Kategorie: Allgemein

Die arme und die nicht arme Prostituierte

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Ky via Flickr, (CC BY 2.0)

Hinweis: Der Artikel wurde zwischenzeitlich einmal offline genommen (aus Gründen), beim Wiederherstellungsprozess sind leider ein paar Kommentare verschütt gegangen, das bitten wir zu entschuldigen, gfs. dann einfach nochmal kommentieren.

Oder: Die Zwangsprostituierte und die „freiwillige“ Prostituierte

Oder: What the fuck

Zwei Dinge kamen in Diskussionen um Prostitution neuerdings immer wieder auf.

  1. Es gehe nicht um die „weiße, freiwillige deutsche Prostituierte, die sich nebenbei ein Taschengeld verdient“, sondern um Zwangsprostituierte und Frauen, die sich aus Notlagen heraus prostituieren.
  2. Die Forderung, bis wir das Nordische Modell durchgesetzt hätten, müssten wir auf die straffe Umsetzung des ProstSchG pochen, denn dies sei wenigstens etwas und besser als nichts.

Dazu habe ich als ehemals prostituierte Frau Folgendes zu sagen:

Ich möchte Prostitution abschaffen.

Und will sie keiner einzigen Frau zumuten. Ich wiederhole: keiner.

Auch nicht der „Freiwilligen“ oder der, die sagt, sie habe ein Recht dazu, sie wolle das so, auch nicht der weißen deutschen Studentin, die sich damit ihr Studium finanziert. Weil es keinen Unterschied macht.

„Ja, aber die weiße deutsche „freiwillige“ Prostituierte …“

Ja, was aber?

Selbstverständlich respektiere ich die Frau, die das sagt und ihre „Entscheidung“. Aber ich spiele das damit verbundene Leid nicht herunter – auch wenn sie es gegenwärtig noch anders sieht. Ich weiß um die Umstände, die so eine „Entscheidung“ bedingen, es könnte sich – by the way – um Zwang handeln – ich sag’s ja nur.

Fangen wir ernsthaft diese Diskussion (wieder) an? Auszuklamüsieren, was nun Zwang ist und was nicht?

Wann habe ich angefangen zu pennen, um nicht mitzukriegen, dass wir uns ob der Basics immer noch nicht klar respektive einig sind?

So zu tun, als leite sich aus Parametern wie weiß, Sprachkenntnisse, deutsche Staatsangehörigkeit die Legitimation einer Zweispaltung ab, nämlich in arme ausgebeutete Zwangs-Prostituierte vs. „gut situierte“ (oder wie auch immer andere) Prostituierte, ist naiv, zynisch und entbehrt jeder feministischen und wissenschaftlichen Grundlage. Sie lässt Faktoren außen vor, die maßgeblich mitbedingen, ob wir prostituiert werden.

Wissen wir eigentlich auch schon längst – dachte ich.

Prostitution ist etwas, was keiner Frau zugemutet werden darf.

Sie muss weg.

Es gibt objektive Kriterien, die definieren, was sexuelle Ausbeutung ist. Prostitution ist sexuelle Ausbeutung. Durch eine Umdefinition, die im Grunde das Ende des Herunterbrechens auf die subjektive Ebene ist, nämlich: ich fühle mich nicht ausgebeutet (ich finde es empowernd, ich mache das gerne, etc.), wird die Ausbeutung nicht weniger Ausbeutung. Durch die Spaltung von außen in die, die zwangsprostituiert wird und die, die es „freiwillig tut“, wird die Ausbeutung auch nicht weniger Ausbeutung. So oder so: die Folgen für die Frau und nicht zuletzt für die Gesellschaft bleiben gravierend, ja katastrophal.

Prostitution schadet. Prostitution tötet. Prostitution macht den Körper und die Seele kaputt. Oft ein Leben lang.
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Ich bin nicht Deine Oma!

Zwei Frauen

Pixabay, CC0

Langsam werde ich älter. Früher habe ich mich daran gestört, als Schlampe oder ähnliches bezeichnet zu werden, doch so störe ich mich jetzt an der Bezeichnung „Oma“. Früher waren dies andere Frauen, die so von Fremden tituliert wurden. Mittlerweile kann ich selbst damit gemeint sein.

Natürlich hat gerade das Thema der Tafel in Essen meine Wut über diese Bezeichnung hervorgeholt, aber meine Wut über die Abwertung „die Oma da“ war schon lange da.

Wer es noch nicht mitbekommen hat, die Begründung für den Ausschluss von „Ausländern“ bei der Neuvergabe für  Teilnehmerkarten der Tafel in Essen sind die „deutschen Omas“, die sich nicht mehr zur Tafel trauen, wegen den ausländischen Männern. Die alleinerziehenden Mütter trauen sich ebenso nicht mehr zur Essener Tafel. Ja, die alleinerziehende Mutter muss auch herhalten, symbolisiert natürlich auch sie die arme, schwache, hilfsbedürftige Frau in der deutschen Gesellschaft, die sich zusammen mit der deutschen Oma nicht mehr zur Tafel wagt und deshalb auf abgelaufene Lebensmittel verzichten muss.

Ich bezweifle nicht, dass Übergriffe bei der Tafel passiert sind, und dass dies für Frauen nicht zumutbar und unerträglich ist. Es geht mir um das Klischee der „Oma“, das Frauenklischee, dass tatsächlich der älteren allein erziehenden Mutter folgt, die „Oma“ ist sozusagen allein erziehend in Alt. Beides sind Symbole, lächerlich gemachte Archetypen des Weiblichen.

Es interessiert sich zwar sonst niemand für die Belange von allein erziehenden Müttern bezüglich zum Beispiel der Themen, unter anderem,  wie Sorgerecht und Einkommensausgleich, aber für mitleidserheischende Symbolik war auch die „allein erziehende Mutter“ an und für sich immer sehr praktikabel. Insbesondere in meiner Zeit bei der Linken konnte ich Aversionen gegen diesen Begriff erwerben, denn immer wenn das  Böse des Kapitalismus beschworen wurde, wurde die „allein erziehende Mutter“ in Broschüren und Ansprachen hervorgeholt, der Inbegriff, wie gesagt, der armen, hilflosen Frau, der die Linke beistehen musste.  Bekanntlich ging es „der Linken“ (Ausnahmen bestätigen immer noch die Regel) nicht  um den Kampf gegen Väterrechte, Pornografie, Prostitution oder ähnliches, was die Macht der Genossen hätte schwächen können, sondern darum Frauen, die in der Lage sind, Kindererziehung und wahrscheinlich auch Beruf und Arbeit alleine zu stemmen, als schwach zu präsentieren. Die Linke als patriarchales Symbol des Ritters, der die schwache, offensichtlich nicht mehr Jungfrau, aber Frau, retten möchte. Dieses Klischee der „allein erziehenden“ lässt sich auch auf die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung übertragen. Wenn es jemanden zu bemitleiden gibt, dann die allein erziehende Frau, offensichtlich zu dumm für adäquate Partnerwahl oder einen Mann „zu halten“, und als Frau nicht in der Lage, Kinder zu erziehen, denn hierfür braucht man einen Mann, obwohl diese sich bekanntermaßen eher weniger an der Kindererziehung beteiligen. Abgesehen von einem ständigen Abbau der Rechte von Frauen beim Thema Ehescheidung und Sorgerecht in den letzten Jahrzehnten, hat sich wirklich noch nie jemand für allein erziehende Frauen interessiert und die „allein erziehende Mutter“ war immer ein Symbol für gesellschaftliche Abwertung und Verachtung von unabhängigen Frauen.

Aber zurück zur „Oma“, der sozusagen alten „allein erziehenden Frau“ als Klischeebild der patriarchalen Abwertung. Prinzipiell stellt der Begriff Oma einen intrafamiliären Kosenamen für die Mutter des eigenen Vaters oder der eigenen Mutter dar. Nicht mehr und nicht weniger. Eine Oma könnte jede Frau ab 30 Jahren sein, oder jünger, und auch diese gibt es. Aber wird bei der Nutzung des Begriffs Oma tatsächlich davon ausgegangen, dass eine Frau Enkelkinder hat? Mussten ältere Frauen bei der Tafel angeben, dass sie Enkelkinder haben? Wissen Menschen, wenn sie über ältere Frauen als „die Oma“ sprechen, etwas über ihren Familienstatus?. Wieso wird geglaubt einen familiären Kosenamen gegenüber fremden Frauen benutzen zu dürfen?

Mussten Einbürgerungsurkunden oder Familienstammbäume bei der Essener Tafel vorgelegt werden, um behaupten zu können, dass es sich um „deutsche“ Omas handelt? Was ist eine „Oma“ und wieso wird sich erdreistet, ältere Frauen so zu nennen ohne ihren Kinderstatus zu kennen? Und wie kommen andere dazu, Frauen mit ihrem Kinderstatus zu titulieren? Es bezeichnet ja auch niemand irgendwelche unbekannte Männer als „der Papi“ oder der „Opi“. Obwohl selten wird auch „der alte Opa“ als Schimpfwort benutzt, aber dieser Begriff als Abwertung ist seltener. Der Ausdruck „die Oma“ dient nur der Reduzierung von älteren Frauen mit zwangsweise Lebenserfahrung auf ihre Produktion von Kindern und deren Produktion von Kindern.

Gerade vor kurzem, vor dieser Tafelscheisse, musste ich mir von einer Bekannten (leider eine Frau) anhören, das eine bestimmte Frau so eine typische „Omi“ sein. Diese Frau war, um ganz ehrlich zu sein, nicht besonders intelligent (um ganz ehrlich zu sein, intelligenzgemindert), und dazu naiv. Ich hatte fast Schnappatmung bei dieser Titulierung bekommen.

„Omas“ sind ansonsten auch noch bekannt aus den Medien vom „Enkeltrick“, also sogar zu blöd um Trickdiebe, Conartists, von den eigenen Enkeln zu unterscheiden und übergeben als Folge irgendwelchen Fremden ihr Vermögen. Prinzipiell hätte man auch sagen können, dass viele ältere Frauen trotz schwerer Demenz es schaffen selbständig zu leben, und leider eine schwere Erkrankung des Alters von anderen zur finanziellen Ausbeutung ausgenutzt wird. Doch auch hier darf eine Diffamierung und widerliche Abwertung der älteren Frau nicht fehlen. „Omas“ sind halt blöde und eben nicht unabhängig und selbständig trotz dementieller Erkrankung. Und da die Lebenserwartung von Männern niedriger ist wie die von Frauen sind eben diese in größerer Anzahl die Zielgruppe von Straftätern.

Wenn ich an „Oma“ denke im Sinne von dem Klischee, dann denke ich nicht an meine Großmutter, eine kluge Frau, die Zigaretten rauchte als es noch als „verrucht“ galt und immer sagte, sie wäre viel besser im Leben dran gewesen ohne meinen Großvater, der ihre Karriere behindert hatte. Nein, wenn ich an Oma als Klischee denke, denke ich an eine wirklich naive, alte Frau, die nichts vom Leben weiß, außer Enkelkinder mit Schokolade (oder Geld) vollzustopfen, obwohl das ungesund oder unklug ist, so ungefähr. Eine „Oma“ hat auch schon lange keinen Sex mehr, abgesehen von dem Genre „Omaporn“, was auch nicht unbedingt zur Wertschätzung von älteren Frauen beiträgt, sondern nur auch noch diese  Frauengruppe männlicher sexueller Gewalt und Bedürfnisbefriedigung aussetzt. Die Produzenten und Nutzer von „Omaporn“ dürften im Übrigen wahrscheinlich auch deutsch sein, sonst wäre dieses Genre nicht zu finden, aber sicherlich hat die sexuelle Abwertung von „Omas“ im Porno nichts mit der allgemeinen gesellschaftlichen Verwahrlosungen auch ihnen gegenüber zu tun.  Abgesehen von den Pornoomas aber hat eine „Oma“ eine graue Dauerwelle und trägt ein Blumenkleid oder einen Faltenrock. Sie isst gerne Kuchen und hört Peter Alexander, sie hat immer ihrem Ehemann vertraut, so dass sie am Lebensende zur Essener Tafel gehen muss, wo sie nochmals dazu benutzt wird, um für Schlagzeilen zu sorgen. Leider hat sie offensichtlich nicht in jungen Jahren auf das Sprichwort gehört…“wenn Du dich auf einen Mann verlässt, dann bist Du verlassen…“, sonst müssten sie nicht aus finanzieller Not heraus zur Tafel gehen und von deren Mitarbeitern abgewertet werden als „arme alte Omi“ die mann trotz ihrer großen Lebenserfahrung beschützen muss und auf ihren angeblichen Reproduktionsstatus reduziert. Dies war ein Sprichwort, das früher von älteren Frauen verbreitet wurde.

Außerdem hörte ich vor kurzem von dem Werbeslogan „Essen wie bei Oma“. Der Ausdruck, Essen wie bei „Muttern“ hat mich, zugegeben, auch immer äußerst aggressiv gemacht, da er Frauen auf ihre Versorgungsrolle des Kochens festlegt, und auch noch Qualität verlangt, aber da ich älter bin und schon lange eine Oma sein könnte, da über dreißig, macht es mich besonders wütend. Die ältere Frau ist halt gut beim Verschenken und beim Kochen und Backen. Das ist alles.

Wenn Männer, unabhängig ihrer Herkunft, Gewalt gegen uns, Frauen, anwenden, dann benennt diese Gewalt und macht etwas. Benutzt aber nicht uns, die „Omis“ und die „allein erziehende Mutter“ als Klischee das beschützt werden muss. Rechte und die Sicherheit von Frauen, ob jung oder alt, haben noch nie wirklich interessiert, oder wir wären nicht immer und hauptsächlich Opfer von männlicher Gewalt, ob an der Tafel, im Bus, in der Familie, auf der Straße oder vollgewichst im „Omaporn“. Für die männliche Gedankenwelt (und deren Konsequenzen auf Handlungsebene) die „Omaporn“ zugrunde liegen muss, hat sich wirklich noch niemand interessiert, allerdings ist das schon bei Porno insgesamt schon nicht der Fall.

Ich möchte nicht, dass ältere Frauen auf ein Klischee reduziert werden. Wir können Kinder haben oder keine, Enkelkinder oder keine, gearbeitet haben und noch arbeiten, Blumenkleider tragen oder Hosen, eine „Oma“ sind wir nur für eventuelle Enkelkinder.

Der Archetypus der alten, klugen, weisen und gütigen Frau wurde geschickt ersetzt durch „die Oma“. Und das ist das eigentlich Widerwärtige an „der Oma“. „Die Oma“, die man nicht ernst nehmen muss, die nichts vom Leben verstanden hat, aber gut kochen und backen kann, die Oma eben die vor ausländischen Männern von offensichtlich deutschen Männern beschützt werden muss, damit sie sich etwas zu Essen holen kann.

Ich aber bin nicht Deine „Oma“ und möchte auch nicht, dass ältere Frauen von anderen, außer den eigenen EnkelInnen, als solche bezeichnet werden. Wir sind nicht unbedingt ein Klischee, aber können sogar das sein. Aber dann sind wir eine alte Frau, die freundlich und nett ist, gerne backt, tatsächlich eine Lebensgeschichte hat, und nicht Deine Oma. Wir waren schon nicht deine Mutter!

 

 

 

Der Gender-Raub

Arzt mit Spritze

Der Original-Artikel „The Hijacking of Gender: A Feminist Take on Transgenderism“ wurde verfasst von T M Murray, PhD. Sie ist die Autorin von „Thinking Straight About Being Gay: Why it Matters If We’re Born That Way„.

Wir bedanken uns für die Erlaubnis, eine Übersetzung anzufertigen und diese hier zu veröffentlichen.

Übersetzung von Anna Strom.

Eine feministische Auseinandersetzung mit Transgenderismus

Das Gender-Konzept war mal cool. Unbeugsame Feministinnen wie Simone de Beauvoir, nutzten es um das, was zwischen den Beinen ist (sex [Anm. d. Übers: biologisches Geschlecht]) von dem zu unterscheiden, was zwischen den Ohren ist (gender [Anm. d. Übers: soziales Geschlecht]). Mit dem ersten kamst du zur Welt. Das letztere wurde dir anerzogen. Das zwischen deinen Ohren wurde dir durch die Indoktrination der patriarchalen Kultur eingepflanzt.

Grafik Spielfiguren männlich/weiblichAls Frauen begannen, Rollen oder Positionen einnehmen zu wollen, die nur für Männer reserviert waren, griffen die Patriarchatspropagandisten auf die „Natur“ zurück, um dem patriarchalen System den Rücken zu stärken. Diese Taktik ging auf, weil unsere Kultur so voll gestopft ist mit Stereotypen, dass diese beinah „natürlich“ wirken. Die Theorie des biologischen Determinismus wurde benutzt um zu erklären, warum das Patriarchat keine politische Angelegenheit sondern eine biologische Zwangsläufigkeit sei. Soziobiologen wie E.O. Wilson vertraten vehement, dass das Patriarchat andauert, weil Gene die Kultur bedingen.
Der Ansatz war nicht neu. Freud hatte die patriarchale Kultur in Penis und Vagina (vor allem im allmächtigen Penis) verankert. Christliche Traditionalisten betrachteten schon von Beginn an die Verknüpfung der patriarchalen sozialen Ordnung mit den reproduktiven Funktionen als etwas durch die „Schöpfung“ Gegebenes, entsprechend für die Frau verbunden mit der Rollenzuschreibung als Mutter und Ehefrau. Evas Sünde und ihre Bestrafung durch Gott festigte die unterwürfige Beziehung der Frau zu ihrem Ehemann weiter. Paulus gab noch eine Prise Autorität des neuen Testaments hinzu, indem er von Frauen forderte, „ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn.“ Die heilige Institution der Ehe war eine menschliche Erfindung, enthielt aber die Absicht „Gottes“.

Ein paar sture Feministinnen weigerten sich, diese „Vernatürlichung“ des Patriarchats und seinen begleitenden biologischen Determinismus mitzumachen, und sahen die Erklärung für männliche Dominanz stattdessen in sozialen, kulturellen, theologischen, akademischen und wirtschaftlichen Institutionen. Existenzialisten wie Simone de Beauvoir verabscheuten es, Erklärungen für menschliches Verhalten zu akzeptieren, die behaupteten, dass dieses durch ein unverrückbares „Wesen“ festgelegt sei. Jean-Paul Sartre bestand darauf, dass sich der Charakter eines Individuums in Resonanz zu seinen Umständen, durch seine freien Entscheidungen, entwickelt. Wir werden hier hineingeworfen, in situ, konfrontiert mit unserem freien Willen, und wir müssen unsere Entscheidungen vor einem Hintergrund an Tatsachen treffen, die wir nicht beeinflussen können, wie beispielsweise dem biologischen Geschlecht in das wir hineingeboren werden. Aber was wir damit „machen“, liegt bei uns selbst. Während klar ist, dass nur Frauen Kinder gebären können, sind die damit verbundenen Konsequenzen nicht vorherbestimmt und die aktuelle Arbeitsaufteilung nur ein mögliches Arrangement einer Palette der uns zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen Orgnaisationsformen.

So wie die einstigen Feministinnen, überschritten ursprünglich auch mal schwule, lesbische und bisexuelle Individuen die Geschlechterstereotype, die die Gesellschaft ihnen anerzogen hatte. Den normativen und weit verbreiteten heterosexistischen Gendermythen entsprechend, wurden diese „queeren“ Leute als „Butch“, „Sissies“, „Dykes“ und „Fairies“ gelabelt – Beleidigungen, die dazu dienen sollten, all jene zu stigmatisieren, die sich weigerten sich entsprechend der sexistischen und heterosexistischen Geschlechterrollen, die ihnen beigebracht wurden, zu verhalten und zu kleiden. Also entschlossen sich „Schwuchteln“ und „Lesben“ diese abfälligen Spitznamen zurückzuerobern, sie an sich zu nehmen und durch sie, als Zeichen des Widerstands, der Intoleranz der Kulturmythenschmiede den Spiegel vorzuhalten. Weiterlesen

Prostituiert euch!

By i_hate_sult (http://www.webcitation.org/5zQfwo653) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Eigentlich hab ich mir ja abgewöhnt jeden Pups aus dem Popfeminismus-Häppy-Sexwörk-Libfem-Queer-Prostitution-ist-Sexarbeit-s-Lager zu kommentieren, aber zwei brandaktuelle Artikel sind so dermaßen schräg, dass ich es mir nicht verkneifen kann.

Erst wurde mir ein Artikel, der beim STERN, bzw. NEON (Kernzielgruppe: „Menschen zwischen 20 und 35 Jahren mit hohem Bildungsstand und überdurchschnittlichem Einkommen“) veröffentlicht wurde, in die Facebook-Timeline gespült. Titel: „Warum du dich lieber an Huren statt an Barbies orientieren solltest. Du willst Dich schöner fühlen? Vergiss die klassischen Beautytipps und lerne von Prostituierten, erstelle Dir ein Profil bei einer Escort-Seite und übe Dominaposen.“

Zunächst einmal springt einem bereits in dieser Überschrift das Patriarchat mit nacktem Arsch ins Gesicht, wies doch bereits der Soziologe Pierre Bourdieu, bewusst anknüpfend an die brillanten Analysen der Radikalfeministinnen der 1970er Jahre, darauf hin, dass „Körper für andere (Männer) machen“ müssen, eines der zentralen Kennzeichen der „Männlichen Herrschaft“ ist. Und wieso sollen sich junge Frauen eigentlich zwischen „Huren“ und „Barbie“ entscheiden müssen?

Über die Autorin erfahren wir:

„Die Schriftstellerin Anna Basener hat für ihren Roman „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ ein illegales Ruhrpott-Bordell erfunden. Sie hat dafür mit Prostituierten, Dominas und Bordellwirtschafterinnen gesprochen und gelernt, dass Moralisieren keinem hilft, am wenigsten den Sexarbeiterinnen.“

Besagte Autorin leitet in ihrem Text nach ihren Gesprächen mit ein paar prostituierten Frauen, die sich als Sexarbeiterinnen verstehen, aus deren individuellen Sichtweisen allgemeingültige Aussagen ab. Nun, that`s not exactly how Gesellschaftsanalyse works. Okay, vielleicht wollte sie auch nur einen (in ihren Augen) unterhaltsamen Text schreiben, aber ich will mal exemplarisch an ein paar Beispielen deutlich machen, warum hier was gründlich schief gelaufen ist.

„Marleen ist 26, Studentin und Hure. Sie hat in ihrer Jugend gelernt, dass sie zu dünn ist. Keine Kurven, wenig Busen, das ist nicht sexy, dachte sie bis sie angefangen hat anzuschaffen. Jetzt weiß sie, dass sie heiß ist. Umgekehrt gibt es aber auch dicke Prostituierte, deren Geschäftsmodell es ist, Männer zu befriedigen, die dünne Frauen geheiratet haben mutmaßlich aus Prestigegründen. Sie machen eine „Riesenmark“ damit, dass es gesellschaftsfähiger ist, auf Barbie-Blaupausen zu stehen, auch wenn man selbst lieber was zum Anfassen hätte.“

Gewagte These: Eigentlich sind es gar nicht die Frauen, die hier unterdrückt sind, sondern die armen Männer, die nicht zu ihren wahren Fetischen stehen dürfen (denn nichts anderes ist es, wenn man SexualpartnerInnen aufgrund von zum Beispiel optischen Vorlieben auswählt), sondern gesellschaftskonform ihre Ehefrauen auszuwählen haben? Huh? Nun ist es ja tatsächlich so, dass die Ehefrau oder Partnerin nicht selten als Statussymbol (in Bourdieus Worten „symbolisches Kapital“) fungiert, aber, dass die Bordelle jetzt überdurchschnittlich mit „dicken Prostituierten“ gefüllt sind, das entbehrt nun wirklich jeder Grundlage. Und was hier auch nicht erwähnt wird, ist, dass Freier sehr häufig auf Abwechslung stehen: Heute dick, morgen dünn, übermorgen ne „MILF“, nächste Woche mal ein „Teenie“ und auch in Bezug auf die ethnische Zugehörigkeit erweist Freier sich gerne als „welterfahren“ und „Kosmopolit“. Der Pro-Prostitutions-Verein Dona Carmen spricht diesbezüglich von „Völkerverständigung von unten“. Isses nich HERRlich?

Im Grund gar nicht so verkehrt ist das hier:

„Eine These: Weil Bordelle beweisen, dass den konventionellen Schönheitsidealen nicht zu trauen ist. Es sind Orte, an denen der Wert eines Körpers nicht von Hollywood, Fashionshows oder Werbung definiert wird, sondern vom Markt. Ob ein Angebot auch auf Nachfrage stößt, lässt sich schlicht und ergreifend am Preis ablesen.“

Da steckt empirisch belegbar sehr viel Richtiges drin. Nämlich: Dass es sich um einen Prostitutionsmarkt handelt, dass die Nachfrage das Angebot bestimmt, und dass es Preisunterschiede gibt. Nur das mit den „konventionellen Schönheitsidealen“, die sich hier angeblich nicht wiederfinden, das stimmt so nicht, Frau Basener. Hätten sie mal in den sehr aufschlussreichen Artikel des Economist geschaut, dann hätten sie es besser gewusst.

Die haben nämlich Freierforen und sage und schreibe 190.000 Angebotsprofile aus 84 Städten und 12 Ländern im Zeitraum von 1999 bis 2014 ausgewertet in Bezuf auf die körperlichen Attribute der prostituierten Frauen, sowie die angebotenen Leistungen und Preise. – Diese Ökonomen! –  Die höchsten Preise sind mit dünnen Frauen mit sehr langen, blonden Haaren oder mit vollen Brüsten zu erzielen. Huch! Erkennbar blondierte Haare sind preismindernd, jedoch immer noch unter den „Premium“-Angeboten. Zwischen kleinen Brüsten und einem D-Cup liegen 40 Dollar Preisunterschied, weshalb eine Brustvergrößerung (die mit 3.700 Dollar Kosten beziffert wird) sich ökonomisch bereits nach 90 Stunden amortisiert. – Wie nüchtern die doch solche Zusammenhänge darstellen können!

Jetzt könnte man noch einwerfen: Aber Aussehen ist nicht alles! Denn preisgestaltend sind Studien zufolge ja auch die existentielle Not und der Freiwilligkeitsgrad derjenigen, die sich anbieten (müssen). Eine gehandelte Frau, eine aus rassistischen Gründen in der Hierarchie ganz unten stehenden Romni oder eine Drogenprostituierte, die ihren nächsten Schuss braucht, sind in der Regel „günstiger zu haben“, als beispielsweise die deutsche Hobbyprostituierte, deren Existenz grundsätzlich bereits anderweitig gesichert ist. Auch das abzuringende Leistungsspektrum ist bei den genannten Personengruppen, die unter besonders viel Druck stehen und auch jenen, deren persönliche Grenzen durch massive Gewalterfahrungen extrem verletzt wurden, sehr viel größer. Man könnte auch sagen „viel für wenig Geld“ ist einem großen Teil der Freier wichtiger als die Optik. Aber auf solche Zusammenhänge hinzuweisen wäre ja auch ein bisschen zu viel verlangt.

Weiter geht’s mit einem Pro-Tipp:

„Natürlich müsste man sich gar nicht darum scheren, irgendjemandem zu gefallen. Begehrt zu werden kann nicht der einzige Schlüssel zu einem besseren Verhältnis zum eigenen Aussehen sein. Eigentlich muss das von innen kommen, klar. Ist aber leichter gesagt als getan, denn: Wie kommt das Bewusstsein für die eigene Schönheit überhaupt erst in einen hinein? […]. Lernen wir also von den Huren. Was hilft, ist die Dominapose: Breitbeinig stehen, Hände in die Hüften, Kinn hochnehmen. Stärkt das Selbstwertgefühl und schreibt sich in den Körper. Kat Rix […] wollte eine geile Frau sein, also hat sie entschieden, dass sie eine ist. Das klingt einfacher, als es ist, und braucht Zeit. Aber was hilft, ist die Dominapose. [Die Dominas haben …] der Männerwelt schon vor Wonder Woman‘s Erfindung ihre Schönheit und Stärke entgegengeschleudert.“

Fhlks9a0aßd98sfd97(=D()S=(D(=  [<——- das sind die Tastenabdrücke, die ihr die nächsten Tage auf meiner Stirn bewundern könnt).  Ach, wisst ihr was, ich lass das einfach mal für sich sprechen….  (Ob ihr bewusst ist, dass sich das tatsächliche Machtverhältnis auch nicht rumdreht, wenn der Freier dafür bezahlt den devoten Part zu übernehmen – und dennoch genauestens und bis ins letzte Detail bestimmt was genau gemacht wird?)

Die Autorin endete damit den Leserinnen folgendes vorzuschlagen:

„Eine praktische Übung fürs Selbstwertgefühl: Erstell dir ein Profil auf einer Escort-Seite (oder auch komplett offline) und trag zusammen, warum du attraktiv bist so attraktiv, dass Sex mit dir Geld kostet. Nicht falsch verstehen: Ich spreche hier nur von einer Übung, nicht davon, das Profil wirklich hochzuladen oder anschaffen zu gehen. Es geht mir nicht um Berufsberatung, sondern um einen neuen Blick auf Schönheit. Es geht auch nicht um den tatsächlichen Preis, den du verlangen könntest, sondern um deinen Wert.“

Seufz. Das ist also die Botschaft an die jungen Frauen, die NEON lesen: Euer Wert bemisst sich in eurer Schönheit, und die Hoheit über diese zu befinden liegt bei euch selbst. Lassen wir mal den flapsigen Ton beiseite: Es ist doch einfach furchtbar, wie durchtränkt dieser gesamte Artikel, der am Ende mit diesem „praktischen Vorschlag“ gekrönt wird, mit den Vorstellungen der patriarchalen Unterordnung der Frau, deren Wert sich darin bemisst, wie schön, wie attraktiv, sie ist und schließlich, wie gut sie sich auf einem Markt verkaufen kann – sei es als tatsächlich prostituierte Frau mit materieller Entgeltung oder nur in dem hier angedachten symbolischen Sinn. Ich weiß nicht, aber das ist doch irgendwie unendlich traurig???

Der Titel des zweiten Textes, zu dem ich was sagen möchte, knüpft an dieser Stelle wunderbar an: Für „Huren sind wir alle“ bekommt das liberalfeministische Missy Magazine gerade mal wieder in der ihrigen Facebook-Kommentarspalte ordentlich die Hucke voll. Meines Erachtens völlig zu Recht.

Der Autor, „Christian Schmacht, geboren 1989, queerer Autor und Sexarbeiter, […] mag es […] sehr, das hart verdiente Geld für Luxusartikel auszugeben“, steigt ein mit der Schilderung einer „konsensualen Sexzene, die an Erfahrungen von sexualisierter Gewalt erinnern kann.“ Auf eine Zitierung meinerseits wird verzichtet, die Schlagworte Kehlenfick, Tränen, Würgereflex, Kotze, Gesichtsbesamung dürften reichen.

Irgendwie spricht es für sich selbst, wenn man angesichts von deutlichen Schilderungen von Gewalt und Erniedrigung extra darauf hinweisen muss, dass es sich um konsensuale Handlungen handelt. Das liegt daran, dass mit dem Konsens-Konzept auch die brutalsten Foltermethoden legitimiert werden können, denn „er/sie wollte es ja so“. Nicht hinterfragt wird dabei, woher diese Wünsche, diese Zustimmung überhaupt herrührt. Das alles führt, wie wir schon häufig erläutert haben, dazu, dass es keinen objektiven Gewaltbegriff mehr in Bezug auf die Sexualität gibt, obwohl ein Gewaltakt nun mal auch dann ein Gewaltakt bleibt, wenn er von demjenigen oder derjenigen, der/die ihn erfährt subjektiv nicht als Gewalt aufgefasst wird. Liberale Konfusionsarbeit at its best.

Die ehemalige Prostituierte Huschke Mau kommentiert dies richtigerweise wie folgt:

Echt schade, dass ihr anscheinend nicht wisst, was sexualisierte Gewalt ist. Denn ja, wenn mir jemand den Schwanz reinschiebt bis ich kotzen muss, obwohl das nicht abgesprochen war, dann IST das sexualisierte Gewalt und keine „konsensuale Sexszene“ die an „sexualisierte Gewalt erinnern kann“. Ich als Exprostituierte danke trotzdem für den Artikel: Das Sexgeschäft wird in ihm realistisch dargestellt. Wenn auch, wie man bei euch nach diesem Artikel ja vermuten muss, unfreiwillig und nicht bewusst. Aber es wird klar, Freier sind grenzüberschreitende, gewaltausübende Täter. Danke dafür.“

Der Autor fährt fort:

Dann gehe ich mich waschen und lasse unterwegs das Kotzhandtuch verschwinden und denke daran, wie wir gerade erst diesen Song von SXTN gehört haben, Skyler und ich: „Hass Frau, du nichts, ich Mann. Blase, bis du kotzt, aber kotz auf meinen Schwanz.“ Sie haben die Stimme von Alice Schwarzer gesampelt, die sich in einer Talkshow über HipHop empört, und dazu rappen sie von Frauenhass. Das war gestern, als wir nachts über die Autobahn fuhren. Wir redeten über die Lyrics und waren uns einig, dass sie uns gefallen und dass wir Alice Schwarzer hassen und dass SXTN es schaffen, gleichzeitig Typen zu dissen und sich über Alice-Schwarzer-Feminismus lustig zu machen.“

Das ist Feminismus 2.0.: Frauenhass im allgemeinen (SXTN Lyrics) und Frauenhass im konkreten (Hass auf Alice Schwarzer) sind damit ganz offensichtlich problemlos kompatibel. Und klar: Das allseits beliebte Alice Schwarzer Bashing funktioniert in gewissen Kreisen sowieso IMMER. So ein durchschaubares fishing for sympathies. Warum echte Gesellschaftskritik üben, wenn einen die Herzen der Sexualliberalen auch schon für „Schlag die Alice“ zufliegen.

Und auch die Rapperin Sooke, die in gewissen Kreisen durch einen vermeintlich transphoben Songtext in Ungnade gefallen ist, bekommt nochmal eins mitgegeben:

„Die queere Rapperin Sookee hat einen Song gemacht über Sexarbeit auf ihrem neuen Album. Der Song heißt „Hurensohn“ und handelt vom Sohn einer Hure und davon, dass er ein richtig liebenswerter Bursche ist, der seine Mutter respektiert. Ich höre ihn mir manchmal an, weil er so unangenehm ist, wie auf einem entzündeten Pickel rumzudrücken, um den Schmerz zu spüren und den Eiter fließen zu sehen. Ich frage mich, warum Sookee nicht stattdessen über sich selbst schreibt. Darüber, warum sie selbst keine Sexarbeiterin ist (falls sie keine Sexarbeiterin ist), oder wie oft in ihrem Leben sie schon sexuelle Dienstleistungen gegen andere Vorzüge eingetauscht hat?“

Das klingt ein bisschen so, als solle sie sich – vermutlich eigentlich wir alle –  jetzt dafür rechtfertigen, dass /wenn sie/wir selbst keine „Sexarbeiterin“ / „Hure“ ist/sind. Denn eigentlich und überhaupt, wisst ihr:

„Sexuelle Dienstleistungen gegen Aufmerksamkeit ist ein bewährter Deal, dafür brauchen wir uns nicht zu schämen. Klar hat sie mehr verdient, ich auch, wir alle. Aber im Leben gibt es viele miese Deals.“

Eine Kommentatorin fasst trefflich zusammen: „Neoliberal as fuck, literally.“ Yup, genau das ist es! Forderungen, Vorschläge, Ideen dass und wie sich etwas in dieser Gesellschaft ändern kann sucht man hier vergebens. Stattdessen die übliche Leier, wir prostituieren uns eh ALLE, die einen so und die anderen so, aber „so ist das Leben“ und schön, dass wir mal drüber geredet haben und das wars? Ahjo.

Das Missy Magazine unterstreicht in der Kommentarspalte das Anliegen des Autors die Grenzen in Bezug auf die Gruppe von Menschen, die als Prostitutierte zu bezeichnen sind, auszuweiten:

„Der Text weist auf etwas hin, was sehr viele Sexarbeitsgegner*innen verkürzen beziehungsweise nicht mitdenken: Wo beginnt Sexarbeit eigentlich?“

Hätten die Missys vielleicht mal Radfem Klassiker wie „Pornographie“ von Andrea Dworkin gelesen, dann wüssten sie, dass diese von ihnen vertretene Sichtweise urpatriarchal ist. In der patriarchalen Lesart gibt es genau zwei Arten von Huren: 1) Die Ehe-Hure, die der Privatbesitz eines einzigen Mannes ist, und diesem sexuell zur Verfügung zu stehen hat (wir erinnern uns vielleicht daran, dass Vergewaltigung in der Ehe erst seit den späten 1990er Jahren ein Straftatbestand ist?) und 2) die Hure, die Allgemeinbesitz ist, und an der sich alle Männer erfreuen dürfen. Welche dieser beiden für uns vorgesehenen Rollen, die beide eine Seite der selben patriarchalen Medaille sind, uns genehm ist, das dürfen wir uns aussuchen, wenn es nicht für uns ausgesucht wird.

Also, was sollen wir in unserer Gesellschaftsanalyse denn bitte noch erweitern, liebe Missys? Die von euch konstatierte Verkürzung trifft doch vor allem auf euch selbst zu.

Aber dankbar können wir euch ja irgendwie schon sein für diesen Peak-Libfem-esken-Artikel, macht ruhig weiter so, denn wie einer bei euch so schön schreibt:

„Zumindest danke ich dafür, dass ich einen Text habe, mit dem ich unkompliziert vermitteln kann, weshalb ich keinen käuflichen Sex will.“

„Nicht alleine joggen gehen“ – Über eine fehlgeleitete Empörung

No More Rape

Steve Rhodes via Flickr, [CC BY-NC-SA 2.0]

Ich gehe regelmäßig wandern. Über Wiesen. Über Felder. Durch Wälder. In der Regel alleine. Am Wochenende war ich mit einer Freundin unterwegs. Wir unterhielten uns. Wir scherzten. Irgendwann sagte ich ernst zu ihr:

„Du, weißt du, was ich oft denke, wenn ich alleine unterwegs bin? Wenn ich all diese Zeitungsartikel lese über ermordete Joggerinnen und von SpaziergängerInnen oder WanderInnen, gefundene Frauenleichen im Wald? Oder die Leichenteile der armen prostituierten Maria in Hamburg, die AnwohnerInnen an der Elbe fanden? Ich hoffe immer, dass mir so etwas nicht passiert. Das ich nicht plötzlich über eine tote Frau stolpere. Das ist so eine Horrorvorstellung.“ Meine Freundin kannte diese Gedanken. Sie sagte mir, dass sie, wenn sie irgendwelchen finsteren Gestalten im Wald begegnet, auch als erstes an die Entsorgung einer Leiche denkt.

Kurz darauf geht das durch die Medien: Ein Mann vergewaltigt eine Frau in Leipzig auf brutalste Art und Weise. Er geht so brutal vor, dass „selbst erfahrene Polizeibeamte“ geschockt sind. Aufgrund der Tatsache, dass es in den letzten drei Wochen zwei weitere Fälle sexueller Übergriffe gegeben hat, geht die Polizei von einem Serientäter aus und gab als Empfehlung an Frauen aus: „Es wäre besser, zu zweit joggen zu gehen, oder zumindest zu schauen, ob immer jemand anderes irgendwo in der Nähe ist“.

Ein Aufruhr geht durchs Land. Der Vorwurf: Die Polizei mache Frauen für ihre eigene Sicherheit verantwortlich. Von Victim Blaming ist die Rede. Sibel Schick schreibt in der TAZ:

„Die Verantwortung der Polizei liegt nicht darin, Frauen Angst zu machen und sie so versuchen aus dem öffentlichen Raum auszuschließen, sondern darin, sie zu schützen. Wer zu Hause bleiben sollte, sind die Vergewaltiger – nicht die Frauen.“

Ich bin verwirrt und muss mich erstmal im Gespräch mit Freundinnen versichern, dass es mir nicht alleine so geht. Anders als seinerzeit in Toronto, wo der Polizist Michael Sanguinetti die Auffassung vertrat, dass „Frauen vermeiden sollten, sich wie Schlampen anzuziehen, um nicht zum Opfer zu werden“, machte die Polizei in Leipzig doch gar nicht die vergewaltigte Frau für das, was ihr angetan wurde, verantwortlich. Sie sprach eine begründete, anlassbezogene Sicherheitswarnung vor einer akuten Gefahr für Frauen in einem bestimmten Gebiet aus.

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Kulturrelativismus vs. Universalismus. Oder: Warum der Kontext immer eine Rolle spielt

Pixabay, Public Domain CCO

Radikalfeministische Theorie nimmt in hohem Maße Bezug auf wissenschaftliche Erkenntnisse und empirische Befunde. So begründen sich abolitionistische Positionen (die auf die Abschaffung der Prostitution abzielen) insbesondere in wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Tatsache, dass vor allem marginalisierte (arme, ethnisch diskriminierte) Frauen in der Prostitution landen, und solche, die sexuelle (oder andere) Gewalterfahrungen machen mussten. Auch historisch-feministische Analysen bezüglich der gesellschaftlichen Position der Frau und der Reproduktion der Unterordnungsverhältnisse durch die Prostitution spielen eine bedeutende Rolle. Es ist sinnvoll und zielführend so vorzugehen, auch in Bezug auf andere gesellschaftliche Phänomene.

Leider werden in meinen Augen öfter mal einige Dinge durcheinander gebracht und mit wissenschaftlichen Begriffen oder Konzepten umher geworfen, deren Hintergründe vielleicht nicht immer so klar sind. Dieser Beitrag versucht hier ein wenig zu erklären und Ordnung zu schaffen. Dabei gilt: Ein Blogbeitrag soll und kann keine wissenschaftliche Abhandlung sein.

Grundsätzliches zu wissenschaftlichen Konzepten

Sozial- und Geisteswissenschaften versuchen Gesellschaft und gesellschaftliche Mechanismen erklärbar zu machen. Man spricht deshalb auch von der „Psychologie der Gesellschaft“. Individuelles und menschliches Verhalten wird demnach in Bezug auf das Kollektiv (die Familie, die Peer Group, die Subkultur, die Gesellschaft eines Landes, …) analysiert.

Nicht nur weil gesellschaftliche Entwicklungen nicht statisch sind, sondern ständigen Veränderungen aufgrund vieler Faktoren unterworfen sind, kann man diese Analysen auch als Annäherung an Phänomene verstehen, die immer wieder weiterentwickelt und überprüft werden müssen. Selbst eine Theorie, die im Verlaufe weiterer Forschung empirisch widerlegt werden kann, kann deshalb durchaus Erkenntnisgewinne hervorbringen. Manche Theorien und Konzepte sind auch in der Lage Teilphänomene zu erklären, scheitern aber in anderen Punkten. Auch müssen Konzepte immer in ihrem historischen Kontext betrachtet werden.

Gesellschaftswissenschaftliche Analysen sind nicht vergleichbar mit mathematischen Gleichungen: Einmal aufgestellt, kaum mehr in Frage gestellt. Das ist der Komplexität menschlichen Verhaltens und sozialer Interaktionen geschuldet. Und trotzdem gelingt es ihnen Dinge zu erklären und begreifbar zu machen. Das müssen wir uns vergegenwärtigen.

Ethnologische Paradigma – ein Kurzüberblick (= Wissenschaftliche Ebene)

Die Ethnologie ist eine Wissenschaft, die sich traditionell mit anderen Gesellschaften und Kulturen („dem Fremden“) auseinandersetzt, während die Kulturanthropologie/Volkskunde sich eher mit der heimischen Gesellschaft und Kultur auseinandersetzt („das Eigene“). In der zeitgenössischen Wissenschaft sind die Grenzen nicht mehr ganz so starr, so befassen sich sehr viele Ethnographien auch mit Aspekten der „eigenen“ Kultur. Das Fach hat im Laufe der Zeit vielfältige und tiefgreifende Wandel durchgemacht: Von der Lehnstuhlethnologie (ForscherInnen, die am heimischen Schreibtisch Theorien entwickelten) hin zu verschiedenen Formen des Eintauchens in das Untersuchungsobjekt (langzeitige Feldstudien, „going native“, …). Auch die theoretischen Konzepte wurden entwickelt, diskutiert, weiterentwickelt oder verworfen. Ethnologische Forschung arbeitet in hohem Maße deskriptiv (beschreibend). Detaillierte Aufzeichnungen und Protokollierungen sowie Tonband- und Filmaufnahmen sollen es Dritten ermöglichen Gedankengänge nachvollziehen und einer kritischen Überprüfung unterziehen zu können. Das ist wichtig, da Interpretationen nie frei von eigenen Denk- und Wertungsschemata sind.

Folgende wichtigen Strömungen werden in Bezug auf Kulturentwicklung unterschieden (Achtung, nicht vollständig!):

Evolutionismus (18. /19. Jahrhundert)

Der Evolutionismus der frühen Lehnstuhlethnologie ging in seiner darwinistischen Prägung aus von einer unilinearen Gesellschafts- und Kulturentwicklung, die jede Gesellschaft in der gleichen Weise durchlaufen werde. Adam Ferguson (1723-1816) beispielsweise prägte das bekannteste Drei-Stufen-Modell:  Wildheit –> Barbarei –> Zivilisation. Den „primitiven“ Völkern wurden also „entwickelte“ Völker gegenüber gestellt und eine klare Wertung vorgenommen. Bei James George Frazer (1854-1941) ging hingegen von folgendem Modell aus: Magie -> Religion –> Wissenschaft.  Diese Theorie wurde kritisiert für ihren Ethnozentrismus und ihre wenig fundierten Kenntnisse über andere Kulturen.

Evolutionistische Arbeiten waren stark geprägt von kolonialistischen Vorstellungen über „die Anderen“. Relikte evolutionistischen Denkens in politischen Diskussionen finden sich auch heute noch sehr oft in politischen Diskussionen, wenn andere Kulturen als „rückständig“ beschrieben werden und die eigene als „weiterentwickelter“. Oder wenn gesagt wird eine Gesellschaft ist noch „im Mittelalter steckengeblieben“.

Kulturrelativismus (auch: Amerikanische Kulturanthropologie) (19./20. Jahrhundert)

Der Begründer der amerikanischen Kulturanthropologie ist Franz Boas (1858-1942), der stark beeinflusst wurde vom Deutschen Historismus. Boas ging davon aus, dass jede Kultur ihre eigene Geschichte hat  (Partikularismus), einzigartig und nur aus sich selbst heraus zu verstehen ist (emische Sichtweise). Er beschreibt Kultur als individuellen Lernprozess (Enkulturation). Im Gegensatz zu den Evolutionisten setzte er stark auf empirische Forschung. Boas Schüler führten umfangreiche Feldstudien in vielen Teilen der Welt durch. Zu seinen Schülerinnen der 2. Generation gehörten Margaret Mead (1901-1978) und Ruth Benedict (1887-1948), die beide die culture and personality studies entscheidend prägten – das Banard College an dem er unterrichtete war ein College ausschließlich für Frauen.

Positiv hervorzuheben ist, dass der Kulturrelativismus mit der Vorstellung der Überlegenheit des „Eigenen“ brach und anderen Kulturen eine Eigenständigkeit zugestand und diese nicht mehr einer vergleichenden und hierarchisierenden Wertung unterzog. Auf die Kritik, die er auf sich zog wird zu einem späteren Zeitpunkt im Text näher eingegangen.

Funktionalismus/Strukturfunktionalismus (auch: Britische Sozialanthropologie) (19./20. Jahrhundert)

Bronislaw Malinowski (1884-1942) gilt als Begründer des Funktionalismus. Er betrachtete gesellschaftliche Phänomene nach ihren Funktionen zur Erfüllung biologischer und abgeleiteter Bedürfnisse. Bei der Betrachtung der Institutionen ist für ihn deren Effizienz diesbezüglich relevant. Kultur ist die Summe der Institutionen. Der Funktionalismus wurde von Edward Evan Evans-Pritchard (1902-1973) als unzureichend kritisiert, da er der Meinung war man müsse erst die innere Struktur einer Gesellschaft verstehen, bevor eine funktionale Interpretation vorgenommen werden kann. Zeitgleich entwickelte Alfred Radcliffe-Brown die Theorie des Strukturfunktionalismus: Geschichte, Struktur und Komplexität werden zum zentralen Zugang für die Rolle sozialer Institutionen. Die Sicht der Angehörigen einer Gesellschaft ist entscheidend für die Bewertung einer gesellschaftlichen Institution, die nur aus ihrem Kontext heraus erklärbar ist. Da Struktur-/FunktionalistInnen von universellen Merkmalen aller Menschen ausgehen stehen sie in evolutionistischer Tradition und orientierten sich an weltweiten Gemeinsamkeiten kultureller Phänomene.

Neoevolutionismus (20. Jahrhundert)

Seit den 1930er Jahren und nach dem Zweiten Weltkrieg wurden neoevolutionistische Theorien entwickelt und weiterentwickelt und erlebten ihren Durchbruch in den 1960er Jahren. NeoevolutionistInnen gehen davon aus, dass gesellschaftliche Entwicklungen unterschiedlich verlaufen können, auch rückwärts. Damit wird der Idee der Entwicklung von der Rückständigkeit hin zum sozialen Fortschritt eine Absage erteilt: Der Neoevolutionismus verzichtet auf Werturteile und Vermutungen über den Untersuchungsgegenstand und setzt auf nachprüfbare empirische Belege. Einige NeoevolutionistInnen plädieren auch dafür keine hierarchische Bewertung der Kulturphänomene vorzunehmen.

Exkurs:  Trommelnde Frauen oder: Warum kontextbezogene Betrachtungen wichtig sind

Die große Errungenschaft aus den kulturrelativistischen Theorien ist die Erkenntnis, dass für das Verständnis kultureller Phänomene ein Eintauchen in die Denk- und Wertesysteme des Untersuchungsgegenstands unabdinglich ist, da es sonst unweigerlich zu Fehlinterpretationen kommt. Dies soll an einem Beispiel, mit dem ich ausführlich befasst habe, verdeutlicht werden.

Theodor Baker stellte 1882 die These auf, dass Frauen nicht gleichermaßen an indigener Musik (hier gemeint sind die First Nations in Kanada und den USA) partizipieren wie Männer. Auch heute noch wird die Repräsentation von Frauen am PowWow (Algonkin für Ratsversammlung, Zusammenkunft von nordamerikanischen Indigenen um gemeinsam zu singen, tanzen, storytelling, diskutieren, …) marginalisiert: Der PowWow sei männlich dominiert, die Rolle der Frau sei auf die einer Backgroundsängerin beschränkt, usw. Erst Ende der 1980er und in den 1990er Jahren setzte sich die Erkenntnis bei den ForscherInnen durch, dass indigene Frauen immer eine wichtige Rolle in der indigenen Musik gespielt haben und Hatton/Vander stellen fest, dass Frauen in vielen nördlichen Gemeinschaften aktiv und gleichberechtigt in die PowWow Musik involviert sind.

Trommeln ist von zentraler Bedeutung in der indigenen Musik. Die Beobachtung, dass es häufig Männer sind die trommeln führte ohne emische Betrachtungsweise der indigenen Kulturen zu Fehlinterpretationen.

Die Bedeutung der „Big Drum“ geht auf Wiyaka Sinte Win (Tail Feather Woman) zurück, einer Dakhota-Frau, die Ende des 19. Jahrhunderts lebte. Die Geschichte ist heute unter den Ojibwe weiter verbreitet als unter den Dakhota und es gibt zahlreiche Variationen, aber die Kerngeschichte lautet: Wiyakas Dorf wurde von amerikanischen Soldaten (blue coats) angegriffen. Sie versteckte sich in einem See, die meiste Zeit unter Wasser. Sie wandte sich hilfesuchend an den Schöpfer, der ihr die Vision der „Big Drum“ brachte: Das Schlagen der Trommel würde den Menschen Heilung und Einheit bringen (weshalb man heute auch von einer „Healing Ceremony“ spricht). Tail Feather Woman verließ geleitet durch den Ruf eines Spirits und der Hilferufe der Familie das Wasser und wurde von den Soldaten nicht gesehen, weil sie für diese unsichtbar war. Erschöpft und krank fand sie ihre Familie, die sie gesund pflegte. Sodann zog sie durch das Land und erzählte den Menschen von ihrer Vision und brachte die „Big Drum“-Zeremonie überall hin. Bei der ersten Zeremonie wurden amerikanische Soldaten durch das Schlagen der Trommel aufmerksam und dachten es handele sich um ein Kriegsfest – als sie aber in das Dorf kamen saßen jedoch alle friedlich zusammen. Die Soldaten wurden eingeladen, man aß und trank zusammen und ging in Freundschaft auseinander.

Der Trommel, die den Frieden bringt, symbolisiert den Herzschlag von Mutter Erde. Es herrscht die Vorstellung einer komplementären Beziehung zwischen Männern und Frauen. Die Trommel ist weiblichen Geschlechts (essence of women`s spirit) und wurde den Männern von einer Frau gebracht. Frauen sind in der Vorstellung der indigenen Gesellschaften bereits heilig, stark und machtvoll dadurch, dass sie gebären können, die Schmerzen ertragen und Leben schenken können. Männer hingegen müssen die Erdverbundenheit und das Gleichgewicht mit der Natur durch das Trommeln jedoch erst herstellen. Auch wird durch das Trommeln das Herstellen von Frieden gewährleistet, gegen die kriegerische Natur der Männer. Die weibliche Trommel und die männlichen Trommler symbolisieren das Idealbild der Beziehung zwischen Mann und Frau.

Zu der Frage ob Frauen trommeln dürfen gibt es zwischen den Stämmen unterschiedliche Meinungen:

1)      Ja, aber es ist nicht notwendig

2)      Ja, und deshalb tun sie es auch

3)      Nein

In nur sehr wenigen Stämmen ist es Frauen verboten zu trommeln. In einigen Fällen sehen Frauen das Verbot als Resultat der Internalisierung der Frauenverachtung in Folge des Kolonialismus (Übernahme von weißen Männern).

Frauentrommelgruppen sind sehr willkommen auf den PowWows und nur auf sehr wenigen nicht erwünscht. Es gibt Mixed und All Women Drum Groups. Die einzige Einschränkung: Während der Schwangerschaft oder der Menstruation darf nicht getrommelt werden, da die Frauen währenddessen besonders stark sind und die starke Verbindung mit der Trommel diese zum Zerbrechen bringen könnte.

Man muss sich also hüten aus einer Beobachtung, dass mehr Männer als Frauen auf öffentlichen Veranstaltungen trommeln, die falschen Schlüsse zu ziehen – oder im politischen Kontext verfehlte Forderungen.

Kulturrelativismus versus Universalismus ( = Politische Ebene)

Wenn politisch diskutiert wird, kommt es häufig zu einem Streit zwischen kulturrelativistischen und universalistischen Standpunkten.

Beim Universalismus handelt es sich um eine ethische Betrachtung. Ein ethisches Prinzip wird zu einem Universalismus, einem Ordnungsgesetz erhoben. Die Moralphilosophien von Platon, Aristoteles, Hegel oder Kant oder die Menschenrechtspositionen gehen davon aus, dass es nur eine gültige Ethik gibt, die für alle Menschen in allen Situationen gilt.

Der Kulturrelativismus hingegen versucht die Einstufung aller anderen Kulturen im Hinblick auf die eigene Weltanschauung zu vermeiden: Jedes Moralprinzip ist nur innerhalb einer bestimmten Kultur gültig. Deshalb gilt er in den Augen von Verfechtern der allgemeinen Menschenrechte als verpönt: KulturrelativistInnen sind in deren Augen Menschen, die den Verstoß gegen Menschenrechte als entschuldbar betrachten.

Aber: Das Prinzip der Enkulturation (Sozialisationsprozess) weist in den kulturrelativistischen Positionen darauf hin, dass Moralprinzipien wie zum Beispiel die Menschenrechte nicht einfach da sind und schon immer da waren, sondern sie wurden erst erworben. Der Universalismus hingegen geht davon aus, dass die Menschenrechte (oder andere Moralprinzipien) aus dem abgeleitet werden, „wie jeder Mensch im inneren Kern ist“ (naturalistische Argumentation).

Zwischen diesen beiden Positionen tobt so ein erbitterter Streit:

UniversalistInnen sind der Meinung, dass durch den Kulturrelativismus alle Grausamkeiten, die Menschen angetan werden, ihre Rechtfertigung finden und letztlich dazu diene, dass Kulturen sich gegen Kritik von außen völlig abschotten können. Die Kritik von FGM (Female Genitale Mutilation) würde damit beispielsweise demnach im Sande verlaufen.

KulturrelativistInnen sehen im Universalismus und den Menschenrechten dagegen ein Produkt von „Dead White European Males“ – verwiesen wird auch darauf, dass diese Gleichheitskonzepte die angeblich universell waren, immer Menschengruppen ausschlossen (im alten Griechenland zum Beispiel waren nur Bürger der Stadt inkludiert, Menschenrechte waren zunächst als Männerrechte konstituiert und schlossen Frauen von ihrer Gültigkeit aus).

Eine Kompromissposition strebt deshalb eine Kombination von kulturrelativistischen und universalistischen Prinzipien an, zum Beispiel der „schwache“ Kulturrelativismus, dem an kulturspezifischen Formen und Interpretationen von Menschenrechten gelegen ist. Dem entspricht u.a. das Vorgehen von Entwicklungszusammenarbeits-Projekten auf ein erkanntes Problem Möglichkeiten zur Vermittlung zu finden, die von den Menschen auch angenommen werden.  Ein weiterer Ansatz ist es die drei Generationen der Menschenrechte unterschiedlich zu behandeln, sprich die Menschenrechte der ersten Generation gelten als unantastbar, bei denen der zweiten und dritten Generation sind zumindest Diskussionen möglich.

Exkurs: Amnesty und die Prostitution

Amnesty International begründet seine Position der vollständigen Entkriminalisierung der Prostitution (inklusive Bordellbetrieb und Freiertum) mit dem Argument der Menschenrechte. Nach deren Meinung fällt explizit der Zugang von Männern zu Prostitution unter deren Menschenrechte, da Sexualität (am lebenden Objekt) als Grundbedürfnis konstruiert wird.

Amnesty Prostitution Policy document S.6

Amnesty Prostitution Policy document S.5

Dieses Beispiel einer bekannten und vielfach geschätzten Menschenrechtsorganisation sollte zeigen, dass das mit dem Universalismus mindestens auch nicht so eindeutig oder einfach ist.

Fazit

Wenn ich versuche eine Kultur aus sich heraus zu verstehen und soziale Mechanismen nachzuvollziehen, heißt das nicht gleichzeitig, dass ich sie legitimiere.

Wissenschaftliche Konzepte sind erst einmal wissenschaftliche Konzepte, jeweils mit ihren Vor- und Nachteilen. Manche erweisen sich als hilfreich, manche als unbrauchbar

Wissenschaftliche Konzepte sind immer auch ein Spiegel ihrer Zeit – Denk- und Wertstrukturen einer Epoche spiegeln sich mitunter in ihnen wieder.

Aus feministischer Sicht ist es nicht problematisch kulturrelativistisch zu analysieren und zu verstehen – problematisch wird es, wenn (physische oder symbolische) Gewalt gegen Frauen mit dem Kultur-Argument legitimiert wird.

Aus feministischer Sicht birgt aber auch der Universalismus die Gefahr Gewalt gegen Frauen als ethisch korrekt zu proklamieren und damit zu legitimieren (siehe das Amnesty-Beispiel).

In Kombination mit evolutionistischen Denkweisen tappt man aus feministischer Sicht meines Erachtens ebenso in eine Falle, wenn man die Lage der Frau in der „westlichen“ (zivilisierten) Welt im Vergleich zu anderen (barbarischen, im Mittelalter feststeckenden) Kulturen als „freier“ und Fortschritt hierarchisiert. Hier besteht dann manchmal auch die Gefahr des Kulturrelativismus gegenüber der eigenen Kultur.

Andrea Dworkin und andere Radikalfeministinnen haben deutlich gemacht wie die vermeintliche sexuelle Befreiung zu einem Bumerang für die Frauen in den „westlichen“ Gesellschaften geworden ist. Der Soziologie Bourdieu schreibt in seinem beachtenswerten Buch „Die Männliche Herrschaft“ (im Rückgriff auf feministische Analysen) jene Anpassungsleistungen der männlichen Herrschaft, die sich in immer anderen Ausprägungen reproduziert.

Frauen überall auf der Welt teilen sehr ähnliche Unterdrückungssymptome. Andrea Dworkin schlug vor die gegen Frauen ausgeübte Gewalt durch Männer als Maßstab für den Befreiungsgrad der Fau in einer Gesellschaft zu nehmen. Wenn mehr als jede dritte Frau in Europa Opfer von männlicher Gewalt wird, wenn in „westlichen“ Ländern die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Frauen hoch organisiert und legalisiert als Normalität gilt, erscheint es mir zynisch unsere Lage als Frauen als auch nur annähernd frei zu bezeichnen. Meine These wäre demnach: Ja, die Unterdrückung der Klasse Frau kommt in unterschiedlichen kulturellen Kontexten unterschiedlich daher. Wir sollten jedoch nicht den Fehler machen uns in einer Sicherheit zu wiegen in der wir uns nicht befinden und zu proklamieren wir seien weniger unterdrückt als „die Anderen“. Wir wurden in unsere jeweilige Unterdrückung sozialisiert, deshalb haben wir sie in vielfacher Weise unbewusst schon längst internalisiert. Woher wissen wir ob die Empfindung einer Frau aus einem anderen gesellschaftlichen Kontext, die mit der Hypersexualisierung unserer Gesellschaft und allgegenwärtigen Objektifizierung von Frauen bei uns konfrontiert wird, nicht bei ihr zu ähnlichen Bewertung („Ja in meiner Kultur werde ich unterdrückt, aber zum Glück bin ich noch ein bisschen freier als die…“) führt? Dies bringt uns nicht weiter, wir sollten schlicht dafür kämpfen, dass alle Frauen überall ein Leben ohne Gewalt, in Frieden und und ohne geschlechtsspezifische Unterdrückung leben können.

Ein Teil von mir

Tear, Träne

By NessaLand (tear) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

Ein Gastbeitrag von Laura Hertzog

Als ich ihn 2011 kennen gelernt habe, habe ich geglaubt das alles wäre ein Traum. Ich war 16 Jahre alt und hatte im Sommer gerade mit dem Abitur angefangen. Mittlerweile war es Winter, genau genommen Januar. Auf einer Disco wurden wir einander vorgestellt und es war sofort ein Draht da. Wir haben uns öfter wieder getroffen und am 12. Februar waren wir schließlich ein Paar. Ob ich wirklich verliebt war, oder ob ich nur in das Gefühl verliebt war, dass er mich scheinbar mochte… Ich weiß es nicht!

Ich weiß nur, dass er mir nach einem halben Jahr die rosarote Brille nicht einfach abgenommen hat, sie wurde mir mit einem Ruck und ohne Vorwarnung vom Kopf gerissen. Die darauffolgenden zweieinhalb Jahre hätte ich mir getrost sparen können. Streit, Wut, ständige Auseinandersetzungen, nie enden wollende Diskussionen, eine Menge Tränen meinerseits und diese Aggression. Diese schiere Kraft, die dieser 190cm Kerl hatte. Es war mehr als nur einmal verdammt knapp an meinem Gesicht vorbei.
Das Loch in der Rehgipswand seiner alten Wohnung erzählt nur eine unzähliger Geschichten, in denen er sich gerade noch zusammen reißen konnte, nicht mich, sondern einen Gegenstand zu schlagen.

Davon ab, dass unsere Beziehung in etwa funktionierte wie ein Blinker. Alle Nase lang trennte er sich von mir und kam dann wenige Tage oder Stunden später wieder zurück.
In der Zwischenzeit hatte ich mein Abitur in der Tasche und begann ein duales Studium. Unbewusst reizte ich ihn damit nur noch mehr, da ich so eine Karriere hinlegte, während er „einfach nur Krankenpfleger“ war – wie er es immer nannte. Er wollte doch so gerne auch mal Abi machen und hätte am liebsten gestern angefangen zu studieren.
Meines Wissens hat er es bis heute nicht gemacht, nicht weil er zu doof wäre, ihm fehlt der Mut einen solchen Schritt zu gehen!

In der Uni und auf der Arbeit habe ich dann gelernt, dass es ja noch andere Menschen neben ihm gibt, die mich nett finden. Ich begann mich viel zu unterhalten und das eben auch mal über Themen, die ich spannend fand! Da waren Leute, die meine Musik mochten. Er hat sie gehasst, wir haben fast nur gehört, was er mochte.
Am 1. März war es soweit! Ich konnte die ganze Nacht nicht einschlafen, habe mich rumgewälzt und gegrübelt, bis ich mich entschlossen hatte, mich von ihm zu trennen. Kaum war dieser Gedanke zu Ende gedacht, bin ich eingeschlafen wie ein Baby.
Am nächsten Tag kam er zu mir und wir führten eine dieser stereotypischen Trennungsgespräche, in denen er nicht einsehen wollte, dass ich es so meine, wenn ich Schluss mache!
Ähnlich wütend wie schon hunderte Male zuvor verließ er mein zu Hause, nur dass er nie mehr wieder kommen würde.

Bis Mitte Juni herrschte absolute Funkstille… bis wir uns auf einem Dorffest wieder über den Weg liefen. Er war äußerst nett zu mir, entschuldigte sich sogar für alle Lügen, die er über mich verbreitet hatte und wir unterhielten uns, über eine Stunde, sehr nett miteinander. In den darauffolgenden Wochen trafen wir uns mehrere Male, um einen Kaffee gemeinsam zu trinken. Immer kam ich mit dem Auto meiner Eltern zum Treffpunkt (sehr bekannte Fast Food Kette) und immer waren es sehr angenehme Abende, an denen wir uns über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft austauschten.

An jenem Abend hatten wir uns wieder einmal kurzfristig per Whatsapp verabredet, doch ich konnte das Auto meiner Eltern nicht haben, da sie selbst weg wollten. Nachdem ich ihn darüber informiert hatte, schlug er vor, er könnte mich ja gerne abholen.

Ich muss dazu kurz etwas einwerfen. Ich bin totaler Bauchmensch. Mein Bauch hat immer Recht. Nur will mein Kopf das nicht einsehen. Ich stehe vor einer Entscheidung und mein Bauch sagt sofort Ja oder eben Nein. Und dann mischt mein Kopf sich ein… er will immer erst mal noch in Ruhe über alles nachdenken, die Situation abwägen etc. Und am Ende kommt er in einem Großteil der Fälle immer auf dieselbe Schlussfolgerung, wie der Bauch sie vor Minuten, Stunden oder Tagen schon gezogen hatte. Auf meinen Bauch ist Verlass!

Ich las die Nachricht mit seinem Vorschlag und sofort schrie mein Bauch laut, ich sollte das bloß nicht machen. „Was ist denn mit dem los?“ meldete sich sofort der Kopf. „Also bitte, ihr trefft Euch ja nicht das erste Mal auf einen Kaffee und er war doch immer total nett, jetzt stell Dich mal nicht so an.“ Die Schlussfolgerung meines Kopfes klang für mich in diesem Moment vollkommen logisch. Ich befahl meinem Bauch Ruhe zu geben und wenige Stunden später stieg ich in den Wagen meines Ex-Freundes.

Mein Bauch spürte sofort, dass da etwas nicht stimmte. Irgendwas war anders. Ständig redete er über unsere Beziehung und lobte sie in den höchsten Tönen. Er erklärte mir den ganzen Abend, was er alles daran vermisse und dass er gerne nur für einen Abend alles wieder aufleben lassen würde. Mein Bauch schimpfte erneut, mein Kopf sagte wieder: „Mach Dich nicht verrückt, ist doch schön, wenn er endlich auch mal die positiven Seiten der Beziehung sieht.“

Und dann wollte er mir seine Wohnung zeigen…
Was er zunächst auch tat, bis wir im Türrahmen seines Schlafzimmers standen.
„Nur noch einen Kuss, einen allerletzten Kuss möchte ich!“ waren seine Worte, doch ehe ich auch nur irgendeine Antwort formulieren konnte, hatte er sein Vorhaben schon in die Tat umgesetzt. Jedes Mal, wenn er seine Lippen ganz kurz von meinen löste, sagte ich „Nein!“ oder „Wir sollten das nicht machen!“ Er presste mich ganz fest gegen den Türrahmen und ich wusste nicht mehr was ich tun sollte.

Wenige Minuten später hatte er mich schon auf sein Bett geschmissen und sich auf mich gestürzt. Ich murmelte immer wieder „Nein!“ Mit jedem Kleidungsstück, um das er mich erleichterte, sagte ich „Lass das!“ Er fasste mich an, genau wie früher immer und es fühlte sich so falsch an. Knappe 100 Kilogramm, verteilt auf 1,90m Mann lagen dort auf mir. Er war forsch, nicht gewalttätig, aber grob. Mit seinen großen Händen kannte er wie immer nur zwei Stellen an meinem Körper, meine Brüste und meinen Schritt. Er knetete meine Brüste so fest, dass ich stöhnen musste vor Schmerz, für ihn wohl ein Signal von Lust, denn kurz darauf…

Vor Angst war ich so angespannt, dass es unwahrscheinlich wehtat. Jeden Millimeter, den er sich nun bewegte löste Hass, Angst und Schmerzen in mir aus. Ich resignierte, nachdem ich gefühlte 100 Mal laut und deutlich „Nein“ gesagt hatte, wusste ich nicht mehr, was ich machen sollte. Ich hörte auf mich aufzubäumen und lies es über mich ergehen. Wenn Du jetzt still hältst, geht es ganz schnell, dachte ich.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich es „über mich ergehen“ lassen habe. Waren es nur wenige Minuten? Es fühlte sich an, wie Stunden, bis endlich, plötzlich seine Wohnungstür aufsprang (direkt gegenüber von der Schlafzimmertür, die nicht geschlossen war!) und seine Nachbarin dort stand und direkt auf uns drauf schaute.

Er sprang erschrocken von mir runter, lachte laut und als ihr erster Schock überwunden war, drehte sie sich auf dem Absatz um und verließ kichernd die Wohnung. Ich hatte mich nicht einen Millimeter gerührt, als er mich ansah, sich das Kondom abstreifte und mich grinsend beäugte. „Schade, dass wir das nicht zu Ende führen konnten!“ Mit diesen Worten griff er nach seinen Klamotten und begann sich anzuziehen.

Noch immer gelähmt, weil ich einfach schier überfordert mit dieser gesamten Situation war, starrte ich ihn an. „Ich bringe Dich jetzt besser nach Hause!“ sagte er, beugte sich zu mir und küsste mich noch einmal. Sofort spannten sich wieder alle Muskeln meines Körpers an. „Bitte nicht!“ schrie es in mir und er löste sich wieder von mir und verließ den Raum. Ich konnte hören, wie er sich in der Küche eine Zigarette anzündete, als schließlich auch ich aufstand und mich anzog.

Ohne weitere Vorkommnisse fuhr er mich nach Hause. Wir redeten nicht mehr viel. Als ich ausstieg wünschte er mir, mit einem widerlichen Grinsen auf dem Gesicht, eine gute Nacht und süße Träume, am besten vom heutigen Abend. Ich versuchte den Kloß in meinem Hals herunter zu schlucken und krächzte: „Gute Nacht!“ ehe ich die Haustür hinein und geradewegs ins Badezimmer ging.

Ich ging sofort duschen, schmiss alle Klamotten, die ich trug in die schmutzige Wäsche. Ich fühlte mich so dreckig. Als wäre ich mir selbst fremdgegangen und müsste nun alle Spuren beseitigen, damit ich nichts davon erfuhr.

Es klappte, zumindest eine Zeit lang. Ich begann zwei Monate später eine neue Beziehung, die bis heute anhält und wirklich wundervoll ist! Es dauerte zwei Jahre, bis ich verstand was passiert war. Beim Verkehr mit meinem neuen Partner, nach bereits zwei Jahren Beziehung hatte ich das erste Mal einen Flashback. Er lag auf mir, war zärtlich und liebevoll wie immer und plötzlich… ich schrie, ich weinte, ich hatte solche Angst vor ihm, stand kurz vorm Hyperventilieren.

Wie immer reagierte er wunderbar! Er löste sich sofort von mir, nahm mich in den Arm und lie mich einfach weinen und schreien. Er streichelte mich und sagte mir immer wieder, dass er bei mir sei und mich beschützen würde, dass alles gut sei, dass er mich liebe.

Mit diesem Flashback ging ich zu meinem Therapeuten, der mich zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 6 Wochen durch meine Depression begleitete. Nachdem wir uns einige Stunden ausführlich über das geschehene und „ihn“ unterhalten hatten, sagte er die wohl wichtigsten Worte, die jemals einer im Zuge dieses Abends zu mir gesagt hat. „Warum habe ich mich nicht gewehrt? Wie konnte ich so dumm sein und es einfach über mich ergehen lassen? Warum habe ich es nicht wenigstens versucht?“ Er lächelte mich verständnisvoll an und legte seinen Kopf leicht zur Seite. „Ich kenne ihn nicht, aber ich kann ihnen sagen, so wie sie ihn beschrieben haben, hat ihr Unterbewusstsein an diesem Abend genau die richtige Entscheidung getroffen. Sie haben sich nicht gewehrt, weil es alles nur schlimmer gemacht hätte. Er wäre gewalttätig geworden. Er hätte nicht aufgehört!“

Heute, zweieinhalb Jahre später, kann ich darüber reden, ich kann es aufschreiben, ich kann „damit umgehen“. Er wollte mir einfach nach über einem Jahr Trennung beweisen, dass er mich immer noch im Griff hat. Sein Ego hat es nicht verkraftet, dass ich ihn verlassen und damit so bloß gestellt habe.

Damals wie heute habe ich nicht angezeigt. Wie auch? Er war schlau genug ein Kondom zu benutzen und da er nicht gewalttätig war, hatte ich keinerlei Hämatome oder ähnliches vorzuweisen. Aber das ist es nicht, was mich stört. Er wird seine Rechnung bezahlen, dafür werden Karma, Schicksal, Gott oder wie man es auch immer nennen mag schon sorgen. Was mich stört ist nicht die Tat als solche, oder die Bilder, nein!

Mich stört die Tatsache, dass es ein Teil meines Lebens ist und er es entschieden hat, dass ich keinerlei Einfluss darauf hatte. Ich werde es in fünfzig Jahren noch mit mir herum tragen müssen, egal wie präsent die Bilder dann noch sind, ich hatte keinen Anteil an seiner Entscheidung.

Und wieder einmal ist es bestätigt, dass es in den seltensten Fällen „der fremde Besoffene hinterm Busch“ ist, sondern in den meisten Fällen leider jemand, der einem nahe steht. Jemand den ich geliebt habe, mit dem ich drei Jahre meines Lebens verbracht habe und dem ich vertraut habe…

Die schwarze feministische Frauenbewegung-Black History Month

sitting back not giving a fuck about what black men think or say

Wir alle kennen, oder hören immer öfter,  die neuen Schlagwörter wie „white feminism“, „critical whiteness“, die mittlerweile fast wie Beleidigungen, aber zumindest vorwurfsvoll, klingen und sich auf weiße Feministinnen und ihren Feminismus beziehen. Diese Begriffe ignorieren tatsächlich die Unterdrückungsmechanismen des schwarzen Patriarchats und fokussieren sich zunehmend ausschließlich auf weiße Frauen. Nicht, dass weiße Frauen es nicht auch verdient hätten kritisiert zu werden. Aber wie sieht wirklich der Ursprung des schwarzen Feminismus aus, der den Begriff der „Intersektionaliät“ schuf und Mechanismen der Unterdrückung anders betrachtete.

Die schwarze feministische Frauenbewegung (Black Feminist Movement) entstand tatsächlich als Antwort auf die schwarze Befreiungsbewegung (Black Liberation Movement) und der amerikanischen Frauenbewegung. Schwarze Frauen fühlten sich unterdrückt, und wurden unterdrückt, durch den herrschenden Rassismus in der, mehrheitlich weißen, Frauenbewegung. Gleichzeitig waren sie aber auch Opfer von Sexismus in der schwarzen Befreiungsbewegung. „Schwarzsein“ wurde sozusagen gleichgesetzt mit schwarzen Männern. Schwarze Frauen existierten nicht in diesem Konzept.  „Frausein“ und Feminismus wurde ebenso gleichgesetzt mit weißen Frauen.  Schwarze Frauen wurden auch hier nicht wahrgenommen, nicht wirklich. Das Ergebnis war, dass schwarze Frauen sich als unsichtbar betrachteten,  und sie erkannten, dass ihre Bedürfnisse nicht gesehen wurden. Weder in der einen Bewegung, noch in der anderen.

Die schwarze Befreiungsbewegung und einige Abgründe:

Die schwarze Befreiungsbewegung bestand eigentlich aus verschiedenen Bewegungen, wie die Bürgerrechtsbewegung,  der schwarze Nationalismus, Nation of Islam,  die Black Panthers, „the Student Nonviolent Coordinating Committee“, und viele mehr. Alle diese Teile der schwarzen Befreiungsbewegung besaßen eine Gemeinsamkeit, ein bindendes Glied sozusagen, denn das Glied, die Geschlechterzugehörigkeit zum „Mann“ spielte hier die entscheidende Rolle. Alle dieser Bewegungen richteten sich prinzipiell nur an schwarze Männer und ihre Befreiung. Freiheit wurde sozusagen gleichgesetzt mit Männlichkeit, und die Erlangung dieser Freiheit mit der Wiedererlangung von schwarzer Männlichkeit. Eine Idee die viel Verbreitung fand, war zum Beispiel, dass Männer durch Rassismus ihre Männlichkeit verlieren und verloren haben, da sie keine Macht mehr besaßen. Sie mussten in der Vergangenheit zusehen, wie ihre Partnerinnen von weißen Männern vergewaltigt wurden oder zur Zucht von einer neuen Generation von Sklaven benutzt wurden. Viele Männer in der Bewegung wollten ebenfalls die Sexualität schwarzer Frauen kontrollieren. Die sexuelle Ausbeutung schwarzer Frauen durch weiße Männer wurde ständig thematisiert und stand im Vordergrund. Sexuelle Beziehungen schwarzer Frauen zu weißen Männern wurden abgelehnt, aber für die schwarzen Männer in der Bewegung war es in Ordnung selbst sexuelle Beziehungen zu weißen Frauen zu haben. Auch in dieser Bewegung ging es sozusagen letztendlich darum, dass ein Teil der Freiheit bedeuten solle, dass Männer sexuellen Zugang zu allen Frauen haben können.

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Das Elend mit der Missy

Nicht, dass nachfolgendes nicht schon in irgendeiner Form mal gesagt worden wäre, hier und da, aber es ist aktuell wirklich ein Punkt erreicht, wo man sich nur an den Kopp packen kann.

Es geht um das Missy Magazin, und nun sind hier gleich mehrere Baustellen ersichtlich: Zum einen die Inhalte, die nur die Leute zentrieren, deren Narrative das eigene Weltbild bedient. Will heißen: Wir werden bei Missy viel lesen über den kleinen Prozentsatz glücklicher Sexarbeiterinnen, wir werden aber nichts lesen über osteuropäische Frauen in Bordellen und Laufhäusern, die den Großteil der Frauen in der deutschen Prostitution ausmachen. Wir werden lesen von den Kübras und Emines dieser Welt, die sich voller Freude im Erwachsenenalter fürs Kopftuch entschieden, aber nichts über die Millionen von Frauen weltweit, die verfolgt und reglementiert werden von Sittenpolizei, wenn man ihr Haar sieht. Wir werden lesen von Leuten, die sich für „Fatshion“ (sic!) und tumblr interessieren, von dicken Jungs in Comicpullis (no shit), aber nicht von Frauen in der Altersarmut, die nicht einmal so richtig wissen, was Blogs sind.

Ich habe Missy vor vielen Jahren gern gelesen, aber irgendwann festgestellt, dass sie inhaltlich substantiell abbauen, und so ging es vielen anderen Frauen, die ich kenne. Nun kann man das schon höchst bedauerlich finden für ein Magazin, das sich dem Feminismus widmet, aber immer mehr zum poppig-bunten Lifestyle-Blatt verkommt, das sich mehr für Identitäten als materielle Lebenswirklichkeiten marginalisierter Frauen interessiert, die keinen Zugang zur neuesten Liste von special Pronomen haben. Umso bedauerlicher mag dies erscheinen, wenn man bedenkt, dass Missy ein Blatt ist, das sich dem Antirassismus verschrieben hat und (angeblich) den Frauen, die eben nicht bessergestellt sind.

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Töten und Männlichkeit

Mann mit Gewehr

[Public Domain]

Als Zeichen der Männlichkeit wird traditionell Aggressivität und die Fähigkeit zum Töten gesehen. Es ist ein Thema, mit dem man sich beschäftigen sollte, denn es erklärt auch, als ein Faktor, die massive Gewalt an Frauen und Kindern, und natürlich auch Amokläufe, Terrorakte und „Familiendramen“. Und Gewalt fängt auch beim Verhalten gegenüber Tieren an, beim Schlachten, denn auch hier schon beginnt die „Psychologie des Tötens“. Ein Aspekt bedingt den anderen. Ja, wir müssen über das Töten und Männlichkeit sprechen.

Immer wieder wird man unverhofft mit direkter Gewalt an Tieren konfrontiert, seien es von Bäumen hängende Hasen in der Jagdzeit, auf die man während einer Fahrt mit der S-Bahn blicken muss, seien es an Gummiseilen tote hängende Meerschweinchen, die zur Fütterung in Zookäfigen hängen, oder Bräuche wie Gänsereiten in der Karnevalszeit, wo Reiter zwischen den Bäumen hängenden Gänsen den Kopf abreißen müssen. Früher wurde dies mit lebenden Gänsen durchgeführt und war auch in England und den Niederlanden üblich. Die Gewalt der Massentierhaltung ist versteckter, aber natürlich genauso grauenhaft. Alles aber sind Gesichter männlicher Gewalt, auch wenn sich einige Frauen an dieser Form der Gewalt beteiligen.

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