Alle Artikel von Gastbeitrag

(Internalisierter) Neoliberalismus: Jetzt reiß dich halt zusammen!

Gleise Bahnhof Köln-Deutz

Gleise Bahnhof Köln-Deutz

Anmerkung: Dieser Text ist stellenweise zynisch. Das ist nicht unbedingt ein „literarisches Mittel“, sondern in erster Linie eine Überlebensstrategie.

Mein Rentenversicherungsträger hat mir kürzlich mitgeteilt, dass ich weder arbeits- noch rehabilitationsfähig bin. In der Konsequenz heißt das, dass er mich in Rente (auf Zeit) schickt. Das gibt Mitmenschen Anlass mir mitzuteilen, dass ich entweder faul bin oder mich nicht so anstellen soll oder zu sagen: „Ich schaffe es schließlich auch.“

In meinem Leben gibt es im Moment ein Tabu, einen Teil Alltag, den ich am liebsten immer und überall verschweigen möchte: Ich lohn-arbeite nicht, denn ich bin nur begrenzt gesellschaftlich verwertbar arbeitsfähig. Als ich vor ca. einem Jahr an einer schweren Depression erkrankte und sich zeitgleich die Symptomatik meiner Posttraumatischen Belastungsstörung (in der Ausprägung einer Dissoziativen Identitätsstruktur1) drastisch verschlechterte, musste ich ins Krankenhaus, in ein psychiatrisches versteht sich. Nach wenigen Monaten kündigte mir mein Arbeitgeber und meine Kund_innen aus selbstständiger Tätigkeit suchten sich eine andere Dienstleisterin (verständlich, zumindest Letzteres). Ca. 5 Monate war ich von der Bildfläche verschwunden, mein mir ohnehin nur spärlich möglicher (wegen meiner Erkrankung/en) politischer Aktivismus fror ein, soziale Kontakte brachen ab und Freund_innen (nicht alle! Es verfestigten sich zeitgleich andere <3.) suchten (mal wieder) das Weite. Als ich Mitte August nach Hause kam, war ich in noch desolaterem Zustand als vorher, denn ich hatte eine abgebrochene, versuchte Traumatherapie hinter mir (hierzu wird in nächster Zeit ein weiterer Artikel erscheinen, in dem dezidiert über das Erlebnis mit – missglückter – Traumatherapie berichtet wird). Diese wurde mir im Krankenhaus empfohlen, weil monatelanges Rumdoktern an meiner Psyche erfolglos blieb; hätte ich eine Traumatherapie erst einmal hinter mir, würde auch alles andere nach und nach besser.

Fehlsch(l)uss.

Dieser Tiefschlag im letzten Jahr war nicht der erste in den letzten Jahren. Er war vielmehr der dritte innerhalb der letzten 4 Jahre. Davor ging es mir lange Zeit einigermaßen gut (so gut es einer eben gehen kann mit Traumafolgestörungen und rezidivierender depressiver Erkrankung) und ich führte ein stabiles und gesellschaftlich (einigermaßen) unauffälliges Leben. Vor vier Jahren erreichte mich dann nach langer Zeit wieder ein massiver gesundheitlicher Einbruch. Von der Traumafolgestörung abgesehen: Eine schwere Depression ist unendlich schmerzhaft und mit ihr geht einher, dass eine sich genauso unendlich schämt. Dafür, einfach nichts mehr zu schaffen. Auch nicht, eine Packung Pommes in den Ofen zu schieben. Depressionen erzeugen Schmerzen in Körper und Seele, die unerträglich sind. Wenn ich jetzt an diese Zeit zurück denke, breche ich in Tränen aus, Tränen, die ich während der Depression nicht weinen konnte (ich hätte so gerne gewollt!). Und nachdem es mir wieder besser ging, dauerte es kein Jahr, bis der nächste Schub kam. Und dann, dann wurden die Abstände immer kürzer, die Abstände zwischen gut und schlecht gehen und durch einen Auslöser in meinem familiären Umfeld fiel ich Anfang des letzten Jahres so tief, dass ich, im Rahmen einer dissoziativen Amnesie, einen Haufen Medikamente aus meinem Tablettenfundus – von dem ich bis dato nicht mal wusste, dass er existiert – in mich reinstopfte.

Weiterlesen

Prostitution ist nicht kompatibel mit Anarchismus

Anarchistische Flagge

By user:Boris23 (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Das Konzept der „freien Wahl“ von Frauen, Sex zu verkaufen, steht im gedanklichen Zusammenhang zu neoliberalem Denken und der Vorstellung des „freien Marktes“; es gehört zu der gleichen Denkschule, die die Meinung vertritt, dass ArbeitnehmerInnen eine „Wahlfreiheit“ und die Kontrolle über ihre Arbeit haben. Es wird angenommen, dass Frauen sich dazu entscheiden, Sex zu verkaufen und wir uns deshalb in Bezug auf die „Sexarbeiterinnen“ um Sicherheit, die Möglichkeit, Geld zu verdienen und die Verfolgung durch den Staat kümmern zu kümmern haben. Während die Sicherheit von Frauen und Frauenrechte von höchster Bedeutung sind, ist die Forderung nach staatlich regulierten Bordellen und Gewerkschaften im besten Falle reformistisch, naiv und rückschrittlich. Selbst der Vorschlag nach „Kollektivbordellen“ ignoriert die geschlechtsspezifische Natur der Prostitution und ihre Funktion, männliche Herrschaft zu stärken.

Eine anarchistische Antwort sollte die Ausrottung aller ausbeuterischen Praktiken fordern und nicht suggerieren, man könnte sie „sicherer“ oder „besser“ machen.

Anarchistische Perspektiven

Anarchismus kommt aus dem Griechischen und bedeutet „frei von Herrschaft“. Er gründet auf der unveräußerlichen Menschenwürde, dem Verlangen nach individueller Freiheit und der Intoleranz gegenüber Herrschaft (Woodcock). Er fordert radikalen und revolutionären sozialen Wandel, nicht Reformismus. Untermauerende Vorstellungen beinhalten:

  • die Ablehnung jeglicher Herrschaft und aller Hierarchien, inklusive Geschlechterhierarchien (Goldman)
  • kein Staatsapparat wird benötigt (Kropotkin)
  • soziale Gerechtigkeit ist Teil unserer menschlichen Natur (Godwin)
  • sozialer Wandel wird durch kollektive Aktion herbeigeführt (Bakunin)
  • jene in Machtpositionen werden diese für das gemeinsame Wohl aufgeben (Godwin)
  • Nachbarschaftshilfe und Gegenseitigkeit resultieren aus einem Austausch zwischen Gleichen (Proudhon)
  • Menschen können souveräne Individuen sein, die frei in Zusammenschlüssen beteiligt sind (das bedeutet ohne Bezahlung) (Kropotkin)
  • die Emanzipation der Frauen wird von ihnen selbst herbeigeführt: „Zunächst, in dem sie sich selbst durch eine Persönlichkeit Geltung verschaffen, nicht als ein Sexobjekt. Zum Zweiten, in dem sie jedem das Recht an ihrem Körper verweigern.“ (Goldman)

Fragen aus anarchistischer Perspektive

Die Frage: Warum glauben Männer, das Recht zu haben, Sex zu kaufen?

Analyse

Gender basiert auf Machthierarchien, und Prostitution ist die Manifestation dieser Machtungleichheit. Die hauptsächlichen Sexkäufer (von Frauen und Männern) sind Männer. Der Anspruch von Männern, Sex zu kaufen resultiert aus ihrer privilegierten hierarchischen Position und der untergeordneten Position der Frauen. Frauen aus ärmeren sozio-ökonomischen Verhältnissen sind in der Sexindustrie überrepräsentiert.

Lösung

Männer sollten aufgefordert werden, ihre hierarchische Macht abzugeben und nicht darin unterstützt werden, sie zu erhalten.

Die Frage: Warum zahlen Männer für Sex?

Analyse

Prostitution ist „eine finanzielle Transaktion für Sex“. Sex ist frei verfügbar, sogar im aktuellen kapitalistischen System! Konsensualer Sex kann zwischen allen Erwachsenen jederzeit ohne finanziellen Austausch ausgeübt werden. Deshalb dient der Zahlungsvorgang für Sex einem anderen Zweck: Er ermöglicht Männern, Macht und Kontrolle über jene Person auszuüben, die er gekauft hat. Die Geltendmachung von Macht und Kontrolle durch den Mann und die Beherrschung der Frau sind Bestandteil der Bezahlung. Es geht nicht um Sex.

Lösung

Männer, die Sex kaufen, sollten für ihren Missbrauch von Macht und Kontrolle gegenüber Frauen zur Rechenschaft gezogen werden

Die Frage: Sind „Sexarbeitsgewerkschaften“ oder „Sexarbeitskollektive“ die Antwort?

Analyse

Die absolute Mehrheit der Frauen verkauft Sex in erster Linie aus Mangel an Alternativen. 90% der Frauen in der Prostitution wollen aussteigen, aber ihnen fehlen die Möglichkeiten dazu (Farley). Wenn Menschen ausgebeutet werden, dann unterstützen wir sie und nicht die AusbeuterInnen. Gewerkschaften sind notwendig für die grundsätzliche Produktion: Sex ist keine Ware – sondern frei verfügbar für jede/n. Gewerkschaften oder Kollektive von Menschen, die Sex an Männer verkaufen, ignorieren die Tatsache, dass der Sexkauf problematisch ist innerhalb der anarchistischen Analyse. Machtungleichheiten und Ungleichheiten zu normalisieren, macht diese weder kleiner, noch bringt es sie zum verschwinden; sie werden stattdessen verstärkt.

Lösung

Menschen sollten gerechte Möglichkeiten haben, wie sie ihr Leben leben können. Die Mehrheit der Frauen in der Prostitution haben keine Auswahl zwischen gerechten Wahlmöglichkeiten. Männer, die Sex kaufen, haben hingegen die Wahl. AnarchistInnen sollten den Status Quo von Geschlechterhierarchien in Frage stellen, indem sie das Recht des Mannes, Sex zu kaufen, in Frage stellen und nicht Wege unterstützen, die es Männern leichter (!) machen, ihre Macht und Kontrolle über Frauen auszuüben und sich selbst damit von der menschlichen Natur zu entfremden.

Andere radikale Ideen

  • Wenn Frauen limitierte Wahlmöglichkeiten haben, dann tun Männer ihnen keinen Gefallen damit, Geld für Sex anzubieten: Schenkt ihnen euer Geld doch einfach (ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen)
  • Menschen, die denken, dass Prostitution ein Service ist für einsame Männer, sollten diesen Männern einfach selbst Sex ohne Geld anbieten
  • Menschen, die denken, dass Prostitution das Gleiche ist wie jede andere Handarbeit, nur besser bezahlt, sollten versuchen ihren Lebensunterhalt auf der Romford Road zu bestreiten (Die Mehrheit der Frauen arbeitet nicht als „gutbezahlter Escort“) (Romford Road = Straßenstrich in London)
  • Jene, die den Sex gegen Geld fetischisieren (!), sind keine AnarchistInnen … oder in sonst einer Art und Weise radikal, sondern sie unterstützen die Entfremdung der menschlichen Wesen (sic!) voneinander

Ein Nachtrag zum Feminismus

Der Feminismus brachte die Ansicht ins Bewusstsein, dass „das Private politisch ist“. Die Voraussetzung einer feministischen Analyse, zwischenmenschliche Interaktionen danach zu untersuchen, ob sie Geschlechterungleichheit befördern oder in Frage stellen, resultiert im gleichen Ergebnis: Wenn Männer Sex kaufen, machen sie sich an der Unterordnung der Frauen als eine Gruppe mitschuldig.

Dieser Beitrag erschien 2001 auf dem englischen Blog Rancom

Zwischen Freiheit und Ersticken

Blume Jasminum officinale

By B.traeger (Own work) [GFDL or CC BY 3.0], via Wikimedia Commons

Weil ich immer wieder gerne von den gravierenden gesellschaftlichen Unterschieden in Skandinavien und Deutschland erzähle wurde ich gebeten dazu mal einen Text zu schreiben. Ich habe das große Glück, dass ich aus verschiedenen Gründen regelmäßig in Schweden und Norwegen sein bin, so dass ich mich nicht nur auf einen flüchtigen und zufälligen Urlaubs- oder Kurzaufenthalt beziehen muss.

Ausgehen

Um es kurz zu machen: Ich gehe in Deutschland kaum mehr abends weg. Und wenn doch, dann weiß ich schon nach spätestens einer halben Stunde wieder warum.

Stenogramm eines typischen Abends mit Freundinnen:

Hinsetzen, nach wenigen Minuten im Gespräch unterbrochen werden, ungefragt ein Bier vor mich auf den Tisch geknallt bekommen (btw: ich hasse Bier!), „Ey Süsse, hier für dich“ – „Nein danke“ – „Wieso?“ – „Ich würde mich gerne mit meinen Freundinnen unterhalten und ich finde es unhöflich wenn du hier einfach so in das Gespräch reinplatzt“ – „Gibst du mir deine Telefonnummer?“ – „Nein“ – Wieso? – „Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig“ – [….] – Irgendwann nach unzähligen weiteren „Wieso?s“ ist man den Nervtöter endlich los und das Ganze wiederholt sich im Laufe des Abends in ähnlicher Weise noch zig Mal.

Weiterlesen

Wie die Sexindustrie unser aller Alltag beeinträchtigt: Frauen als entrechtetes Freiwild

"Take rape seriously" - Protester with Placard Reproductive rights activist Shelby Knox.

by Women's eNews via Flickr, [CC BY 2.0]

Ich will meine (Lebens-) Geschichte erzählen. Denn diese spiegelt wohl die heutige Situation der Frauen in unserer Gesellschaft wieder.

Ich bin mittlerweile 32 Jahre alt, alleinstehend und lebe in Berlin, wo ich auch geboren und aufgewachsen bin.

Über Jahre wurde ich sexuell unter Druck gesetzt und bekam Dinge zu hören wie:

  • „das müssen wir machen, damit du das machst, du blöde Kuh“ (das sagte ein Polizist während meiner Ausbildung dort).
  • „du bist doch eine scheiß Lesbe, dass du das alles nicht machst. Deswegen machst du das alles ja nicht, weil du eine scheiß Lesbe bist.“
  • „du hast keine Rechte“
  • „das können wir alles machen, sie will es ja“
  • „du Schlampe, du Nutte, die vom Dienst“
  • „na warte, du, dann kommen wir alle mal ran, du immer mit deinem nicht-ran-lassen“

Doch der Reihe nach.

Mein Martyrium begann mit ca. 15 Jahren.

Ich ging damals in die 8./ 9: Klasse eines Gymnasiums. Es war die Zeit, in der die Mädchen unter dem enormen Druck stehen, einen Freund haben zu müssen. Mir war es damals zu früh für einen Freund, ich wollte gar  keinen haben. Ich wollte außerdem keine kurzen wechselnden Beziehungen haben, sondern lieber auf „den Richtigen“ warten. Damit ging ich nach meinem eigenen Gefühl, es gab keine „Jungfräulichkeitsbewegung“ in meinem Umfeld.

Mobbing: Traumatisierungsfolgen

Im Laufe der Zeit fiel ich in der Gunst meiner Mitschüler. Ich verlor meine Freundinnen, ich wurde zum Außenseiter und schließlich zum Mobbingopfer. Ich bekam eine Tierbezeichnung und wurde nur noch mit dem Tiernamen angesprochen, man malte eine Szene an die Tafel, auf dem dieses Tier mit einem langen Messer erstochen wird. Mobbing war an der Tagesordnung, auch Schläge und Tritte.

Psychotherapeutin verstärkt den Druck

Ich bekam deswegen gesundheitliche Probleme und begab mich in die ambulante Psychotherapie einer Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in Berlin. Diese erklärte nach einiger Zeit: „ich wundere mich doch, warum ich gemobbt werde, ich wolle doch, dass das aufhöre. Das liege daran, dass ich bei dem „Beziehungsführen“ nicht mitmache.“ Ich solle mir auch einen Freund suchen, damit werde das Mobbing aufhören.

Ich hatte der Therapeutin aber erklärt, ich wollte dabei nicht mitmachen, ich hatte andere Pläne. Dies war mein eigener Wunsch, es gab keine „Jungfreulichkeitsbewegung“ in meinem Umfeld. Dann wurde sie wütend und sagte doch, ich solle auch mitmachen, dass sei nicht nett von mir.

Sie begann zudem, mich mit der Zeit während der Gespräche zu „sexualisieren“.

Ich begann dann Kennenlernphasen zu haben, die ich abbrach, weil die damaligen Jungs mir für eine Beziehung nicht zusagten. Als die damalige Therapeutin dies mitverfolgte und erfuhr wurde sie wieder wütend und sagte so, ich mache das nicht, ich hätte jetzt tolle
Männer kennengelernt, die ich alle nicht wollte, jetzt solle ich halt so mit einem mitgehen, der mich anspricht für „mal eben Spaß“ haben.

Das „erste Mal“: traumatisierend

„Wenn ich mich nicht auf eine Beziehung einließe, dann mache ich jetzt das, dass ich so mitgehe“. Das sagte sie zu einem jugendlichen Mädchen, dass „entrechtet“ wurde durch ihr Umfeld, das erhebliche gesundheitliche Beschwerden (Panikattacken) und insbesondere Todesängste hatte. Ich konnte damals diesem Druck und dieser Nötigungslage nicht mehr standhalten und „musste“ dann (sexuell) irgendetwas machen, was ich selbst so nicht gewollt habe. Das war für mich eine furchtbare Erfahrung, mein ganzer Körper war taub und ich hatte gar kein Gefühl mehr in meinem Körper.
In einer anderen Situation, in der ich wieder lediglich Hilfe gesucht habe, wurde ich von einer Ärztin angeschrien, so dass ich daraufhin einen „Hyperventilationsanfall“ bekam und das Gefühl hatte, ersticken zu müssen.

Traumatisierende Psychotherapie – Forderung: schwanger werden!

Als ich meiner Therapeutin dann von meinem „ersten Mal“ erzählt habe, war diese hoch erfreut und lächelt zufrieden.Sie begann sogar im Lauf der Zeit mir vorzuschlagen, ob es denn so schlimm wäre, wenn ich schwanger werden würde. Ich war noch in der Schule, in Richtung Abitur, natürlich wollte ich kein Kind bekommen. Die Therapeutin drängte mich unaufhörlich, ich könne doch mal schwanger werden, dann würden mir sicher auch alle helfen mit dem Kind. Sie sagte „wir schaffen das mit dem Kind zusammen!“ Mehrmals sah ich andere KlientInnen mit Kinderwagen zu ihr kommen: ob diese jungen Frauen auf ihr Drängen hin schwanger geworden waren?

Traumatisierendes soziales Umfeld

Ich hatte zu dieser Zeit außerdem Probleme mit Bekannten der Familie. Da ich ja einen Freund suchen „musste“, hatte eine Bekannte der Familie es geschafft, mich mit dem Kumpel ihres Sohnes zu verkuppeln. Ich löste die Verkupplung nach wenigen Wochen wieder auf. Dann begannen die Leute zu stalken und mir ins Gewissen zu reden, ich möge doch wieder mit dem jungen Mann zusammen kommen.

Die Therapeutin bekam all dies mit und hat mir nicht geholfen, obwohl es sich um Kupplung, Nachstellung und Nötigung gehandelt hat. Sie half den Kupplern, indem sie sagte, das sei aber mutig von mir, die Beziehung zu beenden, das sei ja ein toller Mann gewesen. Na, vielleicht komme ja später noch mal  was, und ich würde ja jetzt sehen, was ich davon habe, wenn meine Klassenkameraden erfuhren, dass ich den jungen Mann verlassen habe! Weiterlesen

10 Jahre Hartz IV – Oder: Das Geschäft mit der Armut

Anti-Hartz4-Demo

By Björn Laczay from Moosburg, Germany (Flickr.com - image description page) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

Reicher Mann und armer Mann / standen da und sahn sich an.  Und der Arme sagte bleich: »wär ich nicht arm, wärst du nicht reich«. Bertolt Brecht

Neulich saß ich im Zug und las in einer Kritik am Deutschen Tafelsystem (die ich vollumfänglich teile), dass es unter den Tafelbefürwortern Menschen gäbe, die tatsächlich meinen, dass nicht die Armut das Problem sei, sondern das Stigma. Da musste ich doch zunächst etwas schmunzeln. Diese Argumentation kennen wir doch alle nur allzu gut aus der Prostitutionsdebatte: Das Stigma muss weg und dann wird alles gut und Prostitution kann endlich als ein Beruf wie jeder andere anerkannt werden.

Das „Hartz IV“-Stigma – ein spannendes Thema. Keine Frage: Wer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch in Anspruch nehmen muss ist stigmatisiert. In der Tat ist meine Erfahrung aus mehr als 5 Jahren ehrenamtlicher Beratung in diesem Bereich, dass die damit verbundenen psychischen Belastungen viel schwerer wiegen, als die Tatsache mit viel zu wenig Geld auskommen zu müssen. Beschämung ist weitverbreitet: Ob es die zahlreichen alten Menschen sind, für die es gar nicht in Frage kommt staatliche Unterstützung in Form von Grundsicherung überhaupt erst zu beantragen und die lieber von ihren 600 Euro Rente leben, wovon sie alles, inklusive der Miete bestreiten. Eine Frau, der ich neulich zum wiederholten Male dringend nahe legte, doch einen Antrag zu stellen, sagte zu mir: „Wissen Sie, ich habe den Krieg und wirkliche Not überlebt, dann überlebe ich auch das. Und eins habe ich gelernt: Wer was hat, der will immer mehr.“ Oder ob es die Kinder sind, die den Sportverein lieber vom Taschengeld bezahlen, als die (mickrigen) Leistungen für Bildung und Teilhabe in Anspruch zu nehmen – weil das nur in Direktzahlung an den Dienstleister geht (da die Eltern das Geld ja stattdessen sonst in Alkohol und Zigaretten anlegen würden, wie wir alle wissen) und damit mit einem Zwangsouting verbunden ist. Oder ob es der Leiharbeiter ist, der 40 Stunden die Woche arbeitet und trotzdem aufstocken muss und nur verlegen nickt, wenn wieder einer seiner Bekannten über die „faulen Hartzies“, die ihm „auf der Tasche liegen“ herzieht – und der Angst hat, dass auch über ihn so geredet wird, wenn jemand ihn zufällig im Warteraum des Jobcenters sieht und dies weitererzählt. Nein: 10 Jahre Hartz IV waren für die Betroffenen kein Zuckerschlecken und ich bin die Letzte, die sich über die Thematisierung des Stigmas durch Hartz IV lustig macht.

Dann wiederum frage ich mich: Wer davon redet und meint „Das Stigma muss weg“ sei eine sinnige politische Forderung, dem muss ich leider sagen ihm / ihr ist eine zentrale Tatsache entgangen. Nämlich die, dass es ein Kernelement der Agenda 2010 und ihrer neoliberalen Ideologie war und ist, eben dieses Stigma auf die Betroffenen zu legen. Und jetzt wird es spannend: Das Workfare Modell, mit dem Gerhard Schröder (und in England Tony Blair) mit seiner Agenda-Politik das Arbeitslosenversicherungssystem abgelöst hat, bedeutet doch nichts anderes als strukturelle Ursachen dem Individuum in die Schuhe zu schieben: Ungeachtet der Tatsache, dass es viel weniger offene Stellen als Arbeitssuchende gibt, ist das doch die zentrale Botschaft, die an Betroffene ausgesendet wird: „Jeder ist seines eigenes Glückes Schmied. Wenn du arm bist, dann hast du individuell versagt und dann bist du selbst schuld an deiner Situation“. In meiner Beratung habe ich erlebt wie das Jobcenter mit diesem Dogma aus aufrechten, selbstbewussten Menschen, gebrochene, mit Minderwertigkeitskomplexen beladene Menschen gemacht hat. Menschen, die beispielsweise aufgrund einer Firmeninsolvenz oder betriebsbedingten Kündigungen arbeitslos geworden sind, sagen oft „Hey, ich bin gut qualifiziert, ich habe jahrelange Berufserfahrung, ich finde ganz schnell einen neuen Job“. Wenn das dann jedoch nicht funktioniert, dann dauert es bei dem einen kürzer, dem anderen länger und bei so gut wie jedem setzen früher oder später die Selbstzweifel ein – selbst, wenn sie eigentlich ganz genau wissen, es liegt am Arbeitsmarkt und nicht an ihnen.

Diese neoliberale, politische Strategie strukturelle Missstände zu individualisieren hat Michel Foucault bereits in seiner Vorlesung zur Gouvernementalität eindrucksvoll beschrieben. Extrem verkürzt (Lektüre lohnt sich!): Dem Staat gelingt es Menschen zu führen und ihnen gleichzeitig jedoch zu suggerieren, dass sie es sind, die Entscheidungen für sich treffen und eben nicht der Staat und damit auch jede beliebige Lebenssituation selbst herbeigeführt wurde. Äußere Faktoren, komplexe Zusammenhänge werden einfach komplett ausgeblendet.

Wenn ich diese Sichtweise durch das entwürdigende, halbjährliche Gespräch beim Fallmanager/der Fallmanagerin so massiv internalisiere, von allen Seiten mit dem Klischee des Arbeitslosen konfrontiert werde, wundert es dann eigentlich wirklich, wenn der Massenprotest gegen diese menschenunwürdige Sozialpolitik ausbleibt?

Das bewusst erzeugte Stigma hat jedoch noch einen weiteren Effekt: Es spaltet die Gesellschaft und macht sie empfänglich für das Geschäft mit der Armut. Dieses hat zwei Ebenen:

Zum einen übt es massiven Druck auf all jene aus, die durchschnittlich verdienen und Angst davor haben, in „Hartz IV“ abzurutschen. Es macht sie erpressbar zu miserablen Löhnen zu arbeiten und zähneknirschend Bedingungen zu akzeptieren, für die sie vor der Agenda 2010 jedem Chef den Vogel gezeigt hätten. Das Damoklesschwert über dem Kopf hat einen extrem disziplinierenden Effekt und bringt Menschen dazu, tatsächlich fast jede Arbeit anzunehmen. Den ArbeitgeberInnen wird dadurch das Geschäft ihres Lebens ermöglicht. Sie können sparen an Löhnen, Zusatzzahlungen und so genannten „Lohnnebenkosten“ (diese Kosten sind das, was den Betroffenen dann eben fehlt in der Krankheit, in der Arbeitslosigkeit, in der Rente, … welch schöner Euphemismus).

Zum anderen gedeiht das Geschäft mit der Armut auch im Bereich der so genannten „Maßnahmen“. Vor „Hartz IV“ erfolgreich arbeitende und tatsächlich auch sinnvolle Träger wurden häufig durch diese Konkurrenz schlicht platt gemacht. Oder können ihre ursprünglichen Angebote nur dann noch aufrechterhalten, wenn sie auch in den Markt mit „Arbeitsgelegenheiten“ (so genannte „Ein-Euro-Jobs“), Bewerbungstrainings, Coachings, etc. einsteigen und damit querfinanzieren. Viele kleine aber (in Wirklichkeit gar nicht so) feine Träger schaffen viele kleine, schöne und gar nicht schlecht bezahlte GeschäftsführerInnenpöstchen (in denen gerne auch mal die eigenen Parteikollegen versorgt werden) und vor allem: zahlreiche Ausbeutungsstrukturen für billige und leicht erpressbare (Sanktionskeule!) Arbeitskräfte. Offizielles Ziel: „Wiedereingliederung in den 1. Arbeitsmarkt“ Dass ich nicht lache. Wenn ich nur (vereinfacht ausgedrückt) 10 Jobs im Angebot habe, kann ich 200 Menschen durch so viele Coachings, Bewerbungstrainings und Selbstwertstärkungsmaßnahmen jagen wie ich will, es bekommen trotzdem nur 10 einen Job. Das kleine Einmaleins sollte doch nun wirklich jedeR beherrschen. Sollte man meinen. Aber nein: Teile und herrsche, ein bekanntes Spiel. Solange die Gesellschaft das Lied von der Armut als individuell und selbst verschuldetem Schicksal laut mitträllert, wird weiter munter die große Kohle mit den Ärmsten der Armen gescheffelt.

Diese monströse Hartz-IV-Maschinerie braucht das Stigma auf den Betroffenen. Genauso übrigens, wie die Sexindustrie und vor allem die Sexkäufer das Stigma auf den prostituierten Personen brauchen, um weiter zu machen wie bisher, bzw. das Ganze immer doller zu (be)treiben.

Natürlich ist es legitim, hier wie dort, zu fordern „Das Stigma muss weg“. Wer aber nur an dieser Oberfläche zu kratzen bereit ist und nicht bereit ist die strukturellen Rahmenbedingungen radikal zu verändern, wird nicht und niemals in der Lage sein die Ausbeutung zu stoppen. Die Ausbeutungsstrukturen leben von Hierarchien und sie nähren sich vom Stigma. Sie fressen sich dick und fett und immer fetter und verteilen den in unserer Gesellschaft zweifellos vorhanden Reichtum immer weiter von unten nach oben. Nur handelt es sich beim Kapitalismus nicht um ein essendes Lebewesen und die Hoffnung, irgendwann, wenn er das Fressen übertrieben hat, platzt er schon von alleine, wird leider niemals erfüllt werden. Hier ist es schon an uns „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“

Manuela Schon ist Stadtverordnete der Fraktion LINKE&PIRATEN in Wiesbaden und Gründungsmitglied der Linken Hilfe Wiesbaden e.V.

Sexualassistenz oder das Recht von Menschen mit Behinderungen auf den Kauf von Frauen

Immer wieder kommt das Thema „Sexualassistenz“ für Menschen mit Behinderungen auf.  Sexualassistenz ist sozusagen die angeblich menschliche Seite der Prostitution, denn Menschen mit Behinderungen haben ja auch das Recht auf Sexualität. Inwiefern hier gemeint war, dass andere Menschen für Geld diese Bedürfnisse zu erfüllen haben, bezweifele ich sehr.

Gerne und oft wird die UN Behindertenrechtskonvention zitiert, die das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen festlegt. Komischerweise wird kaum Artikel 6 zitiert, der die mehrfache Diskriminierung von Frauen mit Behinderungen hervorhebt, die zu beseitigen sind, oder Artikel 16, der Freiheit von Ausbeutung, Gewalt, und Missbrauch thematisiert oder Artikel 17, Schutz der Unversehrtheit der Person. Irgendwie erscheint mir hier von einigen eine sehr selektive Auswahl der Behindertenrechtskonvention getroffen worden zu sein. Wie immer im Patriarchat, wird ein Satz aus einem Zusammenhang genommen, der gut passen kann, um männliche Bedürfnissbefriedigung zu begründen und um männliche Ansprüche zu bestätigen.

Sexualassistenz ist die Speerspitze der Lobby, die in das Herz von Menschen treffen soll, die irgendwie Mitleid mit den „armen behinderten Menschen“ haben und somit ihnen wenigstens sexuelle Dienste zukommen lassen wollen. Eigentlich steht hier ein sehr abwertendes Bild von Menschen mit Behinderungen dahinter, denn Menschen mit Behinderungen haben genauso wenig oder viel Recht auf den Kauf von prostituierten Frauen (in der Regel) oder auf den Kauf von prostituierten Männern, wie Menschen ohne Beeinträchtigungen..

Sexualassistenz wird gerne beschrieben als „tiefe Begegnung zweier Menschen“ oder Ähnliches. Es soll eine weiche und nette Form der Prostitution sein, mit ganz viel Verständnis und Empathie. Sie dient sozusagen als Rechtfertigung der Prostitution, denn wer will vom Schicksal schwer getroffenen Menschen auch noch den „Sexualtrieb“ beschneiden?

Es gibt seit August sogar ein Portal, Nessita, das Sexualassistenz für immobile Menschen vermittelt. Auch hier wird von Vertrauen, Respekt und Einfühlungsvermögen gesprochen.

Menschen mit Beeinträchtigungen werden genauso beeinflusst von Medien und Gesellschaft wie Menschen ohne Beeinträchtigungen. Einige meiner Freunde arbeiten mit Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung. Sie bestätigen, dass hier Männer genauso oft sexistische Witze machen wie auch sonst leider üblich.

Weiterlesen

Warum Traumata nicht „aufzulösen“ sind

Kunsttherapie

Kunsttherapie, Abdrücke von Händen. Lizenz: Public Domain, Quelle: stux bei pixabay

Ich habe in den letzten Tagen irgendwo den Tweet einer Psychotherapeutin gelesen, in dem sie schrieb, ihr würde es nicht schwer fallen, „Traumata aufzulösen“ (wohingegen sie Häkeln nicht so gut beherrsche). Es ist nicht das erste Mal, dass ich etwas Derartiges lese und es schnürt mir, als schwer traumatisierter Person, jedesmal den Hals zu.

Traumata, in meinem Fall sexuelle und anderweitige körperliche Misshandlungen und psychischer Terror, lassen sich nicht „auflösen“. Es kommt einem Hohn und einer absoluten Verharmlosung gleich und es zeugt von Selbstüberschätzung und Fehleinschätzung von Trauma-Auswirkungen, so etwas zu behaupten (ja, ich weiß, sie, die TherapeutInnen, die das behaupten, meinen es sicher gut, ja, ich weiß).

Diese Aussage impliziert, dass Traumata einfach verschwinden können, dass die Auswirkungen gänzlich korrigierbar, heilbar sind, aber das ist nicht der Fall.

Ich habe sehr lange dafür gebraucht zu verstehen und vor allem zu glauben, dass es Familien gibt, in denen die Kinder nicht geschlagen, nicht vergewaltigt, nicht psychisch terrorisiert werden. Meine Realität, mein Erleben in einer Familie, in der Gewalt an der Tagesordnung war, war mein „Default“, meine Standardeinstellung im Betriebssystem des Lebens. Ich war Jahrzehnte nicht wütend darüber, ich habe mir schließlich für all das die Schuld gegeben. Was soll ich sagen? Dieses Gefühl, dieses Erleben, diese Wahrnehmung bleibt. Und wenn sie mal über einen bestimmten Zeitraum aus dem Bewusstsein verschwunden zu sein scheint, dann braucht es einen minimalen Auslöser, eine Sekunde, um in dieses System hinein katalputiert zu werden, in dem ich so defizitär sozialisiert wurde.

Ja, vielleicht meinen diese TherapeutInnen damit etwas ganz Anderes, wenn sie von „auflösen“ sprechen. Mit Sicherheit wird mir das gleich erklärt. Dann sollten sie einen anderen Begriff wählen: Kein Wort ist nur ein Wort.

Eine Therapie kann helfen. Sicher. Ich habe auch eine gemacht. Ich war irgendwas zwischen 20 und 25, hatte ein Studium angefangen, eine niedliche Miniwohnung angemietet und lebte in einer wunderbaren Großstadt. Und trotzdem war ich mit Lebensoptionen beschäftigt, die so gar nicht typisch für eine solche 20-Jährige waren: Ich überlegte jeden Tag, ob ich mich von einer dieser Rheinbrücken stürze oder mich dauerhaft mit Drogen abschieße. Ich wachte jeden Morgen auf und überlegte, mich lieber jetzt schon, statt erst abends zu betrinken. Weil dieser Lebensschmerz einfach so maßlos war und mich jeden Tag überwältigt hat. Die Therapie damals, sie half. Und ich weiß tatsächlich manchmal nicht, ob ich ohne sie heute auch in diesem Arbeitszimmer sitzen und Artikel ins Internet schreiben würde.

Weiterlesen

Prostitution: Was ist mit Deutschland?

Hamburg - Herbertstraße, Rotlichtvierte

Steffen Klaus via Flickr, [CC BY 2.0]

Ich bin Französin, lebe seit längerer Zeit in Deutschland, fühle mich hier glücklich und geborgen, ich mag die Sprache, das Umweltbewusstsein, die Kultur, die Demokratie, viele Sachen. Aber das Prostitutionsgesetz von 2002 passt überhaupt nicht in dieses Bild, das ich von Deutschland habe.

Jetzt haben hier bestimmte Menschen keine Rechte, sie werden anders behandelt als normale Bürgerinnen, sogar anders als Ausländerinnen wie ich.

Das sind diese Mädchen, die in Bordellen und auf dem Strich zu finden sind.

Es wurde von Legalisierung der Prostitution gesprochen, aber wo ist die Legalisierung ? Alles ist jenseits von legal. Die Prostitution befindet sich in einer komplett gesetzlosen Zone wie früher im Wilden Western, als es die Vereignigte Staaten noch nicht gab.

Die Mädchen sind gar keine Mitglieder der Gesellschaft. Sie bewegen sich in einer komplett parallelen Welt als Wesen, die ungefähr den Status eines Rindviehs besäßen, wenn nicht jeden Tag die Finanzbeamten in die Bordelle kämen, um für jede Frau einen Pauschalbetrag zu kassieren. Die Kommunen verdienen mit der Prostitution viel Geld. Doch die Frauen bekommen keine Aufenthaltserlaubnis, keine Arbeitserlaubnis, und sie müssen sich nirgendwo anmelden, so das keiner weiß, wie sie heißen, ob sie überhaupt einen Namen haben, wie alt sie sind, ob sie überhaupt volljährig sind, eine Identität besitzen. Wenn sie verschwinden, weiß auch keiner wo, und es scheint auch egal zu sein. Sind das noch Menschen für die deutsche Republik ? Bald kriegen sie noch einen Chip ins Ohr, wenn es weiter geht.

Weiterlesen

Offener Brief einer ehemaligen Prostituierten an die Prostitutionslobby: „Über das Schweigen“

Huschke Mau hat einen offenen Brief an die Prostitutionslobby geschrieben, in dem sie als Prostitutionsüberlebende mit deren Argumenten abrechnet. Der Brief wurde zuerst von der Feministischen Partei Deutschlands veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung von Huschke Mau dürfen wir ihren Brief auf unserem Blog veröffentlichen.

Wir hoffen, dass ihre Worte vielen die Augen dafür öffnen werden, was Prostitution für die Betroffenen bedeutet:

Liebe ProstitutionsbefürworterInnen, liebe Stephanie Klee,

ich nehme Bezug auf das Interview, dass das Stadtmagazin Zitty Berlin mit Dir geführt hat (1) und ich möchte mich zunächst bei Dir dafür bedanken, dass Du es gegeben hast. Denn hätte ich es nicht gelesen, würde ich immer noch schweigen. Zunächst mal: ich darf Dich doch duzen? Wo wir doch sozusagen Kolleginnen sind. Denn ja, auch ich kenne die Prostitution gut, ich habe zehn Jahre in ihr verbracht. Weisst Du, ich finde Deine Aussagen über die Prostitution ganz bemerkenswert. Mich wundert nur ein bisschen, dass Du vergessen hast einige – mir doch recht wichtig erscheinende Dinge – zu erwähnen. Zunächst einmal hast Du vergessen, die grundsätzliche Frage zu stellen, ob es der Prostitution überhaupt bedarf. Es ist schön, dass Du wenigstens nicht das alte, abgenudelte Pseudoargument verwendest, ohne Bordelle triebe es die Vergewaltigungsrate hoch (was ja bedeutet, Männer können ihre Triebe nicht kontrollieren und kämen sie nicht zum Stich, könnten sie ja nicht anders als zuvergewaltigen).

Aber wozu braucht die GesellschaftProstitution, Stephanie? Wozu braucht es die Tatsache, dass Männer Frauen kaufen dürfen (denn die meisten Prostituierten sind weiblich, und die, die männlich sind, bedienen das Homosexuellenmilieu). Wie erklärst Du Dir denn diese Tatsache und was sagt sie für Dich aus? Anscheinend ist das für Dich kein Merkmal eines Machtverhältnisses. Und da ist er schon, der erste blinde Fleck auf Deiner Linse.

Weiterlesen

Prostitution, Consent und sexuelle Selbstbestimmung

Keep Sex Sexy Consent

Keep Sex Sexy Consent by Charlotte Cooper via Flickr, [CC BY 2.0]

In der Prostitutions-Drebatte  ärgere ich mich zunehmend darüber, dass ich über das Thema “Darf Mensch einem anderen Menschen Geld für seine eigene Befriedigung zahlen?” diskutieren möchte und stattdessenin Diskussionen rund um die Frage “Darf Mensch sich für die Befriedigung eines anderen Menschen Geld geben lassen?” verwickelt werde. Dieser Text stellt einen Versuch dar, Prostitution im Kontext von Rape Culture bzw. dem – Consent-/Zustimmungskonzept zu diskutieren.

Rape Culture und sexuelle Selbstbestimmung

Mindestens jede dritte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens Gewalt (körperliche, emotionale, sexuelle, etc.). Grenzüberschreitungen werden häufig bagatellisiert und heruntergespielt, Vergewaltigungsopfern wird misstraut oder sie werden verantwortlich gemacht für die Tat („sie hat einen kurzen Rock getragen“, „sie lebt promiskuitiv“, „sie hat aufreizend getanzt“, „sie wollte es doch auch“, etc.). Vor Gericht muss eine Frau, die sexuelle Gewalt erfahren hat, beweisen, dass sie sich in einer schutzlosen Lage befunden hat, d. h. Widerstand gegenüber dem Täter geleistet hat. Täter berufen sich vor Gericht oftmals darauf, dass sie den entgegenstehenden Willen des Opfers nicht erkennen konnten (anders als beispielsweise in Norwegen, wo es den Straftatbestand der grob fahrlässigen Vergewaltigung gibt, wenngleich es bisher kaum Urteile danach gibt. Der Ansatz ist jedoch vollkommen richtig und wichtig).

Weiterlesen