Schlagwort: feminismus

Privilegierte weiße Akademikerinnen!?

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Ich habe bereits vor einer Weile über den Irrtum des so genannten „intersektionalen Feminismus“ geschrieben, der ein bedeutsames Konzept der Frauenbewegung (das Konzept der Mehrfachunterdrückung) so um-interpretiert, dass plötzlich Frauen, trotz ihrer untergeordneten Position in der patriarchalen Gesellschaft, trotz der hohen Gewaltbetroffenheit völlig unabhängig von sozialer Schicht, etc. als „privilegiert“ erscheinen lässt.

Ich hatte darüber geschrieben, wie das feministische Verständnis und Bewusstsein von Frauen als sozialer Klasse, die Unterdrückung qua Geschlecht erfährt – zumeist ausgeübt über den biologisch weiblichen Körper – zunehmend verloren geht

In den vergangenen zwei Jahren hat sich diese Tendenz weiter fortgesetzt. Immer häufiger begegnet mir die Aussage weiße Frauen, insbesondere weiße Akademikerinnen, seien privilegiert. Genauso, wie ja die Feministinnen der so genannten ersten Frauenbewegung ja auch „bürgerliche“ Frauen mit ganz vielen Privilegien gewesen seien. Wie geschichtsvergessen, verstießen doch viele von ihnen nicht nur gegen gängige gesellschaftliche Konventionen (unverheiratet, nicht selten in Partnerschaften mit Frauen lebend, …) Sie brachen darüber hinaus Tabus, brachten selbstbewusst Themen auf die Agenda, wie Pornographie und Prostitution, über die Frauen nicht öffentlich zu reden hatten – und schon gar nicht in Gegenwart von Männern. Dies war weder genderkonform (der Geschlechterrolle entsprechend), noch und schon gar nicht konsequenzenlos. Viele von ihnen zahlten einen sozialen Preis für ihr Engagement.

Nun jedoch zu den vermeintlich ach so privilegierten weißen Akademikerinnen heute, und nun mal persönlich:

Ja, ich bin weiß und die Migrationsbewegungen meiner Familie bewegten sich in den zurückliegenden sieben Generationen ausschließlich zwischen Deutschland und Luxemburg.

Ja, ich habe einen akademischen Abschluss.

Und damit werde ich vom „intersektionalen Feminsmus“  oberflächlich „privilegiert gelesen“. 

An meinem Abschluss nicht ablesen lässt sich jedoch die Tatsache einer doch recht einfachen sozialen Herkunft – und auch da können wir wieder viele Generationen meiner Familiengeschichte heranziehen: Bauern, Handwerker, vagabundierende und im Wald lebende Holzfäller und Holzhackerinnen, Dienstmägde, Hilfsarbeiter, … und das bis einschließlich der Generation meiner Großeltern. In der Elterngeneration: Volkschulabschluss und Mittlere Reife. Es ist allgemein bekannt, dass erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine allmähliche Bildungsexpansion einsetzte und einige den Sprung in die (heute wieder erodierende) „Mittelschicht“ schafften. Nach wie vor, bis heute, ist jedoch die soziale Herkunft der Eltern nicht unentscheidend für den eigenen Bildungserfolg, wenngleich das Bildungssystem durchlässiger geworden ist als anno dazumal.

Mein Glück war vielleicht, dass ich zum einen sehr viel Support durch das Elternhaus in schulischen Dingen bekam. Unvergessen die frustrierenden Momente, in denen ich vor Klausuren von meiner Mutter abgefragt wurde und alles was ich oben in meinem Zimmer noch gekonnt hatte, ein Stockwerk weiter unten wieder vergessen war. Lernen fiel mir immer nur dann leicht, wenn die Inhalte mich begeistern konnten. Der sanfte „Zwang“ zum Pauken leistete sicher seinen Beitrag. Ein weiterer Faktor war sicher meine generelle Wissbegierigkeit, dass ich grundsätzlich gerne in die Schule ging, viel las – und der schon immer vorhandene Biss selbst gesetzte Ziele auch mit Fleiß und Beharrlichkeit zu erreichen. 

Auch die Zeit auf dem Gymnasium war für mich nicht das reinste Zuckerschlecken. Phasenweise war Mobbing an der Tagesordnung und zu Teilen meines Jahrgangs fand ich bis zum Schluss keinen Zugang: Weder konnte (und wollte) ich mir Markenklamotten leisten, noch konnte ich bei den tollen Geschichten über den alljährlichen Skiurlaub „mithalten“. Meine Eltern sparten das ganze Jahr eisern um uns einmal im Jahr einen Familienurlaub zu ermöglichen. So konnte ich – was fantastisch ist – schon früh sehr viele Länder bereisen. Skifahren war jedoch nie drin. 

Und überhaupt: Mit 12 Jahren habe ich begonnen mein eigenes Geld zu verdienen. Erst ein Taschengeld durch Putzen bei meiner Oma, Austeilen von Werbeprospekten im Dorf (Stundenlohn etwa 1 DM), ab ca. 15 Jahren Weinlese in den Herbstferien, neben dem Abitur dann später Nachtdienste in der Erlebnisgastronomie (mit Kegelclubs und Fussballvereinen zu „all you can Drink“ – ein ganz großes Vergnügen, ihr könnt es euch vorstellen. Sexuelle Belästigungen = Tagesgeschäft). 

Auch mein Studium habe ich mir zu weiten Teilen selbst finanziert, durch Jobs in der Gastro, dann im Baumarkt und später dann im Punk-Mailorder (geilster Job!)- und mehr oder weniger noch meinen damaligen Partner mit durchgefüttert, der zwar wesentlich mehr verdiente, aber bereits am zweiten vom Monat wegen unkontrolliertem Konsumverhalten keine Kohle mehr hatte.

Ich kann mich noch sehr gut an die unzähligen Male erinnern, bei denen wir die letzte Woche des Monats vom Flaschenpfand, Nudeln mit Maggi und granuliertem Eistee gelebt/überlebt haben. Kein Wunder, dass ich die erstmögliche Gelegenheit ergriff gutes Geld zu verdienen – auf Kosten meines Diplomabschlusses, den ich eigentlich schon fast in der Tasche hatte, die Diplom-Prüfungen schon in der Regelstudienzeit absolviert und das Studium dann doch mitten in der Diplom-Arbeit abgebrochen. Den akademischen Abschluss habe ich dann tatsächlich erst einige Jahre später im zweiten Anlauf nachgeholt.

Angesichts der hohen Gewaltprävalenzen bei geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen kann ich nur sagen, dass ich weitgehend Glück gehabt habe. Und auch wenn ich vergleichsweise wenig eigene Gewaltbetroffenheit habe, spielt u.a. die transgenerationale Traumaweitergabe auch in meiner Biographie eine Rolle – und war – aus heutiger Sicht betrachtet – vielleicht völlig unbewusst ein Motor zu meinem Engagement für Frauenrechte und in meiner Arbeit gegen Gewalt gegen Mädchen und Frauen.

Nicht angepasst zu sein und die vorgesehene Geschlechterrolle zu erfüllen, sondern laut für gleiche Rechte und gegen Unterdrückung einzutreten, hat mir wie vielen anderen Feministinnen neben vielen schönen und motivierenden Erfolgen vor allem eins eingebracht: Ausgrenzung, Hatespeech und Bedrohungen. Hier hat sich realistisch betrachtet überhaupt nichts seit der ersten Welle der Frauenbewegung geändert.

Ganz zu schweigen von (meist männlichen) Narzissten, die in mir nicht selten eine Projektionsfläche für ihre  pathologischen Handlungen gefunden haben. Wie extrem belastend so ein Verhalten sein kann, habe ich erst gemerkt, als ich mich diesen toxischen Strukturen (in dem Fall: Parteienpolitik) bewusst entzogen hatte und wieder frei atmen konnte, Nächte nicht mehr von durch Panikattacken geprägten Träumen begleitet wurden. 

Ich möchte jetzt auch gar nicht davon anfangen, wie eine Gesellschaft mit einer ganz bewusst unverheirateten und kinderlosen Frau umgeht. Welche Sprüche und Abwertungen ich mir seit spätestens meinem 30ten Lebensjahr dafür regelmäßig anhören muss, statt einfach anzuerkennen, dass das mein frei gewählter Lebensstil ist. Und wie oft ich schräg dafür angesehen werde, weil ja schließlich irgendetwas mit mir nicht stimmen muss und „irgendwann merkst du, was du im Leben verpasst hast, spätestens wenn die biologische Uhr abgelaufen ist“. – Ähm … NEIN!

Und jetzt habe ich noch gar nicht über meine Kindheit als „Tomboy“ gesprochen und das ständige Gefühl „The Odd One Out“ und durch Beschäftigung mit vermeintlichem „Jungskram“ irgendwie ein „Freak“ zu sein.

Es ist schlicht nicht zu verleugnen, dass fast alle negativen Erfahrungen, die ich in meinem Leben machen musste, auf mein (biologisches) Geschlecht und Geschlechterrollenerwartungen zurückzuführen sind. 

All das zählt jedoch für den „intersektionalen Feminismus“ nicht. Weiß, Akademikerin, Stempel drauf, fertig. 

Nicht, dass das hier falsch verstanden wird: Ich hadere mit nichts und bin glücklich über mein Leben und meinen Lebensweg, die wertvollen Erfahrungen die ich sammeln konnte – selbst dann wenn sie negativ waren. So abgedroschen es klingt: Alles davon hat mir geholfen zu der Person zu werden, die ich heute bin. 

Aber was ich mir verbitte, ist die Unterstellung eines vermeintlichen Privilegs.

Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen der (völlig korrekten) Aussage „Es gibt Frauen, die sind nicht nur als Frau, sondern mehrfach unterdrückt“ und der (schlicht falschen) Aussage, es gäbe privilegierte Frauen im Patriarchat. Einer Gesellschaft, die Männern grundsätzlich mehr Wert zumisst als Frauen. 

Feminismus 2020. Bestandsaufnahme anlässlich des 8. März in Berlin.

Bild- Text: „Dies ist keine Fiktion. Dies ist real. Die Freiheit der Rede für Frauen beginnt mit ihrer körperlichen Integrität, die wahr und real und ehrlich und absolut ist. Es gibt keine Ausnahmen.“
„Es gibt keine Ausnahmen für Männer, die privilegiert sind, um einzudringen. Und es gibt keine Ausnahmen für Frauen, wo gesagt wird: ‚Ach ja, das darfst Du nicht mit dieser Frau machen, aber siehst du die da drüben? Ja, das ist okay, mach es mit ihr. Die vermisst keine.‘ “ Wir vermissen sie. Wir wollen sie zurück. Andrea Dworkin, zu Pornografie und „Redefreiheit“.

Frauenbezogene Kontroversen 2020: „Wir entschuldigen uns für die Existenz anderer Meinungen“ …. zum „Frauen*kampftag“ in Berlin

Der Internationale Frauenkampftag hat eine stolze Geschichte. Er begann mit Gewalt gegen politisch aktive Frauen:

Am 8. März 1909 wurde er das erste Mal als Tag der Rechte von Arbeiterinnen und der Frauenrechte in den USA abgehalten. Organisiert hatte ihn die Socialist Party of America, die damit an den 8-tägigen Streik der Textilarbeiterinnen aus dem Jahr 1908 erinnerte, der wiederum der Streiktage von Textilarbeiterinnen aus den Jahren 1857 und 1858, ebenfalls in New York, gedachte. 1857 brach während des Streiks in der Fabrik ein Brand aus, und da die Türen und Notausgänge verschlossen waren, um eine Zusammenarbeit der Frauen mit anderen Arbeitern während des Streiks zu verhindern, starben 129 Textilarbeiterinnen im Feuer.  (1)

1910 schlug die deutsche Sozialistin Luise Zietz (2) auf dem 8. Internationalen Sozialistenkongress der Sozialistischen Internationalen (3) in Kopenhagen vor, diesen Tag grundsätzlich zum Internationalen Tag der Frau zu erklären. Die Delegierten, darunter 100 Frauen aus 17 Ländern, verpflichteten sich gleiche Rechte für Frauen und das Frauenwahlrecht zu unterstützen. Vorausgegangen war Ende August die Zweite Internationale Sozialistische Frauenkonferenz (4), auf der Clara Zetkin (5) die Einführung eines internationalen Frauentags eingebracht hatte. Am 19. März 1911 wurde der Internationale Tag der Frau erstmalig in Deutschland, Österreich, Dänemark und der Schweiz abgehalten, über 1 Million Frauen und Männer nahmen daran teil. 1913 organisierten Frauen in Russland ihren ersten internationalen Frauentag, am 8. März 1914 demonstrierten Frauen europaweit für Solidarität und Frieden, 1917 hielten wieder russische Frauen einen Tag für „Brot und Frieden“ ab.  Holland, Frankreich, Schweden und nach 1918 die damalige Tschechoslowakei zogen nach. In den 20er-Jahren gewann der Internationale Frauentag als Kampftag immer mehr an Bedeutung und es kamen Länder der ganzen Erde dazu: China, Japan, England, Finnland, Estland, Litauen, Polen, Bulgarien, Rumänien, Türkei und Iran. Zu Beginn der 30er-Jahre wurden die Internationalen Frauentage angesichts der drohenden faschistischen Gefahr ein Sammelbecken gegen den Faschismus. Unter den faschistischen Diktaturen in Europa wurde der Internationale Frauentag verboten. (6)

Die UN zog nach, als sie 1975 als das Internationale Jahr der Frau und den 8. März zum internationalen Tag der Frau (und des Friedens) ausriefen.  Der Song dazu kam von Helen Reddy: I’m a woman, hear me roar. (7)

Nun zu Berlin, Deutschland, 2020.

Da die Frauenbewegung idealerweise aus sehr vielen Frauen mit vielen verschiedenen Erfahrungen besteht, die durch ihre verschiedenen Positionen innerhalb der patriarchalen Gesellschaft sehr unterschiedliche Wahrnehmungen mitbringen und sehr verschiedene Einblicke deutlich machen können, sind Meinungsverschiedenheiten zu erwarten und vor allem zu wünschen: Wie sollte eine Bewegung alle Frauen erreichen und ihre Ziele einbinden, wie könnten wir zu echten Gemeinsamkeiten kommen, wenn es diese Kontroversen nicht gäbe? Und was bedeutet es für uns, wenn solche Kontroversen nicht engagiert, aber dennoch vernünftig ausgetragen werden können?

Die Organisator*innen des 8. März in Berlin haben in ihrem Statement nach der Demonstration befunden, dass Schilder mit Aufschriften zur Abschaffung der Prostitution und gegen die Essentialisierung von Geschlechterrollen eine schlimmere Gewalt darstellen als eine auf Frauen geworfene Glasflasche.

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Frauen aus Till Lindemanns Porno-Musikvideo erhalten Todes- und Vergewaltigungsdrohungen

Wir veröffentlichen nachfolgend ein Statement von russischen Feministinnen

Ende Februar hat der Rammstein Sänger Till Lindemann einen Porno mit russischen Frauen veröffentlicht. Aufgrund des Inhaltes wurde das Video nicht auf den regulären Social Media Kanälen des Sängers veröffentlicht, sondern auf einer Porno-Plattform. Nutzer von russischen Seiten wie “2ch” und des frauenverachtenden sozialen Netzwerkes “Männlicher Staat” (Мужское государство) haben die Identität einiger dieser Frauen enttarnt und deren Instagram-Profile, Profile auf dem russischen Netzwerk VK und sogar einige Privatadressen öffentlich verfügbar gemacht. Danach erhielten die Frauen hunderte von Nachrichten mit Beleidigungen, Todes- und Vergewaltigungsdrohungen. Bald darauf haben die meisten der Frauen ihre Online-Profile gelöscht.

Die Journalistin und Gründerin des feministischen Telegram-Kanals “Female Power”, Zalina Marshenkulova (Залина Маршенкулова) setzte sich für die Frauen in dem Video ein und erhielt daraufhin ebenfalls Beleidigungen und Drohungen. Sie erstattete Anzeige bei der Polizei und wies daraufhin, dass man sie verprügeln, vergewaltigen und mit Säure verätzen will. Zalina ist schwanger und leider angreifbar, da die russische Regierung ihr Personenschutz verweigert.

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Das Missverständnis um die Intersektionalität – und die Konsequenzen daraus

Seit geraumer Zeit stellen wir immer wieder fest, dass das wichtige Konzept der Intersektionalität im Queer-/Liberalfeminismus in einer Art und Weise gebraucht wird, welches es in seinem ursprünglichen Sinn und Intention unbrauchbar macht. Wie so viele feministische Konzepte im Laufe der Zeit „geschrottet“ wurden, so erging es auch diesem.  

Ich konnte bisher nie so ganz greifen, was genau da schief gelaufen ist. Bis zu dieser Woche, bei einer Veranstaltung an der Uni Mainz mit der Taz- und Missy Magazin-Autorin Hengameh Yaghoobifarah. Bisher dachte ich nämlich immer, der Fehler in der Rezeption bestünde ausschließlich darin, dass Mehrfachdiskriminierungen von der Kategorie Geschlecht (im Sinne von „sex“, nicht „gender“) abgetrennt und munter aufaddiert würden. Tatsächlich habe ich jetzt verstanden, dass der Dritte Welle Feminismus einem grundlegenden Missverständnis aufgesessen ist, welches mir nun auch einige irritierende politische Aktionen aus diesen Reihen der letzten Jahre erklärt.  Aber dazu am Ende mehr.

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Feministische Praxis nicht nur für die, die wir mögen

Zugegeben: Als ich die Schlagzeile las, dass die Betreiberin einer Escort-Agentur und „Sexarbeiterin“ Salome Balthus von der Zeitung die Welt in der sie seit einigen Monaten eine Kolumne unter dem Titel „Das Kanarienvögelchen“ schrieb, gefeuert wurde, dachte ich mir „Das wurde aber auch Zeit“. War es mir doch völlig schleierhaft, warum sie diese Möglichkeit überhaupt erst bekommen hatte. Ob einer die Inhalte oder der Schreibstil einer anderen Person gefallen oder nicht, ist ja eher subjektiv und Geschmackssache.

Politisch jedoch hatte ich in mehrfacher Hinsicht ein Problem mit dem Podium, welches ihr dort geboten wurde: Zum einen halte ich es nach wie vor für unerträglich, wie viel Raum Mainstream-Medien jenen Menschen einräumen, die sich für die Erhaltung einer der patriachalsten und frauenfeindlichsten Institutionen unserer Gesellschaft, der Prostitution, stark machen – ohne gleichermaßen auch jenen Frauen in und außerhalb der Prostitution diesen Raum zuzugestehen, die Prostitution als kommerzialisierte sexuelle Gewalt empfinden und für eine Welt ohne Prostitution und Frauenverachtung kämpfen. Dem Netzwerk Ella beispielsweise kommt dieses Privileg nicht zu. Dies ist jedoch den jeweiligen Medien und einer Gesellschaft anzulasten, die natürlich lieber jenen ein Sprachrohr verleiht, welche die gegebenen Machthierarchien stärken – und eben nicht jenen, die diese in Frage stellen.

Unklar ist, ob Balthus an der Prostitution der auf ihrer Agentur-Seite angebotenen Frauen verdient. Ist dem so, dann wäre dies in meinen Augen moralisch verwerflich und nach dem von mir und uns vertretenen Nordischen Modell kriminell und strafbar. Dass sie sich, ihre Agentur und ihre „Hetären“-Kolleginen angesichts des Bewerbungsfragebogens auf der Seite offensichtlich für besonders elitär und intellektuell hält: geschenkt.

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Die diskriminierenden oder die diskriminierten Lesben? Erfahrungsbericht einer Lesbe im Radikalfeminismus

Radikaler Feminismus. Endlich ankommen und verstanden werden nach zunehmenden Anfeindungen und Überwerfungen im Queerfeminismus. Mein Hafen.

So ging es mir lange Zeit. Doch es gibt einen Streitpunkt, der mir zunehmend an die Substanz geht. Manchmal frage ich mich, ob ich noch richtig bin im radikalen Feminismus.

Schon als ich vor einigen Jahren Radikalfeminismus für mich entdeckte, gab es immer wieder Diskussionen, in denen einige Frauen von einem „lesbischen Feminismus“ berichteten. Mich interessierte das damals nicht besonders, denn ich hätte mich zu der Zeit nicht als Lesbe bezeichnet. Außerdem verstand ich nicht, was das sollte. Wir im Radikalfeminismus kämpfen doch für alle Frauen, wofür da ein eigener lesbischer Feminismus?

Dann lernte ich Lesben kennen, erst online und dann auch ganz in echt. Diese Lesben erzählten davon, wie unsichtbar sie sich oft fühlten, auch in radikalfeministischen Kontexten. Ständig gehe es nur um Hetera-Sex und wie Heteras es vereinbaren können, Feministin zu sein und trotzdem Männer zu lieben. Lesben? Achso, naja klar, die gibt’s halt auch, will ja auch niemand bestreiten. Aber sie müssen sich schon bemerkbar machen, von alleine denkt niemand an sie.

Ich merkte zunehmend, dass ich mich in lesbischen Kreisen sehr wohl fühlte. Ein wenig fehl am Platze, denn ich hielt mich ja zu der Zeit für keine Lesbe, aber irgendwie sehr geborgen. Mir gefiel es so fantastisch, dass sich die Debatten nicht ständig um Männer drehten, sondern einzig und allein Frauen im Zentrum standen. So hatte ich mir Feminismus immer gewünscht.

Irgendwann war ich dann mal wieder auf einer Frauenveranstaltung, die überwiegend von Heteras besucht wurde. Eine Frau sprach von „ihrem Mann“ und ich war einen Moment lang völlig irritiert. Ich war so sehr in lesbische Veranstaltungen involviert gewesen, dass ich ganz vergessen hatte, dass es auch Hetera-Feministinnen gab.

Ungefähr ab diesem Zeitpunkt fing ich an, mich in bestimmten radikalfeministischen Kreisen unwohl zu fühlen. Diskussionen gelangten immer wieder an den Punkt, an dessen Ende die entscheidende Frage stand, ob sich radikaler Feminismus und (Liebes-) Beziehungen mit Männern ausschließen. Die meisten Heteras sagten Nein, viele Lesben Ja, und nicht selten lieferten sich beide Seiten eine Schlammschlacht.

Ich wollte der Sache näher auf den Grund gehen und begann, in klassischer feministischer Literatur nach Anregungen zu suchen. Neben Sheila Jeffreys war es auch Simone de Beauvoir, die bei mir für ein entscheidendes Aha-Erlebnis sorgte. Sie führt in „Das andere Geschlecht“ aus, warum es für Frauen so schwer bis unmöglich ist, sich aus ihrer Unterdrückung zu befreien. Ihre Antwort ist ebenso simpel wie grandios: Weil Frauen die einzige unterdrückte Gruppe sind, die sich mit ihrem Unterdrücker stärker solidarisieren als mit ihren Schwestern. Während sich etwa JüdInnen oder PoC (People of Colour) viel stärker zusammenschließen (sowohl räumlich als auch emotional), leben Frauen mit Männern zusammen – freiwillig. Keine Person of Colour würde freiwillig mit einem Rassisten ihr Leben teilen (und ja, mir ist klar, dass dieser Vergleich hinkt, weil Männer im Gegensatz zu Rassisten nicht alle Arschlöcher sind – not all men und so, aber ich glaube, der Grundgedanke wurde klar). Wer dieses Prinzip durchdrungen hat, versteht auch, warum Heteronormativität so immens wichtig ist, um das Patriarchat aufrecht zu erhalten. Denn nur so kann das System funktionieren: durch die Selbstzerfleischung zwischen Frauen gepaart mit der Liebe von Frauen zu Männern.

Als ich den Artikel „Politisch und sexuell? Lesbisch!“ veröffentlichte, wurde ich von verschiedenen Heteras angegangen, die sich (wahlweise von mir persönlich oder gerne auch allgemein von „den Lesben“) diskriminiert fühlten. Klar, Lesben diskriminieren Heteras. Strukturelle Analyse lässt grüßen. Mir fällt dazu ein: Getroffene Hunde bellen. Auch ich kenne das. Es gibt Männer, die mir wichtig sind (woran ich auch nichts ändern möchte) und deren Verhalten ich oft nicht mit meinen Überzeugungen vereinbaren kann. Wenn mich jemand darauf anspricht, bin ich getroffen. Weil mir diese Männer wichtig sind. Mir ist das bewusst. Manchmal finde ich es blöd, manchmal nicht so schlimm, aber es ist mir bewusst: Mein feministischer Anspruch und meine Lebensrealität sind oft widersprüchlich.

Ich denke dann oft an die Analogie des Beine-Rasierens: Viele radikale Feministinnen kritisieren es, wenn Frauen äußern, sie würden sich ja gar nicht für Männer rasieren, sondern fänden es eben an sich selbst schöner so. Zu Recht, denn diese Darstellung lässt außer Acht, dass wir alle patriarchal sozialisiert wurden, d. h. wir lernen alle von klein auf „Haare an Frauenkörpern sind eklig“. Und mit einer heteronormativen Sozialisation verhält es sich eben ganz genauso. Fast alle denken bei dem Wort „Sex“ an PiV (Penis in Vagina) – selbst viele Lesben. Aber Sexualität ist so viel mehr. Uns wird so oft vermittelt, wir müssten doch irgendwie tief in uns spüren, zu welchem Geschlecht wir uns hingezogen fühlen. Plump formuliert: ob uns nun Penisse oder Vulven antörnen. Das ist ein hochgradig patriarchaler Gedanke. Weil das Patriarchat eben durch Heteronormativität und solche Vorstellungen von Sexualität und körperlicher Anziehung funktioniert.

Berichte von lesbischen Feministinnen aus den 70er-Jahren können gerade jüngeren Frauen dabei zum Beispiel sehr die Augen öffnen. Es ging nicht hauptsächlich darum, als Frau Sex mit Frauen zu haben, sondern vielmehr darum, gemeinsam zu wohnen, Frauen das eigene Leben zu widmen, sie zu lieben (und ich gebe hier jetzt bewusst keine Definition von Liebe). All das ist lesbisches Leben und Wirken.

Ich schaffe es übrigens auch nicht, mich nicht zu rasieren. Mir ist aber völlig klar, dass das ein Widerspruch und nicht mit meiner feministischen Grundhaltung zu vereinbaren ist. Ich deute das nicht um und erzähle Menschen, Beine rasieren wäre ein feministischer Move. Nicht alles, was ich tue, ist feministisch, und das ist wohl bei uns allen so. Wichtig finde ich, das für mich selbst zu wissen, zu reflektieren, mich immer wieder zu fragen, warum ich mich mit welchen Menschen umgebe oder bestimmte Dinge tue (ob ich sie dann ändere, ist dann erst die zweite Frage). Lesben anzugreifen ist jedenfalls so ziemlich der unfeministischste Akt, den es gibt.

Radikale Feministin zu sein und gleichzeitig lesbisch zu leben, ist oft kein Zufall, sondern eine logische Konsequenz –  die praktische Umsetzung einer Theorie, wenn man so möchte. Denn beides gründet sich in der Liebe zu Frauen.

Im radikalen Feminismus fühle ich mich oft nicht zu Hause, weil Lesben nicht selten mindestens ausgeklammert werden, während mir der lesbische Feminismus oft zu wenig radikalfeministisch ist. In reinen Lesbengruppen gibt es häufig keinen Konsens über Prostitution und die Transthematik, wie er sich im Radikalfeminismus findet. Zwar ist kontroverser Meinungsaustausch prinzipiell immer zu begrüßen, aber oft beginnen Diskussionen dann, sich im Kreis zu drehen und ich habe häufig einfach keine Lust, zum tausendsten Mal erklären zu müssen, warum Prostitution Gewalt gegen Frauen ist.

Ich glaube, ich muss mich damit abfinden, dass ich nirgendwo wirklich dazu gehöre. Vielleicht ist das aber auch gar nicht so schlecht. Denn wenn man von allen Seiten Zuspruch erfährt, ist das meist ein klares Indiz dafür, dass man den Status Quo stützt.

Ich bin eine Frau – nicht nur am Frauentag

Ich bin eine Frau. Dieser Satz ist ebenso simpel wie allumfassend. Er bestimmt mein ganzes Leben und auch das meines Umfeldes. Ich werde als Frau wahrgenommen, als Frau behandelt, wurde als Frau geboren, werde als Frau sterben.

Die Hälfte der Weltbevölkerung besteht aus Frauen. Trotzdem ist vielen nicht bewusst, was das eigentlich bedeutet: eine Frau zu sein. Mein Umfeld meldet mir häufig zurück, ich solle mich nicht so sehr darauf versteifen, denn ich wäre ja noch viel mehr als eine Frau. Bin ich das?

Natürlich, es gibt vieles, was mich ausmacht. Ich bin Erziehungswissenschaftlerin, Studentin, Läuferin, Hundebesitzerin. Ich bin lesbisch. Ich bin manchmal wild entschlossen, manchmal sprachlos, mal laut, mal leise. Ich bin hitzköpfig, denke über alles endlos nach, bin zielstrebig und ehrgeizig. Und all das bin ich: als Frau.

Erst seit ein paar Jahren ist mir bewusst, was das in seiner Gänze bedeutet. Als ich ein Mädchen war, wusste ich natürlich, dass ich irgendwann mal eine Frau werden würde. Ich hörte einmal, wie sich meine Mutter mit einer Freundin darüber austauschte, ob ihre Töchter denn schon ihre Tage hätten. Das wäre ja ein wichtiger Schritt, damit würde sich nun vieles ändern. Wenn du deine Tage hast, bist du deinem Schritt zur Frau ein gutes Stück näher gekommen. Du wirst bald mit Männern Sex haben, du kannst nun schwanger werden. Das ist es, was dich als Frau ausmacht.

Etwa im gleichen Alter gab es in der Schule unter uns Mädchen nur ein Thema: unsere Zukunft. Den wenigsten ging es dabei darum, die eigenen Stärken auszubauen und zu verwirklichen. Nein, Zukunft bedeutete, sich auszumalen, wie der künftige Ehemann aussehen sollte, wie viele Kinder man mit ihm zeugen würde und wie das Einfamilienhaus auszusehen hätte.

Kurze Zeit später wurde mir auch physisch bewusst, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Meine Brüste waren nun deutlich wahrnehmbar, und auch ich nahm mich anders wahr. Mir wurde mit voller Wucht bewusst, dass dieser Körper nicht mir gehörte. Er war ein Buffet: Männer bedienten sich an verschiedenen Stellen, wie es ihnen gerade genehm war. Und ich sollte mich daran erfreuen. Denn ich war ja eine Außenseiterin, aber plötzlich hatte ich große Brüste und damit doch eine Chance auf Aufstieg.

Die Schule hatte großen Anteil daran, dieses Gerüst aufrechtzuerhalten. Es war so selbstverständlich, dass es immer nur um Männer ging, dass es niemandem von uns auffiel. Dass es immer wieder Frauenbewegungen gab, dass wichtige Philosophinnen, Ärztinnen und Naturwissenschaftlerinnen Geschichte geschrieben haben, das lernte ich erst im Studium.

Dass sich Männer, und zwar ganz besonders Männer in Machtpositionen, alles erlauben dürfen, das lernte ich hingegen schon in der Schule. Ich erinnere mich noch gut an einen Lehrer, der Schülerinnen regelmäßig zu nah kam. Wenn wir Gruppenarbeit machten oder eine Frage stellten, kniete er sich vor unsere Tische, so dass sein Gesicht nur wenige Zentimeter von unserem entfernt war. Als dies auf einem Elternabend thematisiert wurde, grinste besagter Lehrer breit und süffisant und belehrte unsere Mütter, so wäre das eben in dem Alter, wir würden uns das eben alle wünschen und uns deshalb einbilden, es würde passieren. Die Allmachtsfantasien eines Junglehrers: eine ganze Klasse 14-jähriger Mädchen fährt voll auf ihn ab.

Es passierte natürlich nichts weiter und die Botschaft an uns lautete: So ist er eben. Müssen wir mit umgehen. Pech gehabt.

Eine Botschaft, die sich durch mein Leben als Frau zieht. Ich habe Pech gehabt. Ich gehöre zu der Hälfte der Weltbevölkerung, die keine Rechte hat. Dieser Gedanke, wenn man ihn einmal wirklich zulässt, ist ein vernichtender. Mich hat er in eine tiefe Krise gestürzt. Ich verstehe, warum ihn so viele Frauen nicht zulassen und zu Ende denken möchten. Aber nur das kann uns letztendlich befreien. Wir müssen konsequent zu Ende denken. Wir müssen uns mit unserer Geschichte als Frauen beschäftigen. Wir müssen verstehen, und zwar wirklich verstehen, bis in die letzte Zelle unseres Körpers, was es bedeutet, im Patriarchat eine Frau zu sein.

Morgen ist Frauentag und ich habe lange überlegt, auf eine Demo in meiner Stadt zu gehen. Letztlich habe ich mich dagegen entschieden. Im Veranstaltungstext heißt es, man gehe auf die Straße, um sich gegen alle möglichen Diskriminierungsformen zu positionieren. Wir stellen die Hälfte der Weltbevölkerung, aber nicht einmal an einem einzigen Tag im Jahr dürfen wir einfach nur für uns auf die Straße gehen? Niemand käme auf die Idee, bei einer Demo gegen die Macht von Großbanken darauf zu bestehen, gleichzeitig auch für die Rechte von nicht-binären Personen zu demonstrieren. Selbstverständlich ist die Demo außerdem offen für alle, die sich solidarisch zeigen möchten. Macht ja aber ohnehin keinen Unterschied mehr, wenn ohnehin alle eingeschlossen sind, die sich als Frauen identifizieren.

Meine feministische Vision ist eine andere. Ich möchte nicht am Frauentag gemeinsam mit Männern auf die Straße gehen in der Hoffnung, dass wir ja in naher Zukunft ganz gleichberechtigt nebeneinander leben könnten. Es wird nicht passieren, denn Männer haben nicht das geringste Interesse daran. Sie alle profitieren vom Patriarchat. Frauen sind die einzige unterdrückte Gruppe, die mit der Überzeugung aufwächst, dass ihr Unterdrücker zum wichtigsten Menschen ihres Lebens werden muss. Dass sie Kinder mit ihrem Unterdrücker haben, ihn lieben und als ihren Retter ansehen soll.

Solange wir mit Männern zusammen leben, sie uns wichtiger sind und wir uns solidarischer mit ihnen zeigen als mit anderen Frauen, ja, als mit uns selbst, solange wird sich außer ein paar Schönheitsoperationen am Patriarchat nichts ändern. Das haben mich die feministischen Klassiker, unsere Vordenkerinnen, gelehrt. Das System Patriarchat kann nur dann nicht mehr funktionieren, wenn Frauen nicht mehr mitmachen. Wenn Frauen eigene Kulturen bilden, nicht mehr mit ihrem Unterdrücker zusammen leben, sondern sich gegenseitig ihr Leben und Wirken widmen. Das ist eine unpopuläre Position, selbst in feministischen Kreisen, und ich rechne auch dieses Mal wieder mit viel Kritik dafür. Denn diese Position bedeutet, alles neu denken zu müssen, auch bestimmte Dinge aufgeben zu müssen. Aber sich einem System zu verweigern, das unser ganzes Leben bestimmt, erfordert nun einmal drastische Maßnahmen.

Ich werde es mir morgen bei mir zu Hause gemütlich machen. Mit meiner Hündin, auf meinem Sofa, mit Büchern von Mary Daly, Audre Lorde und Sheila Jeffreys. Für meinen persönlichen Frauentag.

Ein Plädoyer für die feministische Aufmüpfigkeit

Woman Power Symbol, Feminist Fist

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Oder: Der Tag, an dem ich meine eigene Heldin wurde

November 2017. Ein sozialpädagogisches Masterseminar an einer norddeutschen Hochschule. Es geht um Interventionsmöglichkeiten bei sexualisierter Gewalt. Ich bin Studentin, die an diesem Seminar teilnimmt, und habe dort etwas erlebt, was ich nicht für möglich gehalten hätte, zumindest nicht an diesem Ort.

In der vorletzten Seminarsitzung hielt ein Kommilitone ein Referat, in dem er eine Statistik vorstellte, wonach Lesben, Schwule, Trans- und Inter-Personen besonders häufig von sexueller Gewalt und Diskriminierung betroffen wären. Er merkte daraufhin an, dass es nicht richtig wäre, diese Personengruppen immer nur als Opfer zu stilisieren, denn sie wären meist auch die Täter. In seinem Studiengang hätten „alle Homosexuellen“ Heterosexuelle gestalked, und dieses Verhalten könne er auch erklären: Aids-Medikamente würden nämlich Borderline verursachen, und da ja alle Schwulen Aids-Medikamente nehmen, wären das eben alles Narzissten. Und man dürfe auch nicht vergessen, Schwule würden nicht auf Schwule stehen, sondern auf Männer, und Lesben auf Frauen, nicht auf Lesben.

Ich war im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos und durchlief innerhalb weniger Minuten mehrere Gefühlslagen. Nachdem ich erst dachte, ich hätte mich sicher verhört oder etwas falsch verstanden, wurde ich dann immer ungläubiger und saß irgendwann einfach völlig fassungslos da und habe gewartet, dass endlich jemand interveniert- wenn niemand der Studierenden, dann doch wenigstens die Dozentin. Aber es passierte- nichts. Ein paar wenige Richtigstellungen am Ende des Referates, dann kam der Übergang zum nächsten Vortrag. Ein Übergang, den alle mühelos zu bewerkstelligen schienen. Ich nicht. Homophobe Verschwörungstheorien in einem Master-Seminar und niemand sagt etwas dagegen?

Danach begann es in mir zu arbeiten. Ich sprach die Dozentin nochmal an, ob der Vorfall nun so stehengelassen würde. Daraufhin bot sie mir an, etwas vorzubereiten und in der nächsten Seminarsitzung vorzustellen. Das war immerhin etwas, aber nicht das, was ich mir gewünscht hätte. Ich fühlte mich in meiner Wahrnehmung nicht ernst genommen. Wieder einmal war ich die hysterische Studentin, die alles problematisiert und dramatisiert. Die, die immer das nervige generische Femininum benutzt und für die alle Männer unter Generalverdacht stehen. Die Feministin eben.

Und dann habe ich das getan, was ich immer mache, wenn ich aufgebracht, wütend, durcheinander, alles zusammen bin: Ich habe geschrieben. Einen Text, den ich eigentlich für mich behalten wollte, weil er doch so persönlich geworden ist, dass ich ihn nicht mit dem gesamten Seminar teilen wollte- einem großen Seminar, in dem ich mit kaum einer Kommilitonin bisher ein Wort gewechselt hatte. Aber dann reifte in mir der Entschluss, gerade diesen Text vorzulesen. Weil persönliche Texte eben nochmal ganz anders aufrütteln und berühren als Statistiken.
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Marilyn Frye: Wer will ein Stück vom Kuchen?

Quelle: https://alchetron.com

Übersetzung von Passagen aus dem Text „Who Wants a Piece of the Pie“ aus „Willful Virgin: Essays in Feminism (1992, The Crossing Press). Den vollständigen Text findet ihr hier.

1976

Für Feministinnen besteht das allgegenwärtige moralische Problem in Bezug darauf wie man leben sollte darin, das eigene Leben mit den feministischen Werten in Einklang zu bringen. […] Kurz gefasst: Wir müssen uns um unsere Existenzsicherung und etwas darüber hinaus kümmern, wir wollen diese auf eine gesunde Art und Weise verdienen, und all das müssen wir in einer uns feindlich gesinnten, sexistischen Gesellschaft schaffen. Wenn wir uns die Leben von Menschen allgemein mal anschauen, dann scheint es fast schon ein Luxus zu sein, mehr als die Existenzsicherung zu verlangen, und es könnte naheliegend sein zu sagen, dass in einer feministischen Ethik Luxus fast schon elitär erscheint. Da ist etwas dran, aber das ist nicht alles. Zum einen kann es schon sein, dass Revolution so etwas wie Luxus ist – denn man findet ihr Momentum nicht unter den richtig Bettelarmen. Auf der anderen Seite: Wenn es als Luxus angesehen wird, Ressourcen über dem Existenzminimum zu haben, dann wurden wohl viele von uns in den Luxus hineingeboren, genauso sicher wie wir in unsere Unterdrückung als Frauen hineingeboren wurden […].

Für manche von uns ergibt sich dieses Dilemma konkret in Bezug auf Arbeit und Privilegien. Einige Feministinnen haben Zugang zu Positionen im Establishment oder einer Profession, oder streben dies an. […] Es gibt Feministinnen, die demgegenüber misstrauisch sind und die geneigt sind, solche Möglichkeiten oder Hoffnungen aufzugeben, als Teil ihrer Ablehnung von Klassenprivilegien.

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Der Irrtum des Anti-Verhüllungsgebots

Niqab

In Österreich haben SPÖ und ÖVP in Einklang mit dem europäischen Gerichtshof entschieden, dass in der Öffentlichkeit ein Vollverschleierungsverbot bzw. ein „Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz“ gilt. Sprich, Niqab und Burkas, die das Gesicht verstecken, sind ab sofort verboten und werden mit Geldstrafen von 150,- Euro geahndet. Vor Allem Beamte am Flughafen sollen in hohem Maße zum Einsatz kommen und das neue Gesetz „mit Fingerspitzengefühl“ durchsetzen. Es sind allerdings nicht nur Burkas, sondern auch andere Sichthindernisse, wie Atemschutzmasken (ohne medizinischen Grund), Maskierungen o.ä. (außer zur Faschingszeit) untersagt. In Saudi-Arabien wurde daraufhin eine Reisewarnung für Österreich ausgesprochen.

Nun gut. Da könnte frau im ersten Moment denken: „Toll, Österreich tut was für die Befreiung der Frau!“ Denken wir einen Schritt weiter, wird klar, nein. Das ist genau das Gegenteil. Wir müssen uns nicht darüber streiten, dass eine Vollverschleierung antifeministisch ist. Aber wenn wirklich etwas FÜR Frauen getan werden soll, dann bitte doch nicht, indem man einigen von uns ein weiteres Verbot auferlegt!

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