Es wird ja gesagt, dass unser Gehirn emotionale Erfahrungen im Traum verarbeitet: Der Traum als „Reise ins Unterbewusstsein“ oder „Telefonleitung zur Seele“.
Gestern hab ich mal wieder geträumt: Ich saß in einem (sehr großen) Stuhlkreis mit Männern. Linken Männern. Es ging darum, dass ich mich mal wieder, wie früher, außerhalb meiner feministischen Kreise engagieren wollte, aber klarstellte, dass es für mich hierzu notwendigerweise einen gewissen Grundkonsens zu bestimmten Sachen geben müsse. Zum Beispiel, dass Rassismus immer ein “No Go” ist, auch dann, wenn dahinter eine milliardenschwere Sexindustrie steht.
Das Ende vom Lied: In meinem Traum wurden mir alle Relativierungen von Rassismus gegen Frauen und Klassismus betreffend Frauen entgegen geschleudert, die allen linken Frauen, dich sie mit diesen Themen befassen, allerbestens bekannt sein dürften. Es war wie ein Gewitter, das auf mich einprasselte und schlussendlich wachte ich schweißgebadet – und völlig gerädert – auf.
Dieser Traum ist offensichtlich Ausdruck einer in mir wachsenden Ratlosigkeit und Ohnmacht. Ich habe mich mehr als 15 Jahre in linken Strukturen engagiert, an vorderster Front gegen Nazis mobil gemacht, Demos angemeldet und für das Einstehen gegen Rechts Drohbriefe erhalten. In meinem Freundeskreis, auch dem engeren, gibt es weniger „Biodeutsche“ (schreckliches Wort) als Menschen, in deren Familie es eine Migrationsgeschichte in der ersten, zweiten oder dritten Generation gibt. Ich lebe gerne – SEHR GERNE – in meinem Viertel, in dem Menschen mit rund 160 verschiedenen Nationalitäten zuhause sind und wenn ich mit irgendetwas Hilfe brauche, dann stehen sehr viele davon parat (und umgekehrt).
Macht mich also der zunehmende Rassismus in unserer Gesellschaft betroffen? Ja natürlich. Ich könnte täglich kotzen, wenn ich sehe, wie meine FreundInnen tagtäglich von Behörden behandelt werden, wenn ich (nicht nur deutsche) NachbarInnen höre, die über die „Zigeuner“ weiter oben oder unten in der Straße herziehen oder Typen zuhören muss, die ihren Arsch nicht hochkriegen um ihr eigenes Leben in den Griff zu bekommen und stattdessen Geflüchtete für ihr Elend verantwortlich machen. Weil’s halt so schön einfach ist.
Früher dachte ich immer, dass ich mich als „westliche“ Frau im 21. Jahrhundert glücklich schätzen darf. Ich bin behütet und (relativ) unbeschwert in einem kleinen Dorf in der Eifel aufgewachsen, wurde in allem unterstützt, was ich erreichen wollte und war in dem, was ich tat, erfolgreich. Ich hielt mich immer für weitgehend gleichberechtigt und wie es dem weiblichen Rollenideal entspricht, nahm ich mein gefühltes Privileg wahr, um anderen, weniger privilegierten Menschen (meint vor allem Männern) zu helfen. Gegen soziale Not, gegen Rassismus und Abschiebung, gegen Behördenwillkür.
Passiert ist in all den Jahren Aktivismus in linken Strukturen vor allem eins: Ich habe Sexismus kennengelernt – und zwar nicht zu knapp. Ich habe erlebt, wie Männer sich einen antisexistischen Anstrich geben, sich vielleicht sogar Feministen nennen und genau das Gegenteil von dem verkörpern, was sie vorgeben zu sein. Ich habe erlebt, wie ich für das Eintreten für Frauenrechte fallengelassen, verdeckt oder offen bekämpft oder als hysterische Kuh schlicht abgehakt wurde.
Das war schmerzhaft, das war frustrierend und vor allem hat es mir in weiten Teilen meine politische Heimat und damit auch ein Stück Halt genommen. Inzwischen kann ich sagen, dass mich die Ignoranz, mit der mir frühere Wegbegleiter begegnen und ihre subtile Misogynie mehr schmerzen als ein offen zur Schau getragener Machismo, dem frau wenigstens offen die Stirn bieten kann.
Gerade erst schrieb der von mir wirklich sehr geschätzte Rolf Löchel (ein Mann mit echter Ahnung zur Geschichte der Frauenbewegung und dem Feminismus) in seiner weitgehend sehr positiven Störenfrieda-Buch-Kritik:
„Weiter meint Sigel, der „deutsche Frauenhass“ sei „ein anderer als der in muslimischen Ländern“, nämlich „intellektuell verbrämter, subtiler“ und „gerade deshalb so schwer zu greifen“. Dies klingt ganz so, als sei er darum im Grunde gefährlicher. Schließlich erklärt sie kurzerhand: „Freiheit gibt es nicht, weder unter der Religion, noch im Neoliberalismus“, denn mit dem „muslimischen“ und dem „westlichen Patriarchat“ […] stehen sich zwei zutiefst männerdominierte und patriarchalische Gesellschaften gegenüber […] und keine von ihnen ist besser“. Letzteres in einem radikalfeministischen Buch lesen zu müssen, macht sprachlos. Denn fraglos sind die bis hin zu Verurteilungen von Vergewaltigungsopfern als Ehebrecherinnen, Auspeitschungen, Ehrenmorden und öffentlichen Hinrichtungen reichenden Praktiken der einen weit schlimmer als die übelsten der anderen. Doch ähnlich wie Sigel erklärt auch Schon, Feministinnen liefen „in eine Falle“, wenn sie, „die Lage der Frau in der ‚westlichen‘ (zivilisierten) Welt im Vergleich zu anderen (barbarischen, im Mittelalter feststeckenden) Kulturen als ‚freier‘ und Fortschritt hierarchisieren“. Man muss ja nicht von Fortschritt reden. Wie viele ‚westliche‘ Frauen, zumal Feministinnen würden es aber nicht vorziehen, in einer liberalen, demokratischen Gesellschaft etwa Europas zu leben als in einem muslimisch geprägten Land?“
Die Botschaft dieser „sprachlos machenden“ Message ist eindeutig: Freut euch doch einfach als „westliche“ Frauen „sanfteren“ (??) Formen von männlicher Gewalt gegen Frauen ausgesetzt zu sein – mal ganz davon abgesehen welches schwarz-weiß Bild von Teilen der Welt in dieser Aussage reproduziert wird… Es ist ein Argument, das uns immer wieder in verschiedenen Formen begegnet, sicherlich nicht von Rolf Löchel, aber sonst: Was wollt ihr denn, hier hat der Feminismus doch gar keine Berechtigung mehr, aber doooort, hinter den sieben Bergen, bei den sieben Muslimen …!
Worauf ich hinaus will: Ja, ich persönlich halte den intellektuell verbrämten und subtilen und schwer zu greifenden Sexismus tatsächlich für gefährlich. Nämlich genau deshalb, weil er Otto (und Ottilie) NormalbürgerIn noch nicht einmal auffällt. Weil diejenigen, die unsere politischen Verbündeten sein wollen (und sollten), uns in jedem unerwarteten Moment das Messer in den Rücken rammen und uns mit unserer Lebensrealität im Stich lassen können, ohne dass es überhaupt jemand als problematisch erachtet. Sie setzen halt andere Prioritäten, ihr Tag hat auch nur 24 Stunden und es gibt ja abgehängtere Menschen (meint: Männer), für die es sich ihrer Meinung nach vorzugsweise einzusetzen gilt.
Und das ganz perfide dabei: Alles, was wir tun um Frauen vom Joch des Patriarchats zu befreien, wird von ihnen auch noch als rassistisch gebrandmarkt:
Prostitution abschaffen: Rassistisch! Neokonservativ! Wie bei den Nazis! (was für eine Offenbarung eines miesen Geschichtsbewusstseins…)
Problematisierung von männlicher Gewalt gegen (geflüchtete und nicht geflüchtete) Frauen, die von geflüchteten (Männern) ausgeht: Rassistisch!
Problematisierung eines Kopftuchzwangs: Rassistisch!
Hinweis darauf, wie die Genderidentitätstheorie sexistische Geschlechterstereotype reproduziert und welche negativen Effekte für Frauen damit einhergehen: Rechts!
Problematisierung von Unterrichtsmaterial, welches vorsieht, dass Jugendliche sich gegenseitig betatschen, erzählen sollen wann sie “das erste Mal Analsex hatten” und ein Bordell nach den eigenen Vorstellungen planen sollen: Rechts!
usw usw.
Hätte ich nicht irgendwann die Werke Andrea Dworkins entdeckt, dann wäre ich vermutlich verloren gewesen – ich reihe mich ein in die Menge jener Radical Feminists, die sagen „Andrea Dworkin hat mein Leben gerettet“. Essays wie „Rechter und Linker Frauenhass“ waren für mich eine Offenbarung, haben sie mir doch gezeigt, dass ich mit meiner subjektiven Wahrnehmung nicht alleine dastehe und dass das, was linke Frauen heute in Deutschland erleben, weder singulär noch zufällig ist.
„Der Frauenhass in der Pornographie interessiert keine der beiden Seiten. Der Frauenhass beleidigt … weder die Linken, noch die Rechten. … Die kommen damit klar. Beide Seiten. …“
Und damit kommen wir zum aktuellsten Beispiel:
Während die Rechten auf der einen Seite versuchen, Gewalt gegen Frauen zu instrumentalisieren um rassistische Ressentiments in der Gesellschaft anzufeuern, versichern die Linken im Netz, auf Anti-AfD-Demos, … sich unentwegt, dass sie für Frauenrechte einstehen. Inhaltlich substantiell kommt dabei rein gar nichts rum, aber hauptsache wir haben es mal erwähnt. Die Gewalt der „anderen“ wird relativiert mit der Gewalt der „eigenen“. Es werden Statistiken bemüht, dass die meiste Gewalt in den eigenen vier Wänden stattfindet und nicht durch den „Fremden“ im Gebüsch – Etwas dagegen tun, dass Frauen in den eigenen vier Wänden Gewalt erfahren wollen sie jedoch nicht. DAS nenne ich eine doppelseitige Instrumentalisierung von Frauenrechten.
Nach dem Mord an Susanna F. in Wiesbaden Erbenheim und der mantrahaften Betonung von Frauenrechten habe ich versucht, das beim Wort zu nehmen. Unter anderem habe ich gefragt, wer bereit sei etwas gegen das sexistische Programm der diesjährigen Wiesbadener Biennale inklusive Pornokino, Porn-Performance und Prostitutionsbagatellisierung (Pretty Woman im Autokino etc.) zu unternehmen. Nicht verwunderlich war die zugesagte Unterstützung gleich NULL.
Während sich nun angesichts der beunruhigenden Ereignisse in Chemnitz alle wieder überschlagen mit Aktivitäten und u.a. ein Konzert promoten, auf dem u.a. die sexistischen Arschgeigen von K.I.Z. (“[Deine Mutter] wird immer dicker, die Drecksschlampe würde ich nicht von der Bettkante stoßen können. Ich bringe den Müll runter im Leichensack, es wird ein Hurensohn. Baby treib ihn ab!”) („Ich bin wie Adam: ein Feigenblatt verdeckt mein Gemächt. Ich komme angeflogen, hacke in dein Loch wie ein Specht”) und Kraftklub („Du verdammte Hure, das ist dein Lied“) ohne irgendeinen wahrnehmbaren Protest auftreten dürfen, bleiben sexistisch-rassistische Ausfälle hier vor Ort mal wieder unbeachtet. Aber klar: Da die „Künstler“ ja links sind und das, was sie singen, ja alles nur Satire ist, ist das ja maximal für dumme hysterische Kühe wie mich ein Problem. Unter dem Deckmantel der Kunst und Satire ist schließlich alles erlaubt. „Sei halt nicht so verkrampft“.
Deshalb dürfen die Künstler der „Frankfurter Hauptschule“ (juchhu, Klassismus) bei der Biennale (1) dann auch ohne großen Aufschrei eine „Kunstaktion“ unter dem Motto „Der große Austausch“ durchführen und zur Produktion von „interracial porn“ aufrufen. Als „künstlerisches Statement gegen Fremdenhass“ fordern die „Künstler“ „dazu auf, Fotos unter dem Hastag #dergrosseaustausch! in sozialen Netzwerken zu posten, wo Menschen verschiedener Herkunft beim „Knutschen und Fummeln“ zu sehen sind.“. „Die „Frankfurter Hauptschule“ [will außerdem] das Thema Speeddating umdrehen und dort [auf dem Faulbrunnenplatz] einen Interracial Gay Porn mit dem Titel „Der große Austausch“ drehen. […] Der fertige Pornofilm soll dann am Samstag um 21:30 Uhr in dem Container gezeigt werden.“
Mal unabhängig davon, dass das Ziel der Biennale unter dem diesjährigen Motto „Bad News“ offenbar Provokation ist und es fraglich ist, ob Porno in unserer pornifizierten Gesellschaft überhaupt noch Provokation darstellt (außer unter dummen hysterischen Radikafeministinnen natürlich): Wie ignorant kann man denn bitte sein, unter dem Label „Interracial Porn“ ein Zeichen gegen Fremdenhass setzen zu wollen? Die „interracial porn“ Seite „Latina Abuse“ („Missbrauch von Latinas“) gehört zu den Beliebtesten unter den Pornonutzern, die Soziologin Gail Dines hat in ihrer Arbeit, unter anderem veröffentlicht in ihrem Buch „Pornland“ den unwidersprochenen Rassismus der Pornobranche aufgezeigt, der eigene Erzählungen von der unterwürfigen, “engen” asiatischen Frau und dem angeblich sexuell überaktiven schwarzen Mann wieder und wieder reproduziert. Von Seiten wie „cruel and callous: gypsy porn“ (grausam und gleichgültig: Zigeunerporno) und den dazugehörigen Bildern ganz abgesehen. “Interracial” bedeutet eine zusätzliche, weil rassistische Erniedrigung der Darstellerinnen.
Auf dem Rücken von Frauen werden so wieder einmal Millionen Profite gescheffelt.
Dines kommt zu dem Schluss:
„Die Abwesenheit von Kritik gegenüber diesen offen rassistischen Bildern […] legt nahe, dass diese inzwischen so normalisiert sind, dass sie heute gewöhnliche Annahmen über die Sexualität von People of Colour nahelegen“
Bereits Dworkin, die u.a. die frühen deutschen Ausgaben des Playboys analysierte, hatte auf den der Pornographie inhärenten Rassismus hingewiesen:
„„Die Sexualisierung der Jüdin […] bildet das Paradigma für die Sexualisierung aller rassisch oder ethnisch degradierten Frauen […] Hitler stellte den jüdischen Mann als Vergewaltiger und Schänder arischer Frauen dar. Er schuf das Bild der jüdischen Frau als Dirne, wild, promiskuös, die sinnliche Antithese zur arischen Frau, die blond und rein war. Sowohl männliche wie weibliche Juden wurden als sexuell bestialisch dargestellt.“
Und sie stellte in ihrem Standardwerk „Pornographie“ unter anderem fest:
„Wie nun kann man Rassismus bekämpfen und sich gleichzeitig damit einen runterholen? Die Linke kann nicht ihre Huren und ihre Politik gleichzeitig haben“
Dass nun hier von „Gay Porn“ die Rede ist, macht es im Übrigen in keinster Weise besser: Die beachtliche Zahl an Depressionen und Drogensucht leidender und Suizid begehender homosexueller Pornodarsteller spricht eine deutliche Sprache und auch im gay porn werden besagte rassistische Stereotype reproduziert.
Kunst soll provokativ sein? Provokativ wäre es wohl eher mal zum Thema zu machen, was nur wenige Meter vom Biennale-Container entfernt im „HM Massage Center“ tagtäglich an sexistischer und rassistischer Scheisse vonstattengeht.
„hatte mal wieder Luft auf chinesisch […] die letzten 8 mal kostet es 45 Euro …. diese Dame kam mir gleich mal mit 50 Euro. Es geht mir nicht um die 5 Euro; aber bei dieser Person merkte ich die Geldgier aus den Augen leuchten. […] Ich sagte noch, sie soll langsamer machen, aber nach kurzer Zeit spritzte ich ab. […] [ich] war ziemlich geladen …. das war das erste Mal in diesem Laden, das es zu so einer Abzocke kam. Emily vor 2 Wochen war eine klare 1+ …. diese Figur eine klare 6- .
Hier kam es mir vor, das die Dame in die eigene Tasche gearbeitet hat …. es war das erste Mal, das die “Bestellung” nicht ins Tablet eingetragen wurde ….. […] 50 Euro für schlechtes Wichsen ….. das geht gar nicht.“
Was bleibt? Ich würde mich sehr gerne wieder auch in anderen Strukturen engagieren, vor allem in Zeiten wie diesen. Was ich aber sicher nicht kann, ist dabei zusehen wie Frauenrechte – egal von wem – politisch instrumentalisiert werden, bunte Schilder malen, mich in Selbstgerechtigkeit baden und zu „Du kleine Hure“ mit den Hüften wippen. Also werde ich wohl auch in Zukunft frühzeitig von Demos verschwinden oder gleich gar nicht hingehen. Und das hat nichts damit zu tun, dass ich in irgendeiner Weise weiter „nach rechts“ gerückt wäre, sondern damit, dass ich mit einer bestimmten Scheinheiligkeit einfach nicht mehr umgehen kann…
Das bedeutet auch: Ich sehe mich zurzeit gezwungen, euch aus dem Weg zu gehen, im Gegenzug benehmt ihr euch bitte so, dass Feministinnen euretwegen keine Albträume kriegen. Bleibt gefälligst wenigstens meinen Träumen fern!
Fußnoten:
(1) Die Wiesbaden Biennale ist ein Festival des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden und wird ermöglicht aus Mitteln des Landes Hessen und der Landeshauptstadt Wiesbaden. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und den Kulturfonds Frankfurt RheinMain.