Kategorie: Patriarchatskritik

Susi Kaplow: Wütend werden

Bild einer Katze

CCO Public Domain, Pixabay

Der nachfolgende Beitrag erschien in englischer Sprache unter dem Titel “Getting Angry” in der Anthologie “Radical Feminism”, herausgegben von Anne Koedt, Ellen Levine und Anita Rapone im Jahr 1973. Es handelt sich hierbei um eine gekürzte, übersetzte Fassung.

Ein wütender Mann: Jemand hat seine Rechte verletzt, gegen seine Interessen gehandelt, oder jemandem, den er liebt, Schaden zugefügt. Vielleicht hat seine Wut auch soziale Ursachen – und richtet sich gegen Rassismus oder Militarismus. … Wir sehen ihn Schreien, seine wütenden Phrasen mit Selbstsicherheit und Zuversicht raushauen – oder seine Faust in den Bauch eines Opponenten rammen, mit der gleichen Überzeugung. Wie auch immer wird die Wut überwunden; unser Held hat sie raus gelassen. …

Einer Frau ist es in dieser Gesellschaft nicht erlaubt ihre gesunde Wut geradeheraus auszudrücken. … Eine Frau hat es gelernt ihren Ärger zurückzuhalten: Er geziemt sich nicht, ist ästhetisch anstößig, und wütend zu sein verstößt gegen das süße und weiche weibliche Bild. Die Frau fürchtet ihre eigene Wut auch … Was, wenn sie falsch liegt? Was, wenn die andere Person Recht hat? – Oder noch schlimmer(und das ist die größte Angst), was wenn sie erwidert „Du bist verrückt, ich weiß gar nicht worüber du dich aufregst.“

Warum können Frauen sich selbst nicht zugestehen ihre gesammelte Wut zu zeigen? … Gesunde Wut sagt: „Ich bin ein Mensch. Ich habe menschliche Rechte, die du mir nicht verwehren kannst. Ich habe ein Recht darauf fair und mit Mitgefühl behandelt zu werden. … Ich habe ein Recht darauf selbst voranzukommen, wenn ich niemand anderem damit schade. Und wenn du mir diese Rechte nicht zugestehst, dann werde ich es dir nicht danken, sondern ich werde „Fick dich“ sagen und dich bekämpfen, wenn es sein muss.“ Die Wut eines Menschen stellt ihn in den Mittelpunkt. Sie fordert Aufmerksamkeit ein und das Recht ernst genommen zu werden, sonst … (Sonst rede ich nicht mehr mit dir, arbeite ich nicht mehr mit dir zusammen oder bin nicht mehr freundlich zu dir, sonst ist unsere Verbindung ein für alle Mal gebrochen.)

Wut auszudrücken bedeutet Risiko. Risiko, dass die andere Person selbst wütend wird, dass die andere Person es missverstehen wird oder es ablehnt sich damit auseinanderzusetzen, oder dass die Wut deplatziert ist oder auf falschen Informationen beruht. Deshalb bedarf es Stärke zu sagen, dass man wütend ist – den Mut zu deiner Überzeugung zu stehen und die Fähigkeit zu akzeptieren, dass dein Ärger unerwünscht sein könnte.

Wut ist selbstbewusst und drückt die Absicht aus zu kämpfen, auch wenn dadurch der Status Quo gefährdet wird. Man muss fähig sein ein Risiko einzugehen, und wenn notwendig, eine Niederlage zu akzeptieren, ohne komplett zu kapitulieren. Wut ist darüber hinaus bestimmt. Die traditionelle Frau entspricht genau dem Gegenteil dieser Beschreibung. Sie hat kein Selbstvertrauen in sich und ihren Wahrnehmungen, sie geht Streit aus dem Weg oder folgt den Regeln der Ritterlichkeit und lässt jemand anderen für sie kämpfen. Ihr Selbstbild ist so wackelig, dass jegliche Kritik als Anklage an ihrer Person betrachtet wird. Sie ist eine lebendige und wandelnde Entschuldigung für ihre eigene Existenz.

Auch wenn die Realität sich inzwischen ein wenig geändert hat, werden sich die meisten Frauen irgendwo in dieser Beschreibung wiederfinden. Die Gesellschaft hält an diesem Modell als ihrem Ideal fest und nennt eine wütende Frau unweiblich. Wut nimmt die Frau aus ihrer Erde-Mutter-Rolle, einer Bastion des Friedens und der Ruhe, aus ihrer familiären Rolle als Friedensstifterin, aus ihrer politischen Rolle als Bewahrerin des Status Quo, aus ihrer ökonomischen Rolle als billige Arbeitskraft, aus ihrer sozialen Rolle als Mensch zweiter Klasse. Es nimmt sie komplett aus ihren Rollen und macht sie zu einer Person.

Es ist deshalb kein Zufall, dass die Emotion, die für die meisten Frauen mit dem ersten Schritt der Befreiung einhergeht, Wut ist. Wie viel Selbstwert auch immer du in 20-30 Jahren, in denen dein Verstand durcheinandergebracht wurde, entwickeln konntest, gibt dieser dir ein vages Gefühl dafür, dass deine Situation nicht so ist wie sie sein sollte und sorgt dafür, dass wir uns zaghaft nach möglichen Erklärungen umsehen. Erkenntnisse sind zunächst zögerlich, aber dann fangen sie an, dich unerbittlich wie ein Vorschlaghammer zu treffen, und treiben deine Wut mit jedem Hieb tiefer in dein Bewusstsein.

Deine Rage konzentriert sich auf die Gruppe jener Individuen, die dir den meisten Schaden zugefügt haben. Du bist wütend auf deine Eltern, die lieber einen Jungen gehabt hätten; auf deine Mutter (kombiniert mit Migefühl), weil sie sich selbst hat unterdrücken lassen und es versäumt hat dir ein anderes Vorbild für weibliches Verhalten vorzuleben; auf deinen Vater, der ein günstiges Ego-Polster erhalten hat, auf Kosten von dir und deiner Mutter.

Du bist wütend auf die, die dich auf deine schäbige Rolle vorbereitet haben. Auf die Lehrer, die weniger von dir erwartet haben, weil du ein Mädchen warst. Auf die Ärzte, die dir gesagt haben, dass Empfängnisverhütung Frauensache ist und dir eine Wahl zwischen gefährlichen und ineffektiven Instrumenten gelassen haben, dir dann eine Abtreibung versagt haben, als sie versagten. Auf den Psychologen, der dich frigide genannt hat, weil du keine vaginalen Orgasmen hast und der dich neurotisch genannt hat, weil du mehr willst als die unbezahlte und ungewünschte Rolle eines Dienstmädchens, Krankenpflegerin oder ähnliches…  Auf Arbeitgeber, die dir weniger bezahlt haben und dich in miserablen Jobs gehalten haben. Auf die Botschaft der Medien, die du vorher nie verstanden hast: „Baby, du hast es weit gebracht“ – in eine Sackgasse, eine Straße, die wie für dich vorgezeichnet haben.

Wütend, vor allem, auf Männer. Für den Verkäufer, der dich immer „Schatz“ genannt hat, hast du jetzt ein barsches, knappes: „Nenn mich nicht Schatz“. Für die Männer auf der Straße, die ihre täglichen Erniedrigungen an deinem Körper begehen, hast du ein „Fick dich“, oder, wenn du mutig bist, ein Knie zwischen die Beine. Deine männlichen Freunde (die immer weniger werden), die „total für die Frauenbefreiung“ sind, belegst du mit einem zynischen Blick … .Und für deinen Mann (sollte der noch da sein), hast du eine Menge feindseliger und wütender Fragen. Unterscheidet er sich von anderen Männern? Wenn ja, wie? …

Dies ist eine sehr unbequeme Zeit, die es zu überstehen gilt. Du bist grob mit deiner Wut, die ein Eigenleben zu haben scheint. Deine FreundInnen, von denen die meisten nicht mit dir übereinstimmen, finden dich schrill und schwierig. Und aus Angst sie könnten Recht haben, dass du einfach verrückt bist, verstärkt sich das noch. Du ermüdest dich selbst mit dieser Wut – es ist verdammt anstrengend immer wütend zu sein – die dich nicht mal in Ruhe einen Film gucken oder ein Gespräch führen lässt.

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Carol J. Adams: Bitch, Chick, Kuh: Die Rechte von Frauen und (anderen) Tieren

Carol J. Adams [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

(Teil)Übersetzung eines Beitrags von Carol J. Adams mit dem Titel “Bitch, Chick, Cow: Women’s and (Other) Animals’ Rights”, im Sammelband “Sisterhood is Forever”, The Women’s Anthology for a New Millennium. Washington Square Press 2003, herausgegeben von Robin Morgan.

Feministinnen sehen nicht andere Dinge als andere Menschen; Feministinnen sehen die gleichen Dinge anders. Eine Sache, die Feministinnen anders sehen, sind Tiere. Was wir anders sehen ist … die Abwesenheit des Tieres. Wir sehen das Tier, dessen Existenz zu einem Essen, einem Mantel oder einem Paar Schuhe geführt hat. Wir sehen auch, dass das was abwesend ist … mit ethischen, praktischen und ökonomischen Imperativen aufgeladen ist: „Unsere Gesellschaft tötet ungestraft Tiere; Was ist unsere Verantwortung?“ Und wir Tierrechts-Feministinnen, wir Tierbefreiungs-Ökofeministinnen, wir veganen Feministinnen (ich weiß es gar nicht, wie wir uns nennen sollen?) antworten: „Unsere Verantwortung liegt darin, damit aufzuhören, Tiere zu benutzen und zu misshandeln“. Unser Bewusstsein hat uns hierher geführt.

Sandra Bartky … hat festgestellt, dass „Feministisches Bewusstsein … einen „Fakt“ in einen „Widerspruch“ verwandelt.“ Fakt: Menschen (auch Feministinnen) benutzen Tiere für Essen, Sport, Kleidung und andere Verbrauchsgüter. Widerspruch:  diese Ausbeutung von Tieren wird fortgesetzt, obwohl Tiere einzigartige, individuelle Wesen sind, die soziale Beziehungen genießen und eine große Bandbreite von Fähigkeiten haben, inklusive der, Schmerz zu empfinden.

Wie können Menschen, insbesondere Feministinnen, Tiere benutzen?  Aufgrund von individueller mentaler Abspaltung, und aufgrund von gesellschaftlicher Abspaltung – die es erlaubt, dass der Widerspruch der einen Person, der Fakt einer anderen Person bleibt. Es ist sowohl eine Last und ein Geschenk lebensverändernden Bewusstseins, zu versuchen Bedingungen für andere zu schaffen und diese Erfahrung der Entflechtung eines Faktes in einen Widerspruch zu machen. …

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Andrea Dworkin: Rechter und linker Frauenhass

Andrea Dworkin

By Open Media Ltd. (Uploaded by Open Media Ltd. (AnOpenMedium)) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Auszüge aus einer Rede, gehalten am 8. April 1987 an der New York University Law School, veröffentlicht im Sammelband “The Sexual Liberals and The Attack on Feminism“, herausgegeben von Dorchen Leidholdt und Janice G. Raymond im Jahr 1990. Vollständiger Text „Woman-Hating Right and Left, Andrea Dworkin“ (auf englisch) auf radfem.org.

Es ist lange her, dass wir zusammengekommen sind, um zu sagen, was wir meinen, was Feminismus ist und warum der Kampf für die Freiheit der Frau so bedeutsam für uns ist, dass wir ihm unser ganzes Leben widmen: nicht drei Stunden am Samstagnachmittag; nicht ein gelegentlicher Brief hier und da; nicht ein empörtes „Oh mein Gott, das meinst du nicht wirklich!“. Wir denken tatsächlich nicht, dass unsere Leben trivial sind. Stellt euch das vor. Und wir denken nicht, dass die Verbrechen, die an uns begangen werden, unbedeutend und klein sind. Das bedeutet, dass wir einen phänomenalen Fortschritt darin gemacht haben zu verstehen, dass wir menschliche Wesen sind, die Rechte haben; dass niemand uns diese Rechte nehmen darf; dass wir geschädigt werden durch eine systematischen Unterordnung von Frauen und dadurch, dass wir systematisch sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Wir haben uns politisch organisiert um zurückzuschlagen und die Gesellschaft, in der wir leben, von Grund auf zu verändern.

Ich denke, als Feministinnen schauen wir auf eine Art und Weise auf Probleme, die andere Menschen nicht zu verstehen scheinen. Um Namen zu nennen, die Rechten und die Linken scheinen nicht zu verstehen, was wir Feministinnen zu tun versuchen. Wir versuchen eine Geschlechterhierarchie zu zerstören, eine Rassenhierarchie (race hierarchy), eine ökonomische Hierarchie, in der Frauen geschädigt werden, entmachtet sind und in der die Gesellschaft eine Brutalität an uns zelebriert und uns die körperliche Integrität und unsere Würde verweigert.

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„Modetrends, die Männer hassen“

 

Der Sommer kommt! Ihr freut euch! Aber VORSICHT! Vorsicht und Alarm!

Der Sommer ist nicht so nett, wie ihr immer gedacht habt. Der Sommer ist eine böse Falle! Gott sei Dank ploppen in den Facebooktimelines momentan wieder massenweise gesponsorte Beiträge auf wie „Diese Beautytrends hassen Männer“, „Auf welche Looks du verzichten solltest“, „Mit diesen Stylingtrends kommst du bei Männern nicht an“. Dieses Phänomen begegnet uns alle Jahre wieder, und wir sollten dankbar dafür sein, dass es Menschen gibt, die sich wirklich, ich meine WIRKLICH Gedanken um uns Frauen machen. Denn jetzt mal ehrlich, nichts  wäre schlimmer für eine Frau, als etwas zu tragen, was Männer nicht MÖGEN. Die reine Katastrophe. Stellt euch das mal vor, ihr zieht früh eure neue supertolle High-waisted-Jeans an, ihr tragt sie den ganzen Tag, ihr fühlt euch super, und abends dann lest ihr in irgendeiner Frauenzeitschrift, dass Männer High-waisted-Jeans an Frauen HASSEN. Und ihr seid also den ganzen Tag rumgerannt und habt keine Wichsvorlage für die Herren der Schöpfung abgegeben. Ihr habt euer Verhalten, euer Make-up, eure Frisur, eure Klamotten, euer VERHALTEN nicht darauf ausgerichtet, Männern zu gefallen. Wie schrecklich! Eure Welt stürzt ein. Habt ihr überhaupt noch eine Lebensberechtigung?

Aber es gibt Abhilfe! All die Frauenzeitschriften, die euch beibringen möchten, wie ihr RICHTIG Frau seid, wie ihr die RICHTIGEN Blowjobs gebt, wie ihr RICHTIG reagiert, wenn euer Wertester Pornos schaut (nicht zicken! Cool bleiben! Mitschauen! Nachmachen! Da steht er total drauf!), mit welchem Lipgloss ihr ihn dazu bringt endlich lieb zu euch zu sein, eilen um euch zu helfen: damit ihr nicht aus Versehen sowas tragt wie Ankle Boots, Dutts, Blümchenmuster, Bubikragen, Pullover in oversize oder Jumpsuits (ja! Männer hassen sie! Das wusstet ihr noch nicht, was? Das gibt ne 6 für eure lahme Recherche!).

 

Jetzt dachte ich mir, dass das eigentlich eine gute Sache ist. Regeln für das andere Geschlecht aufstellen, das gefällt mir. Das ist der Verständigung unter den Geschlechtern zuträglich und verbessert das Miteinander. Und im Sinne der Gleichberechtigung dürfen Frauen ja auch mal was fordern, gell? Es ist ja nicht so, dass hier völlig einseitig massiv überzogene, übergriffige Anforderungen an Frauen gestellt werden dürfen. (Ist euch das bisher so vorgekommen? Macht euch keine Gedanken darum. Geht euch lieber abschminken. Männer hassen dunkelrote Lippenstifte!)

 

Deswegen jetzt hier meine top 7 der Trends, die Frauen an Männern hassen:

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Femizid und das ohrenbetäubende Schweigen der Gesellschaft – Ein Wake-Up-Call

Frau, die sich wehrt

European Parliament (CC BY-NC-ND 2.0)

“Ni Una Menos” (Nicht eine Weniger) heißt eine Kampagne in Argentinien, die seit mehreren Jahren Gewaltverbrechen gegen Frauen zum Thema macht. Eine ähnliche Bewegung gibt es in Peru. Deutsche Medien von N-TV, über TAZ und Junge Welt berichteten in der Vergangenheit darüber.

So rechnete die TAZ uns am 4. Juni 2016 vor:

Daran, dass in Argentinien rechnerisch alle 32 Stunden eine Frau umgebracht wird, hat sich auch ein Jahr danach wenig geändert. In den letzten zwölf Monaten wurden 275 Mädchen und Frauen ermordet, davon 162 von ihrem Ehemann, Freund, Partner mit oder ohne der Vorsilbe “Ex”

Die Junge Welt schrieb am 15.08.2016:

Mehrere hunderttausend Menschen sind am Samstag in Lima auf die Straße gegangen, um gegen die hohe Zahl von Morden an Frauen zu protestieren. Allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2016 wurden nach Angaben des peruanischen Frauenministeriums 54 Morde und 188 Mordversuche an Frauen registriert.

Männliche Gewalt ist weltweit hauptverantwortlich für den vorzeitigen Tod von Frauen. Fast täglich können wir auch in Deutschland lesen von männlicher Gewalt gegen Frauen, die tödlich oder fast tödlich endet. Einer gesellschaftlichen Anerkennung dieser schlichten Fakten gibt es jedoch nicht. Eingeordnet werden diese Fälle hierzulande von den Medien als „Beziehungs-„ oder „Familiendrama“ – oder seit neuestem auch gerne, wenn der Täter sich ebenfalls umbringt – als „erweiterter Selbstmord“. Die Tatsache, dass meist nur Lokalmedien berichten (wenn überhaupt) und die Einordnung der Taten in den privaten Kontext gibt der Gesellschaft die Entschuldigung wegzusehen. Strukturelle Analysen finden nicht statt, auch linke Medien berichten wie gezeigt gerne mal über Anti-Femicido-Initiativen im Ausland – Empörung über die alltägliche Gewalt vor unserer Haustür gibt es jedoch nicht, sondern – wie auch im Fall der Prostitution – nur ohrenbetäubendes Schweigen.

Dies gilt im Übrigen auch für linken Gruppierungen, die sich sonst (und das ist gut so!!!) überschlagen Initiativen und Gruppen zu gründen zur Bekämpfung jeglicher Formen der Diskriminierung von und Gewalt gegen Menschengruppen. Die Behauptung – eben auch von links – wir seien als Frauen doch weitgehend gleichberechtigt, lässt uns Worte wie „Femizid“ nur schwer über die Lippen bringen. Aber verleugnen können wir die Relevanz des Geschlechts für Hassverbrechen angesichts der Realität doch auch nicht.  Deshalb ist das hier ist ein Wake-Up-Call!

Nachfolgend das Ergebnis einer Schnell-Recherche, die Auflistung beansprucht keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, ist sie defintiv nicht! Die oben genannten Zahlen von Argentinien und Peru toppen wir jedenfalls allemal, interessiert hier im vermeintlich geschlechtergleichberechtigten Wunderland Deutschland nur niemanden kaum jemanden, sind halt nur Frauen. Monat April: 30 Tage, 30 Fällle. Voilá!

Zwischen dem 31. März und 8. April 2017: Der 17 Jahre alte John B. tötet und zerstückelt seine 58 Jahre alte, körperbehinderte Mutter Ilona F. Nachbarn berichten, dass er seine Mutter häufig bedroht und geschlagen haben soll. (Quelle)

2. April 2017, Seelze: Der 41 Jahre alte Christian I. erwürgt seine Freundin, die 29 Jahre alte Jana W. (Quelle)

3. April 2017, Heusenstamm: Ein 55 Jahre alter Mann erschlägt im Streit seine 53 Jahre alte Ehefrau mit einem Werkzeug, durch einen Schlag auf den Kopf. Hintergrund: Trennung (Quelle)

4. April 2017, Leipzig: Ein 34 Jahre alter Mann verletzt seine 28 Jahre alte Ehefrau im Streit schwer. Die Polizei ermittelt wegen eines versuchten Tötungsdeliktes. Die Frau schwebte zeitweise in Lebensgefahr. (Quelle)

5. April 2017, Düsseldorf: Der 30 Jahre alte Maninder S. verletzt seine 24 Jahre alte Ex-Lebensgefährtin schwer. Er flüchtet, als eine Zeugin zur Hilfe eilt. Die Polizei wertet die Tat als versuchtes Tötungsdelikt. Das Opfer schwebte zeitweise in Lebensgefahr. Mutmaßliches Motiv: Der Täter wollte die Trennung nicht akzeptieren. (Quelle)

6. April 2017, Altenburg. Ein 54 Jahre alter Mann tritt massiv auf seine 57 Jahre alte Nachbarin ein und verletzt sie lebensgefährlich. Sie stirbt nach einem Sturz aus dem Fenster. (Quelle)

6. April 2017, Darmstadt: Ein 49 Jahre alter Mann tötet seine 56 Jahre alte Ehefrau. (Quelle)

7. April 2017, München: Ein 32 Jahre alter Mann versucht seine 63 Jahre alte Mutter zu erwürgen. Das Eingreifen eines Nachbarn rettet ihr das Leben, indem er von Balkon zu Balkon klettert und dazwischen geht. Bei dem Täter war bereits in der Vergangenheit eine psychische Erkrankung festgestellt worden, weshalb er wegen versuchten Mordes in einer psychiatrischen Klinik untergebracht wurde. (Quelle)

7. April 2017, Staßfurt: Ein 58 Jahre alter Mann ersticht seine 50 Jahre alte Ehefrau und verletzt den 26 Jahre alten Sohn, der mit lebensbedrohlichen Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert wird. Die Zeitungen berichten von einem “Familiendrama” (Quelle)

9. April 2017, Kreis Aschaffenburg: Ein 31 Jahre alter Mann ersticht seine 26 Jahre alte Ex-Freundin mit mehreren Messerstichen in den Hals und stürzt sich selbst von der Brücke Dem Täter war aufgrund von häuslicher Gewalt bereits am 17.03.17 ein 14-tägiges Kontaktverbot erteilt worden. Am 6. April musste die Polizei erneut einschreiten. Ein am 7. April beantragtes neuerliches Kontaktverbot wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 7.4.2017 mangels Antragsvoraussetzungen abgewiesen. (Quelle)

12. April 2017, Mömlingen: Ein 47 Jahre alter Mann zerrt im Verlaufe eines Streits seine 43 Jahre alte Ehefrau aus dem Auto und misshandelt sie mit brutaler Gewalt. Der anwesende, 22 Jahre alte, Sohn bringt seine schwer verletzte Mutter in die Wohnung und verständigt den Rettungsdienst. Die Polizei ermittelt wegen versuchter Tötung. (Quelle)

15. April 2017, Cottbus: Eine Gruppe von Männern um die 20 überfährt die 22 Jahre alte ägyptische Gaststudentin Shaden M. Motiv: Rassismus (Quelle)

15. April 2017, Hannover: Ein 25 Jahre alter Mann verletzt die 27 Jahre alte Melissa S. schwer. Sie erliegt am 16. April ihren Verletzungen. (Quelle)

16. April 2017, Mainz: Ein 39 Jahre alter Mann ersticht seine 32 Jahre alte Ehefrau (Quelle)

17. April 2017, Düsseldorf: Ein 39 Jahre alter Mann stößt seine 24 Jahre alte Lebensgefährtin aus dem Fenster. Diese stürzt Meter in die Tiefe. Sie schwebte zwischenzeitlich in Lebensgefahr. Die Polizei ermittelt wegen eines versuchten Tötungsdeliktes. (Quelle)

19. April 2017, Wersten: Ein 67 Jahre alter Mann verletzt seine 10 Jahre jüngere ehemalige Lebensgefährtin auf dem Gelände einer Sportanlage. Er lässt erst von ihr ab, als ein Passant auf das Geschehen aufmerksam wird. Die Polizei wertet die Tat als versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. (Quelle)

19. April 2017, Unterensingen: Ein 45 Jahre alter Mann tötet seine Tochter und seinen Sohn (8 und 4 Jahre alt) und dann sich selbst. Motiv: Eifersucht. Die Ehefrau ist schuld. Auf Facebook schreibt er: „Sie hat mir alles genommen. Unsere Familie. Unsere Liebe. Unsere Zukunft.“ Und: „Die Vorstellung, dass ich unsere Kinder nicht mehr jeden Tag sehe, dass ein anderer Mann sie anfasst, sie ins Bett bringt, sie in den Schlaf streichelt, bringt mich um den Verstand.“ Die Presse titelt “Familiendrama” (Quelle)

21. April 2017, Dresden: Der 29 Jahre alte Shahjahan B. ermordet seine Freundin, die 41 Jahre alte Thu T. mit einem “scharfen Gegenstand” (Quelle)

21. April 2017, Hamburg: Ein 53 Jahre alter Mann verletzt seine 44 Jahre alte Lebensgefährtin schwer. Das Opfer musste mit schweren Kopfverletzungen notoperiert werden und schwebt in Lebensgefahr  (Quelle)

23. April 2017, Syke: Ein 32 Jahre alter Mann erwürgt seine gleichaltrige Lebensgefährtin. Die Presse berichtet von einem “Familiendrama”. (Quelle)

24. April 2017, Berlin: Eine 45 Jahre alte Frau wird tot in ihrer Wohnung gefunden. Die Polizei geht von einem Gewaltverbrechen aus. Die Hintergründe sind noch unklar. (Quelle)

24. April 2017, Sasbach: Ein 50 Jahre alter Mann ersticht seine 43 Jahre alte Ex-Lebensgefährtin im Zuge eines Streits im Treppenhaus. (Quelle)

24. April 2017, Mönchengladbach: Ein Mann schießt auf offener Straße mehrfach auf seine Ex-Partnerin. Die Polizei ermittelt wegen Mordversuchs. Die Medien berichten von einem “Beziehungsdrama”. (Quelle)

24. April 2017, Bad Driburg: Ein 33 Jahre alter Mann ersticht nach einem Ehestreit, in Zuge dessen die 28 Jahre alte Ehefrau fast nackt fliehen muss, seine Tochter (5) und seinen Sohn (8), verletzt die Ehefrau und eine weitere Tochter (3) schwer, und tötet sich dann selbst. Die Medien berichten von einem “Familiendrama” und “erweiterten Selbstmord”.(Quelle)

26. April 2017, Berlin: Mord an der 45 Jahre alten Janine N. Die Ermittlungen dauern an (Quelle)

28. April 2017, Dülmen: Ein 29 Jahre alter Mann sticht zunächst auf seine 51 Jahre alte Mutter, dann auf seine 31 Jahre alte Schwester ein, als diese zur Hilfe eilt. Die Mutter wird schwer verletzt und schwebt zeitweise in Lebensgefahr. Die Polizei ermittelt wegen versuchten Totschlags. Die Presse berichtet von einem “Familiendrama”. (Quelle)

30. April 2017, Prien: Ein 29 Jahre alter Mann ersticht eine 38 Jahre alte Frau vor den Augen ihrer Kinder vor einem Supermarkt. Der Täter wurde in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen. (Quelle)

30. April 2017, Nürnberg: Ein 31 Jahre alter Mann ersticht seine 61 Jahre alte Mutter. Der Vater (64) liegt schwer verletzt auf Intensivstation. Die Presse spricht von einem “Familiendrama” (Quelle)

30. April 2017, Ilfeld: Ein 51 Jahre alter Mann tötet seine 48 Jahre alte Freundin nach einem Streit. (Quelle)

Ist männliche Gewalt immer noch eine Privatangelegenheit?

"If I had a hammer… I'd SMASH Patriarchy"

T via Flickr, [CC BY 2.0] I FOUND IT!

Vergewaltigung in der Ehe wurde in Deutschland erst 1997 zum Straftatbestand. Vorher gab es das nicht, wurde von der Justiz einfach zur Privatangelegenheit erklärt. Denn: Der Staatsanwalt habe im Ehebett nichts zu suchen. Und außerdem herrscht bis heute noch weithin die Meinung vor, ein Ehemann habe nun mal Anrecht auf sexuelle Befriedigung durch die Ehefrau.

Mehr als jede dritte Frau in Deutschland wird im Laufe ihrer Lebens Opfer von männlicher Gewalt. Gewalt gegen Frauen wird überwiegend durch Partner oder Expartner und im häuslichen Bereich verübt. 25% der in Deutschland lebenden Frauen haben Gewalt durch aktuelle oder frühere Beziehungspartner erlebt (häusliche Gewalt).

Obwohl es ein wichtiger Erfolg der Frauenbewegung war, diese Taten im privaten Bereich in die öffentliche Debatte zu holen (Slogan: „Das Private ist politisch“) und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es sich hier nicht um Einzelschicksale handelt, verweigert sich die Gesellschaft bis heute einer systemischen Analyse. Wenn eine Frau von ihrem Partner getötet wird lesen wir in den Medien immer wieder von „Beziehungsdramen“ oder auch „erweiterten Selbstmorden“ – Verständnis für die Frau die beim gewalttätigen Partner bleibt: kaum vorhanden. Dabei ist die Angst vor Eskalation, wenn man den prügelnden Mann oder Freund verlässt absolut berechtigt, denn: Frauen in Trennungs- oder Scheidungssituationen sind besonders gefährdet, Opfer von Gewalt durch den (Ex)Partner zu werden.

In meiner unmittelbaren Nachbarschaft wurde am 10. Januar diesen Jahres eine 35 Jahre alte Frau leblos in ihrer Wohnung aufgefunden. Der 42 Jahre alte Täter wurde festgenommen, da bei der Obduktion Spuren der Gewaltanwendung festgestellt wurden.  NachbarInnen berichten, sie hätten schon häufiger die Polizei gerufen, und zwar wegen regelmäßiger, ganz offensichtlicher, häuslicher Gewalt nach massivem Alkoholkonsum – Folgen für den Täter: Keine.

Auch fremde Männer können zur Gefahr werden. Amokläufer oder Serienkiller sind – das lässt sich nicht bestreiten – in aller Regel Männer. Immer wieder lesen dürfen wir dann wie zur Beruhigung: Der Täter war psychisch krank. Na, dann ist ja alles halb so schlimm, oder? Fragen, warum es überwiegend Männer sind, die Gewalttaten begehen oder warum die Zahl psychisch kranker Täter zunimmt, werden nicht gestellt. Dann müsste man sich ja kritisch mit dem Zustand der Gesellschaft auseinandersetzen. Lieber beruhigt man sich und uns mit der Feststellung „Die Majorität der Täter ist nicht psychisch krank“. Sicherlich ist auch die Mehrzahl psychisch kranker Menschen nicht gewalttätig. Zu einer pauschalen Beruhigung führt jedoch weder die Feststellung des Gegenübers als „männlich“, noch als „psychisch krank“.

Am 20. Dezember 2016 wurde im Wiesbadener Stadtteil Biebrich die 59 Jahre alte Manuela W. in ihrem Kiosk in Biebrich erschossen. Schwer verletzt wurden ihr 63 Jahre alter Ehemann sowie ihr 21 Jahre alter Neffe. Der 25 Jahre alte Täter Benjamin G. wurde erst nach einigen Tagen gefasst und in U-Haft überstellt. Als Motiv gab der Täter, der in Nähe des Tatorts wohnte, die Absicht eines Raubüberfalls an. Er war unter anderem der Polizei im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln bereits bekannt. Aktenkundig war auch ein Verstoß gegen das Waffengesetz. Es war um ein verbotenes Butterfly-Messer gegangen. In seiner Wohnung fanden die Polizeibeamten Einschusslöcher in den Wänden und der Matratze, die von Schießübungen zeugten.

Immer wieder wurde ich in den vergangenen sieben Jahren gefragt ob ich eigentlich keine Angst habe, bis spät abends in einem Kiosk zu arbeiten. Immer antwortete ich mit „Nein“, da ich (bis auf zwei nächtliche Einbrüche) schlicht keinerlei Veranlassung dazu hatte. Knapp zwei Wochen nach dem Biebricher Kiosk-Mord an meiner Namensvetterin, der fast täglich in den Lokalmedien Thema war, und am eben jenem Tag des o.g. Mords in meiner Nachbarschaft, betrat ein mir unbekannter Mann den Laden und forderte mich auf die Kasse aufzumachen und ihm das Geld zu geben. Dabei fielen auch Worte wie „Schlampe“. Auch eine psychische Erkrankung des Täters war durch sein Verhalten offensichtlich. So fragte er mich beispielsweise aggressiv „Hast du mich gerade Hurensohn genannt?“ – obwohl ich vor Lähmung zunächst total sprachlos war und nur langsam überhaupt etwas sagen konnte, was sich dann aber auf den Hinweis der Kameraüberwachung beschränkte und die Aufforderung doch besser ohne Geld zu gehen, weil eh alles auf Band ist. Die Zeit erschien mir endlos und als er den Laden endlich verließ und ich die Tür hinter ihm zugeschlossen hatte, zitterten meine Knie wie Espenlaub. Ich war so verwirrt, dass ich der Polizei am Telefon einfachste Fragen, wie zum Beispiel was er trug, nicht beantworten konnte: So hatte ich unter Vorbehalt angegeben, eine grüne Bomberjacke gesehen zu haben, obwohl auf dem Video dann deutlich eine braune Lederjacke zu erkennen war. Im Moment des Telefonats war die Erinnerung an das was gerade geschehen ist, jedoch so gut wie ausgelöscht. Als die Polizei unmittelbar erschien, während ich noch mit ihrer Kollegin am telefonieren war, hielten die BeamtInnen mir ein Foto vor und fragten „War das der Mann?“ – was ich überrascht bestätigte. Er war also schon bestens bekannt. Wie ich im Nachhinein hörte, terrorisierte er die anderen Läden in der Straße schon eine ganze Weile und ich hatte wohl eher Glück, dass er bei mir bis dato noch nicht aufgetaucht war. Die Kioskbetreiberin gegenüber bekam fast täglich „Besuch“ von ihm, der im Übrigen selbst in der Straße wohnt. Meinen Kollegen hatte er im Übrigen bereits vor zwei Jahren in ähnlicher Weise wie mich bedroht – was der Polizei ebenfalls bekannt war. Einige Stunden nach dem Vorfall bekam ich einen Anruf von der Polizei, man habe den Täter in Gewahrsam genommen und der Psychiatrie überstellt.

Als ich am nächsten Tag bei der Polizei anrief, um zu fragen ob sie das Video brauchen für meine Anzeige, erlebte ich die erste Überraschung: Der Einsatz war zwar vermerkt, ein versuchter Raub, eine Bedrohung oder ähnliches, jedoch nicht. Ich brauche mir aber keine Sorgen machen, der Täter sei ja in Gewahrsam. Als ich das über Whats-App weitergab an meinen Kollegen, schrieb der zurück: „Wieso, der lief doch gerade hier wieder vorbei?“ – was bei mir eine Angstattacke auslöste. Die von mir herbeigerufene Polizei zuckte nur mit den Schultern, war sichtlich angepisst dass man sie überhaupt gerufen hatte (obwohl er in der Zwischenzeit schon wieder den Kiosk gegenüber aufgesucht hatte) und der Beamte meinte „Na dann nehmen wir den halt wieder mit und morgen ist er wieder frei. So läuft das in diesem Land.“

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich musste eine Online-Anzeige aufgeben, damit überhaupt gegen den Täter ermittelt wurde, und wenige Wochen später wurde er wie ich erfuhr, wie der Zufall es will im Stadtteil Biebrich, einem Freund gegenüber gewalttätig, und stationär für mehrere Wochen eingewiesen. Medikamentös behandelt, erfuhr er dann wohl auch später über die Lektüre der Polizeiakten über seinen Anwalt, was er in der Zwischenzeit so alles angestellt hat und brach darüber einem seiner Freunde zufolge in Tränen aus. Im Moment ist er wieder zu Hause und offensichtlich friedlich. Die Straße hat zumindest derzeit Ruhe.

Als die Polizistin im Nachgang meiner Online-Anzeige den Fall aufnahm, sagte sie mir nach Betrachtung des Videos: „Hätten wir das damals schon gehabt, wäre er sicher nicht nach einem Tag vom Richter freigelassen worden“. Sie fand es schockierend anzusehen und ihn zweifellos sehr bedrohlich. Insbesondere wie er sich immer über den Tresen zu mir rüber beugte und ein Halsaufschlitzen andeutete.

Gestern nun erhielt ich Post von der Staatsanwaltschaft, darin heißt es auszugsweise (Fehler im Original!):

In dem Ermittlungsverfahren gegen … wegen des Verdachts der Bedrohung, Beleidigung … wird die Anzeigenerstatterin mit der Strafanzeige vom 11.01.2017 auf den Weg der Privatklage verwiesen.

Die Staatsanwaltschaft darf … von Amts wegen nur tätig werden, wenn ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Die Prüfung des Sachverhalts hat ergeben, dass diese Voraussetzung hier nicht vorliegt … Maßgebend für die Bewertung des angezeigten Einzelfalles sind folgende Umstände: Der unter einer Pschose leidende Beschuldigte betrat am 10.01.2017 den Kiosk der Anzeigenerstatterin und verwickelte diese in ein Gespräch. In diesem Rahmen zwischenzeitlich hervorgebrachten Äußerungen wie „Mach die Kasse auf!“ entkräftete er dabei unmittelbar mit den Worten „Alles nur Spaß“, womit ein Anfangsverdacht für einen versuchten Raub, auch im Hinblick auf die psychische Erkrankung des Beschuldigten nicht angenommen werden konnte. Die Anzeigenerstatterin fühlte sich durch die weiteren Gesten und Aussprüche des Beschuldigten („Schlampe“, Andeuten des Halsaufschlitzens) jedoch in ihrer Ehre gekränkt und bedroht. Der Verletzten steht es frei, gegen den Beschuldigte im Wege der Privatklage bei dem Amtsgericht vorzugehen. Dieser Weg reicht aus, ihr Rechtsschutz zu gewähren und Genugtuung zu verschaffen. … Der Erhebung der Privatklage muss in aller Regel eine Sühneverhandlung vorausgehen.

Halten wir fest:

  • Wer psychisch krank ist, stellt für die Staatsanwaltschaft offenbar pauschal keine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit dar, selbst dann nicht, wenn er der Polizei bereits einschlägig bekannt ist.
  • Als Betroffene bleibt mir der Weg einer Privatklage, unter Einsatz privater Mittel, damit ich meiner „gekränkten Ehre“ „Genugtuung” verschaffen kann.

??? WHAT THE HELL ???

Ich habe die Anzeige ganz sicher nicht gestellt, weil mich jemand „Schlampe“ genannt hat – Dann würde ich doch gar nicht mehr fertig werden mit Anzeigen schreiben, so oft wie das on- und offline passiert.

Ich habe die Anzeige gestellt, weil ich mich in der konkreten Situation ernsthaft bedroht gefühlt habe.

Ich habe die Anzeige gestellt, damit die Tat aktenkundig wird und niemand sagen kann „Wir haben von nichts gewusst“.

Mich interessiert keine „Genugtuung“ für irgendeine vermeintlich „gekränkte Ehre“ – mich interessiert ob und welche Maßnahmen ergriffen werden, damit keine weiteren Menschen geschädigt werden.

Musste es erst zu einer weiteren Tat mit tatsächlicher körperlicher Gewaltanwendung kommen, bis man sich endlich veranlasst sah den Täter vorrübergehend „aus dem Verkehr zu ziehen“?

Wer hätte eigentlich die Verantwortung übernommen, wenn diese schlimmer (zum Beispiel tödlich) ausgegangen wäre?

Was wäre gewesen, wenn mich das Erlebnis psychisch so stark beeinträchtigt hätte, dass mir die Tätigkeit im Laden nicht mehr möglich wäre?

Ganz allgemein gesprochen: Wie viele (insbesondere tödlich endende) Taten hätten eigentlich bereits verhindert werden können, bzw. könnten zukünftig verhindert werden, wenn man vorliegende Hinweise ernst nehmen würde?

Und: Können wir vielleicht endlich aufhören, männliche Gewalt immer und immer wieder zu einem privaten Problem zu machen?

Die Hure ist schuld

Fight Sexism Graffiti

by Metro Centric via Flickr, [CC BY 2.0]

Bushido und Kollegen haben angeklopft – der linke deutsche Indie-Pop hat aufgemacht. Dass „Singer-Songwriter vom Musikgymnasium“ jetzt auch Slut-Shaming im Repertoire haben, findet „Die Zeit“ derweil „bemerkenswert“.

Wir müssen unsere Männlichkeit wieder entdecken. Denn nur wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde!

Björn Höckes Plädoyer für mehr deutsche Männlichkeit 2015 in Erfurt war so derbe autsch, oder? Auf der Fremdschämskala von 1-10 ne‘ glatte 11! Und trotzdem: Die Rufe nach Rückbesinnung auf deutsches Machotum sind voll im Trend – zunehmend überall, zunehmend links von Björn und Frauke. So ist auch Zeitjournalist Lars Weisbrod begeistert auf den Zug nach vorvorgestern aufgesprungen und feiert mit seinem Artikel „Du Nutte“ etwas, das er in einem argumentativ so halsbrecherischen wie dürftigen Akt die „Remaskulinisierung“ der deutschen Popmusik nennt.

Diese, wenn man so will, neue deutsche Männlichkeit besteht für ihn nämlich nicht etwa in neuem Mut zu revolutionären Lyrics mit politischer Kante, die die Mächtigen geißeln und die A&R’s der Plattenfirmen vor Verzweiflung in die Kragen ihrer Camp-David-Poloshirts beißen lassen. Nein und weit gefehlt!
Männlichkeit, wie sie Weisbrods Text versteht, meint eigentlich nur das hier: Mal wieder gepflegt Hure sagen zu einer, die nicht mit dir will.

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Die Sache mit den Safe Spaces – Warum ich keine Schwänze auf Frauentoiletten haben will

Gestern war ich tanzen, und als ich aufs Klo wollte, stand dort ein Mann in Frauenkleidern und schminkte sich. Ich war irritiert, konnte, so lange wie er da war, nur baff rumstehen und habe später angemerkt, dass ich mich nicht wohl und nicht sicher fühle, wenn Menschen mit Schwanz sich auf dem Frauenklo aufhalten.

Kurz voranschicken möchte ich: ich habe mit umoperierten Transfrauen auf dem Klo überhaupt kein Problem. Ja, diese haben trotzdem eine männliche Sozialisation usw., aber darum geht es jetzt nicht. Womit ich ein Problem habe, sind Menschen mit Schwanz auf dem Frauenklo. Ist mir egal, unter welchen Frauenklamotten dieser Schwanz vor sich hergetragen wird und wieviel Schminke die Person, die ihn trägt, im Gesicht hat. Eine Toilette ist ein intimer, geschützter Rückzugsort. Hier kann man sich erleichtern, kotzen, sich umziehen, telefonieren oder heulen. Der Privatsphäre in einer Toilette kommt eine große Bedeutung zu. Sex auf Toiletten ist beliebt und akzeptiert. Auf gemeinsamen Toiletten kommt man sich unter Fremden sehr nahe, oft zu nahe. Das ist unangenehm, bislang für Frauen aber nicht gefährlich. Ein Schwanz aber ist eine potenzielle Waffe. Er kann benutzt werden, um Frauen gegen ihren Willen zu pentrieren, vielleicht in einer Situation, in der sie hilflos, ungeschützt oder schlichtweg unachtsam sind. Opfer sexueller Gewalt müssen ein Recht auf schwanzfreie Räume haben. All das schoss mir durch den Kopf, während ich dort stand und überlegte, wie ich mit der Situation umgehen soll.

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Die Abgewöhnung des Mitgefühls

Blumenwiese

Bild via Pixabay, Public Domain

Als kleines Kind fragte ich meine Mutter, warum sie gerade eben unseren Hund geschlagen hatte. Unser Hund war ein junger Bernhardiner, er war keine 6 Monate alt und hatte in den Flur gepinkelt. Als ich meiner Mutter diese Frage stellte, scheuerte sie mir eine. Und sagte, aus dem Hund müsse nun mal ein gut erzogener werden (so wie aus mir offensichtlich eine gut erzogene Frau werden sollte). Ich kann mich an diese Situation nicht deshalb so gut erinnern, weil sie den Hund und mich nur dieses Mal geschlagen hat, sondern, weil sie eine der wenigen Situationen war, in denen ich widersprach (“es wagte”). Ich weiß nicht mehr genau, wie alt ich war, nur, dass ich noch in den Kindergarten ging, und ich sagte ihr, dass der kleine Hund doch noch klein ist und schwach und noch viel lernen muss und doch viel weniger Kraft hat als ein Mensch. Ich sagte, dass ich das nicht fair finde, wenn ein Hund so behandelt wird. “Fair, was ist schon fair”, sagte meine Mutter, “gewöhn dir das ab”. “So funktioniert die Welt nicht.”

Meine Mutter war selbst so groß geworden, mit exakt diesem Glauben und dieser Überzeugung, dass Mitgefühl haben etwas Lächerliches und ein Zeichen der Schwäche ist, etwas Illusorisches und Unrealistisches, etwas, das sich nicht schickt, nicht in die moderne Zeit passt und einfach nur ein Produkt von Menschen ist, deren Brillengläser zu rosa sind. Sie durfte nicht weinen, also ließ sie auch ihre Kinder nicht weinen. Eine “Heulsuse” war ich. Wann immer ich Gefühle, aber vor allem Mitgefühl zeigte. Als in den 80-er-Jahren beispielsweise Greenpeace zu dem Wal- und Robben-Abschlachten publizierte, las ich heimlich unter der Bettdecke Berichte darüber, aber vor allem weinte ich heimlich. Ich konnte  und wollte es einfach nicht verstehen – diese Grausamkeit. Außerhalb meiner Bettdecke schluckte ich jede Träne runter. Lief doch eine hinunter, gefährdete das meine körperliche Unversehrtheit. Bei Berichten über den Holocaust sollte ich “das ist vorbei” sagen und meine Sprachlosigkeit ob dieser Brutalität war lediglich das Zeugnis einer Seele, die so nie bestehen kann. Nicht einer, die in einer weiteren Stufe des Lebens schmerzlich erkennt, was für Folgen Gewalt und die Abwesenheit von Mitgefühl hat. Das Lächerlichmachen meiner Mitschülerin vor der gesamten Klasse durch unseren Deutschlehrer sollte kein Gefühl in mir regen, “zu nah am Wasser gebaut”, “irgendwas wird diese dumme Schülerin schon falsch gemacht haben”. Und so weiter und so fort.

Fühle nicht. Dann fühlt auch keiner mit dir. Und dann bist du sicher.

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Warum Sexualassistenz auch nur Prostitution ist

Alter Mann im Rollstuhl

Pixabay CCO Public Doman

Ein Gastbeitrag von Huschke Mau

Die Debatte um Sexualassistenz hat mich richtig derbe aufgewühlt. Ich hab mehrere Nächte gebraucht um auseinanderzuklamüsern, was genau mich so fertig macht daran. Was mich daran hindert, einfach einen neuen bösen Text zu schreiben.

Ich bin nicht nur Exprostituierte, ich habe nicht nur Erfahrungen in der Prostitution. Ich hab auch mal für ein paar Wochen im Behindertenheim gearbeitet. Und während der Debatte sind mir so viele Bilder von damals wieder aufgetaucht. Wir hatten einen 50igjährigen auf der Station, der hatte seit einem Hirnschlag keinerlei Kontrolle mehr über sein Sprachvermögen (unter anderem). Und das bei vollem Bewusstsein. Greifen ging nicht mehr, essen ging nicht mehr, sprechen ging nicht mehr. Zu dieser Zeit hatte ich einen Flirt mit einem Pfleger auf der Station. Niemand hat das mitbekommen, nur der Patient hat immer gegrinst, wenn er uns beide sah, hat zwischen uns hin- und hergeschaut und die Augenbrauen neckisch hochgezogen. Wir haben uns angelacht und fortan wussten also 3 Menschen von diesem Geheimnis. Aber ich habe mich auch unglaublich geschämt, dass ich einfach so rumlaufen und mich verlieben und das auch ausleben darf, während andere das nicht mehr können. Dann war da noch eine Patientin mit Trisomie 21, die mich dauernd umarmt hat. Ich kannte das nicht von Zuhause, liebevoll angefasst zu werden, und hab gleich erstmal losgeheult. Und jeden Tag hat sie mich auf ihre Hochzeit eingeladen. Sie hat sogar schon Bilder gemalt, von sich und ihrem Kleid und den Luftballons und den Gästen. Wenn man auf die leere Stelle neben der Braut getippt und gefragt hat: „Wo ist denn dein Bräutigam? Wen willst du denn heiraten?“ meinte sie immer leichthin: „Och, das weiß ich noch nicht. Aber bis morgen ist doch auch noch Zeit!“

Heute Morgen hab ich dann endlich klargekriegt, was mich an der Debatte so fertig macht.

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