berlin: Mord an der 45 Jahre alten Janine N. Die Ermittlungen dauern an (Quelle)

28. April 2017, Dülmen: Ein 29 Jahre alter Mann sticht zunächst auf seine 51 Jahre alte Mutter, dann auf seine 31 Jahre alte Schwester ein, als diese zur Hilfe eilt. Die Mutter wird schwer verletzt und schwebt zeitweise in Lebensgefahr. Die Polizei ermittelt wegen versuchten Totschlags. Die Presse berichtet von einem „Familiendrama“. (Quelle)

30. April 2017, Prien: Ein 29 Jahre alter Mann ersticht eine 38 Jahre alte Frau vor den Augen ihrer Kinder vor einem Supermarkt. Der Täter wurde in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen. (Quelle)

30. April 2017, Nürnberg: Ein 31 Jahre alter Mann ersticht seine 61 Jahre alte Mutter. Der Vater (64) liegt schwer verletzt auf Intensivstation. Die Presse spricht von einem „Familiendrama“ (Quelle)

30. April 2017, Ilfeld: Ein 51 Jahre alter Mann tötet seine 48 Jahre alte Freundin nach einem Streit. (Quelle)

Hey girl, where is my cookie?

Dies wird wieder einer dieser Texte, für die mensch sich sicher nicht gerade beliebt macht. Aber manche Dinge müssen einfach mal gesagt/geschrieben werden. Weil es eine beschäftigt. Weil es eine schier zur Verzweiflung bringt. Weil etwas irgendwie total strange verläuft. Die hier niedergeschriebenen Gedanken sind nicht fertig. So sind sie auch zu behandeln: Als Ermutigung zur Diskussion. Als Einladung zum Nachdenken. Sicher finde ich irgendwann einen Text einer klugen Feministin, die all das schon vor langer Zeit viel besser und prägnanter aufgeschrieben hat. Ähnlich habe ich es natürlich schon bei Shulie (Shulamith Firestone) gelesen. Nichtsdestotrotz hier mein eigener Versuch:

Juni 2014, Nordiskt Forum, Malmö/Schweden im Anti-Porn-Workshop mit Gail Dines: Ein Mann meldet sich zu Wort, im ganzen prall gefüllten Raum sind vielleicht insgesamt maximal 10 Männer anwesend. „Ich und mein Kumpel hier wir schauen ja keine Pornos …“. Applaus. Kein Witz.

April 2015, Marburg, Veranstaltung zu „Stop Sexkauf“: Männer werden applaudiert, weil sie bei einer Veranstaltung zu Prostitution A N W E S E N D sind. Ebenfalls kein Witz.

L E I D E R  K E I N  W I T Z.

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