Kategorie: Feminismus

Die Rückkehr des Feminismus: Mit Hoffnung ins Jahr 2023!

"If I had a hammer… I'd SMASH Patriarchy"

T via Flickr, [CC BY 2.0] I FOUND IT!

Der Jahreswechsel ist für mich immer ein Anlass über das Vergangene zu reflektieren und die nächste Zeit zu planen: Wie geht es mir? Was (oder wer) kann bleiben? Was (oder wer) muss gehen? Womit möchte ich in den nächsten Jahren die kostbare Lebenszeit verbringen und welche meiner unzähligen Interessen verfolgen? Welche zurückstellen?

Dabei wurde mir klar, dass mein feministisches Awakening vor genau zehn Jahren begann.
Klar: Auch vorher habe ich mich als Feministin bezeichnet und gesehen.
Klar: Auch vorher habe ich mich bereits gegen Gewalt an Frauen engagiert.

Aber vor zehn Jahren, mit dem Engagement gegen Prostitution, mit der Mitbegründung von Abolition 2014 oder dieses Blogs hat sich etwas verändert. Das Verständnis der Zusammenhänge. Das Eintauchen in feministische Schriften aus der sogenannten 1. und 2. Frauenbewegung. 

Ich war eigentlich schon immer sehr zufrieden mit meinem Leben, aber der Feminismus hat es besser gemacht. Ich habe gelernt meine sozialen Kontakte selektiver zu gestalten und toxischen Menschen keinen Platz in meinem Leben zu geben. Er hat mir beigebracht mich nur dort zu engagieren, wo man Frauen nicht als minderwertig sieht und wo mein Engagement geschätzt wird. Er hat mir auch beruflich eine Richtung gegeben. Nicht zuletzt hat er mir geholfen, meine Wut über die Verhältnisse zu kanalisieren und trotz immer neuem Mist gelassen zu bleiben.

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„Kollateralschaden“: Die Invasion in der Ukraine erinnert uns an die Kosten der Leihmutterschaft und wer den Preis dafür zahlt

Pixabay, Public Domain

Bei dem nachfolgenden Beitrag handelt es sich eine Übersetzung eines bei ABC erschienen Textes, mit freundlicher Genehmigung der Autorinnen.

Der Begriff „Kollateralschaden“ wird im militärischen Kontext in Bezug auf die Immunität von nichtmilitärischen Personen im Sinne des Grundsatzes der Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen verwendet. Die Verwendung des Begriffs verweist auf die Anerkennung der Tatsache, dass militärische Aktionen Auswirkungen haben, einige davon beabsichtigt und andere nicht, für die die Akteure moralisch und rechtlich verantwortlich gemacht werden können. In seiner häufigeren und zynischeren Verwendung ist „Kollateralschaden“ zu einem beschönigenden Code für mutwillige Zerstörung geworden, die von denen, die „mit der Wahrheit umgehen können“,  mit einem Schulterzucken hingenommen wird. Spätestens seit der Zeit des Irakkriegs bezieht sich der Begriff nicht mehr auf die Inkaufnahme „unbeabsichtigter Schäden“ – wie in der traditionellen katholischen Moralvorstellung – sondern auf „beabsichtigte Schäden“, die berechnet und in die Planung einer militärische Mission einkalkuliert werden. Jede und jeder weiß das auch, auch wenn wir es nicht immer laut sagen.

Auch die internationale Industrie der Leihmutterschafts kalkuliert die Schäden ein, die sie den Leben von Frauen zufügt. Dies liegt zum Teil daran, dass das Leihmutterschaftssystem nach einem Franchise-Modell funktioniert. Mit anderen Worten: Es erscheint uns nicht wie ein Teil des globalen Spätkapitalismus. Es erscheint uns als Schaffung glücklicher Familien. Und diese „Familien“ werden nicht als das dargestellt, was sie sind: Teil des Schadens und der Ausbeutung durch den globalen Kapitalismus. Stattdessen zeigen die Bilder auf Webseiten für Leihmutterschaft wie im Bilderbuch Menschen, die eine „Reise“ unternommen haben sollen: eine „Leihmutterschaftsreise“.

Diese hübschen Bilder und diese hübsche Sprache tarnen – wir behaupten sogar, haben die Absicht zu tarnen – eine schmutzige Industrie, die sowohl mit dem Leben von Frauen als auch mit dem Leben von Neugeborenen Handel betreibt. Sie läuft parallel zu anderen Industrien, die den Körper von Menschen mit einem Preis versehen, wie zum Beispiel dem Handel mit Körperorganen, -teilen und -flüssigkeiten. Aber Organhandel ist rechtswidrig. Der Organhandel ist einer der Aspekte im Globalen Aktionsplan der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Menschenhandels. Die jüngste Resolution der UN-Generalversammlung zur Bekämpfung des Organhandels wurde im Jahr 2018 verabschiedet. Es gibt nur wenige Menschen, die den Organhandel verteidigen.

Nicht so bei der Leihmutterschaft. Die Reise der Leihmutterschaft wird getragen von unzähligen Philosophen und Akteurinnen und Akteuren aus dem Gesundheitssystem, die die Branche und ihre Praktiken verteidigen. Eine ihrer effektivsten rhetorischen Verteidigungen besteht darin, die sogenannte „altruistische Leihmutterschaft“ als ein Beispiel dafür anzusehen, wie Leihmutterschaft aussehen könnte, wenn sie besser organisiert und reguliert wäre. 

Aber es ist nur ein weiteres hübsches Bild, das als Projektionsfläche für eine Industrie dient, die auf der Kommodifizierung der Person basiert: Eine Frau, die in einen Behälter für einen Embryo verwandelt wurde, sei es gegen Bezahlung oder Erstattung der Unkosten. Alle Staaten und Territorien in Australien unterscheiden rechtlich zwischen kommerzieller und nicht-kommerzieller Leihmutterschaft (mit Ausnahme des Northern Territory, das keine Gesetzgebung zu dieser Frage hat), wobei erstere in allen Staaten rechtswidrig ist. Im Fall von New South Wales, Queensland und des ACT (Australisches Hauptstadtterritorium, Anm. der Übers.) ist der Abschluss internationaler Verträge für Leihmutterschaft ebenfalls rechtswidrig und wird mit einer hohen Geldstrafe und/oder Gefängnis geahndet. Die Realität ist, dass altruistische Leihmutterschaft – allgemein definiert als jene Vereinbarungen, bei denen kein Geld, sondern nur das Baby den Besitzer wechselt – einfach ein Zweig des wesentlichen Teils der Industrie der Leihmutterschafts ist.

Frauen sind der Kollateralschaden der Industrie der Leihmutterschaft – nicht nur ihr unbeabsichtigter Schaden, sondern ihr beabsichtigter und einkalkulierter Schaden. Für die Branche und diejenigen, die sie „Kunden“ nennt, wird der Schaden, der jener Frau zugefügt wird, die die Rolle der „Ersatzperson“ ausfüllt, als vollkommen proportional zum „Happy End“ – einem neuen, gesunden Baby – angesehen, welches das Verkaufsargument der Branche ist .

Leihmutterschaft ist eine Menschenrechtsverletzung der Frau, die zur Züchterin des „Produkts“ gemacht wird, eines Embryos, der von der IVF-Industrie hergestellt wurde und in ihrem Körper zu einem Baby herangewachsen ist, das dann entfernt wird (meistens durch Kaiserschnitt). Oft darf sie das Kind, das sie wahrscheinlich nie wiedersehen wird, nicht einmal halten.

Leihmutterschaft ist auch eine Menschenrechtsverletzung des Kindes, das nie zugestimmt hat, ein „Take Away“-Baby zu sein. Die Praxis der Leihmutterschaft verstößt gegen mehrere internationale Konventionen. Es kann mit der Sklaverei verglichen werden, die in Artikel 1 des Sklavereiabkommen von 1926 definiert ist als „der Status oder Zustand einer Person, über die einige oder alle mit dem Eigentumsrecht verbundenen Befugnisse ausgeübt werden“. Dies wird heute allgemein als grundlegende Definition der Sklaverei akzeptiert, mit dem Status des jus cogens im Völkerrecht. Die Bedingungen von Standard-Leihmutterschaftsverträgen lassen wenig Zweifel am Status der und Zwang gegenüber jener, die viele Käufer als „meine Leihmutter“ bezeichnen. Leihmutterschaft verletzt auch die Rechte des Kindes zutiefst. Artikel 35 der UN-Kinderrechtskonvention fordert: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten nationalen, bilateralen und multilateralen Maßnahmen, um die Entführung, den Verkauf oder den Handel mit Kindern zu verhindern.“

Diese wichtigen Bestimmungen in internationalen Konventionen werden von denen ignoriert, die von der Industrie der Leihmutterschaft profitieren. Eine gängige Verteidigung der Leihmutterschaftsbranche ist, dass das Geld nicht für das Baby den Besitzer wechselt, sondern für die „Dienstleistungen“ der „Leihmutter“. Aber die Branche beruht auf der Bereitstellung eines Babys – und eines Babys in einem bestimmten Zustand – ohne den eine Zahlung wahrscheinlich nicht erfolgt. 

Dies haben herzzerreißende Geschichten über die verlassenen Kinder der ukrainischen Leihmutterschafts-Industrie deutlich gemacht. Es gibt einfach keinen Ansatz um Leihmutterschaftsvereinbarungen als etwas anderes darzustellen als eine Verwertung der Frau, die entbindet, und des Kindes, für das bezahlt wird. Die Ukraine ist in bestimmten Kreisen als „Gebärmutter Europas“ bekannt geworden. Dies ist selbst ein Euphemismus in Bezug auf die Vektoren der Ausbeutung von Frauen in ärmeren Ländern. Die ehemaligen Leihmutterschaftszentren Indien, Nepal und Thailand haben Schritte unternommen, um die internationale kommerzielle Leihmutterschaft zu verbieten, infolgedessen wird die Ukraine als eines der ärmeren Länder Europas zu einem neuen Zentrum der Branche. Es ist kein Zufall, dass die Ukraine auch zu einem Herkunftsland für die Bordelle Westeuropas geworden ist. 

Vermutlich geht die Mehrheit der Frauen Leihmutterschaftsvereinbarungen in der Ukraine über das Unternehmen BioTexCom ein, obwohl es schwierig ist, hierzu eine genaue Schätzung abzugeben. Denn selbst unter den Bedingungen der Legalität in der Ukraine hält ein erheblicher Teil der Branche dort nicht mal die minimalen Vorgaben des Gesetzes ein. Diese Probleme in der Ukraine und die daraus erwachsenen Auswirkungen werden von Apologeten der Branche hingenommen und sie sind auch für die meisten derjenigen offensichtlich, die durch solche Arrangements ein Kind bekommen. Zum Beispiel berichtete Sam Everingham, Direktor der australischen NGO Growing Families und Koordinator von Seminaren in allen Hauptstädten mit eingeladenen Befürwortern der Leihmutterschaft aus Überseeländern, folgendes:

„Die Verträge zwischen Leihmutterschaftsunternehmen und den beabsichtigten Eltern besagen im Wesentlichen: ‚Du bist nach der Geburt auf dich allein gestellt‘. Es gibt einige ausgezeichnete Kliniken in der Ukraine, aber weil sie kleinere Marketingabteilungen im Vergleich zu BioTexCom haben, ist es für ausländische Paare schwieriger, etwas über sie zu erfahren.“

Everingham sagte, dass sich Paare oft darüber beschweren, dass Kliniken ihre Embryonen „verloren“ haben oder die Gründe für eine fehlgeschlagene Embryonenimplantation nicht erklären, was einige dazu zwingt, rechtliche Schritte einzuleiten. In anderen Fällen, fügte er hinzu, erhielten Leihmütter, die eine Fehlgeburt hatten oder eine Totgeburt hatten, keine Zahlung.

„Einige Unternehmen haben es so eingerichtet, dass sie nicht für negative Ergebnisse verantworten müssen. Es ist so wichtig, dass die Menschen sich selbst über die Risiken kundig machen.“

Es wird selten so formuliert, außer mit Bezug auf diese Branche, dass die Antwort auf „negative Ergebnisse“ (ein weiterer Euphemismus, der an Kollateralschäden erinnert) darin besteht, „sich kundig zu machen“. Es ist auch klar, dass Everingham mit „den Risiken“ in erster Linie die Risiken meint, dass ein Baby nicht in einem bestimmten Zustand zur Welt kommt. Was er nicht erwähnt, ist, dass gerade in den von ihm angebotenen Seminaren – auch in australischen Bundesstaaten, in denen internationale Leihmutterschaft strafbar ist – potenzielle Babykäufer von den Vertretern von Leihmutterschaftskliniken der Ukraine und anderen ärmeren Ländern über ihre Möglichkeiten informiert werden.

Mit anderen Worten, ohne die (bezahlte) „Hilfe“ von Growing Families hätten sogenannte „Wunscheltern“ nichts von der Möglichkeit eines Leihmutterschaftsvertrags mit einer Klinik in diesem Land gewusst, geschweige denn einen Vertrag mit diesen abgeschlossen. Die von Everingham gebilligten Vereinbarungen haben jene Frauen, die mit Babys für ausländische Käufer schwanger sind, in große Gefahr gebracht. Die Absprachen haben auch die Käufer selbst in Bedrängnis gebracht: „Kunden“, die befürchten, dass ihr „Auftragsprodukt“ – das Baby – möglicherweise nicht mehr auf dem Markt ist. Und es ist klar, dass es diese „Not“ ist, die die Rentabilität der Leihmutterschaftsbranche gefährdet, nicht der Zustand oder Status der Frauen, die das Produkt tragen.

Inmitten der russischen Invasion in der Ukraine wurde die Sprache der Leihmutterschaft auf das Wesentliche reduziert: Profit und seine Maximierung. Verschiedene Berichte zeigen eine gemeinsame Reaktion der Leihmutterschaftsindustrie und ihrer Käufer auf Katastrophen in den Herkunftsländern. Zum Beispiel gerieten die Kunden der Branche nach dem Erdbeben 2015 in Nepal (damals ein Zentrum für Leihmutterschaft) in Panik – nicht wegen der Menschen in Nepal oder der sogenannten „Leihmutter“. Sie waren besorgt darüber, ob „Kunden“ in der Lage sein würden, „ihre“ bezahlten Babys in Besitz zu nehmen. Viele Käufer flogen nach Nepal, um ihre Babys zu „retten“. In ähnlicher Weise lesen wir jetzt mit Bezug auf die Ukraine Berichte von Käufern aus Argentinien, Spanien, England, (Deutschlandergänzt durch d. Übers.) und Australien (neben anderen Ländern) und von ihrer Panik ihr Kind in einem Kriegsgebiet mit Atomalarmbereitschaft abzuholen – und ihre Erleichterung, wenn sie wie in einigen Fällen geschehen in der Lage waren, mit dem Kind „rauszukommen“, wobei die Frauen unbeachtet zurückgelassen werden. 

In solchen Zeiten klärt sich der Blick auf die Leihmutterschaftsindustrie – ihre Sprache ist so offen brutal wie die Praktiken, die sie widerspiegelt. So wird Sam Everingham in einem kürzlich erschienenen Bericht zitiert, der sich auf die „alptraumhaften“ Erfahrungen eines Mannes namens Adam und seiner Frau als mit der Leihmutterschaft in der Ukraine bezieht:

Die Ukraine ist auch ein wichtiger Anbieter von Eizellen. Während Adam und seine Frau ihren eigenen Embryo verwendeten, fliegen viele Paare Sperma ein, um ein Ei zu befruchten, das von einer ukrainischen Spenderin bereitgestellt wurde.

„Viele Menschen machen sich Sorgen um die Sicherheit ihrer Embryonen, wenn Kiew bombardiert wird. Einige geben dort drüben viel Geld für Spenderinnen aus, sie wollen sicherstellen, dass diese Embryonen sicher sind.“

Die Schamlosigkeit dieser Sprache, die Wert auf die Sicherheit der Geldanlage in Embryonen legt, ohne die Frauen zu erwähnen, die beim Ausbrüten der Embryonen wie Objekte behandelt werden, ist erschütternd. Wir müssen unseren Blick dringend auf diejenigen richten, die die eigentlichen Kosten tragen und den Preis für den völlig vorhersehbaren „Albtraum“ zahlen, nämlich das System der Leihmutterschaft selbst. Und anstatt ihren Organisatoren und Propagandisten zu folgen und eine stärkere Legalisierung zu fordern, um zu verhindern, dass die Branche und die damit verbundenen Praktiken „weiter in den Untergrund“ gehen (wo auch immer), ist es an der Zeit, die Abschaffung der ausbeuterischen Leihmutterschaftsindustrie mit all ihrem Elend zu fordern und all den Schmerzen, die sie insbesondere armen Frauen zufügt.

Wir müssen uns weigern, Frauen als den vorhergesehenen und kalkulierten Kollateralschaden von Leihmutterschaftsvereinbarungen zu behandeln, sei es im Krieg oder in der Zeit, die wir Frieden nennen – bevor Frauen, die als „Leihmütter“ bekannt sind, schwanger werden und bevor ihre Babys geboren werden.

Helen Pringle ist Associate Professor an der School of Social Sciences der Universität von New South Wales.

Dr. Renate Klein ist eine feministische Kritikerin der Reproduktions- und Gentechnik, einschließlich der Leihmutterschaft. Zuletzt hat sie zu „Towards the Abolition of Surrogate Motherhood“ beigetragen, herausgegeben von Marie-Josèphe Devillers und Ana-Luana Stoicea-Deram.

Privilegierte weiße Akademikerinnen!?

Pixabay- Public Domain

Ich habe bereits vor einer Weile über den Irrtum des so genannten „intersektionalen Feminismus“ geschrieben, der ein bedeutsames Konzept der Frauenbewegung (das Konzept der Mehrfachunterdrückung) so um-interpretiert, dass plötzlich Frauen, trotz ihrer untergeordneten Position in der patriarchalen Gesellschaft, trotz der hohen Gewaltbetroffenheit völlig unabhängig von sozialer Schicht, etc. als „privilegiert“ erscheinen lässt.

Ich hatte darüber geschrieben, wie das feministische Verständnis und Bewusstsein von Frauen als sozialer Klasse, die Unterdrückung qua Geschlecht erfährt – zumeist ausgeübt über den biologisch weiblichen Körper – zunehmend verloren geht

In den vergangenen zwei Jahren hat sich diese Tendenz weiter fortgesetzt. Immer häufiger begegnet mir die Aussage weiße Frauen, insbesondere weiße Akademikerinnen, seien privilegiert. Genauso, wie ja die Feministinnen der so genannten ersten Frauenbewegung ja auch „bürgerliche“ Frauen mit ganz vielen Privilegien gewesen seien. Wie geschichtsvergessen, verstießen doch viele von ihnen nicht nur gegen gängige gesellschaftliche Konventionen (unverheiratet, nicht selten in Partnerschaften mit Frauen lebend, …) Sie brachen darüber hinaus Tabus, brachten selbstbewusst Themen auf die Agenda, wie Pornographie und Prostitution, über die Frauen nicht öffentlich zu reden hatten – und schon gar nicht in Gegenwart von Männern. Dies war weder genderkonform (der Geschlechterrolle entsprechend), noch und schon gar nicht konsequenzenlos. Viele von ihnen zahlten einen sozialen Preis für ihr Engagement.

Nun jedoch zu den vermeintlich ach so privilegierten weißen Akademikerinnen heute, und nun mal persönlich:

Ja, ich bin weiß und die Migrationsbewegungen meiner Familie bewegten sich in den zurückliegenden sieben Generationen ausschließlich zwischen Deutschland und Luxemburg.

Ja, ich habe einen akademischen Abschluss.

Und damit werde ich vom „intersektionalen Feminsmus“  oberflächlich „privilegiert gelesen“. 

An meinem Abschluss nicht ablesen lässt sich jedoch die Tatsache einer doch recht einfachen sozialen Herkunft – und auch da können wir wieder viele Generationen meiner Familiengeschichte heranziehen: Bauern, Handwerker, vagabundierende und im Wald lebende Holzfäller und Holzhackerinnen, Dienstmägde, Hilfsarbeiter, … und das bis einschließlich der Generation meiner Großeltern. In der Elterngeneration: Volkschulabschluss und Mittlere Reife. Es ist allgemein bekannt, dass erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine allmähliche Bildungsexpansion einsetzte und einige den Sprung in die (heute wieder erodierende) „Mittelschicht“ schafften. Nach wie vor, bis heute, ist jedoch die soziale Herkunft der Eltern nicht unentscheidend für den eigenen Bildungserfolg, wenngleich das Bildungssystem durchlässiger geworden ist als anno dazumal.

Mein Glück war vielleicht, dass ich zum einen sehr viel Support durch das Elternhaus in schulischen Dingen bekam. Unvergessen die frustrierenden Momente, in denen ich vor Klausuren von meiner Mutter abgefragt wurde und alles was ich oben in meinem Zimmer noch gekonnt hatte, ein Stockwerk weiter unten wieder vergessen war. Lernen fiel mir immer nur dann leicht, wenn die Inhalte mich begeistern konnten. Der sanfte „Zwang“ zum Pauken leistete sicher seinen Beitrag. Ein weiterer Faktor war sicher meine generelle Wissbegierigkeit, dass ich grundsätzlich gerne in die Schule ging, viel las – und der schon immer vorhandene Biss selbst gesetzte Ziele auch mit Fleiß und Beharrlichkeit zu erreichen. 

Auch die Zeit auf dem Gymnasium war für mich nicht das reinste Zuckerschlecken. Phasenweise war Mobbing an der Tagesordnung und zu Teilen meines Jahrgangs fand ich bis zum Schluss keinen Zugang: Weder konnte (und wollte) ich mir Markenklamotten leisten, noch konnte ich bei den tollen Geschichten über den alljährlichen Skiurlaub „mithalten“. Meine Eltern sparten das ganze Jahr eisern um uns einmal im Jahr einen Familienurlaub zu ermöglichen. So konnte ich – was fantastisch ist – schon früh sehr viele Länder bereisen. Skifahren war jedoch nie drin. 

Und überhaupt: Mit 12 Jahren habe ich begonnen mein eigenes Geld zu verdienen. Erst ein Taschengeld durch Putzen bei meiner Oma, Austeilen von Werbeprospekten im Dorf (Stundenlohn etwa 1 DM), ab ca. 15 Jahren Weinlese in den Herbstferien, neben dem Abitur dann später Nachtdienste in der Erlebnisgastronomie (mit Kegelclubs und Fussballvereinen zu „all you can Drink“ – ein ganz großes Vergnügen, ihr könnt es euch vorstellen. Sexuelle Belästigungen = Tagesgeschäft). 

Auch mein Studium habe ich mir zu weiten Teilen selbst finanziert, durch Jobs in der Gastro, dann im Baumarkt und später dann im Punk-Mailorder (geilster Job!)- und mehr oder weniger noch meinen damaligen Partner mit durchgefüttert, der zwar wesentlich mehr verdiente, aber bereits am zweiten vom Monat wegen unkontrolliertem Konsumverhalten keine Kohle mehr hatte.

Ich kann mich noch sehr gut an die unzähligen Male erinnern, bei denen wir die letzte Woche des Monats vom Flaschenpfand, Nudeln mit Maggi und granuliertem Eistee gelebt/überlebt haben. Kein Wunder, dass ich die erstmögliche Gelegenheit ergriff gutes Geld zu verdienen – auf Kosten meines Diplomabschlusses, den ich eigentlich schon fast in der Tasche hatte, die Diplom-Prüfungen schon in der Regelstudienzeit absolviert und das Studium dann doch mitten in der Diplom-Arbeit abgebrochen. Den akademischen Abschluss habe ich dann tatsächlich erst einige Jahre später im zweiten Anlauf nachgeholt.

Angesichts der hohen Gewaltprävalenzen bei geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen kann ich nur sagen, dass ich weitgehend Glück gehabt habe. Und auch wenn ich vergleichsweise wenig eigene Gewaltbetroffenheit habe, spielt u.a. die transgenerationale Traumaweitergabe auch in meiner Biographie eine Rolle – und war – aus heutiger Sicht betrachtet – vielleicht völlig unbewusst ein Motor zu meinem Engagement für Frauenrechte und in meiner Arbeit gegen Gewalt gegen Mädchen und Frauen.

Nicht angepasst zu sein und die vorgesehene Geschlechterrolle zu erfüllen, sondern laut für gleiche Rechte und gegen Unterdrückung einzutreten, hat mir wie vielen anderen Feministinnen neben vielen schönen und motivierenden Erfolgen vor allem eins eingebracht: Ausgrenzung, Hatespeech und Bedrohungen. Hier hat sich realistisch betrachtet überhaupt nichts seit der ersten Welle der Frauenbewegung geändert.

Ganz zu schweigen von (meist männlichen) Narzissten, die in mir nicht selten eine Projektionsfläche für ihre  pathologischen Handlungen gefunden haben. Wie extrem belastend so ein Verhalten sein kann, habe ich erst gemerkt, als ich mich diesen toxischen Strukturen (in dem Fall: Parteienpolitik) bewusst entzogen hatte und wieder frei atmen konnte, Nächte nicht mehr von durch Panikattacken geprägten Träumen begleitet wurden. 

Ich möchte jetzt auch gar nicht davon anfangen, wie eine Gesellschaft mit einer ganz bewusst unverheirateten und kinderlosen Frau umgeht. Welche Sprüche und Abwertungen ich mir seit spätestens meinem 30ten Lebensjahr dafür regelmäßig anhören muss, statt einfach anzuerkennen, dass das mein frei gewählter Lebensstil ist. Und wie oft ich schräg dafür angesehen werde, weil ja schließlich irgendetwas mit mir nicht stimmen muss und „irgendwann merkst du, was du im Leben verpasst hast, spätestens wenn die biologische Uhr abgelaufen ist“. – Ähm … NEIN!

Und jetzt habe ich noch gar nicht über meine Kindheit als „Tomboy“ gesprochen und das ständige Gefühl „The Odd One Out“ und durch Beschäftigung mit vermeintlichem „Jungskram“ irgendwie ein „Freak“ zu sein.

Es ist schlicht nicht zu verleugnen, dass fast alle negativen Erfahrungen, die ich in meinem Leben machen musste, auf mein (biologisches) Geschlecht und Geschlechterrollenerwartungen zurückzuführen sind. 

All das zählt jedoch für den „intersektionalen Feminismus“ nicht. Weiß, Akademikerin, Stempel drauf, fertig. 

Nicht, dass das hier falsch verstanden wird: Ich hadere mit nichts und bin glücklich über mein Leben und meinen Lebensweg, die wertvollen Erfahrungen die ich sammeln konnte – selbst dann wenn sie negativ waren. So abgedroschen es klingt: Alles davon hat mir geholfen zu der Person zu werden, die ich heute bin. 

Aber was ich mir verbitte, ist die Unterstellung eines vermeintlichen Privilegs.

Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen der (völlig korrekten) Aussage „Es gibt Frauen, die sind nicht nur als Frau, sondern mehrfach unterdrückt“ und der (schlicht falschen) Aussage, es gäbe privilegierte Frauen im Patriarchat. Einer Gesellschaft, die Männern grundsätzlich mehr Wert zumisst als Frauen. 

Hört endlich auf mit Cancel Culture – Ein Plädoyer für mehr Streitkultur

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Phil Roeder from Des Moines, IA, USA, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Schon lange juckt es mir in den Fingern über das Thema der mangelnden Streitkultur und der offensichtlichen Unfähigkeit zur kontroversen Debatte zu schreiben. Lange bereits treibt mich um, dass immer mehr meiner Mitaktivistinnen wegen angeblich menschenverachtender Positionen aus öffentlichen Debatten gekickt werden (De-Platforming) oder sogar in ihrer Existenz angegriffen werden und ihre Jobs verlieren. Während anfangs nur Graswurzel-Feministinnen betroffen waren, trifft es zunehmend auch immer mehr Journalistinnen, Autorinnen, (zu J.K. Rowling siehe auch) und Professorinnen.

Als die Twitter-Blockade von Donald Trump in meiner Blase gefeiert wurde, konnte ich mich trotz aller berechtigter Kritik an ihm, seinen (wirklich zum Teil menschenverachtenden) Positionen, seiner Politik und autoritären Amtsausübung nicht darüber freuen: Zu sehr spitzt sich aktuell die Situation in Bezug auf die freie Meinungsäußerung zu – und das in erster Linie gegen verdiente Feministinnen und Wissenschaftlerinnen mit hoher Expertise.

Ereignisse der letzten Woche veranlassen mich nun zu diesem Plädoyer. Ich will es verstanden wissen als Appell endlich mehr miteinander zu sprechen und respektvoller miteinander umzugehen. Und damit fordere ich eines ganz sicher nicht ein: Kritiklosigkeit, Wattebäusche und Friede, Freude, Eierkuchen. Lasst uns gerne miteinander hart in der Sache ins Gericht gehen – aber lasst uns doch bitte auch versuchen die jeweils anderen Positionen und Standpunkte zu verstehen und dem Gegenüber nicht immer nur das Schlimmste zu unterstellen.

Was ich damit ausdrücklich nicht in Frage stellen will: Im persönlichen Umfeld soll natürlich jede und jeder selbst ganz frei entscheiden können, mit wem er/sie sich umgeben will und mit wem nicht. Bei mir selber stelle ich schon seit längerer Zeit eine interessante Tendenz fest: Zunehmende Toleranz für andere Meinungen – was nicht heißt, dass ich meine eigene weniger leidenschaftlich vertrete – aber gleichzeitig auch zunehmende Exklusivität bei meinen persönlichen Kontakten.

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Feminismus 2020. Bestandsaufnahme anlässlich des 8. März in Berlin.

Bild- Text: „Dies ist keine Fiktion. Dies ist real. Die Freiheit der Rede für Frauen beginnt mit ihrer körperlichen Integrität, die wahr und real und ehrlich und absolut ist. Es gibt keine Ausnahmen.“
„Es gibt keine Ausnahmen für Männer, die privilegiert sind, um einzudringen. Und es gibt keine Ausnahmen für Frauen, wo gesagt wird: ‚Ach ja, das darfst Du nicht mit dieser Frau machen, aber siehst du die da drüben? Ja, das ist okay, mach es mit ihr. Die vermisst keine.‘ “ Wir vermissen sie. Wir wollen sie zurück. Andrea Dworkin, zu Pornografie und „Redefreiheit“.

Frauenbezogene Kontroversen 2020: „Wir entschuldigen uns für die Existenz anderer Meinungen“ …. zum „Frauen*kampftag“ in Berlin

Der Internationale Frauenkampftag hat eine stolze Geschichte. Er begann mit Gewalt gegen politisch aktive Frauen:

Am 8. März 1909 wurde er das erste Mal als Tag der Rechte von Arbeiterinnen und der Frauenrechte in den USA abgehalten. Organisiert hatte ihn die Socialist Party of America, die damit an den 8-tägigen Streik der Textilarbeiterinnen aus dem Jahr 1908 erinnerte, der wiederum der Streiktage von Textilarbeiterinnen aus den Jahren 1857 und 1858, ebenfalls in New York, gedachte. 1857 brach während des Streiks in der Fabrik ein Brand aus, und da die Türen und Notausgänge verschlossen waren, um eine Zusammenarbeit der Frauen mit anderen Arbeitern während des Streiks zu verhindern, starben 129 Textilarbeiterinnen im Feuer.  (1)

1910 schlug die deutsche Sozialistin Luise Zietz (2) auf dem 8. Internationalen Sozialistenkongress der Sozialistischen Internationalen (3) in Kopenhagen vor, diesen Tag grundsätzlich zum Internationalen Tag der Frau zu erklären. Die Delegierten, darunter 100 Frauen aus 17 Ländern, verpflichteten sich gleiche Rechte für Frauen und das Frauenwahlrecht zu unterstützen. Vorausgegangen war Ende August die Zweite Internationale Sozialistische Frauenkonferenz (4), auf der Clara Zetkin (5) die Einführung eines internationalen Frauentags eingebracht hatte. Am 19. März 1911 wurde der Internationale Tag der Frau erstmalig in Deutschland, Österreich, Dänemark und der Schweiz abgehalten, über 1 Million Frauen und Männer nahmen daran teil. 1913 organisierten Frauen in Russland ihren ersten internationalen Frauentag, am 8. März 1914 demonstrierten Frauen europaweit für Solidarität und Frieden, 1917 hielten wieder russische Frauen einen Tag für „Brot und Frieden“ ab.  Holland, Frankreich, Schweden und nach 1918 die damalige Tschechoslowakei zogen nach. In den 20er-Jahren gewann der Internationale Frauentag als Kampftag immer mehr an Bedeutung und es kamen Länder der ganzen Erde dazu: China, Japan, England, Finnland, Estland, Litauen, Polen, Bulgarien, Rumänien, Türkei und Iran. Zu Beginn der 30er-Jahre wurden die Internationalen Frauentage angesichts der drohenden faschistischen Gefahr ein Sammelbecken gegen den Faschismus. Unter den faschistischen Diktaturen in Europa wurde der Internationale Frauentag verboten. (6)

Die UN zog nach, als sie 1975 als das Internationale Jahr der Frau und den 8. März zum internationalen Tag der Frau (und des Friedens) ausriefen.  Der Song dazu kam von Helen Reddy: I’m a woman, hear me roar. (7)

Nun zu Berlin, Deutschland, 2020.

Da die Frauenbewegung idealerweise aus sehr vielen Frauen mit vielen verschiedenen Erfahrungen besteht, die durch ihre verschiedenen Positionen innerhalb der patriarchalen Gesellschaft sehr unterschiedliche Wahrnehmungen mitbringen und sehr verschiedene Einblicke deutlich machen können, sind Meinungsverschiedenheiten zu erwarten und vor allem zu wünschen: Wie sollte eine Bewegung alle Frauen erreichen und ihre Ziele einbinden, wie könnten wir zu echten Gemeinsamkeiten kommen, wenn es diese Kontroversen nicht gäbe? Und was bedeutet es für uns, wenn solche Kontroversen nicht engagiert, aber dennoch vernünftig ausgetragen werden können?

Die Organisator*innen des 8. März in Berlin haben in ihrem Statement nach der Demonstration befunden, dass Schilder mit Aufschriften zur Abschaffung der Prostitution und gegen die Essentialisierung von Geschlechterrollen eine schlimmere Gewalt darstellen als eine auf Frauen geworfene Glasflasche.

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Rache am Patriarchat? Oder doch nur ein leises Rauschen im Blätterwald?

Manche Dinge lassen eine einfach immer wieder ratlos zurück. Aktuell geht es mir so mit einem Protest gegen den ungeheuerlichen Vorgang eines linken Festival-Mitveranstalters, der über Jahre hinweg weibliche Festivalbesucherinnen auf der Toilette und unter die Dusche heimlich gefilmt und diese Videos auf einer Porno-Plattform, XHamster, hochgeladen hat. Der Schock bei vielen jungen Frauen, die auf der Fusion oder Monis Rache waren, sitzt zu Recht tief: „Sind auch Videos von mir online, ohne dass ich etwas darüber weiß?“, „Wie finde ich raus ob ich betroffen und damit Opfer sexueller Gewalt geworden bin?“

Dass sich also Protest regt ist völlig nachvollziehbar. Über das WIE  kann man sich offenbar aber wie immer streiten. Zum einen ist da der Demo-Aufruf selbst, der vor Inkonsistenzen nur so strotzt. Das Demo-Motto lässt das bereits erahnen, lautet es doch: Rache am Patriarchat! My body is not your porn. Still <3ing my Choice“. Der erste Teil klingt radikal und scheint sich gegen die patriachalen Strukturen zu wenden, die Frauen sexualisieren und objektifizieren. Der zweite Teil lässt allerdings bereits erahnen, dass das große aber noch folgen wird. Und die Vorahnung bestätigt sich auch im folgenden Text. Dort heißt es:

Wir werden uns nicht aus öffentlichen Räumen zurückziehen, sondern wir wollen, dass sie sich verändern, damit wir uns wohl fühlen können. Alle Menschen sollen selbst bestimmen, ob und mit wem sie Sex haben möchten. Alle Menschen sollen selber bestimmen können, ob sie mit dem eigenen Körper oder erotischen Dienstleistungen Geld verdienen wollen. Kein Mensch soll sexualisierte Gewalt erleben.“

Dass die Pornokultur AN SICH bereits Grund dafür ist, dass ALLE Frauen ständig und immer wieder im privaten und öffentlichen Raum objektifiziert werden und sexuelle Gewalt erleben, scheint bei den Initatorinnen nicht angekommen zu sein. Studien zeigen eindeutig, welchen negativen Einfluss Pornokonsum auf das Verständnis von sexueller Gewalt auf Männer UND Frauen hat. Das zum einen. Feministische Analyse, nach der Pornographie gefilmte Prostitution ist, die Frauen zu Objekten degradiert (siehe zum Beispiel von Andrea Dworkin): Fehlanzeige. Und dann auch noch das Unvermeidliche: Sexuelle Übergriffigkeit von Freiern gegenüber prostituierten Frauen, wird mal wieder nicht als solche erkannt: Dass es per definitionem sexuelle Gewalt IST, wenn sich ein Freier Zugang zum Körper einer Frau erkauft, die ohne materielle oder andere Entschädigung, diesen an ihr oder ihn ihr durchgeführten sexuellen Handlungen nicht zugestimmt hätte, wird nicht erkannt. Eine Erwähnung empirischer Erkenntnisse, dass das „wollen“ der Ausübung „erotischer Dienstleistungen“ mit statistisch relevanten Zusammenhängen auf erlebten Grenzverletzungen beruht oder aufgrund finanzieller oder anderer Zwänge erfolgt: Findet nicht statt.

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Das Missverständnis um die Intersektionalität – und die Konsequenzen daraus

Seit geraumer Zeit stellen wir immer wieder fest, dass das wichtige Konzept der Intersektionalität im Queer-/Liberalfeminismus in einer Art und Weise gebraucht wird, welches es in seinem ursprünglichen Sinn und Intention unbrauchbar macht. Wie so viele feministische Konzepte im Laufe der Zeit „geschrottet“ wurden, so erging es auch diesem.  

Ich konnte bisher nie so ganz greifen, was genau da schief gelaufen ist. Bis zu dieser Woche, bei einer Veranstaltung an der Uni Mainz mit der Taz- und Missy Magazin-Autorin Hengameh Yaghoobifarah. Bisher dachte ich nämlich immer, der Fehler in der Rezeption bestünde ausschließlich darin, dass Mehrfachdiskriminierungen von der Kategorie Geschlecht (im Sinne von „sex“, nicht „gender“) abgetrennt und munter aufaddiert würden. Tatsächlich habe ich jetzt verstanden, dass der Dritte Welle Feminismus einem grundlegenden Missverständnis aufgesessen ist, welches mir nun auch einige irritierende politische Aktionen aus diesen Reihen der letzten Jahre erklärt.  Aber dazu am Ende mehr.

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Der Radikalfeminismus in Deutschland ist erstarkt

Woman Power Symbol, Feminist Fist

Public Domain C00

Als wir im Jahr 2014 diesen Blog gründeten, geschah dies u. a. aus der gemeinsamen Wut gegen die bestehenden Zustände und weil wir uns in dem, was die feministische Landschaft in Deutschland uns bot, nicht (mehr) aufgehoben und vertreten fühlten. Einige von uns waren lange Zeit sehr intensiv in linken Zusammenhängen unterwegs, um letztlich festzustellen, dass auch hier eine radikale Kritik am Patriarchat lediglich einen weißen Punkt auf der politischen Landkarte bildete.

Der liberale Feminismus und der Queerfeminismus dominierte die Debatten, ließ aber keine Differenzen zu und gab die Meinungen vor, die die Feministin von heute zu den Kernthemen zu haben hatte: Prostitution und Pornografie z. B. galten und gelten hier u. a. als Ermächtigungstool oder als Ausdruck (vermeintlich) weiblicher sexueller Befreiung. Dass aus beiden Institutionen die Unterdrückung der Frau als Klasse nur so herausschreit, stieß und stößt auf taube Ohren. Schließlich sollte es darum gehen, das Patriarchat nicht etwa abschaffen zu wollen und es radikal zu analysieren, sondern sich möglichst gemütlich darin einzurichten: Empowerment und Choice als Wohlfühlkonzepte und individuelle statt universelle Werte. Wie viel eine Frau unterdrückt wird, das bestimmt sie einfach selbst: ganz schön praktisch.

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#IranProtests: Es geht um alles oder nichts

Manchmal ist das Leben geprägt von merkwürdigen Zufällen. Erst vor knapp zwei Wochen habe ich auf der Plattform eines großen internationalen Buchhandels eine Rezension zu „Islamists Ruined My Iran: The Second Coming“, einem Buch eines jungen, talentierten Autors über die Situation im Iran veröffentlicht, und nur wenige Tage später erlebt das Land Aufstände gegen das Regime, die von ExpertInnen bereits als die größten seit ca. 40 Jahren beschrieben werden.

Seit fünf Tagen ist der Aufstand im vollen Gange, seit mehr als vier Tagen haben Auslands-IranerInnen bedingt durch die Abschaltung des Internets durch das Mullah-Regime, nun bereits keinen Kontakt zu ihren Angehörigen. Nur ca. 5% der Tweets zu den Protesten kommen aus dem Iran selbst, hauptsächlich von Regime-Vertrauten und Funktionären – für die Handvoll anderer Tweets mussten Aktivistinnen mit komplizierten Proxy-Server-Umwegen agieren.

Währenddessen wurden bereits Tausende verhaftet, die Zahl der Todesopfer hat die 200er Marke überschritten. Im „Westen“ wird der Protest verkürzt auf einen Konflikt um eine „Erhöhung der Benzinpreise“, für die die US-Sanktionen gegen das Land verantwortlich seien. Die schiere Verzweiflung (und Wut) ist bei Twitter unten den Hashtags #IranProtests und #Internet4Iran zu spüren: Warum kommt dem Aufbegehren gegen die nunmehr vier Jahrzehnte währende fundamentalistische Herrschaft keine internationale Aufmerksamkeit zu? Und warum ist es so schlecht bestellt um die Solidarität der „freien und demokratischen Welt“?

Das eingangs erwähnte Buch, oder wie der Autor es selbst nennt „Manifest“, zeichnet sich meines Erachtens dadurch aus, dass es zum einen auf knapp 79 Seiten einen sehr kompakten aber sehr umfangreichen Überblick über die Geschichte des Landes und die ökonomischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Auswirkungen der „Islamischen Revolution“ von 1979 liefert. Zum anderen gelingt es ihm zwischen struktureller und individueller Ebene zu trennen. Trotz der Schilderung der Ernsthaftigkeit der Lage des Landes, die bereits vor dem 14. November als höchstkritisch zu bewerten war, wird vor allem auch die Verbundenheit zum Land und seinen Menschen und die Hoffnung auf eine Veränderung spürbar. Und, wie er angesichts der neuen Situation konstatiert wird sich in den aktuellen Protesten zeigen, ob diese Veränderung nun eintritt, oder – wenn der Versuch der Befreiung fehlschlägt – die gewaltvolle Reaktion des Regimes jeden Hoffnungsschimmer völlig zunichte macht. Es geht um alles oder nichts.

Wenn es jedoch nicht, wie allenthalben suggeriert, um steigende Benzinpreise geht, um was dann? Zum einen um die Tatsache, dass  das Land, welches einst für Modernisierung stand und für seine Dichtkunst von Autoren wie Hafez oder Rumi bekannt war, von einer „stabilen und prosperierenden Nation“, in eine ernsthafte Wirtschaftsrezession manövriert wurde, die Millionen von Iranerinnen und Iranern in die Armut getrieben hat: Steigende Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Inflation sind nur ein paar wenige Stichpunkte. Zum anderen geht das autoritäre Regime unerbittlich mit seinen KritikerInnen um: Inhaftierungen und Exekutionen sind an der Tagesordnung, freie Meinungsäußerung undenkbar. Die Abwendung von der Religion steht unter Todesstrafe, Händchenhalten eines unverheirateten Paares in der Öffentlichkeit führt mitunter zu stundenlangen Arrestierungen. Ethnische und religiöse Minderheiten werden diskriminiert und verfolgt.

Was bedeutet all dies konkret für das Leben von Frauen im Iran?

  • Insbesondere in der ölreichen, aber dennoch von niedriger Beschäftigung und schlechter Luftqualität geprägten Khuzestan-Provinz und in den westlichen Städten des Irans, sehen sich junge Frauen zur Prostitution aus ökonomischer Not gezwungen. Auch Anzeigen für Organverkäufe sind an der Tagesordnung, die Straßen Teherans von Obdachlosigkeit geprägt.
  • Das Tragen des Hijab ist verpflichtend. Die Initiative „My Stealthy Freedom“, im Jahr 2014 initiiert durch die Aktivistin und Exil-Iranerin Masih Alinejad, zeigt Fotos von mutigen Frauen im Iran, die trotz aller Repression ihre Verschleierung ablegen.  Yasaman Aryani , Monireh Arabshahi und Mojgan Keshavarz zeigten sich am diesjährigen Internationalen Frauentag ohne Hijab und wurden wegen Verstoß gegen das Verschleierungsgesetzes und damit der „Anstiftung und Begünstigung von Verdorbenheit und Prostitution“ zu Haftstrafen von zusammen 55 Jahren verurteilt.
  • Fussballfan Sahar Khodayari , auch bekannt als „Das blaue Mädchen“ schlich sich, wie viele andere Frauen als Mann verkleidet in die iranischen Fussballstadien, und wurde für diese „sündhafte Tat“ verhaftet und zu einer Haftstrafe verurteilt. Nach der Anhörung übergoss sie sich vor dem Gerichtsgebäude mit Benzin und zündete sich an. Sie starb eine Woche später im Krankenhaus. Erst im Oktober diesen Jahres durften Frauen erstmalig nach 40 Jahren wieder offiziell ein Fussballstadion betreten
  • Frauen wie die Rechtsanwältin Nasrin Sotudeh, die sich für die Rechte von Frauen und politisch Verfolgten stark machen, werden wegen „Propaganda gegen den Staat“ inhaftiert und mit Peitschenhieben bestraft. Sie sitzt derzeit im Evin-Gefängnis in Teheran eine Haftstrafe von 33 Jahren ab
  • Die 17-Jährige Nazanin Fatehi erstach im Jahr 2004 in Notwehr einen der drei Männer, die sie und ihre 15-Jährige Nichte vergewaltigen uns wurde hierfür 2006 zum Tod durch Erhängen verurteilt. Erst nach internationalem Protest, inklusive der UN, konnte 2007 ihre Freilassung gegen Zahlung eines „Blutgeldes“ erwirkt werden
  • Homosexuelle Handlungen werden im Iran bestraft– bei Männern sofort mit der Todesstrafe, bei Frauen zunächst mit 100 Peitschenhieben und bei der vierten Wiederholung ebenfalls mit der Todesstrafe. (siehe auch)
  • … Die Liste könnte wohl  endlos weitergeführt werden

Die aktuellen Proteste sind deshalb kaum überraschend geprägt von Rufen nach dem Sturz des „islamistischen Regimes“ und der Beendigung der fundamentalistischen Herrschaft.

Unter den Todesopfern sind auch Frauen. Die wenigen verfügbaren Videoaufnahmen zeigen uns, dass Frauen bei den Protesten aktiv mitmischen: So sehen wir eine Frau, die ein antiamerikanisches Banner vom Mast reißt mit den Worten „Unser Feind sind nicht die USA, unser Feind derzeit ist das Iranische Regime“. Oder eine Frau, die sich ihren verpflichtenden Hijab auf einer Brücke unter Applaus der Umstehenden vom Kopf reißt und ruft „Wir leiden seit nunmehr 40 Jahren“. Die Iranische Autorin Roya Hakakian schreibt auf Twitter „So sieht #MeToo im Iran aus: Frauen, die seit 40 Jahren unter der Geschlechter-Apartheid leiden, sind führend bei den #IranProtests“

Was erwarten die Menschen aus dem Iran nun von uns und der internationalen Community? Vor allem internationalen Druck auf das fundamentalistische Regime den Zugang zum Internet im Land wieder für alle herzustellen. Da die Menschen vor Ort derzeit keine Stimme haben, ist es essentiell, dass wir nicht wegschauen, sondern unsere Stimmen erheben. Das Regime muss nun endlich, nach 40 Jahren Tyrannei gegen seine Bevölkerung zur Rechenschaft gezogen werden. 

Frauen, werdet Juristinnen!

Manchmal frage ich mich, ob es mir irgendwie Spaß bereitet, mir das Leben besonders schwer zu machen. Als wäre es nicht schon schwer genug als Feministin und Lesbe im Patriarchat, studiere ich auch noch einen der wohl patriarchalischsten Studiengänge überhaupt: Jura. 

Ich kenne keine einzige andere feministische Juristin oder Jurastudentin, zumindest nicht im realen Leben. Nirgendwo ernte ich so angewiderte Blicke in Bezug auf meine Körperbehaarung wie im Juridicum. Ich freue mich, wenn ich in der Literaturliste meiner Hausarbeit mal eine einzelne Autorin aufzählen kann (die ich mühsam gesucht habe, denn die gängige juristische Literatur ist Männerterrain). Vermutlich fühlt man sich in kaum einem anderen Studiengang so alleingelassen und ins kalte Wasser geworfen. Es ist ein Studium für EinzelgängerInnen- und vielleicht liegt es mir auch deshalb so sehr. Ich habe mich mein Leben lang allein durchgekämpft und mein Ding gemacht- das setze ich in meinem Studium jetzt fort. Es ist nicht immer leicht; um ehrlich zu sein, ist es sogar meist sehr schwierig, aber für mich steht fest, dass ich diesen Weg gehen möchte.

Denn: Ich will Juristin werden. Ich liebe Jura, trotz allem. Ich liebe es, mich in Fälle einzuarbeiten, immer tiefer in die Materie abzutauchen, zu merken, wie meine Argumentationsfähigkeit und meine Allgemeinbildung immer weiter wachsen. Oft werde ich gefragt, wie das denn eigentlich zusammen passt: Jura studieren und Feministin sein. Anfangs war Jura ein bisschen so etwas wie mein dunkles Geheimnis, das nicht so recht zu meinem sonstigen Leben passen wollte. Mittlerweile habe ich festgestellt: Jura und Feminismus, das schließt sich nicht aus, ganz im Gegenteil. Recht organisiert Herrschaft (wie Catherine MacKinnon prägnant auf den Punkt brachte), insofern ist es nur logisch, dort anzusetzen, wenn man Herrschaft verändern möchte. 

Jura ist ein sehr patriarchalischer Studiengang, das ist wohl ein offenes Geheimnis. Wer Jura studiert, braucht ein enorm dickes Fell. Der Druck und der Konkurrenzkampf sind oft kaum auszuhalten, ab dem ersten Semester schwebt ein unsichtbares Schwert namens Staatsexamen über einer und an allen Ecken und Enden wird geraten, man solle vielleicht doch etwas anderes machen, wenn man sich nicht sicher sei, ob man wirklich gut genug ist für Jura. Letztes Jahr erschien eine Studie über die Benachteiligung von Frauen im mündlichen Staatsexamen. Je höher die Punktzahl, desto größer die Geschlechterdifferenz (bei 9 Punkten, d. h. Prädikatsexamen, liegt die Differenz bei 12 %; ab 11,5 Punkten – spätestens da beginnt ist im juristischen Staatsexamen das Sahnetortenbuffett – liegt die Differenz bei 32 %). Deutlich geringer fällt die Differenz übrigens aus, wenn eine Frau in der Prüfungskommission sitzt.

Ein weiteres Problem: Moot Courts. Dabei handelt es sich um Gerichtslabore, in denen Jurastudierende Gerichtsverhandlungen nachstellen und üben. Eine super Sache, bloß offenbar nicht für Frauen. Die kanadische Jura-Studentin Amanda Byrd erzählt exemplarisch davon, wie sie sich wochenlang auf den Moot Court vorbereitete und das Feedback darin bestand, dass sie häufiger lächeln solle, dann wirke sie weniger gelangweilt. Ihr Kommilitone hingegen bekam eine dezidierte inhaltliche Rückmeldung.

Meine wohl wichtigste Erkenntnis im Jurastudium bisher: Recht ist kein ideologiefreier Raum. Das Patriarchat urteilt immer mit. Es gibt auch nicht „die eine richtige Lösung“ im Recht. Manchmal erzähle ich meinen nicht-juristischen Freundinnen (also sprich: meinen Freundinnen) von Klausur- oder Hausarbeitsfällen und werde anschließend gefragt, was denn nun die Antwort sei. Klar, manche Sachverhalte sind recht eindeutig, aber in der Regel lautet die zugegebenermaßen unbefriedigende Antwort: „Es kommt darauf an“. Wenn es anders wäre, bräuchten wir ja gar keine JuristInnen mehr, sondern könnten Sachverhalte in Maschinen eingeben, die diese dann mit den entsprechenden Gesetzen abgleichen würden und automatisch zu einem Ergebnis kämen. 

Gesetze müssen immer ausgelegt werden. Ohne en detail in die juristische Methodenlehre einsteigen zu wollen: Es gibt vier Auslegungsmethoden- die Auslegung nach dem Wortlaut des Gesetzes, die historische Auslegung (in welchem geschichtlichen Kontext entstand das Gesetz?), die systematische Auslegung (welche Stellung hat die Norm innerhalb des Gesetzes; steht sie z. B. ganz zu Beginn wie die Menschenwürde im GG?) und die teleologische Auslegung (welchen Sinn und Zweck verfolgt der Gesetzgeber mit dem Gesetz?). Auslegung ist immer Argumentationssache. Letztlich gilt: Wer Gesetze auslegen kann, hat Jura verstanden. Klingt einfach, braucht aber sehr viel Übung. 

Ich bin noch mitten im Übungsprozess, aber so viel ist mir inzwischen klar geworden: Man darf sich von (scheinbaren) Autoritäten nicht einschüchtern lassen, gerade als Frau in der Rechtswissenschaft. JuristInnen sind oft sehr gut im Argumentieren und Einschüchtern- das ist ja auch meist ihr Job. Das heißt aber nicht, dass sie die „Wahrheit“ gepachtet haben, auch dann nicht, wenn sie BGH-Richter sind oder ein anderes hohes Amt innehaben. Nächste Woche findet am Landgericht Karlsruhe ein Prozess gegen die Journalistin Gaby Mayr statt- der ehemalige BGH-Richter Thomas Fischer hat wegen ihrer kritischen Berichterstattung zu den Prozessen gegen die wegen Verstoßes gegen § 219a StGB angeklagten Ärztinnen Unterlassungsklage gegen sie erhoben- und weil Mayr den Fischer StGB-Kommentar kritisiert. (Weitere Informationen zum Fall mit entsprechenden Verlinkungen finden sich z. B. auf der Solidaritätswebsite für Kristina Hänel). Kommentare sind so etwas wie die „Bibel“ der JuristInnen- dort stehen zu jedem Gesetz Anmerkungen zur Auslegung. Und ja, es ist richtig, dass in allen StGB-Kommentaren sinngemäß dasselbe zur Auslegung des § 219a steht- aber das Berufen auf Autoritäten allein (sei es BGH oder juristischer Kommentar) sollte kein Argument dafür sein, am Status Quo festzuhalten. Problematisch wird es immer dann, wenn die Sprechposition einer Person entscheidender ist als die hervorgebrachten Argumente.

Denn auch wenn sich Recht mit Veränderung relativ schwer tut, ist Veränderung nicht nur möglich, sondern sogar geboten. Recht ist immer ein Spiegel der Werte der Gesellschaft, und diese Werte verändern sich nun einmal mit der Zeit. Es sei nur exemplarisch erinnert an die bis 1996 straffreie Vergewaltigung in der Ehe bzw. den berüchtigten, inzwischen weggefallenen § 175 StGB (die Strafbarkeit von Homosexualität). 

Wenn ich Zweifel daran habe, warum ich mir all das antue – die Einsamkeit, die Versagensangst, das konservative Studium – dann führe ich mir vor Augen, was das Ziel meines Weges ist. Letztes Jahr war ich bei dem Gerichtsprozess gegen Nora Szász und Natascha Nicklaus, beide waren angeklagt wegen Verstoßes gegen § 219a StGB („Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“). Allein, dass es diesen Paragraphen immer noch gibt, macht mich gleichermaßen fassungslos und wütend. Aber: Es hat mir nochmal deutlich gezeigt, wohin meine Reise gehen soll. Ich möchte Frauen unterstützen, ihnen konkrete Lösungsmöglichkeiten aufzeigen, mein Wissen weitergeben. Ich möchte Frauen im Rahmen meiner Möglichkeiten ein Stück Gerechtigkeit zurückgeben in all diesem patriarchalen Unrecht, das uns widerfährt. Einen schöneren Beruf kann ich mir nicht vorstellen.

Ob man bzw. frau Jura spannend findet, ist sicher Geschmackssache. Sicher ist, dass juristische Kenntnisse enorm dazu beitragen, Herrschaftsverhältnisse zu analysieren und zu verstehen- und das bildet die Basis für die Veränderung von Machtstrukturen. Ich möchte jede Frau, insbesondere jede feministische Frau, die Interesse an Jura hat, ermutigen, das Studium aufzunehmen und sich nicht beirren zu lassen. Frauen, werdet Juristinnen! Wir brauchen uns. Dringend.

Studie über Ungleichbehandlung im Jura-Studium:

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/juristische-pruefung-diskriminierung-von-frauen-und-migranten-15560024-p2.html

Amandas Erfahrungsbericht über ihren Moot Court: https://www.cbc.ca/radio/thesundayedition/the-sunday-edition-june-3-2018-1.4685998/i-spent-hundreds-of-hours-preparing-for-moot-court-when-i-got-there-i-was-told-to-smile-more-1.4687442