Alle Artikel von Manu Schon

Achtung Achtung, hier spricht die Kleidungspolizei

franek2 [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Die Diskussionen zu zwei Beiträgen auf unserer Facebook-Seite veranlassen mich, doch noch einmal etwas zum Thema Bekleidungsvorschriften, die sich an Frauen abarbeiten, niederzuschreiben.

Am 28. Juni stellten wir ein Video ein, in dem dargestellt wurde, dass der Bürgermeister der Stadt Broummana im Libanon, Pierre Achkar, den Polizistinnen (nicht den Polizisten eine neue Sommeruniform verpasst hat (enge figurbetonte T-Shirts und sehr knappe Shorts). Seine Begründung: Die Frauen sollen westliche Touristen anziehen. Erstaunlich (aber nicht ganz verwunderlich), dass dieses beschränkte Bild vom „Westler“ – gemeint mit hoher Wahrscheinlichkeit der westliche Mann – keine Empörungsstürme auslöst. Mich würde so eine eindimensionale Darstellung ja stören, aber nun gut, das ist hier nicht das eigentliche Thema.

Uniformen sind Bekleidungsvorschriften für Männer wie Frauen gleichermaßen, deren soziale Funktion darin besteht den Träger oder die Trägerin in seiner gesellschaftlichen Position erkennen zu können. Sie weisen ihn oder sie quasi als Autoritätsperson aus.

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Niemand wurde gezwungen, ein Lächeln für bare Münze zu nehmen

Linda Lovelace

Foto: Bitchflicks

Oralsex ist heute eine jener Sexpraktiken, die zum Standard gehören. Sexpraktiken finden ihren Einzug in das private Sexleben fast immer über die Sexindustrie: Das im Porno gesehene will nachpraktiziert werden, schlägt sich zunächst in der Prostitution in den Freierwünschen und –forderungen nieder, bis eine gesellschaftliche Normalisierung – bis hin zur Normierung – stattgefunden hat. Der Pornofilm, der die Verbreitung des Oralsex eingeleitet hat, war der Film „Deep Throat“. Mit einem Budget von nur 25.000 Euro abgedreht, brachte er den Produzenten bis heute mehrere Milliarden Dollar ein, und hinterließ die Hauptprotagonistin mit einem Schuldenberg.

Ein (liberal-)feministischer Blog bezeichnete die Hauptdarstellerin des Filmes, Linda Lovelace, vor einigen Jahren als „wichtige Akteurin des Blowjobs“ was zu einigem Widerspruch führte, da Linda Boreman, wie sie wirklich hieß, ein Vergewaltigungsopfer und eine zwangsprostituierte Frau war, und sich in den USA den (radikal-)feministischen Kämpfen gegen die Pornographie und die Industrie angeschlossen hatte. Die Kritik wurde erwidert mit der lapidaren Aussage: „„Sie [Linda] ist im Diskurs um das ganze Thema eine wichtige Akteurin. Auch als Betroffene verliert man den Status und die Kompetenz der Handelnden nicht.“

Anlässlich dieser Diskussion hatte ich mir damals vorgenommen, die beiden biographischen Bücher von Linda Boreman, die auch in deutscher Sprache unter den Titeln „Ich packe aus!“ und „Ich bin frei“ erschienen sind, irgendwann einmal zu lesen. Die (lange aufgeschobene) Lektüre hat mir noch einmal eines deutlich gemacht: Die Worte „Vergewaltigung“ und „Zwangsprostitution“ kommen ohne Hintergründe gefüllt fast schon harmlos da her. Sie sind in keinster Weise in der Lage, das unermessliche Leid, was Frauen in unserer Gesellschaft zugefügt wird, in Worte zu fassen und abzubilden. Dass Linda Boreman ihr Martyrium überlebt hat, grenzt für mich an ein Wunder. Der Umgang der Gesellschaft mit ihr ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.

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Buch: Pornographie. Männer beherrschen Frauen (Andrea Dworkin)

Andrea Dworkin Pornographie

„Pornographie“ wurde 1979 von der radikalfeministischen Vordenkerin und Soziologin Andrea Dworkin geschrieben und erschien 1987 in deutscher Sprache im Fischer Taschenbuch Verlag in der Reihe „Die Frau in der Gesellschaft“. Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich halte dieses Buch für eines der klügsten, scharfsinnigsten und wichtigsten Bücher, die ich jemals gelesen habe. 38, bzw. 30 Jahre später müssen wir feststellen, dass unsere Gesellschaft heute eine andere sein könnte, hätte man Andrea seinerzeit zugehört und die notwendigen Konsequenzen aus den erkannten Fehlentwicklungen gezogen.

In ihrem Vorwort zur deutsche Ausgabe beschreibt Alice Schwarzer die neue Entwicklung wie folgt:

„Wie schon andere Feministinnen vor ihr, entlarvt auch Dworkin (die Feministin mit der linken Vergangenheit) die Rolle der Linken […] als besonders zynisch: Sie benutzt und erniedrigt die Frauen auch noch im Namen der (sexuellen) Freiheit. Ihre konservativen Väter genossen sexuelle Dienstleistungen noch hinter bigott verschlossenen Türen. Ihre Söhne stehen öffentlich dazu: Nutten-Look und Zuhälter-Attitüde beherrschen die Szene, die Mutter-Hure feiert ihre Wiederauferstehung in den Kultfilmen der Intelligenzia […], die Bukowskis bleiben WG-Bestseller, Peep-Shows und Puffs sind „geil““ (S. 11f)

Erst durch Andrea Dworkin (seinerzeit die Lektüre der Rede „Women Hating Left and Right“) habe ich, als linke Feministin, die sich gegen die Sexindustrie engagiert, verstanden, dass der Gegenwind, der einem aus den eigenen politischen Zusammenhängen entgegenschlägt kein Zufall oder eine deutsche Besonderheit ist, sondern, dass sehr viele Feministinnen vor mir / vor uns die gleichen bitteren Enttäuschungen machen mussten.

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Buch: Beauty and Misogyny. Harmful Cultural Practices in the West (Sheila Jeffreys)

Buchcover "Beauty Misogyny"

Sheila Jeffreys ist Professorin an der Universität von Melbourne, an der sie Sexualpolitik und internationale feministische Politik lehrt. Seit 1973 setzt sie sich für lesbische Politik ein und ist Aktivistin gegen Pornographie und Gewalt gegen Frauen. Sie ist Mitglied der Coalition Against Trafficking in Women und hat insgesamt neun Bücher über Sexualitätsgeschichte und –politik veröffentlicht. Auf Deutsch erschienen ist ihr Buch „Die industrialisierte Vagina. Die politische Ökonomie des globalen Sexhandels“. Dieses Review bezieht sich auf die zweite Edition des bei Routledge in englischer Sprache erschienenen Buches „Beauty and Misogyny. Harmful Cultural Practices in the West“.

In ihrem Vorwort verleiht Jeffreys ihrer Verwunderung Ausdruck, dass die Ablehnung der Schönheitsindustrie zwar Konsens in der so genannten zweiten Welle des Feminismus war – in erster Linie beruhend auf den Analysen dergleichen von Catharina MacKinnon und Andrea Dworkin – dass diese Linie jedoch nicht bis heute fortgeführt wurde. Von den postmodernen Feministinnen nachvollziehbarer Weise nicht –  jedoch auch nicht von den Aktivistinnen des „radikalfeministischen Revivals“ (S. 1).

The „grip of culture on the body“. Beauty practices as women`s agency or women`s subordination

In ihrem ersten Kapitel erläutert Jeffreys Grundlagen radikalfeministischer Kritik, die insbesondere auf der Durchbrechung der Öffentlichkeit/Privat-Dichotomie beruht: Die Unterdrückung der Frau ist allgemein deshalb so erfolgreich, weil sie durch die Betonung der Privatsphäre geschützt wird. „Das Private ist Politisch“ war und ist deshalb ein wichtiger Ansatz um dies zu durchbrechen.

Eine besondere Bedeutung für einen Backlash gegenüber den radikalfeministischen Analysen kam dem Buch „The New Feminism“ von Natasha Walter zu, welches jene Dichotomie im Feminismus wieder einführte und die Sexualisierung von Ikonen wie Madonna zu einem Ausdruck von weiblicher Unabhängigkeit und Sexualität erhob. Während viele nachfolgende Bücher in die gleiche Kerbe schlugen, veröffentlichte Walter zehn Jahre nach „The New Feminism“ ihr Buch „Living Dolls. The Return of Sexism“, wo sie alle ihre vorherigen Thesen über den Haufen warf und sagte:

„Ich bin bereit zuzugeben, dass ich komplett falsch gelegen habe“ (S. 11, 13)

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Patriarchale Verhältnisse benachteiligen Frauen systematisch am Arbeitsmarkt

Alfred T. Palmer [Public domain], via Wikimedia Commons

Dieser Artikel erschien zunächst bei der Huffington Post Deutschland

Wenn wir darüber sprechen, warum Frauen sich auch im 21. Jahrhundert noch überwiegend in einer prekären Situation wiederfinden, dann kommen wir nicht umhin uns mit dem Arbeitsbegriff auseinanderzusetzen, die historische Entwicklung zu betrachten und uns die Dynamiken im Feld der Ökonomie anzuschauen.

Frauenarbeit – Männerarbeit

Die Trennung der Arbeitswelt in einen öffentlichen Bereich (des Mannes) und den häuslichen Bereich (der Frau) wird traditionell als „natürlich“ angesehen, ohne dabei zu berücksichtigen, dass sich diese Arbeitsteilung erst mit der patriachalen Ordnung entwickelt hat.

In ihr werden Frauen definiert über ihre reproduktiven Funktionen, also über die Produktion von Babies.

Um den „Vorrang der Vaterschaft“ (künstlich) herzustellen, muss nach dem französischen Soziologen Bourdieu die „wirkliche Arbeit der Frau beim Gebären“ verschleiert werden. Die gleiche Gesellschaft, die häusliche Arbeit als „wichtigste Stütze der Gesellschaft“ glorifiziert, wertet sie als „Frauenarbeit“ ab.

So werden häusliche Tätigkeiten bei der Berechnung des Bruttoinlandsproduktes unsichtbar gemacht. „Hausfrauen“ gelten hier als „Nichtproduzierende“, „inaktiv“ und „unbeschäftigt“.

Zusammen mit der häufiger von Frauen abgeleisteten ehrenamtlichen Tätigkeit, würde das jeweilige BIP bei Berücksichtigung all dieser Tätigkeiten um 40% steigen.

Studien zeigen deutlich, dass weltweit Frauen mehr arbeiten als Männer – und dass die Beteiligung an der Lohnarbeit zu kaum oder keiner Reduzierung ihrer häuslichen Tätigkeiten geführt hat: Frauen tragen weiterhin die hauptsächliche Sorge für die Erziehung von Kindern und Pflege von Älteren.

Nicht zuletzt ermöglicht die häusliche Arbeit von Frauen oft erst den beruflichen Erfolg des Mannes – hierher rührt das bekannte Sprichwort „Hinter jedem Mann, steht eine starke Frau, die ihm den Rücken frei hält“.

Der Umstand jedoch, dass die häusliche Arbeit von Frauen kein Geld-Äquivalent hat, trägt auch in den Augen der Frauen selbst zu ihrer Abwertung bei. „Nur“ Hausfrau und Mutter zu sein ist bis heute gleichbedeutend damit, „nichts aus seinem Leben zu machen“ und „unproduktiv“ zu sein.

Bourdieu weist die geläufige Betrachtung nur der produktiven Tätigkeiten als Arbeit als „ethnozentrisch“ und historische Erfindung zurück. Arbeit, so sagt er, sei eigentlich definiert als „Ausübung einer gesellschaftlichen Funktion, die man als „allumfassend“ oder undifferenziert bezeichnen kann, und die auch Tätigkeiten einschließt, die nicht durch Geld sanktioniert werden.“.

Die geschlechtliche Arbeitsteilung sei objektiv strukturiert in den Gegensatz männlich, öffentlich, diskontinuierlich und außergewöhnlich versus weiblich, privat bzw. verborgen, kontinuierlich und gewöhnlich.

Die Radikalfeministin Andrea Dworkin benannte in ihrem Aufsatz „Sexual Economics“ die maßgeblichen Mechanismen, die den untergeordneten Status der Frau auf dem Arbeitsmarkt aufrecht erhalten und die 1998 auch von Bourdieu in seinem soziologischen Spätwerk „Die Männliche Herrschaft“ bestätigt wurden.

Frauen erhalten geringere Löhne als Männer, für die gleiche Arbeit

Die unbereinigte Lohnlücke, die sich aus der unterschiedlichen Anerkennung verschiedener Berufe, unterschiedlichen Eingruppierungen oder Teilzeittätigkeit ergibt, liegt derzeit in Deutschland bei 22 Prozent. Aber auch aus dem Vergleich der Entgelte von Frauen und Männern mit gleichen Merkmalen (Ausbildung, Bildungsabschluss, Berufserfahrung) ergibt sich ein so genannter „unerklärter Rest“.

Frauen werden systematisch von Arbeit ausgeschlossen, die durch hohen Status, konkrete Macht und hohe finanzielle Anerkennung gekennzeichnet ist.

So weist der aktuell neu gewählte Deutsche Bundestag mit 30,7% einen nach wie vor sehr niedrigen (und von einem Rückgang gekennzeichneten) Frauenanteil auf. Bei Frauen in Führungspositionen liegt Deutschland mit 35% im europäischen Vergleich weit hinten.

In jedem sozialen Feld sind Frauen in der Feldhierarchie unten

Frauen üben die niedersten Tätigkeiten in einer Gesellschaft aus, egal was darunter jeweils verstanden wird. So sind Männer eher Ärzte, Rechtsanwälte oder haben eine Vollprofessur inne, Frauen sind eher Krankenschwestern, Rechtsanwaltsgehilfinnen oder wissenschaftliche Hilfskräfte.

Bourdieu weist darauf hin, dass sich die Lage der Frauen zwar sichtbar verändert hat, zum einen durch einen erweiterten Zugang zu Hochschulbildung und damit zu bezahlter Arbeit und der öffentlichen Sphäre, zum anderen durch eine gewachsene Distanz zu den häuslichen Tätigkeiten und Reproduktionsfunktionen durch eine verbreitetere Nutzung von Verhütungsmitteln, kürzere Unterbrechungen der Berufstätigkeit, eine steigende Scheidungs- und eine sinkende Heiratsrate.

Dennoch stellt er fest, dass die relativen Positionen unverändert geblieben sind: Bei gleichen Voraussetzungen nehmen Frauen stets die weniger günstigen Positionen ein und ihre Zugangschancen sind umso geringer, je seltener und gefragter eine Position ist.

Wenn Frauen in größerer Zahl in ein Arbeitsfeld strömen, wird dieses Feld feminisiert und damit an Prestige abgewertet

Stellen Frauen die Mehrheit in einem Feld, nimmt dieses den niedrigen Status der Frau an. Treten Männer in ein Feld ein, dann bringen sie Prestige hinein. Demnach wird eine Tätigkeit dadurch zu einer qualifizierten Tätigkeit, dass Männer sie ausüben.

So wurde der Arztberuf in der ehemaligen Sowjetunion überwiegend von Frauen ausgeübt, die gegenüber den Männern in Handwerksberufen schlechter bezahlt wurden.

Falls sich jemals schon einmal gefragt hat, warum kochen zwar gemeinhin als weibliche Tätigkeit gilt, jedoch die meisten Sterneköche männlich sind: Gesellschaftlich kann sich ein Mann, nach Bourdieu, zu bestimmten, sozial als geringwertig qualifizierten Tätigkeiten nicht herablassen.

Indem er bislang als weiblich geltende Tätigkeiten jedoch an sich reißt und außerhalb der Privatsphäre erfüllt, kann er diese bei Frauen „qualitätslosen“ Tätigkeiten aufwerten und zu Ruhm verhelfen .

Auf diese Weise wird die Unterordnung der Frau gegenüber dem Mann endlos fortgesetzt, auch dann wenn Frauen Lohnarbeiten und unabhängig davon, welche Arbeit Frauen machen.

Quoten sind nicht die Lösung für das Problem

Der moderne Staat selbst reproduziert die männlich-weiblich Dichotomie in seiner Struktur, Bourdieu nennt es die „paternalistische und protektive rechte Hand“ (die nehmende) und die „sozial orientierte linke Hand“ (die gebende).

Da Frauen durch ihre Prekarisierung stärker auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, und neoliberale Kürzungen immer zuerst auf den Sozialstaat angewandt werden, sind Frauen immer stärker von Austeritätsmaßnahmen betroffen.

Der liberalfeministischen Ansatz, nach dem der Staat durch eine paritätische Beteiligung von Frauen zu deren kollektiver Befreiung beitragen können, ist ein Trugschluss: Eine Parität in politischen Instanzen kommt vorrangig jenen Frauen zugute, die aus denselben Regionen des sozialen Raumes (Klasse, Ethnie, …) stammen wie die Männer, die gegenwärtig die herrschenden Positionen einnehmen.

Eine amerikanische Soziologin und Feministin fasste dies zuletzt so zusammen:

„Indem ein paar (zumeist weiße) Frauen in den Club gelassen werden, hat das Patriarchat eine Abstreitklausel gegen das Argument der zweiten Welle des Feminismus, dass Frauen als Klasse unterdrückt sind eingeführt.

Systeme der Unterdrückung sind jedoch flexibel genug um ein paar Mitglieder der untergeordneten Gruppen zu absorbieren; sie ziehen sogar ihre Stärke aus der Illusion der Neutralität, die durch diese Ausnahmen generiert wird.

Eine Sheryl Sandberg bei Facebook oder eine Nancy Pelosi in der Regierung ändern jedoch nicht die strukturelle Realität des Patriarchats.“

Es lässt sich empirisch feststellen, dass hohe Positionen bei Frauen, also beruflicher Erfolg, in aller Regel in „Misserfolg“ im häuslichen Bereich resultieren: Höheren Scheidungsraten, Kinderlosigkeit oder späte Elternschaft, etc.

Auch umgekehrt ist ein Erfolg im privaten Bereich oft nur mit Misserfolg im beruflichen Bereich realisierbar, zum Beispiel durch eine Teilzeitbeschäftigung, die Frau als Konkurrentin der Männer ausschließt.

Immer häufiger wird heutzutage die Zwei-Job-Belastung von Frauen auch auf Kosten anderer Frauen gelöst:

Das berufliche Vorwärtskommen beruht entweder auf der Abhängigkeit von Familienangehörigen, beispielsweise bei der der Kinderbetreuung, auf der Verlagerung häuslicher Tätigkeiten in den Verantwortungsbereich des Staates (wo die Linie der „Frauenarbeit“ in Unterricht, Pflege und Dienstleistung fortgeführt wird) – oder in der Bezahlung osteuropäischer Arbeitsmigrantinnen, wodurch Frauen zu Komplizinnen der Ausbeutung von Frauen aus anderen Ländern werden.

Pierre Bourdieu und Radikalfeministinnen sind sich einig: Die patriarchalen Strukturen werden sich reproduzieren, solange sie bestehen.

Aufzulösen ist die Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt, wie in jedem anderen sozialen Feld deshalb nur, durch die Ablösung der patriachalen Strukturen, die den Sexismus, Klassismus und Rassismus unauflösbar in sich tragen.

Robert Jensen: The End of Patriarchy

Robert Jensen: The End of Patriarchy

Interessanterweise höre ich in regelmäßigen Abständen (und immer häufiger), dass meine Facebook-Posts oder radikalfeministischen Statements einen konkreten Nutzen durch Denkanstöße für männliche Freunde haben, bzw. sie – für sich ganz persönlich – mit „meinem Feminismus“ etwas anfangen können. Daran wurde ich immer wieder bei der Lektüre von Jensens „Das Ende des Patriarchats. Radikaler Feminismus für Männer“ erinnert.

Man könnte angesichts des Titels versucht sein zu glauben, dass der amerikanische Journalismus-Professor und „Culture Reframed“-Aktivist Robert Jensen hier ein „Ich erkläre euch mal den Feminismus“-Buch vorlegt hat – aber das ist weder sein Anspruch, noch sein Ziel. Vielmehr geht es ihm darum, aus seiner männlichen Position heraus, zu erläutern, warum radikaler Feminismus für ihn als Mann einen unschätzbaren Wert hat. Oder wie Autor Jeffrey Masson sagt: Es ist kein „Mansplaining“-Buch, sondern das Gegenteil davon: ein „Mann-hört-auf-Frauen“-Buch. Wer also tiefgreifende radikalfeministische Analysen lesen will, sollte nach wie vor (und sowieso) zu den Klassikern greifen.

Freimütig räumt Jensen im Vorwort ein, dass sich in ihm zunächst alles gegen die feministische Analyse gesträubt hat, dass jedoch irgendetwas in ihm wollte, dass er weiterliest – seine Hauptmotivation war geprägt von Eigennutz, der Suche nach einem Ausweg aus dem ständigen Wettkampf „ein Mann zu sein“. (S. 3) Jensen nutzt die feministische Theorie, um seine Erfahrungen in einer sexistischen Gesellschaft (den Vereinigten Staaten von Amerika) für sich erklärbar zu machen (S. 16). Er sieht seine Aufgabe als privilegiertes Mitglied der herrschenden Gruppe darin, die Ergebnisse seines Selbstreflektions-Prozesses öffentlich zur Diskussion zu stellen (S. 17).

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Radikalfeministische Literatur in deutscher Sprache

Pixabay. Public Domain

Nachfolgend haben wir eine Leseliste für euch zusammengestellt, die radikalfeministische Literatur beinhaltet, die in deutscher Sprache erschienen ist. Manches ist schon älter, und nur noch antiquarisch erhältlich. Hierbei kann man aber auch Glück haben und den ein oder anderen Titel bei ZVAB, Booklooker und Co oft schon für wenige Euro gebraucht bekommen…

Viel Spass bei der Lektüre! Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, weitere Hinweise werden gerne aufgenommen!

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Willkommen im Patriarchat: Sonderpreis für Vergewaltigungs-Diskurs

"Take rape seriously" - Protester with Placard Reproductive rights activist Shelby Knox.

by Women's eNews via Flickr, [CC BY 2.0]

Man kann nun wirklich nicht sagen, dass Mithu Sanyal durch ihren empörenden Vorschlag, Opfer sexueller Gewalt wertneutral als Erlebende zu bezeichnen (da man ja nicht wisse, wie sie die ihnen angetane Tat selbst einordnen) und der daraus folgenden, erhitzten Debatte irgend etwas an Reputation eingebüßt hat.

Ganz im Gegenteil, sie bekam nachdem belegbar aus rechten Kreisen gegen sie lancierten Shitstorm – gegen den Radikalfeministinnen sie trotz inhaltlicher Kritik verteidigten und denen sie dennoch den schwarzen Peter zuschob und als Initatorinnen von Vergewaltigungsdrohungen bezichtigte (und damit aktiven Täterschutz betrieb) sehr viel trostspendende Anerkennung.

Während sie ein Interview nach dem anderen geben durfte, interessierte man sich im medialen Mainstream so gut wie nicht für die Position der Initatorinnen, des sich kritisch mit ihren Positionen auseinandersetzenden Offenen Briefes – darunter zahlreiche Betroffene sexueller Gewalt. Während ihr und ihrer Sichtweise also breiter Raum eingeräumt wurde, ignorierte man die Gegenseite so gut es ging. Die TAZ richtete sogar derweil eine eigene Kolumne mit dem Titel „Mithulogie“ für Sanyal ein, Titel wie „Das Piss-Manifest“ lassen den inhaltlichen Tiefgang bereits erahnen.

Zum Tode Hugh Hefners, dem Playboy-Gründer, der Nacktfotos von Marilyn Monroe auf dem Cover seines Magazins ohne deren Konsens abdruckte, der mit Fotos von Minderjährigen pädokriminelle Fantasien anheizte und legitimierte und über den wir von ehemaligen „Bunnies“ erfahren, wie mies er sie behandelte und dass er die von Bill Cosby gerne für seine sexuellen Gewalttaten eingesetzten KO-Tropfen als „Schenkelöffner“ bezeichnete, bescherte sie diesem Frauenfeind einen äußerst wohlwollenden Nachruf:

„Hugh Hefner habe sich bereits in den 1950er- und 60er-Jahren für Empfängnisverhütung und Abtreibung eingesetzt, betont Mithu Sanyal. Er habe sich später auch für die Ehe für alle und gegen Waffen und die Todesstrafe ausgesprochen. „Frauen haben ein eigenes sexuelles Begehren“, habe Hefner in einer Zeit gesagt, als das noch undenkbar war. „Die Playmates haben einem immer in die Augen geguckt. Die hat man nicht irgendwie beobachtet, sondern die haben einen angeguckt und gesagt: Hey, ich will was aktiv!“

Auf ihrer Facebook-Seite schreibt sie allen ernstes:

„Denn der Ober-Playboy und Viagra-Fan Hugh Hefner ist durchaus eine faszinierende, komplexe Figur. Ja, der Playboy ist auch sexistisch, aber er ist eben auch feministisch – zumindest wenn es nach Hugh Hefner geht.“

Kein Wort auch darüber, dass Hefner eng mit der Mafia verbunden war, darunter Linda Boremans Zuhälter und Ehemann Chuck Traynor, dass er einen maßgeblichen Anteil an dem Vorantreiben der Objektifizierung von Frauen trug oder auch nur den Hauch einer Ahnung davon, welche Vorteile sein Kampf für Abtreibungsrechte vielleicht für Männer, die Frauen sexuell ausbeuten wollen, haben könnte. Immer wieder erwische ich mich dabei, mich zu fragen ob Sanyal und die Liberalfeministinnen die Zusammenhänge wirklich NICHT SEHEN, aus Blindheit oder Unvermögen, oder ob sie BEWUSST UND AKTIV den Boden für das Patriarchat ebnen.

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Prostituiert euch!

By i_hate_sult (http://www.webcitation.org/5zQfwo653) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Eigentlich hab ich mir ja abgewöhnt jeden Pups aus dem Popfeminismus-Häppy-Sexwörk-Libfem-Queer-Prostitution-ist-Sexarbeit-s-Lager zu kommentieren, aber zwei brandaktuelle Artikel sind so dermaßen schräg, dass ich es mir nicht verkneifen kann.

Erst wurde mir ein Artikel, der beim STERN, bzw. NEON (Kernzielgruppe: „Menschen zwischen 20 und 35 Jahren mit hohem Bildungsstand und überdurchschnittlichem Einkommen“) veröffentlicht wurde, in die Facebook-Timeline gespült. Titel: „Warum du dich lieber an Huren statt an Barbies orientieren solltest. Du willst Dich schöner fühlen? Vergiss die klassischen Beautytipps und lerne von Prostituierten, erstelle Dir ein Profil bei einer Escort-Seite und übe Dominaposen.“

Zunächst einmal springt einem bereits in dieser Überschrift das Patriarchat mit nacktem Arsch ins Gesicht, wies doch bereits der Soziologe Pierre Bourdieu, bewusst anknüpfend an die brillanten Analysen der Radikalfeministinnen der 1970er Jahre, darauf hin, dass „Körper für andere (Männer) machen“ müssen, eines der zentralen Kennzeichen der „Männlichen Herrschaft“ ist. Und wieso sollen sich junge Frauen eigentlich zwischen „Huren“ und „Barbie“ entscheiden müssen?

Über die Autorin erfahren wir:

„Die Schriftstellerin Anna Basener hat für ihren Roman „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ ein illegales Ruhrpott-Bordell erfunden. Sie hat dafür mit Prostituierten, Dominas und Bordellwirtschafterinnen gesprochen und gelernt, dass Moralisieren keinem hilft, am wenigsten den Sexarbeiterinnen.“

Besagte Autorin leitet in ihrem Text nach ihren Gesprächen mit ein paar prostituierten Frauen, die sich als Sexarbeiterinnen verstehen, aus deren individuellen Sichtweisen allgemeingültige Aussagen ab. Nun, that`s not exactly how Gesellschaftsanalyse works. Okay, vielleicht wollte sie auch nur einen (in ihren Augen) unterhaltsamen Text schreiben, aber ich will mal exemplarisch an ein paar Beispielen deutlich machen, warum hier was gründlich schief gelaufen ist.

„Marleen ist 26, Studentin und Hure. Sie hat in ihrer Jugend gelernt, dass sie zu dünn ist. Keine Kurven, wenig Busen, das ist nicht sexy, dachte sie bis sie angefangen hat anzuschaffen. Jetzt weiß sie, dass sie heiß ist. Umgekehrt gibt es aber auch dicke Prostituierte, deren Geschäftsmodell es ist, Männer zu befriedigen, die dünne Frauen geheiratet haben mutmaßlich aus Prestigegründen. Sie machen eine „Riesenmark“ damit, dass es gesellschaftsfähiger ist, auf Barbie-Blaupausen zu stehen, auch wenn man selbst lieber was zum Anfassen hätte.“

Gewagte These: Eigentlich sind es gar nicht die Frauen, die hier unterdrückt sind, sondern die armen Männer, die nicht zu ihren wahren Fetischen stehen dürfen (denn nichts anderes ist es, wenn man SexualpartnerInnen aufgrund von zum Beispiel optischen Vorlieben auswählt), sondern gesellschaftskonform ihre Ehefrauen auszuwählen haben? Huh? Nun ist es ja tatsächlich so, dass die Ehefrau oder Partnerin nicht selten als Statussymbol (in Bourdieus Worten „symbolisches Kapital“) fungiert, aber, dass die Bordelle jetzt überdurchschnittlich mit „dicken Prostituierten“ gefüllt sind, das entbehrt nun wirklich jeder Grundlage. Und was hier auch nicht erwähnt wird, ist, dass Freier sehr häufig auf Abwechslung stehen: Heute dick, morgen dünn, übermorgen ne „MILF“, nächste Woche mal ein „Teenie“ und auch in Bezug auf die ethnische Zugehörigkeit erweist Freier sich gerne als „welterfahren“ und „Kosmopolit“. Der Pro-Prostitutions-Verein Dona Carmen spricht diesbezüglich von „Völkerverständigung von unten“. Isses nich HERRlich?

Im Grund gar nicht so verkehrt ist das hier:

„Eine These: Weil Bordelle beweisen, dass den konventionellen Schönheitsidealen nicht zu trauen ist. Es sind Orte, an denen der Wert eines Körpers nicht von Hollywood, Fashionshows oder Werbung definiert wird, sondern vom Markt. Ob ein Angebot auch auf Nachfrage stößt, lässt sich schlicht und ergreifend am Preis ablesen.“

Da steckt empirisch belegbar sehr viel Richtiges drin. Nämlich: Dass es sich um einen Prostitutionsmarkt handelt, dass die Nachfrage das Angebot bestimmt, und dass es Preisunterschiede gibt. Nur das mit den „konventionellen Schönheitsidealen“, die sich hier angeblich nicht wiederfinden, das stimmt so nicht, Frau Basener. Hätten sie mal in den sehr aufschlussreichen Artikel des Economist geschaut, dann hätten sie es besser gewusst.

Die haben nämlich Freierforen und sage und schreibe 190.000 Angebotsprofile aus 84 Städten und 12 Ländern im Zeitraum von 1999 bis 2014 ausgewertet in Bezuf auf die körperlichen Attribute der prostituierten Frauen, sowie die angebotenen Leistungen und Preise. – Diese Ökonomen! –  Die höchsten Preise sind mit dünnen Frauen mit sehr langen, blonden Haaren oder mit vollen Brüsten zu erzielen. Huch! Erkennbar blondierte Haare sind preismindernd, jedoch immer noch unter den „Premium“-Angeboten. Zwischen kleinen Brüsten und einem D-Cup liegen 40 Dollar Preisunterschied, weshalb eine Brustvergrößerung (die mit 3.700 Dollar Kosten beziffert wird) sich ökonomisch bereits nach 90 Stunden amortisiert. – Wie nüchtern die doch solche Zusammenhänge darstellen können!

Jetzt könnte man noch einwerfen: Aber Aussehen ist nicht alles! Denn preisgestaltend sind Studien zufolge ja auch die existentielle Not und der Freiwilligkeitsgrad derjenigen, die sich anbieten (müssen). Eine gehandelte Frau, eine aus rassistischen Gründen in der Hierarchie ganz unten stehenden Romni oder eine Drogenprostituierte, die ihren nächsten Schuss braucht, sind in der Regel „günstiger zu haben“, als beispielsweise die deutsche Hobbyprostituierte, deren Existenz grundsätzlich bereits anderweitig gesichert ist. Auch das abzuringende Leistungsspektrum ist bei den genannten Personengruppen, die unter besonders viel Druck stehen und auch jenen, deren persönliche Grenzen durch massive Gewalterfahrungen extrem verletzt wurden, sehr viel größer. Man könnte auch sagen „viel für wenig Geld“ ist einem großen Teil der Freier wichtiger als die Optik. Aber auf solche Zusammenhänge hinzuweisen wäre ja auch ein bisschen zu viel verlangt.

Weiter geht’s mit einem Pro-Tipp:

„Natürlich müsste man sich gar nicht darum scheren, irgendjemandem zu gefallen. Begehrt zu werden kann nicht der einzige Schlüssel zu einem besseren Verhältnis zum eigenen Aussehen sein. Eigentlich muss das von innen kommen, klar. Ist aber leichter gesagt als getan, denn: Wie kommt das Bewusstsein für die eigene Schönheit überhaupt erst in einen hinein? […]. Lernen wir also von den Huren. Was hilft, ist die Dominapose: Breitbeinig stehen, Hände in die Hüften, Kinn hochnehmen. Stärkt das Selbstwertgefühl und schreibt sich in den Körper. Kat Rix […] wollte eine geile Frau sein, also hat sie entschieden, dass sie eine ist. Das klingt einfacher, als es ist, und braucht Zeit. Aber was hilft, ist die Dominapose. [Die Dominas haben …] der Männerwelt schon vor Wonder Woman‘s Erfindung ihre Schönheit und Stärke entgegengeschleudert.“

Fhlks9a0aßd98sfd97(=D()S=(D(=  [<——- das sind die Tastenabdrücke, die ihr die nächsten Tage auf meiner Stirn bewundern könnt).  Ach, wisst ihr was, ich lass das einfach mal für sich sprechen….  (Ob ihr bewusst ist, dass sich das tatsächliche Machtverhältnis auch nicht rumdreht, wenn der Freier dafür bezahlt den devoten Part zu übernehmen – und dennoch genauestens und bis ins letzte Detail bestimmt was genau gemacht wird?)

Die Autorin endete damit den Leserinnen folgendes vorzuschlagen:

„Eine praktische Übung fürs Selbstwertgefühl: Erstell dir ein Profil auf einer Escort-Seite (oder auch komplett offline) und trag zusammen, warum du attraktiv bist so attraktiv, dass Sex mit dir Geld kostet. Nicht falsch verstehen: Ich spreche hier nur von einer Übung, nicht davon, das Profil wirklich hochzuladen oder anschaffen zu gehen. Es geht mir nicht um Berufsberatung, sondern um einen neuen Blick auf Schönheit. Es geht auch nicht um den tatsächlichen Preis, den du verlangen könntest, sondern um deinen Wert.“

Seufz. Das ist also die Botschaft an die jungen Frauen, die NEON lesen: Euer Wert bemisst sich in eurer Schönheit, und die Hoheit über diese zu befinden liegt bei euch selbst. Lassen wir mal den flapsigen Ton beiseite: Es ist doch einfach furchtbar, wie durchtränkt dieser gesamte Artikel, der am Ende mit diesem „praktischen Vorschlag“ gekrönt wird, mit den Vorstellungen der patriarchalen Unterordnung der Frau, deren Wert sich darin bemisst, wie schön, wie attraktiv, sie ist und schließlich, wie gut sie sich auf einem Markt verkaufen kann – sei es als tatsächlich prostituierte Frau mit materieller Entgeltung oder nur in dem hier angedachten symbolischen Sinn. Ich weiß nicht, aber das ist doch irgendwie unendlich traurig???

Der Titel des zweiten Textes, zu dem ich was sagen möchte, knüpft an dieser Stelle wunderbar an: Für „Huren sind wir alle“ bekommt das liberalfeministische Missy Magazine gerade mal wieder in der ihrigen Facebook-Kommentarspalte ordentlich die Hucke voll. Meines Erachtens völlig zu Recht.

Der Autor, „Christian Schmacht, geboren 1989, queerer Autor und Sexarbeiter, […] mag es […] sehr, das hart verdiente Geld für Luxusartikel auszugeben“, steigt ein mit der Schilderung einer „konsensualen Sexzene, die an Erfahrungen von sexualisierter Gewalt erinnern kann.“ Auf eine Zitierung meinerseits wird verzichtet, die Schlagworte Kehlenfick, Tränen, Würgereflex, Kotze, Gesichtsbesamung dürften reichen.

Irgendwie spricht es für sich selbst, wenn man angesichts von deutlichen Schilderungen von Gewalt und Erniedrigung extra darauf hinweisen muss, dass es sich um konsensuale Handlungen handelt. Das liegt daran, dass mit dem Konsens-Konzept auch die brutalsten Foltermethoden legitimiert werden können, denn „er/sie wollte es ja so“. Nicht hinterfragt wird dabei, woher diese Wünsche, diese Zustimmung überhaupt herrührt. Das alles führt, wie wir schon häufig erläutert haben, dazu, dass es keinen objektiven Gewaltbegriff mehr in Bezug auf die Sexualität gibt, obwohl ein Gewaltakt nun mal auch dann ein Gewaltakt bleibt, wenn er von demjenigen oder derjenigen, der/die ihn erfährt subjektiv nicht als Gewalt aufgefasst wird. Liberale Konfusionsarbeit at its best.

Die ehemalige Prostituierte Huschke Mau kommentiert dies richtigerweise wie folgt:

Echt schade, dass ihr anscheinend nicht wisst, was sexualisierte Gewalt ist. Denn ja, wenn mir jemand den Schwanz reinschiebt bis ich kotzen muss, obwohl das nicht abgesprochen war, dann IST das sexualisierte Gewalt und keine „konsensuale Sexszene“ die an „sexualisierte Gewalt erinnern kann“. Ich als Exprostituierte danke trotzdem für den Artikel: Das Sexgeschäft wird in ihm realistisch dargestellt. Wenn auch, wie man bei euch nach diesem Artikel ja vermuten muss, unfreiwillig und nicht bewusst. Aber es wird klar, Freier sind grenzüberschreitende, gewaltausübende Täter. Danke dafür.“

Der Autor fährt fort:

Dann gehe ich mich waschen und lasse unterwegs das Kotzhandtuch verschwinden und denke daran, wie wir gerade erst diesen Song von SXTN gehört haben, Skyler und ich: „Hass Frau, du nichts, ich Mann. Blase, bis du kotzt, aber kotz auf meinen Schwanz.“ Sie haben die Stimme von Alice Schwarzer gesampelt, die sich in einer Talkshow über HipHop empört, und dazu rappen sie von Frauenhass. Das war gestern, als wir nachts über die Autobahn fuhren. Wir redeten über die Lyrics und waren uns einig, dass sie uns gefallen und dass wir Alice Schwarzer hassen und dass SXTN es schaffen, gleichzeitig Typen zu dissen und sich über Alice-Schwarzer-Feminismus lustig zu machen.“

Das ist Feminismus 2.0.: Frauenhass im allgemeinen (SXTN Lyrics) und Frauenhass im konkreten (Hass auf Alice Schwarzer) sind damit ganz offensichtlich problemlos kompatibel. Und klar: Das allseits beliebte Alice Schwarzer Bashing funktioniert in gewissen Kreisen sowieso IMMER. So ein durchschaubares fishing for sympathies. Warum echte Gesellschaftskritik üben, wenn einen die Herzen der Sexualliberalen auch schon für „Schlag die Alice“ zufliegen.

Und auch die Rapperin Sooke, die in gewissen Kreisen durch einen vermeintlich transphoben Songtext in Ungnade gefallen ist, bekommt nochmal eins mitgegeben:

„Die queere Rapperin Sookee hat einen Song gemacht über Sexarbeit auf ihrem neuen Album. Der Song heißt „Hurensohn“ und handelt vom Sohn einer Hure und davon, dass er ein richtig liebenswerter Bursche ist, der seine Mutter respektiert. Ich höre ihn mir manchmal an, weil er so unangenehm ist, wie auf einem entzündeten Pickel rumzudrücken, um den Schmerz zu spüren und den Eiter fließen zu sehen. Ich frage mich, warum Sookee nicht stattdessen über sich selbst schreibt. Darüber, warum sie selbst keine Sexarbeiterin ist (falls sie keine Sexarbeiterin ist), oder wie oft in ihrem Leben sie schon sexuelle Dienstleistungen gegen andere Vorzüge eingetauscht hat?“

Das klingt ein bisschen so, als solle sie sich – vermutlich eigentlich wir alle –  jetzt dafür rechtfertigen, dass /wenn sie/wir selbst keine „Sexarbeiterin“ / „Hure“ ist/sind. Denn eigentlich und überhaupt, wisst ihr:

„Sexuelle Dienstleistungen gegen Aufmerksamkeit ist ein bewährter Deal, dafür brauchen wir uns nicht zu schämen. Klar hat sie mehr verdient, ich auch, wir alle. Aber im Leben gibt es viele miese Deals.“

Eine Kommentatorin fasst trefflich zusammen: „Neoliberal as fuck, literally.“ Yup, genau das ist es! Forderungen, Vorschläge, Ideen dass und wie sich etwas in dieser Gesellschaft ändern kann sucht man hier vergebens. Stattdessen die übliche Leier, wir prostituieren uns eh ALLE, die einen so und die anderen so, aber „so ist das Leben“ und schön, dass wir mal drüber geredet haben und das wars? Ahjo.

Das Missy Magazine unterstreicht in der Kommentarspalte das Anliegen des Autors die Grenzen in Bezug auf die Gruppe von Menschen, die als Prostitutierte zu bezeichnen sind, auszuweiten:

„Der Text weist auf etwas hin, was sehr viele Sexarbeitsgegner*innen verkürzen beziehungsweise nicht mitdenken: Wo beginnt Sexarbeit eigentlich?“

Hätten die Missys vielleicht mal Radfem Klassiker wie „Pornographie“ von Andrea Dworkin gelesen, dann wüssten sie, dass diese von ihnen vertretene Sichtweise urpatriarchal ist. In der patriarchalen Lesart gibt es genau zwei Arten von Huren: 1) Die Ehe-Hure, die der Privatbesitz eines einzigen Mannes ist, und diesem sexuell zur Verfügung zu stehen hat (wir erinnern uns vielleicht daran, dass Vergewaltigung in der Ehe erst seit den späten 1990er Jahren ein Straftatbestand ist?) und 2) die Hure, die Allgemeinbesitz ist, und an der sich alle Männer erfreuen dürfen. Welche dieser beiden für uns vorgesehenen Rollen, die beide eine Seite der selben patriarchalen Medaille sind, uns genehm ist, das dürfen wir uns aussuchen, wenn es nicht für uns ausgesucht wird.

Also, was sollen wir in unserer Gesellschaftsanalyse denn bitte noch erweitern, liebe Missys? Die von euch konstatierte Verkürzung trifft doch vor allem auf euch selbst zu.

Aber dankbar können wir euch ja irgendwie schon sein für diesen Peak-Libfem-esken-Artikel, macht ruhig weiter so, denn wie einer bei euch so schön schreibt:

„Zumindest danke ich dafür, dass ich einen Text habe, mit dem ich unkompliziert vermitteln kann, weshalb ich keinen käuflichen Sex will.“

„Nicht alleine joggen gehen“ – Über eine fehlgeleitete Empörung

No More Rape

Steve Rhodes via Flickr, [CC BY-NC-SA 2.0]

Ich gehe regelmäßig wandern. Über Wiesen. Über Felder. Durch Wälder. In der Regel alleine. Am Wochenende war ich mit einer Freundin unterwegs. Wir unterhielten uns. Wir scherzten. Irgendwann sagte ich ernst zu ihr:

„Du, weißt du, was ich oft denke, wenn ich alleine unterwegs bin? Wenn ich all diese Zeitungsartikel lese über ermordete Joggerinnen und von SpaziergängerInnen oder WanderInnen, gefundene Frauenleichen im Wald? Oder die Leichenteile der armen prostituierten Maria in Hamburg, die AnwohnerInnen an der Elbe fanden? Ich hoffe immer, dass mir so etwas nicht passiert. Das ich nicht plötzlich über eine tote Frau stolpere. Das ist so eine Horrorvorstellung.“ Meine Freundin kannte diese Gedanken. Sie sagte mir, dass sie, wenn sie irgendwelchen finsteren Gestalten im Wald begegnet, auch als erstes an die Entsorgung einer Leiche denkt.

Kurz darauf geht das durch die Medien: Ein Mann vergewaltigt eine Frau in Leipzig auf brutalste Art und Weise. Er geht so brutal vor, dass „selbst erfahrene Polizeibeamte“ geschockt sind. Aufgrund der Tatsache, dass es in den letzten drei Wochen zwei weitere Fälle sexueller Übergriffe gegeben hat, geht die Polizei von einem Serientäter aus und gab als Empfehlung an Frauen aus: „Es wäre besser, zu zweit joggen zu gehen, oder zumindest zu schauen, ob immer jemand anderes irgendwo in der Nähe ist“.

Ein Aufruhr geht durchs Land. Der Vorwurf: Die Polizei mache Frauen für ihre eigene Sicherheit verantwortlich. Von Victim Blaming ist die Rede. Sibel Schick schreibt in der TAZ:

„Die Verantwortung der Polizei liegt nicht darin, Frauen Angst zu machen und sie so versuchen aus dem öffentlichen Raum auszuschließen, sondern darin, sie zu schützen. Wer zu Hause bleiben sollte, sind die Vergewaltiger – nicht die Frauen.“

Ich bin verwirrt und muss mich erstmal im Gespräch mit Freundinnen versichern, dass es mir nicht alleine so geht. Anders als seinerzeit in Toronto, wo der Polizist Michael Sanguinetti die Auffassung vertrat, dass „Frauen vermeiden sollten, sich wie Schlampen anzuziehen, um nicht zum Opfer zu werden“, machte die Polizei in Leipzig doch gar nicht die vergewaltigte Frau für das, was ihr angetan wurde, verantwortlich. Sie sprach eine begründete, anlassbezogene Sicherheitswarnung vor einer akuten Gefahr für Frauen in einem bestimmten Gebiet aus.

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