Dieser Artikel erschien zunächst bei der Huffington Post Deutschland
Wenn wir darüber sprechen, warum Frauen sich auch im 21. Jahrhundert noch überwiegend in einer prekären Situation wiederfinden, dann kommen wir nicht umhin uns mit dem Arbeitsbegriff auseinanderzusetzen, die historische Entwicklung zu betrachten und uns die Dynamiken im Feld der Ökonomie anzuschauen.
Frauenarbeit – Männerarbeit
Die Trennung der Arbeitswelt in einen öffentlichen Bereich (des Mannes) und den häuslichen Bereich (der Frau) wird traditionell als „natürlich“ angesehen, ohne dabei zu berücksichtigen, dass sich diese Arbeitsteilung erst mit der patriachalen Ordnung entwickelt hat.
In ihr werden Frauen definiert über ihre reproduktiven Funktionen, also über die Produktion von Babies.
Um den „Vorrang der Vaterschaft“ (künstlich) herzustellen, muss nach dem französischen Soziologen Bourdieu die „wirkliche Arbeit der Frau beim Gebären“ verschleiert werden. Die gleiche Gesellschaft, die häusliche Arbeit als „wichtigste Stütze der Gesellschaft“ glorifiziert, wertet sie als „Frauenarbeit“ ab.
So werden häusliche Tätigkeiten bei der Berechnung des Bruttoinlandsproduktes unsichtbar gemacht. „Hausfrauen“ gelten hier als „Nichtproduzierende“, „inaktiv“ und „unbeschäftigt“.
Zusammen mit der häufiger von Frauen abgeleisteten ehrenamtlichen Tätigkeit, würde das jeweilige BIP bei Berücksichtigung all dieser Tätigkeiten um 40% steigen.
Studien zeigen deutlich, dass weltweit Frauen mehr arbeiten als Männer – und dass die Beteiligung an der Lohnarbeit zu kaum oder keiner Reduzierung ihrer häuslichen Tätigkeiten geführt hat: Frauen tragen weiterhin die hauptsächliche Sorge für die Erziehung von Kindern und Pflege von Älteren.
Nicht zuletzt ermöglicht die häusliche Arbeit von Frauen oft erst den beruflichen Erfolg des Mannes – hierher rührt das bekannte Sprichwort „Hinter jedem Mann, steht eine starke Frau, die ihm den Rücken frei hält“.
Der Umstand jedoch, dass die häusliche Arbeit von Frauen kein Geld-Äquivalent hat, trägt auch in den Augen der Frauen selbst zu ihrer Abwertung bei. „Nur“ Hausfrau und Mutter zu sein ist bis heute gleichbedeutend damit, „nichts aus seinem Leben zu machen“ und „unproduktiv“ zu sein.
Bourdieu weist die geläufige Betrachtung nur der produktiven Tätigkeiten als Arbeit als „ethnozentrisch“ und historische Erfindung zurück. Arbeit, so sagt er, sei eigentlich definiert als „Ausübung einer gesellschaftlichen Funktion, die man als „allumfassend“ oder undifferenziert bezeichnen kann, und die auch Tätigkeiten einschließt, die nicht durch Geld sanktioniert werden.“.
Die geschlechtliche Arbeitsteilung sei objektiv strukturiert in den Gegensatz männlich, öffentlich, diskontinuierlich und außergewöhnlich versus weiblich, privat bzw. verborgen, kontinuierlich und gewöhnlich.
Die Radikalfeministin Andrea Dworkin benannte in ihrem Aufsatz „Sexual Economics“ die maßgeblichen Mechanismen, die den untergeordneten Status der Frau auf dem Arbeitsmarkt aufrecht erhalten und die 1998 auch von Bourdieu in seinem soziologischen Spätwerk „Die Männliche Herrschaft“ bestätigt wurden.
Frauen erhalten geringere Löhne als Männer, für die gleiche Arbeit
Die unbereinigte Lohnlücke, die sich aus der unterschiedlichen Anerkennung verschiedener Berufe, unterschiedlichen Eingruppierungen oder Teilzeittätigkeit ergibt, liegt derzeit in Deutschland bei 22 Prozent. Aber auch aus dem Vergleich der Entgelte von Frauen und Männern mit gleichen Merkmalen (Ausbildung, Bildungsabschluss, Berufserfahrung) ergibt sich ein so genannter „unerklärter Rest“.
Frauen werden systematisch von Arbeit ausgeschlossen, die durch hohen Status, konkrete Macht und hohe finanzielle Anerkennung gekennzeichnet ist.
So weist der aktuell neu gewählte Deutsche Bundestag mit 30,7% einen nach wie vor sehr niedrigen (und von einem Rückgang gekennzeichneten) Frauenanteil auf. Bei Frauen in Führungspositionen liegt Deutschland mit 35% im europäischen Vergleich weit hinten.
In jedem sozialen Feld sind Frauen in der Feldhierarchie unten
Frauen üben die niedersten Tätigkeiten in einer Gesellschaft aus, egal was darunter jeweils verstanden wird. So sind Männer eher Ärzte, Rechtsanwälte oder haben eine Vollprofessur inne, Frauen sind eher Krankenschwestern, Rechtsanwaltsgehilfinnen oder wissenschaftliche Hilfskräfte.
Bourdieu weist darauf hin, dass sich die Lage der Frauen zwar sichtbar verändert hat, zum einen durch einen erweiterten Zugang zu Hochschulbildung und damit zu bezahlter Arbeit und der öffentlichen Sphäre, zum anderen durch eine gewachsene Distanz zu den häuslichen Tätigkeiten und Reproduktionsfunktionen durch eine verbreitetere Nutzung von Verhütungsmitteln, kürzere Unterbrechungen der Berufstätigkeit, eine steigende Scheidungs- und eine sinkende Heiratsrate.
Dennoch stellt er fest, dass die relativen Positionen unverändert geblieben sind: Bei gleichen Voraussetzungen nehmen Frauen stets die weniger günstigen Positionen ein und ihre Zugangschancen sind umso geringer, je seltener und gefragter eine Position ist.
Wenn Frauen in größerer Zahl in ein Arbeitsfeld strömen, wird dieses Feld feminisiert und damit an Prestige abgewertet
Stellen Frauen die Mehrheit in einem Feld, nimmt dieses den niedrigen Status der Frau an. Treten Männer in ein Feld ein, dann bringen sie Prestige hinein. Demnach wird eine Tätigkeit dadurch zu einer qualifizierten Tätigkeit, dass Männer sie ausüben.
So wurde der Arztberuf in der ehemaligen Sowjetunion überwiegend von Frauen ausgeübt, die gegenüber den Männern in Handwerksberufen schlechter bezahlt wurden.
Falls sich jemals schon einmal gefragt hat, warum kochen zwar gemeinhin als weibliche Tätigkeit gilt, jedoch die meisten Sterneköche männlich sind: Gesellschaftlich kann sich ein Mann, nach Bourdieu, zu bestimmten, sozial als geringwertig qualifizierten Tätigkeiten nicht herablassen.
Indem er bislang als weiblich geltende Tätigkeiten jedoch an sich reißt und außerhalb der Privatsphäre erfüllt, kann er diese bei Frauen „qualitätslosen“ Tätigkeiten aufwerten und zu Ruhm verhelfen .
Auf diese Weise wird die Unterordnung der Frau gegenüber dem Mann endlos fortgesetzt, auch dann wenn Frauen Lohnarbeiten und unabhängig davon, welche Arbeit Frauen machen.
Quoten sind nicht die Lösung für das Problem
Der moderne Staat selbst reproduziert die männlich-weiblich Dichotomie in seiner Struktur, Bourdieu nennt es die „paternalistische und protektive rechte Hand“ (die nehmende) und die „sozial orientierte linke Hand“ (die gebende).
Da Frauen durch ihre Prekarisierung stärker auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, und neoliberale Kürzungen immer zuerst auf den Sozialstaat angewandt werden, sind Frauen immer stärker von Austeritätsmaßnahmen betroffen.
Der liberalfeministischen Ansatz, nach dem der Staat durch eine paritätische Beteiligung von Frauen zu deren kollektiver Befreiung beitragen können, ist ein Trugschluss: Eine Parität in politischen Instanzen kommt vorrangig jenen Frauen zugute, die aus denselben Regionen des sozialen Raumes (Klasse, Ethnie, …) stammen wie die Männer, die gegenwärtig die herrschenden Positionen einnehmen.
Eine amerikanische Soziologin und Feministin fasste dies zuletzt so zusammen:
„Indem ein paar (zumeist weiße) Frauen in den Club gelassen werden, hat das Patriarchat eine Abstreitklausel gegen das Argument der zweiten Welle des Feminismus, dass Frauen als Klasse unterdrückt sind eingeführt.
Systeme der Unterdrückung sind jedoch flexibel genug um ein paar Mitglieder der untergeordneten Gruppen zu absorbieren; sie ziehen sogar ihre Stärke aus der Illusion der Neutralität, die durch diese Ausnahmen generiert wird.
Eine Sheryl Sandberg bei Facebook oder eine Nancy Pelosi in der Regierung ändern jedoch nicht die strukturelle Realität des Patriarchats.“
Es lässt sich empirisch feststellen, dass hohe Positionen bei Frauen, also beruflicher Erfolg, in aller Regel in „Misserfolg“ im häuslichen Bereich resultieren: Höheren Scheidungsraten, Kinderlosigkeit oder späte Elternschaft, etc.
Auch umgekehrt ist ein Erfolg im privaten Bereich oft nur mit Misserfolg im beruflichen Bereich realisierbar, zum Beispiel durch eine Teilzeitbeschäftigung, die Frau als Konkurrentin der Männer ausschließt.
Immer häufiger wird heutzutage die Zwei-Job-Belastung von Frauen auch auf Kosten anderer Frauen gelöst:
Das berufliche Vorwärtskommen beruht entweder auf der Abhängigkeit von Familienangehörigen, beispielsweise bei der der Kinderbetreuung, auf der Verlagerung häuslicher Tätigkeiten in den Verantwortungsbereich des Staates (wo die Linie der „Frauenarbeit“ in Unterricht, Pflege und Dienstleistung fortgeführt wird) – oder in der Bezahlung osteuropäischer Arbeitsmigrantinnen, wodurch Frauen zu Komplizinnen der Ausbeutung von Frauen aus anderen Ländern werden.
Pierre Bourdieu und Radikalfeministinnen sind sich einig: Die patriarchalen Strukturen werden sich reproduzieren, solange sie bestehen.
Aufzulösen ist die Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt, wie in jedem anderen sozialen Feld deshalb nur, durch die Ablösung der patriachalen Strukturen, die den Sexismus, Klassismus und Rassismus unauflösbar in sich tragen.