Schlagwort: Solidarität

Feministische Praxis nicht nur für die, die wir mögen

Zugegeben: Als ich die Schlagzeile las, dass die Betreiberin einer Escort-Agentur und „Sexarbeiterin“ Salome Balthus von der Zeitung die Welt in der sie seit einigen Monaten eine Kolumne unter dem Titel „Das Kanarienvögelchen“ schrieb, gefeuert wurde, dachte ich mir „Das wurde aber auch Zeit“. War es mir doch völlig schleierhaft, warum sie diese Möglichkeit überhaupt erst bekommen hatte. Ob einer die Inhalte oder der Schreibstil einer anderen Person gefallen oder nicht, ist ja eher subjektiv und Geschmackssache.

Politisch jedoch hatte ich in mehrfacher Hinsicht ein Problem mit dem Podium, welches ihr dort geboten wurde: Zum einen halte ich es nach wie vor für unerträglich, wie viel Raum Mainstream-Medien jenen Menschen einräumen, die sich für die Erhaltung einer der patriachalsten und frauenfeindlichsten Institutionen unserer Gesellschaft, der Prostitution, stark machen – ohne gleichermaßen auch jenen Frauen in und außerhalb der Prostitution diesen Raum zuzugestehen, die Prostitution als kommerzialisierte sexuelle Gewalt empfinden und für eine Welt ohne Prostitution und Frauenverachtung kämpfen. Dem Netzwerk Ella beispielsweise kommt dieses Privileg nicht zu. Dies ist jedoch den jeweiligen Medien und einer Gesellschaft anzulasten, die natürlich lieber jenen ein Sprachrohr verleiht, welche die gegebenen Machthierarchien stärken – und eben nicht jenen, die diese in Frage stellen.

Unklar ist, ob Balthus an der Prostitution der auf ihrer Agentur-Seite angebotenen Frauen verdient. Ist dem so, dann wäre dies in meinen Augen moralisch verwerflich und nach dem von mir und uns vertretenen Nordischen Modell kriminell und strafbar. Dass sie sich, ihre Agentur und ihre „Hetären“-Kolleginen angesichts des Bewerbungsfragebogens auf der Seite offensichtlich für besonders elitär und intellektuell hält: geschenkt.

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Die Betroffenen-Expertinnen-Dichotomie

Listen

Ky via Flickr, (CC BY 2.0)

Betroffenen von sexueller Gewalt zuzuhören bedeutet, die eigene Enttäuschung, das eigene Ego für einen Moment hinten anzustellen

“There must be those among whom we can sit down and weep and still be counted as warriors.”Adrienne Rich

In den letzten Jahren beobachte ich zunehmend ein Phänomen, das sich grob gesagt als „Entsolidarisierung unter Frauen“ bezeichnen lässt (und es ist sicher kein neues). Wir haben darüber an mehreren Stellen geschrieben und ich möchte heute ebenfalls noch einmal etwas dazu beisteuern:

Vor einiger Zeit, es war die Zeit, in der Thomas Fischer, seines Zeichens Bundesrichter am BGH seine ersten misogynen Ergüsse in der eigens für ihn eingerichteten Kolumne auf ZEIT Online zum Besten gab, entbrannten hier und da Diskussionen zum Sexualstrafrecht. Diese Diskussionen verfolgten unterschiedliche Muster, von denen ich eins hier näher beleuchten möchte.

In diesen Debatten meldeten sich häufig Betroffene zu Wort und häufig Menschen, die fachlich/beruflich mit der Thematik zu tun haben. Das können PsychotherapeutInnen, ÄrztInnen, KriminalbeamtInnen, JuristInnen, etc. sein. Beide „Seiten“, wenn man von solchen sprechen kann, diskutier(t)en stets engagiert, mit Herzblut, jede aus ihrem Blickwinkel. Mit einem von mir häufig beobachteten Unterschied:

Während die „fachliche Seite“ sukzessive die Diskussionen dominiert, wird es um die Betroffenenseite genauso suḱzessive still.  Die fachliche Seite wird als die sachlich-richtige, weil emotions-freie, politisch-korrekte, die mit „Ahnung“ gehandelt, die Betroffenenseite in vielen dieser Diskussionen zum Individualschauplatz erklärt, zu über-emotional, nicht sachlich genug. Der Betroffenenheitsperspektive wird – ob gewollt oder nicht, ob bewusst oder unbewusst – jegliche fachliche Expertise abgesprochen und entzogen. Vergessen wird dabei, dass Betroffene von sexueller Gewalt in ihrer Sache die Expertinnen Nr. 1 sind, die psychischen Folgen, das Äußern von Fragilität, von Ohnmacht, von posttraumatischen Störungen entzieht ihnen jedoch – ob gewollt oder nicht, ob bewusst oder unbewusst – ihr Recht auf eine „sachliche“, „rationale“ Meinung.

Wir sollten uns bei solchen Dynamiken vergegenwärtigen, dass das eine urpatriarchale Strategie ist, die sich in Frauen-Geschichte immer wieder findet. Nehmen wir als ein Beispiel die „Hysterie“, ein Zwangsdiagnostikum, dass das Ziel hatte, die (Gewalt-)Erfahrungen von Frauen für nichtig und phantasiert zu erklären. Kurzum: ihnen nicht zu glauben, ihrem Leid keine Relevanz zuzusprechen – belangloses Leid eben.

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Meinungspluralismus im Feminismus

Grafik mit dem Text: "Think"

Public Domain, via Pixabay

In der letzten Zeit denke ich viel über meine eigene Entwicklung nach, die ich bzgl. des Umgangs mit unterschiedlichen Haltungen im Feminismus durchgemacht habe. Der Text der Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt sowie auch der Text von Kate Leigh „Abschied vom liberalen Feminismus“ haben mich nun veranlasst, diesen Prozess und meine Gedanken dazu aufzuschreiben:

Ich wurde nicht feministisch sozialisiert, die Thematisierung von Feminismus beschränkte sich in meiner Familie auf das Lächerlichmachen von Alice Schwarzer, wenn diese im Fernseher auftrat. Bei einem kurzen Aufenthalt an einer Fachhochschule, in der ich mich auch an Gremienarbeit beteiligte, kam ich in Kontakt mit dem Frauen- und Lesbenreferat. Ich nahm an einigen Sitzungen teil und merkte, dass ich mich dort nicht „abgeholt“ und „überhört“ fühlte. Diese Frauen schienen irgendwie andere Probleme zu haben als ich, hatten einen gebildeteren Hintergrund, waren feministisch belesen, ich war dies nicht und das habe ich oft in Herablassung zu spüren bekommen. Aus diesem Grunde entfernte ich mich aus diesem Kreis und beteiligte mich nur noch an anderen hochschulpolitischen Themen – Feministin wollte ich mich nicht nennen, wenn Feminismus bedeutet, andere aufgrund ihres Bildungshintergrundes lächerlich zu machen.

Dann vergingen viele Jahre und ich ergriff einen technischen Beruf in der Metallindustrie. Eine Frau unter vielen Männern. Anfangs lachte ich bei dem dort vorherrschenden Sexismus mit, um nicht als spaßbefreite Emanze zu gelten, später lachte ich nicht mehr mit und reagierte nicht und noch viel später ertrug ich es einfach nicht mehr. Da ich dann auch sehr krank wurde, war es mir nur recht, aus diesem Beruf aussteigen zu können.

In dieser Zeit, in der mir Sexismus so deutlich vor die Augen geführt worden war, ich ihn am eigenen Leib erlebte und vor allem immer häufiger überhaupt wahrnahm, wie konditioniert wir Frauen in dieser Gesellschaft eigentlich sind, begann ich im Internet nach Feminimus-Plattformen zu suchen. Die Blogs, die ich fand, waren alle queer-feministisch orientiert und ich musste erst einmal viel recherchieren, um manche Begriffe überhaupt erst einmal zu verstehen. Die meisten der dort vertretenen Meinungen und Haltungen übernahm ich, viele übernahm ich – rückblickend betrachtet – völlig unhinterfragt. Das tat ich etwa eineinhalb Jahre lang, bis ich mich in vielen Situationen, Diskussionen ein ganz merkwürdiges, nicht greifbares, aber sehr ungutes Gefühl beschlich. Da ich auch in Projekte involviert war, machte mir das immer mehr Unbehagen. Dieses ungute Gefühl steigerte sich in absolutes Unwohlsein im Umgang mit einigen Menschen dieser Queer-Szene, aber auch in ein Unwohlsein dabei, wie Debatten geführt wurden. Richtig benennen, was mich da so beschlich, konnte ich damals aber nicht.
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Entsolidarisierung mit Gewaltopfern

Drei Affen - Nichts hören, nichts sehen

By Jakub Hałun (Own work) [GFDL or CC BY-SA 4.0-3.0-2.5-2.0-1.0], via Wikimedia Commons

Eigentlich finde ich den Titel etwas zu harmlos für das, was ich hier in relativer Kurzfassung beschreiben möchte. Ich bin nämlich – mal wieder – in Rage und hatte andere Vorschläge im Kopf, die aber alle aus dem Vulgärspektrum kommen, obwohl … vielleicht … doch … passender? Lassen wir das.

Es geht darum, dass von Frauen, die sexuelle (und andere Formen von) Gewalt erfahren haben, erwartet wird, sie mögen sich doch bitteschön etwas „sachlicher“, „rationaler“ und – oh, wie ich dieses Wort inzwischen hasse – „differenzierter“ zu ihrer Sache äußern.

Das ist nichts Neues, eigentlich ’ne patriarchale Silencing-Strategie deluxe (merken die nur nicht, aber wen wundert’s?). „Sei doch mal nicht so „hysterisch““ und so. Und: „Du bist viel zu emotional!“ Ihr kennt das alles …

Aber es gibt einen erneuten Anlass:

Huschke Mau, Aktivistin und Prostitutionsüberlebende hat eine astreine Replik auf den unsäglichen Positonierungsbeschluss der linksjugend [’solid] veröffentlicht und der geht ziemlich viral (Huschke, das war so auf die 12 – danke noch einmal an dieser Stelle) und wird ziemlich gemocht! Gefallen tut das natürlich nicht allen, der Lobby nicht und ihren FreundInnen und ClaqueurInnen auch nicht:

Einer LINKEN-Politikerin beispielsweise, dem „Sexarbeiterinnen“-Narrativ verfallen und offensichtlich Lobby-verblendet fällt als Reaktion auf den Post von Huschke zunächst einmal Folgendes ein (ich erwähne diese Zitate lediglich exemplarisch aus aktuellem Anlass, das ist mitnichten ein „neues Phänomen“):

„Diese Art Texte helfen doch nicht wirklich weit. Vielleicht wäre eine rationale Auseinandersetzung eine Alternative zur Meinungsbildung.“

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Der Kampf um Kobane: Ein Beispiel selektiver Solidarität

Kampf um Kobanê

By Agathocle de Syracuse (http://www.agathocledesyracuse.com/archives/52) [Public domain], via Wikimedia Commons

Der heroische Widerstand der Menschen in Kobane gegen das Gemetzel der Daesh (ISIS)–Faschisten seit Mitte September, hat zu einer Welle der internationalen Solidarität geführt. Eine Vielzahl von Artikeln und Statements wurde geschrieben und es wurden Proteste in zahlreichen Städten auf der ganzen Welt abgehalten. Kurden sind ihren Landsmännern über die türkische Grenze hinweg zur Hilfe geeilt, obwohl sie vom türkischen Militär brutal zurückgedrängt wurden. Andere, darunter auch unsere türkischen Genoss*innen der DAF (Revolutionäre Anarchistische Aktion), sind zur Grenze gegangen um mitzuhelfen diese offen zu halten für Flüchtlinge, die in Richtung Türkei fliehen. Es gab Rufe die kurdischen Kräfte zu bewaffnen und Aufrufe, die DAF zu unterstützen und Hilfe für die Flüchtlinge zu senden. Jedoch wurde diese Solidarität mit den syrischen Kurden nicht auf nicht-kurdische Gruppen ausgeweitet, die im Land ebenfalls kämpfen und sterben um sich vom Faschismus und gewalttätiger Unterdrückung zu befreien und für Freiheit und Selbstbestimmung eintreten. Es wird häufig fälschlicherweise behauptet, dass der Kernkonflikt in Syrien auf Sektierertum beruht. Es ist notwendig zu verstehen in welchem Ausmaß Sektierertum auch in unseren Reaktionen eine Rolle spielt.

Die Protestbewegung, die 2011 gegen Bashar Al Assad entstand, vereinte die Menschen über Syriens diverse ethnische und religiöse Spektren hinweg in einem Kampf für Freiheit. Kobane war keine Ausnahme. Die Kurden, die in dieser Stadt die Mehrheit stellen, hatten lange Zeit unter der Arabisierungs-Politik des Baathistischen Regimes gelitten, und sie waren unter den ersten, die sich erhoben als die Revolution begann. In diesem Protest ab Mitte 2012 forderten Kurden und Araber gemeinsam den Sturz des Regimes und feierten unterstützend die Freie Syrische Armee (FSA), als diese die kurdische Flagge hochhielt, als dies noch ein gefährlicher Akt des Widerstands war. Aber von diesen frühen Tagen an gelang es der syrischen Protestbewegung in Kobane und anderswo nicht internationale Unterstützung zu erhalten. Wäre ihnen das gelungen wäre das Land nicht in einem solchen Maße zerstört worden, dass ISIS in weiten Teilen die Kontrolle erlangen konnte.

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